Produktinfos:
Ausgabe: 2004
Seiten: 230
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* * * * *
Der Autor:
Philip Pullman, geboren 1946 in Großbritannien, reiste in seiner Kindheit durch Simbabwe, Australien, London und Wales, studierte später Anglistik in Oxford und arbeitete als Lehrer. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm mit seiner Trilogie "His Dark Materials" (Der Goldene Kompass, Das Magische Messer, Das Bernsteinteleskop), einer Jugend-Fantasyreihe. Daneben verfasst er auch Kinder- und Bilderbücher und doziert nebenbei am Westminster College in Oxford.
Inhalt:
Das Bergdorf Karlstein in der Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Die 14-jährige Hildi arbeitet als Dienstmädchen im Schloss des finsteren Grafen Karlstein. Sie nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um ihre Mutter, die den nahe gelegenen Gasthof führt, zu besuchen. Der einzige Trost auf dem düsteren Anwesen mit seinem unsympathischen Herrn sind die Nichten des Grafen. Die 10-jährige Charlotte und die 13-jährige Lucy sind Waisen, die vor einem Jahr vom Grafen notgedrungen aufgenommen wurden. Hildi versteht sich gut mit den jungen Fräuleins, die am liebsten zu später Stunde Gruselgeschichten lesen.
Eines Abends belauscht Hildi zufällig ein Gespräch des Grafen. Der Inhalt ist furchtbar: Der Graf hat vor zehn Jahren einen Pakt mit dem Höllenfürsten Samiel geschlossen, der ihm zu Reichtum und Macht verhalf. In wenigen Tagen, in der Nacht vor Allerseelen, verlangt Samiel seine Bezahlung in Form einer Menschenseele. Der Graf plant, ihm seine beiden ahnungslosen Nichten in einer Jagdhütte auszuliefern. Hildi warnt die Fräuleins und verhilft ihnen zur Flucht, hinaus in die eisige Kälte des Waldes.
Von jetzt an schweben die drei Mädchen in großer Gefahr. Der Graf nimmt sofort die Suche auf, denn wenn er die Mädchen nicht rechtzeitig findet, wird Samiel ihn selbst als Opfer holen. Während Hildi scheinbar ahnungslos zurückkehrt und insgeheim fieberhaft nach einem Ausweg sucht, kommen noch weitere Personen ins Spiel: Der verwegene Zauberer Doktor Cadaverezzi hält im Gasthof seine Vorstellung ab und wird in die Flucht der Mädchen verwickelt, ebenso wie Hildis Bruder Peter, der aus dem Gefängnis geflohen ist. Können die Mädchen dem windigen Zauberkünstler vertrauen? Schaffen sie es, dem Grafen zu entkommen? Und wessen Seele wird sich Samiel mit seiner Wilden Jagd holen ...?
Bewertung:
Ein Schauerroman für Kinder, an dem auch jung gebliebene Erwachsene ihre Freude haben - mit diesen Worten lässt sich Philip Pullmans Frühwerk auf den Punkt bringen. Dieser kleine, aber feine Roman verdankt seine Entstehung einem Theaterstück, das der Autor, damals noch als Lehrer tätig, mit sichtlichem Vergnügen für seine Schulgruppe schrieb und aufführen ließ.
