5. Juni 2012

Zwischen Nacht und Dunkel - Stephen King

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Seiten: 527
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Der Autor:

Stephen King, Jahrgang 1947, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der Welt. 1973 veröffentlichte der ehemalige Lehrer mit »Carrie« seinen ersten Roman, der sofort ein Bestseller wurde. Alle folgenden Bücher wurden ebenfalls Welterfolge, viele davon sind von namhaften Regisseuren verfilmt wurden. Zu den bekanntesten Werken zählen unter anderem: »Es«, »Christine«, »Shining«, »Misery«, »The Stand« und die Saga vom »Dunklen Turm«. Weitere Bücher erschienen unter dem Pseudonym Richard Bachmann.

Inhalt:

1922
Nebraska, 1922: Wilfred James lebt mit seiner Frau Arlette und dem vierzehnjährigen Sohn Henry auf einer Farm, die sein Ein und Alles ist. Als Arlette von ihrem Vater 40 Hektar Land erbt, kommt es zum Streit - Arlette will das Land verkaufen, das Farmleben aufgeben und in die Stadt ziehen, Wilfred und sein Sohn wollen dagegen die Farm behalten. Als alles Überreden nichts nützt, sieht Wilfred nur einen Ausweg: Er überredet seinen Sohn dazu, ihm bei Arlettes Ermordung zu helfen. Anschließend werfen sie die Tote in den Brunnen. Damit nimmt der Horror aber erst seinen Anfang ...

Big Driver
Krimischriftstellerin Tess wird spontan zu einer Lesung eingeladen. Auf der spätabendlichen Rückfahrt hat sie eine Autopanne. Ein riesiger, freundlicher Pick-Up-Fahrer bietet ihr seine Hilfe an - um sie kurz danach zu überwältigen und vergewaltigen. Tess wird gewürgt, geschlagen und offenbar für tot gehalten, ehe er sie ablegt und davonfährt. Verletzt und geschockt schafft es Tess nach Hause. Aus Scham wegen ihrer Prominenz und aus Angst vor ihrem Vergewaltiger, der ihren Ausweis hat, wagt sie keine Anzeige. Aber sie schwört, Rache zu nehmen ...

Faire Verlängerung
Dave Streeter, verheirateter Familienvater, erkrankt an Krebs. Trotz einer Chemotherapie werden ihm nur noch einige Monate gegeben. Der verzweifelte Streeter trifft einen seltsamen Händler, der ihm einen unglaublichen Deal bietet: Streeter bekommt eine Lebensverlängerung um mindestens 15 Jahre, sein Krebs wird verschwinden, und sein Leben wird glücklicher werden. Als Gegenleistung soll er einen verhassten Menschen nennen, der dafür vom Pech verfolgt wird. Streeter willigt ein. Tatsächlich ist er plötzlich geheilt. Aber sein Auserwählter erleidet nun grausame Schicksalsschläge ...

Eine gute Ehe
Seit über 25 Jahren sind Darcy und Bob Anderson nun schon verheiratet. Sie haben zwei erwachsene Kinder, und auch wenn es kaum noch große Leidenschaft gibt, führen sie eine zufriedenen Ehe. Eines Tages ist Bob mal wieder auf einer Kurzreise wegen seines Hobbys unterwegs, der Münzsammlerei. Darcy stößt in der Garage zufällig auf ein Geheimversteck mit einem Kästchen. Der Inhalt lässt sie plötzlich an allem zweifeln, was sie je über ihren Mann zu wissen glaubte ...

Bewertung:

Schon einmal hat Stephen King eine Novellensammlung vorgelegt, "Frühling, Sommer, Herbst und Tod", die getrost zu seinen besten Werken gezählt werden kann, auch wenn sie längst nicht so populär wie andere ist, und auch wenn es dort so gut wie keine übernatürlichen Elemente gibt. Auch die neue Novellensammlung kann fast ohne Einschränkungen überzeugen - und auch hier halten sich die übernatürlichen Horrorelemente sehr zurück.

1922 ist eine sowohl bewegende als auch dramatische und teils gruselige Geschichte. Ich-Erzähler Wilfred legt ein Geständnis ab und berichtet dem Leser acht Jahre nach der Tat vom Mord an seiner Ehefrau und den schrecklichen Folgen. Anfangs sieht alles nach einem gewöhnlichen Krimi aus - als Wilf es nicht schafft, Arlette von seiner Ansicht zu überzeugen, entledigt er sich ihrer, nachdem er zuvor lange mit seinem Sohn darüber gesprochen hat. Der vierzehnjährige Henry ist widerwilliger Mittäter, vor allem seine unschuldige Liebe zur gleichaltrigen Shannon ist es, die ihn davon überzeugt, dass er die Farm nicht verlassen will. Der Mord verläuft komplizierter als gedacht, ein schlechtes Omen und ein erster Schock für die beiden. Es folgt eine ungewisse Zeit, in der Wilfred angibt, seine Frau habe ihn verlassen. Immer wieder gibt es knifflige Situationen, in denen jemand der Wahrheit gefährlich nahekommt.

