4. Juni 2012

Leselöwen Geisterschloss - Ingrid Uebe

Produktinfos:

Ausgabe: 1985
Seiten: 123
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Die Autorin:

Ingrid Uebe wurde in Essen geboren und arbeitete nach dem Abitur als Journalistin. 1977 erschien ihr erstes Kinderbuch, dem über 100 weitere folgten. Viele dieser Bücher wurden in der Leselöwen-Reihe verlegt, die sich hauptsächlich an Leseanfänger im Grundschulalter wendet und immer pro Band ein bestimmtes Thema behandelt. Werke von ihr sind u. a.: "Leselöwen Spukgeschichten", "Leselöwen-Vampirgeschichten", "Leselöwen-Wintergeschichten", "Leselöwen-Dinosauriergeschichten", "Der kleine Engel sucht das Christkind", "Pia und das Schlossgespenst", "Ein Vampir im Haus" und "Das Grusel-ABC".

Inhalt:

Mitten in einem finsteren Tannenwald liegt ein altes Schloss, auf dem es spukt. Hier hausen gemeinsam ein Gespenst, ein Vampir, ein wilder Mann, eine weiße Frau, ein eiserner Ritter und eine Katze mit feurigen Augen. Pünktlich um Mitternacht spuken sie um die Wette bis um eins. Davor und danach vertreiben sie sich die Nächte mit dem gegenseitigen Erzählen von Gruselgeschichten ...

"Das Kind des schwarzen Grafen": Vor vielen Jahren lebte ein mysteriöser Graf auf dem Schloss, der immer nur Schwarz trug und sich vor den Dorfbewohnern zurückzog. Eines Tages macht er einer jungen Frau einen Heiratsantrag, die aus Armut einwilligt. Die neue Gräfin fühlt sich sehr einsam auf dem düsteren Schloss, doch bald kommt ihr Sohn zur Welt, den sie zärtlich Mäxchen nennt. Zu ihrer Sorge entwickelt sich der Junge ganz anders als andere Kinder in seinem Alter ...

"Der Marmorvogel": Die verwaiste Karin wird von ihrer Großtante aufgenommen. Ihre Tante lebt in einem alten Haus mit vielen schönen Möbelstücken und kostbaren Gegenständen in einer Vitrine. Karin ist es streng verboten, die Vitrine zu öffnen. Eines Tages aber stiehlt Karin heimlich den Schlüssel und nimmt einen wunderschönen Marmorvogel heraus. Zu ihrer Überraschung wird das Tier lebendig ...

"Namenlos": Nach langer Zeit wird einem Gärtnerehepaar endlich ein Kind geboren. Der Junge ist jedoch von unvorstellbarer Hässlichkeit, bucklig und besitzt nur ein Auge mitten auf der Stirn. Seine Eltern schämen sich so sehr für das Kind, dass sie ihn in ein Verlies einsperren und nur mit trockenem Brot füttern ...

"Orlando mit dem Zauberblick": Die alte Frau Meta hat ihr Leben damit verbracht, sich einen Berg aus Reichtümern anzuhäufen. Doch je älter sie wird, desto einsamer fühlt sie sich. Eines Abends klopft ein junger Mann an ihre Tür, der sie um etwas zu essen bittet. Frau Meta fühlt sich angezogen von dem Fremden namens Orlando und erlaubt ihm schließlich, über Nacht zu bleiben. Auch in den nächsten Tagen zieht er nicht weiter, und Frau Meta ist glücklich über die neue Gesellschaft - auch wenn sie der Blick aus Orlandos blasslila Augen mehr und mehr verwirrt ...