Zwischen Grusel und Parodie
Es sind gar schaurige Elementen, die Philip Pullman auf den Plan ruft. Ein düsteres Schloss mit einem noch düstereren Hausherrn sorgt für eine unheilvolle Atmosphäre. Es ist ein kalter Oktober, Allerseelen steht vor der Tür, und die abergläubische Bevölkerung fürchtet sich vor der Wilden Jagd des höllischen Samiel. Auch flüchtige Verbrecher, windige Scharlatane, kriecherische Diener, Gefangenschaft und Identitätsverwechslungen dürfen nicht fehlen, gehören sie doch in das typische Schema eines altmodischen Schauerromans. Dass junge Leser sich trotzdem nicht zu Tode gruseln und Erwachsene ihre hintergründige Freude erleben können, liegt an dem satirischen Einsatz all dieser Mittel. Fast jede Figur, insbesondere die Bösewichte, ist bis zur Karikatur überzeichnet und fordert den Leser zum Amüsieren heraus, allein schon durch die meist bewusst lächerlichen Namen. Da sind der abstoßende Graf, der in seiner ständigen Nervosität an den Fingernägeln knabbert, der unterwürfige Handlanger Schniefelwurst, der gleich mehrmals unerfreuliche Bekanntschaft mit eiskaltem Flusswasser machen muss, der tollpatschige Wachtmeister Snitch und sein nicht weniger ungeschickter Kollege Gendarm Winkelburg und die garstige Dienerin Frau Müller. Für frischen Wind sorgt der charismatische, wortgewandte und durch und durch zweifelhafte Schausteller Doktor Cadaverezzi, der nicht nur durch seinen komplizierten Namen, sondern auch durch seine fabelhaften Ausreden und seine Wendigkeit die Polizisten zur Verzweiflung bringt; sein gutmütiger und einfach gestrickter Gehilfe Max, der nur Augen für seine Dauerverlobte Eliza besitzt, und die energische Lehrerin Miss Augusta Davenport, die auch in den heikelsten Situationen die Handschrift ihres Zöglings Fräulein Lucy rügt.
Abwechslung bringt auch die Erzählform hinein, da zwar hauptsächlich aus Hildis Perspektive berichtet wird, zwischendurch aber auch andere Personen zu Wort kommen, wobei natürlich jedes Kapitel im Tonfall genau auf seinen Sprecher abgestimmt ist - etwa wenn der wenig schreibkundige Max seinen Bericht seiner Verlobten diktiert, die ihn offenbar währenddessen immer wieder von Abschweifungen abhalten muss. Gegen Ende spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu, und auch wenn man niemals einen schlimmen Ausgang befürchten muss, sorgt das Erscheinen des dämonischen Samiel dennoch für eine effektvolle Gänsehaut.
Es sind zwar junge Leser im Jugendalter, für die der Roman in erster Linie geschrieben ist, doch auch Erwachsene mit Sinn für Humor können die Geschichte mit bestem Gewissen genießen. Die Legenden der Wilden Jagd und vor allem der Freischütz und Samiel sind Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt bekannt, sodass vorhandenes Hintergrundwissen belohnt wird und jeder Gruselfreund zumindest einen Blick in das Werk werfen sollte. Philip Pullman gelingt ein wunderbarer Ausgleich zwischen Spannung und Humor. Seine Figuren müssen schwierigste Hindernisse überwinden und geraten immer wieder in Lebensgefahr, doch auf fast jeder Seite wird der Leser gleichzeitig zum Amüsieren angeregt. Die Personen handeln teilweise mit einer hinreißenden Umständlichkeit oder denken in den unmöglichsten Situationen an unwichtige Dinge wie die Etikette. Manche Stellen sind von einer so niedlichen Naivität, dass man kaum weiß, ob man lachen oder den Kopf schütteln soll ob der Verhaltensweisen - und entscheidet sich meist für beides, etwa wenn die gefangene Charlotte in ihrem Zimmer aus lauter Einsamkeit Freundschaft schließt mit einem Perückenkopf aus Holz, dem sie ihr ganzes Leid erzählt. "Herr Holzkopf", wie sie ihren neuen "Freund" von nun an nennt, hört ihr "mit bewundernswerter Geduld zu" und darf daher auch auf der Flucht natürlich nicht fehlen, auch wenn sich seine Mitnahme umständlich gestaltet.
Bunte Vielfalt an Charakteren
Der größte Sympathie- und Identifikationsträger ist natürlich die Haupterzählerin Hildi. Das junge Mädchen, das so harte Arbeit verrichten muss, schließt man bereits nach den ersten Seiten ins Herz. Auch die beiden Fräuleins Lucy und Charlotte entpuppen sich als liebenswerte Mädchen, wie Hildi nicht makellos, sondern eher bodenständig und emotional. Die Mädchen erlauben sich auf ihrer Flucht Schwächen und zeigen ihre Ängste, geraten in Fallen und machen Fehler - sie sind keine perfekten Heldinnen, sondern normale, verängstigte Mädchen, die mit allen Mitteln ihrem grausamen Onkel entkommen müssen und dabei teilweise an ihre Grenzen stoßen.
