28. Juni 2012

Die obere Koje - Francis Marion Crawford

Produktinfos:

Ausgabe: 2009
Länge: 65 Minuten
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Der Autor:

Francis Marion Crawford wurde 1854 in Italien als Sohn amerikanischer Eltern geboren. Sein Studium führte ihn u. a. an die Universitäten von Heidelberg, Rom und Harvard. 1882 erschien sein erster Roman, der sofort ein Erfolg wurde. Im Laufe seiner Karriere verfasste er mehr als 40 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten, die oft in Italien angesiedelt sind, wo er auch 1909 verstarb. Zu seinen Werken gehören u.a. "Mr Isaacs", "Khaled" und "Saracinesca".

Inhalt:


1899: Der junge Reisende Aldous Brisbane freut sich auf seine Fahrt mit dem Passagierdampfer Kamtschatka nach New York. Ihm wird die untere Koje in Kabine 105 zugeteilt, was beim Stewart leichtes Entsetzen hervorruft. Brisbane denkt sich zunächst nichts dabei, auch wenn es in der Kabine unangenehm nach Meerwasser riecht. Erst mitten in der Nacht erscheint sein Kabinengenosse, der nicht mit ihm spricht und sich in die obere Koje zurückzieht.

Wenig später wird Brisbane durch seltsames Stöhnen geweckt. Sein Mitreisender scheint seekrank zu sein und gibt ein furchtbares Röcheln von sich. Brisbane spricht ihn an, doch der Vorhang zur oberen Koje bleibt geschlossen. Als Brisbane morgens erwacht, steht zu seiner Empörung das Bullauge weit offen - eine gefährliche Nachlässigkeit auf See, die ihn sehr verärgert. Auf Deck lernt er den Schiffsarzt Hollows kennen, der gar nicht überrascht reagiert auf seinen Bericht. Stattdessen bietet er Brisbane an, für den Rest der Fahrt in seiner Kabine zu wohnen. Brisbane aber lehnt das gut gemeinte Angebot freundlich ab und will der Sache allein auf den Grund gehen.

Von Stewart und Kapitän erfährt er schließlich, dass es in Kabine 105 nicht geheuer sei. Niemand vermag es, das Bullauge dauerhaft zu verschließen, das sich immer wie von Geisterhand öffnet. Auf den letzten Fahrten hat sich jeder Reisende aus der Kabine ins Meer gestürzt. Auch Brisbanes Kabinengenosse aus der oberen Koje ist verschwunden. Inständig drängt der Kapitän darauf, dass er die Kabine verlässt. Doch Brisbane bleibt hartnäckig und will überprüfen, ob wirklich ein Gespenst am Werk ist ...

Bewertung:


Eine der zahlreichen unheimlichen Geschichten aus der Feder von Francis Marion Crawford lieferte den Hintergrund für diese gelungene Hörspieladaption, die bereits die 34. Folge der "Gruselkabinett"-Reihe aus dem Hause Titania Medien ist.

Spannung und Atmosphäre mit überzeugenden Charakteren

Die Seefahrt gehört zu den beliebtesten Motiven der unheimlichen Literatur - kein Wunder, denn das Wasser ist per se schon ein gefährliches Element, dem der Mensch bei Unwetter leicht hilflos ausgeliefert ist. Dazu kommen die Abgeschiedenheit auf Meer und die umfangreiche Seemannsgarntradition, die viele unheimliche Gestalten in ihrem Repertoire hat. Den Machern der Serie gelingt es sehr gut, die beklemmende Stimmung an Bord einzufangen und wiederzugeben.

Dabei steigert sich die Spannung ganz allmählich. Anfangs ist es nur die merkwürdige Reaktion des Stewarts auf die Kabinennummer, die auch Brisbane stutzen lässt. Das Verhalten seines Kabinengenossen schiebt er auf Seekrankheit, das offene Fenster auf Nachlässigkeit. Erst als sich zeigt, dass sich das Fenster durch keinerlei Vorkehrungen für länger als eine halbe Stunde verschließen lässt, wird deutlich, dass hier übernatürliche Mächte am Werk sind. Es braucht eine Weile, bis der Geist tatsächlich in Aktion erscheint, aber gerade dieser langsame Aufbau tut der Geschichte gut. Da Brisbane die Geschichte als Ich-Erzähler einleitet ist, von Beginn an klar, dass er das Erlebnis überlebt hat - trotzdem verfolgt man gebannt, wie sich das Geschehen an Bord entwickelt, ob es auch diesmal Tote geben wird und wie sich Brisbane und der Kapitän dem Gespenst widersetzen. Das Geistwesen tritt persönlich erst recht spät in Erscheinung, sorgt dafür aber für ein paar beklemmende und dramatische Momente.