"Der gläserne Schlüssel": Ritter Kuno macht die Musik dafür verantwortlich, dass seine geliebte Mutter früh gestorben ist. Wegen ihrer kranken Lunge durfte sie nicht singen, doch sie hielt sich nicht an das Verbot, sondern sang und begleitete sich dazu auf dem Spinett, bis sie unter Schmerzen starb. Ihr Sohn hat sich daher geschworen, dass seine Kinder keinen Musikunterricht erhalten sollen. Für die Hauslehrerin Fräulein Luise, die Musik über alles liebt, ist dieses Verbot schwer zu akzeptieren. Als sie eines Tages allein im Schloss ist, schleicht sie sich heimlich in das Musikzimmer ein ...

"Flora und Florian": Die reichen Kaufmannskinder Flora und Florian sind Zwillinge, die sich sehr nah stehen. Zu ihrem 15. Geburtstag veranstaltet ihr Vater abends ein großes Fest mit zahlreichen Gästen. Darunter befindet sich ein junger, ernster Mann, den niemand zu kennen scheint. Vom ersten Moment an interessiert er sich auffällig stark für Flora. Zum Missfallen ihres Bruders fordert er sie immer wieder zum Tanz auf ...

"Der Blaufuchspelz": Ein reicher Baron leidet unter der Verschwendungssucht seiner Frau Laura. Ständig wünscht sie sich neue Kleider, neuen Schmuck, kostbare Pferde und luxuriöse Teppiche, bis das Geld immer weniger wird. Als der Baron kurz vor der Pleite steht, fordert sie einen Blaufuchspelz, den ihr Mann sich nicht leisten kann. Diese Weigerung bringt verhängnisvolle Folgen mit sich ...

"Malwinchen": Carlos versteht sich hervorragend mit seinem alten Kindermädchen Malwinchen. Er isst und trinkt grundsätzlich nur Speisen, die von ihr zubereitet werden. Aus was sein Essen besteht, will Malwinchen aber nicht verraten ...

"Puppe Paula": Die kleine Melanie liebt Puppen über alles. Eines Tages bekommt sie "Paula" geschenkt, eine Puppe, die fast so groß ist wie sie selbst und ihr sehr ähnlich sieht. Paula wird ihr neuer Liebling, mit dem sie spricht wie mit einem lebendigen Menschen ...

"Eulentraum": Johannes verbringt seine Ferien gern bei seiner Großmutter auf dem Land. Obgleich er sich in dieser Umgebung sehr wohl fühlt, bekommt er nachts oft Albträume ...

"Das Windlicht": Der junge Jäger Fridolin folgt in der Dämmerung einem Licht im Wald und trifft auf ein kleines Haus, hinter dessen Fenster ein Windlicht brennt. Hier wohnt ein schönes junges Mädchen namens Rosalinde, das ihn freundlich empfängt und bewirtet. Fridolin verliebt sich sofort in sie, und Rosalinde scheint die Gefühle zu erwidern. Sie möchte ihn bald wiedersehen, doch es gibt da eine Bedingung ...

"Vetter Viktor": Der vierzehnjährige Hasso lernt bei einem Verwandtenbesuch seinen gleichaltrigen Vetter Viktor kennen. Viktor ist ein unheimlicher Junge mit zottigen Haaren und einem abweisenden Wesen. Hasso versucht, sich mit ihm anzufreunden, doch Viktor wird ihm immer unheimlicher ...

Bewertung:

Nicht nur Erwachsene, gerade auch Kinder interessieren sich oft für unheimliche Literatur. Eine der ersten Anlaufstellen ist meist die Reihe um den "kleinen Vampir", und das "Leselöwen Geisterschloss" bietet ideales Lesefutter für alle Freunde von gruseligen Geschehnissen.

"Das Kind des schwarzen Grafen" ist eine Geschichte, in der viel Spielraum zur Interpretation gelassen wird. Allein die Hochzeit der jungen Frau mit dem unheimlichen Grafen weckt bereits ein Unwohlsein, das Verhalten des neu geborenen Kindes dann umso mehr, bis hin zum erschreckenden Ende, das zwar Fragen offen lässt, die aber nicht entscheidend sind, um sich angemessen zu gruseln.