Ein interessanter Charakter ist Hildis Bruder Peter. Der Achtzehnjährige ist ein begabter Schütze, der wegen Wilderei ins Gefängnis gesperrt wurde und nach seiner Flucht im Keller des Gasthofes untergetaucht ist. Hier wartet er auf das kommende Wettschießen, dessen Sieg ihm ein neues Leben einbringen könnte. Obwohl Peter die meiste Zeit der Handlung über nicht auf der Bildfläche präsent ist, bildet sein Schicksal unterschwellig eine weitere Spannungskomponente. Der Leser fragt sich automatisch nicht nur nach dem Ausgang des dramatischen Samiel-Paktes, sondern erhofft sich auch für Hildis Bruder eine positive Wendung. Für das liebenswerte Pärchen Max und Eliza drückt man die Daumen, dass es endlich mit der ersehnten Hochzeit klappen möge, und beim windigen Doktor Cadaverezzi ahnt man bereits sehr früh, dass er am Ende eine bedeutendere Rolle spielen wird als nur die des amüsanten Schaustellers.
Keine echten Schwächen
Auch bei strenger Betrachtung lassen sich nur wenige Aspekte des Romans bemängeln. Im parodistischen Sinne passend, aber für erfahrene Leser vielleicht etwas unbefriedigend ist der Schluss, der sehr viele Fäden zusammenlaufen lässt. Dabei spielt der Zufall keine geringe Rolle, und man fühlt sich an Trivialromane erinnert, in denen jeder Hauptcharakter mit einem persönlichen Happy-End belohnt wird. Da das Werk jedoch gerade auch dieses Genre aufs Korn nimmt, sind diese Entwicklungen nachvollziehbar und sollten mit einem Augenzwinkern gelesen werden.
Ein wenig schade ist dagegen die knappe Abhandlung des Endes. Auf den letzten beiden Seiten werden die weiteren Verläufe der Schicksale zusammengefasst; dabei wird leider nicht auf Peter eingegangen, obwohl er keine geringe Rolle in der Handlung einnimmt und man gern noch mehr über ihn erfahren hätte. Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch die Zusammenstellung der verschiedenen Perspektiven. Es gelingt dem Autor zwar geschickt, sich der passenden Tonfälle zu bedienen, doch es fordert jeweils eine kleine Einlesezeit, bis man sich an den neuen Erzähler gewöhnt hat. Ein wenig zu effekthaschend erscheint auch der übertriebene Gebrauch von Cliffhangern - kaum dass ein Charakter sich in einer heiklen Lage befindet, wird zum nächsten Kapitel übergeblendet oder sogar von einer anderen Person weiterberichtet. Für den geringen Umfang von nicht einmal 250 Seiten ist das Buch überladen mit Motiven, Handlungssträngen und immer neuen Einfällen, die gut und gerne ein Epos füllen könnten und die auf dem gedrängten Raum das Wohlwollen des Lesers fordern. Dank der humorvollen und sich selbst nicht wirklich ernst nehmenden Umsetzung aber ist man bereit, dieses Übermaß zu akzeptieren und den Klamauk mit Vergnügen zu verfolgen.
Fazit:
Als Fazit bleibt ein wunderbarer Kinder- und Jugendroman in der Tradition alter Schauerromane, der auch für Erwachsene perfekte Unterhaltung bietet. Auf gelungene Weise verbindet das Werk Humor mit Grusel, parodiert bekannte traditionelle Elemente des Schauerromans und hält die unheimlichen Elemente in einem kindgerechten Rahmen. Wer Spaß an märchenhaften Romanen hat und sich für romantisch-unheimliche Sagen interessiert, sollte an diesem Frühwerk des heutigen Bestseller-Autors auf keinen Fall vorübergehen.