Ein großer Pluspunkt sind auch die Figuren, denen in diesem Kammerspiel-Szenario große Bedeutung zukommt. Im Mittelpunkt steht Aldous Brisbane, der so gar nicht an Gespenster glaubt und sehr ärgerlich auf die Erzählungen vom angeblichen Spuk reagiert. Brisbane ist ein klassischer Zweifler, der für alles Seltsame zunächst eine natürliche Erklärung findet und sich durch nichts abschrecken lässt. Für Aberglaube hat er nur gutmütigen Spott übrig, und je mehr sich die Vorfälle häufen, desto stärker beharrt er darauf, seine Kabine zu behalten. Witzig ist sein entgeisterter Kommentar "Wir sind auf einem Dampfer - wie weit kann ein Mensch da kommen?", als der Kapitän ihm berichtet, sein Kabinengenosse sei spurlos "verschwunden", und zeigt sein ganzes Unverständnis darüber, wie selbstverständlich die Besatzung den Gedanken an einen Geist hinnimmt. Selbst bei der ersten Begegnung mit dem Geist weigert sich Brisbane, an etwas Übernatürliches zu glauben. Sein Trotz geht so weit, dass er die Gefahr gern in Kauf nimmt und lieber an Halluzinationen glaubt als an Spuk. Anders sieht es bei dem Schiffsarzt Dr. Hollows aus. Obwohl ein Mann der Wissenschaft und durchaus sehr vernünftig, akzeptiert er das Gespenst als solches und sorgt sich ernsthaft um den jungen, unbelehrbaren Passagier. Der Kapitän schließlich ist auch geneigt, an den Spuk zu glauben, erklärt sich aber später tapfer bereit, gemeinsam mit Brisbane der Sache auf den Grund zu gehen.

Sehr gute Besetzung

Wie üblich bei Titania Medien wurde auch hier sehr große Sorgfalt auf die Auswahl der Sprecher gelegt. Axel Malzacher, der bereits u. a. Tom Hollander, Cary Elwes und Josh Brolin in mehreren Rollen synchronisierte, spricht die Hauptfigur. Gut gelungen ist der leichte Unterschied zwischen dem ernsten Ton, den er in der rückblickenden Rahmenhandlung anschlägt, und der etwas hellen Stimmlage mit einem energischen Unterton, die zu dem ungeduldigen Jüngling passt, den er in der Binnenhandlung darstellt. Ein Gewinn für jedes Hörspiel ist der brillante Jürgen Thormann, dessen markante, sympathische und leicht aristokratische Stimme als deutsche Version von Michael Caine berühmt ist und der in dieser Folge bereits zum siebten Mal in der Gruselkabinett-Reihe mitwirkt. Der vernünftige und zugleich sehr menschliche Schiffsarzt Dr. Hollows ist eine passende Rolle, die Thormann wunderbar auszufüllen versteht. Eine kleine, aber feine Rolle hat Tobias Nath als Steward Robert, der große Angst vor dem Spuk hat und sehr überzeugend mit ängstlichem und eindringlichem Ton spricht. Die Soundeffekte sind sehr überzeugend eingesetzt. Zwischendurch spielt ganz leise Musik im Hintergrund, dezent genug, um nie den Redefluss zu stören. Für einen besonderen Gruseleffekt sorgt das Raunen und Kichern des Geistes, das sich unheilvoll steigert.

Kleine Schwächen


Zunächst ist es ein kleines Manko, dass der Hintergrund des Geistes um Dunkeln bleibt. Der Kapitän erzählt Brisbane zwar von den früheren Geschehnissen in der Kabine, aber was genau sich hinter der Geschichte verbirgt, bleibt offen. Das ist schade, denn nur zu gut hätte in diese Situation eine kleine dramatische bis melancholische Sage gepasst, stattdessen bleibt Spekulation. Ein bisschen seltsam und unlogisch ist zudem, dass überhaupt nach den wiederholten Vorfällen noch Passagiere in die Kabine 105 gelassen werden. Würde der Kapitän nicht an das Gespenst glauben, wäre das in Ordnung, da er aber Brisbane selbst dazu rät, nicht dorthin zurückzukehren, fragt man sich unweigerlich, wieso dieses Risiko überhaupt noch eingegangen wird. Zu guter Letzt nimmt es ein klein wenig von der Spannung, dass Brisbane in der Rahmenhandlung als Ich-Erzähler auftritt - denn dadurch weiß man schon, dass er das Abenteuer heil überstanden hat.

Fazit:

Ein sehr atmosphärisches Hörspiel auf hoher See, das - wie für die Reihe üblich - sehr überzeugend umgesetzt ist. Die Handlung vereint Spannung mit gelungenen Charakteren, und die Sprecher sind perfekt besetzt. Der Grusel tritt zwar erst recht spät auf, die Hintergrundgeschichte hätte stärker ausgebaut werden können, und es gibt eine kleine Logikschwäche, aber insgesamt ist die Folge absolut zu empfehlen.

Sprechernamen:

Aldous Brisbane: Axel Malzacher
Robert, Steward: Tobias Nath
Dr. Morten Hollows: Jürgen Thormann
Cpt. Grady: Peter Reinhardt
Joseph Carlyle: Uwe Büschken
Mitreisender: Markus Pfeiffer
Ertrunkener: Uli Krohm

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