Diese Krimiatmosphäre entwickelt sich zu einem Psychospiel. Henry hat den Mord nicht verarbeitet, er entfernt sich immer weiter von seinem Vater. Den wiederum plagen zunehmen Visionen von seiner toten Ehefrau und den Ratten, die an ihr herumnagen. Der Druck auf beide wächst, und schließlich sorgt Henry für einen neuen Schock. Die Erzählung ist vielleicht an manchen Stellen, ganz kingtypisch, ein wenig zu ausufernd geworden, was dem Lesespaß aber kaum Abbruch tut. Gegen Ende hin wird es sehr traurig, auch wenn man schon vorher ahnt, dass es für keinen der Beteiligten ein wirklich glückliches Ende nehmen wird. Ein wenig darf der Leser spekulieren, was real und was Einbildung ist, ohne dass man zu sehr im Dunkeln damit steht. Etwas unspektakulär ist der Titel, der im Original genauso lautet.

In Big Driver nimmt sich King nicht zum ersten Mal einer vergewaltigten Frau an, in "Das Bild" war dies beispielsweise bereits zentrales Thema. King gelingt es, Tess' Gefühlswelt nach dem schrecklichen Erlebnis glaubwürdig darzustellen. Sie ringt mit sich, ob sie zur Polizei gehen soll oder nicht, und hat dabei nachvollziehbare Motive: Als halbwegs prominente Krimiautorin wäre ihr Fall ganz sicher bald in den Klatschblättern zu finden, ihr graut davor, in Interviews nach der Tat befragt zu werden oder womöglich sogar Schuldzuweisungen zu bekommen. Zum anderen ist ihr klar, dass ihr Vergewaltiger zu allem fähig ist, sie offenbar für tot hielt und nicht davor zurückscheuen würde, sein Werk zu vollenden. Da er ihre Handtasche mitgenommen hat, kennt er ihren Namen und ihre Adresse.

Dem Leser ist Tess gleich sympathisch, ihr Zaudern nur zu verständlich, und gebannt verfolgt man ihr Schicksal. Alles ist möglich bei Stephen King, sowohl dass sie Selbstjustiz übt und ihr damit die Rache glückt als auch dass sie dem Big Driver ein zweites, endgültiges Mal in die Hände fällt. Etwas schwach sind die Zusammenhänge, die Tess über ihre Vergewaltigung und den Täter herausfindet; zu schnell entdeckt sie die Verbindungen, die zudem noch ein wenig konstruiert und eigentlich sogar recht unnötig sind. Etwas ausgelutscht ist zudem Kings Spleen, seine Protagonisten, wie hier auch Tess, gern eingebildete Gespräche mit skurrilen Gesprächspartnern zu führen; in diesem Fall führt Tess ihre Selbstgespräche vor allem mit ihrem Navigationsgerät und ihrem Kater. Eigentlich recht sympathisch gelöst, aber schon in ähnlicher Form in diversen einer anderen Geschichten vorgekommen ... und vor allem in der zweiten Hälfte der Erzählung ein bisschen zu überstrapaziert. Keine hervorragende, aber immer noch gute Geschichte.

Faire Verlängerung ist eine moderne Teufelspaktgeschichte. Das alte Thema vom Wunsch, der im Gegenzug für ein moralisch fragwürdiges Opfer erfüllt wird, erscheint hier im frischen Gewand. Streeters Pakt ist für den Leser zunächst nachvollziehbar, bis sich zeigt, dass tatsächlich jemand anders sein Pech geerbt hat. Die Geschichte ist beklemmend, gleichzeitig aber auch durchsetzt mit schwarzem Humor und George Elvid eine unaufdringliche sowie originelle Satansfigur, ein scheinbar jovialer Straßenverkäufer, der seit Jahrhunderten sein Unwesen treibt und, wenn es nötig ist, bedrohliche Züge entwickelt. Das moralische Dilemma ist geschickt inszeniert, ohne erhobenen Zeigefinger. Was der Geschichte aber fehlt, um sehr gut zu sein, ist ein zündendes Ende - der Schluss ist zwar alles andere als schlecht, aber ein bisschen belanglos.

Eine gute Ehe bildet den sehr gelungenen Abschluss. Was tut man, wenn man nach über 25 Jahren einer recht erfüllenden Ehe feststellt, dass der Partner ein schreckliches Geheimnis hat - und offenbar in ihm ein Ungeheuer schlummert? Diese Frage muss sich die sechsundvierzigjährige Darcy stellen. Stephen King baut geschickt die Spannung auf: Schon im ersten Satz wird angedeutet, dass Darcy einen erschreckenden Zufallsfund macht, um was es sich dabei aber handelt, wird erst einige Seiten später enthüllt. Bis dahin erfährt der Leser erst einmal, wer Darcy und Bob überhaupt sind, wie sie sich kennengelernt haben, wie ihre Ehe verlief - nie langatmig, stattdessen entsteht vor seinen Augen ein klares Bild der beiden, und vor allem Protagonistin Darcy ist einem sogleich sympathisch. Dementsprechend leidet man mit ihr unter der furchtbaren Entdeckung und verfolgt gebannt, wie sie darauf reagiert. Ihre Reaktionen sind allesamt nachvollziehbar, und auch wenn der Schluss nicht sehr überraschend ist, versteht es die Erzählung, durchweg zu fesseln. Thriller und Familiendrama mischen sich gekonnt miteinander bis zum passenden Schluss, der etwas melancholisch stimmt, aber doch versöhnlich ist. Tipp: nach der Lektüre mit Dennis Rader alias "BTK" beschäftigen, der King zu dieser Geschichte inspirierte.

Fazit:

Vier gute bis sehr gute Novellen mit wenig übernatürlichen Elementen. Die Geschichten bewegen sich zwischen Horror, Krimi und viel Melancholie. Alle sind spannend und bewegend, zwei davon ein wenig besser als die beiden anderen, aber alle sehr lesenswert.

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