"Der Marmorvogel" ist dagegen eine sehr harmlose, märchenhafte Geschichte. Sie enthält eine Lehre für Kinder und warnt vor zu großer Neugierde, aber der Gruselfaktor hält sich sehr in Grenzen.

"Namenlos" dagegen ist eine sowohl erschreckende als auch traurige Geschichte, in der die Bösen ganz klassisch bestraft werden. Die Hauptfigur erinnert an Quasimodo, den Glöckner von Notre-Dame, allerdings ohne dessen einnehmendes Wesen zu besitzen.

"Orlando mit dem Zauberblick" ist eine romantisch-melancholische Erzählung über verborgene Sehnsüchte, Habgier und den Tücken der Liebe. Nicht wirklich unheimlich, aber beklemmend ist der Schluss, auch wenn er recht vorhersehbar ist.

"Der gläserne Schlüssel" erinnert von der Aussage her an den "Marmorvogel", allerdings mit dramatischeren Folgen und einer sehr unheimlichen Atmosphäre. Inhaltlich fühlt man sich an das Grimmsche Märchen "Marienkind" oder die Geschichte von Ritter Blaubart erinnert, aber gerade für Kinder ist es umso besser, wenn ihnen diese bekannten und traditionellen Märchenmotive häufig begegnen.

"Flora und Florian" lässt einen überraschenden Schluss vermissen. Dafür entsteht hier eine schwermütige Stimmung, die sich durch die gesamte Handlung zieht.

"Der Blaufuchspelz" ist eine der stärksten Geschichten im ganzen Buch. Sie vereint eine warnende Lehre mit einer schauerlichen Begebenheit und einem erschreckenden Schluss. Auch wenn die verwendeten Motive ebenso klassisch und altbekannt sind wie bei den anderen Geschichten, überzeugt das Gesamtpaket auf der ganzen Linie.

"Malwinchen" ist eine kurze Geschichte mit mehr Ekel als Grusel und einem tragischen Ende. Der Haken am Text ist die Illustration der Majuskel, die schon einen Teil der Pointe vorwegnimmt.

"Puppe Paula" ist recht vorhersehbar, aber dennoch unheimlich und sehr beklemmend mit einem abrupten, aber wirkungsvollen Ausklang.

Ähnliches gilt für den "Eulentraum", der harmlos beginnt und später groteske Formen annimmt. Die Angst der Hauptfigur überträgt sich trotz der Kürze der Geschichte auf den Leser, die Erzählung bleibt noch lange im Gedächtnis erhalten.

"Das Windlicht" wartet mit einer sehr bekannten Pointe auf, dennoch ist die Geschichte intensiv und traurig genug, um Wirkung zu erzielen und einen wohligen Schauer hervorzurufen.

Mit "Vetter Viktor" bietet die Sammlung noch einmal eine grausige und blutige Geschichte, zwar nicht überraschend, aber düster und grausig und somit ein einprägsamer Abschluss.

Manche der Geschichten stehen inhaltlich Schauergeschichten für Erwachsene kaum nach. Vor allem das Ende ist nicht immer märchenhaft, indem die Bösen bestraft werden, sondern es müssen auch Unschuldige ein schlimmes Schicksal erleiden, und das in gut der Hälfte der Geschichten. Das sorgt zum einen für Spannung, da man sich nicht des guten Ausgangs gewiss sein kann, könnte aber sehr junge Leser verstören. Bei Kindern unter acht Jahren ist es daher zu empfehlen, die Geschichten von den Eltern vorlesen zu lassen, damit gar nicht erst eventuelle Ängste aufkommen. Wie nicht anders von einer so erfahrenen Kinderbuchautorin wie Ingrid Uebe zu erwarten, ist die Sprache perfekt an das Verständnis von kleinen Lesern angepasst. Der Stil erinnert an die Art, in der Märchen erzählt werden. Weder der Standort des Schlosses noch die Zeit, in der die Rahmenhandlung spielt, wird näher angegeben. Die Geschichten spielen überwiegend viele Jahre in der Vergangenheit, und auch die Geister leben noch wie in alten Zeiten mit ihrem Kaminofen, ihrem heißen Teepunsch und ihren Kerzen. Von der Sprache her eignen sich die Texte hervorragend für Leseanfänger ... die Sätze sind nicht primitiv, aber einfach, überschaubar, und es werden keine schwierigen Worte eingeflochten. Die Autorin greift auf einen kindgerechten Wortschatz zurück, der fast ausschließlich Begriffe benutzt, die Grundschulkindern aus ihrem Alltag gut bekannt sind.