Ausgabe: 2004
Seiten: 230
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Der Autor:
Philip Pullman, geboren 1946 in Großbritannien, reiste in seiner Kindheit durch Simbabwe, Australien, London und Wales, studierte später Anglistik in Oxford und arbeitete als Lehrer. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm mit seiner Trilogie "His Dark Materials" (Der Goldene Kompass, Das Magische Messer, Das Bernsteinteleskop), einer Jugend-Fantasyreihe. Daneben verfasst er auch Kinder- und Bilderbücher und doziert nebenbei am Westminster College in Oxford.
Inhalt:
Das Bergdorf Karlstein in der Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Die 14-jährige Hildi arbeitet als Dienstmädchen im Schloss des finsteren Grafen Karlstein. Sie nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um ihre Mutter, die den nahe gelegenen Gasthof führt, zu besuchen. Der einzige Trost auf dem düsteren Anwesen mit seinem unsympathischen Herrn sind die Nichten des Grafen. Die 10-jährige Charlotte und die 13-jährige Lucy sind Waisen, die vor einem Jahr vom Grafen notgedrungen aufgenommen wurden. Hildi versteht sich gut mit den jungen Fräuleins, die am liebsten zu später Stunde Gruselgeschichten lesen.
Eines Abends belauscht Hildi zufällig ein Gespräch des Grafen. Der Inhalt ist furchtbar: Der Graf hat vor zehn Jahren einen Pakt mit dem Höllenfürsten Samiel geschlossen, der ihm zu Reichtum und Macht verhalf. In wenigen Tagen, in der Nacht vor Allerseelen, verlangt Samiel seine Bezahlung in Form einer Menschenseele. Der Graf plant, ihm seine beiden ahnungslosen Nichten in einer Jagdhütte auszuliefern. Hildi warnt die Fräuleins und verhilft ihnen zur Flucht, hinaus in die eisige Kälte des Waldes.
Von jetzt an schweben die drei Mädchen in großer Gefahr. Der Graf nimmt sofort die Suche auf, denn wenn er die Mädchen nicht rechtzeitig findet, wird Samiel ihn selbst als Opfer holen. Während Hildi scheinbar ahnungslos zurückkehrt und insgeheim fieberhaft nach einem Ausweg sucht, kommen noch weitere Personen ins Spiel: Der verwegene Zauberer Doktor Cadaverezzi hält im Gasthof seine Vorstellung ab und wird in die Flucht der Mädchen verwickelt, ebenso wie Hildis Bruder Peter, der aus dem Gefängnis geflohen ist. Können die Mädchen dem windigen Zauberkünstler vertrauen? Schaffen sie es, dem Grafen zu entkommen? Und wessen Seele wird sich Samiel mit seiner Wilden Jagd holen ...?
Bewertung:
Ein Schauerroman für Kinder, an dem auch jung gebliebene Erwachsene ihre Freude haben - mit diesen Worten lässt sich Philip Pullmans Frühwerk auf den Punkt bringen. Dieser kleine, aber feine Roman verdankt seine Entstehung einem Theaterstück, das der Autor, damals noch als Lehrer tätig, mit sichtlichem Vergnügen für seine Schulgruppe schrieb und aufführen ließ.
