3. Juni 2012

Das Mädchen im Fluss - Carolyn Haines

Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 333
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Die Autorin:

Carolyn Haines, Jahrgang 1953, wuchs in Mississippi auf und arbeitete zunächst zehn Jahre lang als Journalistin, ehe sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Anfangs verfasste sie unter Pseudonym Romanzen, heute schreibt sie Kriminalromane, die alle in den Südstaaten spielen. Zu ihren Werken zählen u. a. "Am Ende dieses Sommers", "Der Fluss des verlorenen Mondes" und "Wer die Toten stört".

Inhalt:

Das Städtchen Drexel in Mississippi, im Sommer 1952: Die schwarze Jade führt einen Schönheitssalon und richtet im Bestattungsinstitut die Verstorbenen her. Obwohl alle Einwohner ihre Fertigkeiten schätzen, wird sie wie alle Farbigen gemieden und als Mensch zweiter Klasse behandelt. Zusätzliches Misstrauen entsteht durch die Gerüchte, Jade könne mit den Toten sprechen.

Jade wurde von dem schwarzen Ehepaar Ruth und Jonah aufgezogen, doch jeder in der Stadt weiß, dass sie die uneheliche und nicht anerkannte Tochter von Lucille Sellers Longier, Drexels First Lady, ist, auch wenn niemand über dieses offene Geheimnis spricht. Während sie Jade verleugnet, vergöttert Lucille ihre jüngere Tochter Marlena, eine blonde Schönheit, die mit dem reichen Lucas Bramlett verheiratet ist. Marlena und Jade sind befreundet, ohne jedoch ein echtes Schwesternverhältnis zu besitzen.

An einem Sommertag macht Marlena mit ihrer kleinen Tochter Suzannah einen Ausflug in den Wald. Wenig später wird Marlena schwer verletzt aufgefunden, Suzannah ist spurlos verschwunden. Deputy Frank Kimble nimmt die Suche nach dem Mädchen und den Männern auf, die Marlena beinah umgebracht haben, unterstützt von Jade - eine gefährliche Aufgabe ...

Bewertung:

Ein bisschen Mystik, ein bisschen Krimi, eine intensive Atmosphäre und ein Hang zu den Südstaaten zeichnen die Romane von Carolyn Haines aus. Ähnlich wie in ihrem Erfolgsroman "Am Ende dieses Sommers" greift auch dieses Werk auf diese bewährte Mischung zurück.

Teilweise interessante Charaktere

Im Mittelpunkt steht die Afroamerikanerin Jade, deren Ansehen in der Stadt von Widersprüchen geprägt ist. Einerseits ist ihr Schönheitssalon mit den Bildern der Hollywoodstars der einzige Hauch von Luxus im ländlichen Drexel, ein Anlaufpunkt für alle Damen der Gesellschaft, die sich widerwillig eingestehen müssen, dass niemand bessere Frisuren und Make-ups zaubert als die geheimnisvolle Farbige. Auch auf ihre Dienste im Bestattungsinstitut will niemand verzichten. Jade besitzt das Geschick, allen Toten einen würdigen Anblick zu verleihen. Mit Rouge, Wachs, Vaseline und Blumensträußen kaschiert sie die Makel des Todes, sodass selbst Angehörige von Unfallopfern nicht auf einen offenen Sarg verzichten müssen. Auf der anderen Seite ist die Einzelgängerin Jade den meisten Bewohnern unheimlich; es geht das Gerücht um, sie könne mit den Toten sprechen. Jade trägt ihr Außenseiterdasein mit Würde. Sie hat Jonah und Ruth, das schwarze Dienstbotenehepaar, als Eltern akzeptiert und ignoriert ihre leibliche Mutter Lucille. Sie drängt auch Marlena nicht dazu, sich als ihre Schwester zu bekennen, und ist damit zufrieden, der kleinen Suzannah Babysitterin zu sein.

Weiterhin gelungen ist die Figur des Deputys Frank Kimble. Ein düsteres Familienschicksal lastet auf dem Kriegsveteran, der seit seinem Einsatz unter einem Trauma leidet. Trotz seiner verdienstvollen Arbeit wird er ähnlich misstrauisch beäugt wie Jade; kein Wunder also, dass die beiden einander näherkommen. Bedeutsame Nebenfiguren sind außerdem Jades Zieheltern Ruth und Jonah und Lucille, von Jonah verehrt, von Ruth gehasst; zudem noch Dotty, Marlenas vorgeblich beste Freundin, eine oberflächliches Frauenzimmer, stets auf Männersuche und bald in eine Affäre mit Lucas Bramlett verstrickt. Allerdings erhält Dotty, die zunächst eine unsympathische Figur ist, gegen Ende noch Gelegenheit, sich zu bewähren, und erscheint in einem freundlicheren Licht. Marlena, von der Handlung her eine der wichtigsten Charaktere des Romans, geht dabei ein wenig unter; über ihr Verhältnis zu Jade wird mehr gesagt, als dass man es wirklich erlebt.

Spannend und atmosphärisch

Es ist ein typisches Bild der Südstaaten in den fünfziger Jahren, das die Autorin hier entwirft. Ein schwüler Sommer mit drückender, feuchter Hitze, eine Kleinstadt voller Vorurteile und gestrigem Denken sowie eine scharfe Rassentrennung, auch wenn sie teilweise nur indirekt zum Tragen kommt. Afroamerikaner sind Menschen zweiter Klasse, werden entweder offen angefeindet oder gönnerhaft wie loyale Dienstboten behandelt. Auch wenn es kein typischer Krimi ist, wird für Spannung gesorgt. Lange Zeit ist unklar, wer hinter dem Überfall auf Marlena steckt, welches Motiv sich dahinter verbergen mag. Während Marlena mit dem Überleben kämpft, weiß niemand, ob Suzannah noch lebt, ob vielleicht eine Lösegeldforderung eingeht und wo man suchen soll. Jade begegnet auf ihrer Suche nach ihrer Nichte unverhohlener Hass, und zu Recht bangt Frank Kimble bald auch um ihre Sicherheit.

Kleine Schwächen

Weniger gelungen sind die spirituellen Einschläge, die ab und zu in der Handlung aufblitzen. Sowohl Jade als auch Frank erleben Visionen, die ihnen etwas über Suzannahs Schicksal verraten - ein unnötiges Konstrukt, das zudem etwas von der Spannung raubt. Tatsächlich wird die Suche nach Suzannah im Verlauf der Handlung noch in den Hintergrund gerückt; ihr Vater verhält sich gleichgültig, Jade konzentriert sich auf ihre Halbschwester, Frank kommt in den Wäldern hinter ein grauenvolles Geheimnis, und schließlich wird auch noch Dotty entführt - alles interessante Nebenhandlungen, die aber etwas zu dominant im Vergleich zu dem verschwundenen Mädchen behandelt werden. Auch das Ende ist nicht optimal; nachdem sich der Kreis scheinbar geschlossen hat, wird auf den letzten beiden Seiten eine neue Entwicklung angedeutet, die fast Platz für einen Fortsetzungsroman böte und zu lapidar die Handlung beschließt.

Fazit:

Ein atmosphärisch dichter Südstaatenkrimi, der überzeugend das Flair der Gegend am Mississippi in den fünfziger Jahren einfängt. Die Hauptcharaktere sind gelungen, allerdings haben sich auch ein paar kleine Schwächen eingeschlichen. Insgesamt erreicht der Roman nicht die Klasse von Haines Erstling "Am Ende dieses Sommers", ist aber allen Südstaateninteressierten ans Herz zu legen.

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