Zwischen Grusel und Parodie
Es sind gar schaurige Elementen, die Philip Pullman auf den Plan ruft. Ein düsteres Schloss mit einem noch düstereren Hausherrn sorgt für eine unheilvolle Atmosphäre. Es ist ein kalter Oktober, Allerseelen steht vor der Tür, und die abergläubische Bevölkerung fürchtet sich vor der Wilden Jagd des höllischen Samiel. Auch flüchtige Verbrecher, windige Scharlatane, kriecherische Diener, Gefangenschaft und Identitätsverwechslungen dürfen nicht fehlen, gehören sie doch in das typische Schema eines altmodischen Schauerromans. Dass junge Leser sich trotzdem nicht zu Tode gruseln und Erwachsene ihre hintergründige Freude erleben können, liegt an dem satirischen Einsatz all dieser Mittel. Fast jede Figur, insbesondere die Bösewichte, ist bis zur Karikatur überzeichnet und fordert den Leser zum Amüsieren heraus, allein schon durch die meist bewusst lächerlichen Namen. Da sind der abstoßende Graf, der in seiner ständigen Nervosität an den Fingernägeln knabbert, der unterwürfige Handlanger Schniefelwurst, der gleich mehrmals unerfreuliche Bekanntschaft mit eiskaltem Flusswasser machen muss, der tollpatschige Wachtmeister Snitch und sein nicht weniger ungeschickter Kollege Gendarm Winkelburg und die garstige Dienerin Frau Müller. Für frischen Wind sorgt der charismatische, wortgewandte und durch und durch zweifelhafte Schausteller Doktor Cadaverezzi, der nicht nur durch seinen komplizierten Namen, sondern auch durch seine fabelhaften Ausreden und seine Wendigkeit die Polizisten zur Verzweiflung bringt; sein gutmütiger und einfach gestrickter Gehilfe Max, der nur Augen für seine Dauerverlobte Eliza besitzt, und die energische Lehrerin Miss Augusta Davenport, die auch in den heikelsten Situationen die Handschrift ihres Zöglings Fräulein Lucy rügt.
Abwechslung bringt auch die Erzählform hinein, da zwar hauptsächlich aus Hildis Perspektive berichtet wird, zwischendurch aber auch andere Personen zu Wort kommen, wobei natürlich jedes Kapitel im Tonfall genau auf seinen Sprecher abgestimmt ist - etwa wenn der wenig schreibkundige Max seinen Bericht seiner Verlobten diktiert, die ihn offenbar währenddessen immer wieder von Abschweifungen abhalten muss. Gegen Ende spitzen sich die Ereignisse dramatisch zu, und auch wenn man niemals einen schlimmen Ausgang befürchten muss, sorgt das Erscheinen des dämonischen Samiel dennoch für eine effektvolle Gänsehaut.
Es sind zwar junge Leser im Jugendalter, für die der Roman in erster Linie geschrieben ist, doch auch Erwachsene mit Sinn für Humor können die Geschichte mit bestem Gewissen genießen. Die Legenden der Wilden Jagd und vor allem der Freischütz und Samiel sind Kindern und Jugendlichen nicht unbedingt bekannt, sodass vorhandenes Hintergrundwissen belohnt wird und jeder Gruselfreund zumindest einen Blick in das Werk werfen sollte. Philip Pullman gelingt ein wunderbarer Ausgleich zwischen Spannung und Humor. Seine Figuren müssen schwierigste Hindernisse überwinden und geraten immer wieder in Lebensgefahr, doch auf fast jeder Seite wird der Leser gleichzeitig zum Amüsieren angeregt. Die Personen handeln teilweise mit einer hinreißenden Umständlichkeit oder denken in den unmöglichsten Situationen an unwichtige Dinge wie die Etikette. Manche Stellen sind von einer so niedlichen Naivität, dass man kaum weiß, ob man lachen oder den Kopf schütteln soll ob der Verhaltensweisen - und entscheidet sich meist für beides, etwa wenn die gefangene Charlotte in ihrem Zimmer aus lauter Einsamkeit Freundschaft schließt mit einem Perückenkopf aus Holz, dem sie ihr ganzes Leid erzählt. "Herr Holzkopf", wie sie ihren neuen "Freund" von nun an nennt, hört ihr "mit bewundernswerter Geduld zu" und darf daher auch auf der Flucht natürlich nicht fehlen, auch wenn sich seine Mitnahme umständlich gestaltet.
Bunte Vielfalt an Charakteren
Der größte Sympathie- und Identifikationsträger ist natürlich die Haupterzählerin Hildi. Das junge Mädchen, das so harte Arbeit verrichten muss, schließt man bereits nach den ersten Seiten ins Herz. Auch die beiden Fräuleins Lucy und Charlotte entpuppen sich als liebenswerte Mädchen, wie Hildi nicht makellos, sondern eher bodenständig und emotional. Die Mädchen erlauben sich auf ihrer Flucht Schwächen und zeigen ihre Ängste, geraten in Fallen und machen Fehler - sie sind keine perfekten Heldinnen, sondern normale, verängstigte Mädchen, die mit allen Mitteln ihrem grausamen Onkel entkommen müssen und dabei teilweise an ihre Grenzen stoßen.
Ein interessanter Charakter ist Hildis Bruder Peter. Der Achtzehnjährige ist ein begabter Schütze, der wegen Wilderei ins Gefängnis gesperrt wurde und nach seiner Flucht im Keller des Gasthofes untergetaucht ist. Hier wartet er auf das kommende Wettschießen, dessen Sieg ihm ein neues Leben einbringen könnte. Obwohl Peter die meiste Zeit der Handlung über nicht auf der Bildfläche präsent ist, bildet sein Schicksal unterschwellig eine weitere Spannungskomponente. Der Leser fragt sich automatisch nicht nur nach dem Ausgang des dramatischen Samiel-Paktes, sondern erhofft sich auch für Hildis Bruder eine positive Wendung. Für das liebenswerte Pärchen Max und Eliza drückt man die Daumen, dass es endlich mit der ersehnten Hochzeit klappen möge, und beim windigen Doktor Cadaverezzi ahnt man bereits sehr früh, dass er am Ende eine bedeutendere Rolle spielen wird als nur die des amüsanten Schaustellers.
Keine echten Schwächen
Auch bei strenger Betrachtung lassen sich nur wenige Aspekte des Romans bemängeln. Im parodistischen Sinne passend, aber für erfahrene Leser vielleicht etwas unbefriedigend ist der Schluss, der sehr viele Fäden zusammenlaufen lässt. Dabei spielt der Zufall keine geringe Rolle, und man fühlt sich an Trivialromane erinnert, in denen jeder Hauptcharakter mit einem persönlichen Happy-End belohnt wird. Da das Werk jedoch gerade auch dieses Genre aufs Korn nimmt, sind diese Entwicklungen nachvollziehbar und sollten mit einem Augenzwinkern gelesen werden.
Ein wenig schade ist dagegen die knappe Abhandlung des Endes. Auf den letzten beiden Seiten werden die weiteren Verläufe der Schicksale zusammengefasst; dabei wird leider nicht auf Peter eingegangen, obwohl er keine geringe Rolle in der Handlung einnimmt und man gern noch mehr über ihn erfahren hätte. Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch die Zusammenstellung der verschiedenen Perspektiven. Es gelingt dem Autor zwar geschickt, sich der passenden Tonfälle zu bedienen, doch es fordert jeweils eine kleine Einlesezeit, bis man sich an den neuen Erzähler gewöhnt hat. Ein wenig zu effekthaschend erscheint auch der übertriebene Gebrauch von Cliffhangern - kaum dass ein Charakter sich in einer heiklen Lage befindet, wird zum nächsten Kapitel übergeblendet oder sogar von einer anderen Person weiterberichtet. Für den geringen Umfang von nicht einmal 250 Seiten ist das Buch überladen mit Motiven, Handlungssträngen und immer neuen Einfällen, die gut und gerne ein Epos füllen könnten und die auf dem gedrängten Raum das Wohlwollen des Lesers fordern. Dank der humorvollen und sich selbst nicht wirklich ernst nehmenden Umsetzung aber ist man bereit, dieses Übermaß zu akzeptieren und den Klamauk mit Vergnügen zu verfolgen.
Fazit:
Als Fazit bleibt ein wunderbarer Kinder- und Jugendroman in der Tradition alter Schauerromane, der auch für Erwachsene perfekte Unterhaltung bietet. Auf gelungene Weise verbindet das Werk Humor mit Grusel, parodiert bekannte traditionelle Elemente des Schauerromans und hält die unheimlichen Elemente in einem kindgerechten Rahmen. Wer Spaß an märchenhaften Romanen hat und sich für romantisch-unheimliche Sagen interessiert, sollte an diesem Frühwerk des heutigen Bestseller-Autors auf keinen Fall vorübergehen.
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