Liebevolle Rahmenhandlung

Besonders nett und mindestens ebenso unterhaltsam wie die einzelnen Geschichten ist die Rahmenhandlung um die spukenden Schlossbewohner. Hier gelingt der Autorin eine ausgewogene Mischung aus Charakteren, die trotz ihrer gemeinsamen Geisterherkunft verschiedener kaum sein könnten. Da ist zunächst das Gespenst, ganz klassisch mit einem weißen Tuch bekleidet, das trotz seines schauerlichen Aussehens eine eher sanfte und rücksichtsvolle Art an den Tag legt. Der Vampir erregt bei den anderen öfter Anstoß, da sie seine Vorliebe für Blut nicht teilen und seine flatterige Art vor allem der Katze auf die Nerven geht. Der wilde Mann ist ein zottiges Raubein mit einer Eisenkugel am Fuß, der gern herumtobt, die weiße Frau eine vornehme Geisterdame, stets ein wenig geziert und etepetete, der eiserne Ritter, der nur aus einer Rüstung besteht, poltert gerne mal scheppernd herum, und die Katze mit den feurigen Augen will am liebsten in Ruhe vor sich hin dösen und faucht Störenfriede böse an. Aber um Mitternacht sind alle Streitigkeiten vergessen, und man genießt gemeinsam Teepunsch und Kekse beim Lauschen der unheimlichen Geschichten.

Vor und nach jeder Geschichte gibt es außerdem ein paar Kommentare der Erzähler und Zuhörer, sie geben Meinungen ab, loben oder kritisieren, sodass auch Kinder dazu angeregt werden, sich über die Geschichten ein paar zusätzliche Gedanken zu machen. Netterweise gibt es bei den Geistern nicht nur etwas zu gruseln, sondern auch zu lachen, etwa wenn sich die weiße Dame und das Gespenst um das weißeste Gewand streiten oder der Ritter seinen Kopf verlegt hat und inständig hofft, ihn rechtzeitig wiederzufinden. Die Rahmenhandlung besteht aus ausschließlich liebenswerten Geistern, vor denen sich kein Kind fürchten muss - ein entspannender Gegensatz zu manchen Geschichten. Dabei fällt auf, dass die Erzählungen auch zum Wesen des jeweiligen Geistes passen. Der Vampir erzählt blutige Geschichten, die weiße Dame dagegen greift auf Geschehnisse in vornehmen oder feinen Kreisen zurück, der Ritter gibt eine Geschichte aus seinem Ahnenkreis zum Besten.

Schöne Bastelbeigabe

Mit dem Buch wird gleichzeitig ein aufstellbares Pappschloss geliefert im Stil eines beweglichen Bilderbuches. Dazu gehören ein paar Kleinteile, die das Kind nach Belieben an passende Stellen einkleben kann, etwa ein Schwert, eine Lampe, Fledermäuse, Geschirr und eine Maus. Auf der ersten Seite befindet sich das Eingangstor zum Schloss. Die beiden Flügel lassen sich öffnen, und dahinter liegt die breite Schlosstreppe. Die nächste Doppelseite zeigt den Vorratskeller, die Behausung des Vampirs, der in einer sargähnlichen Truhe liegt. Die nächste Seite zeigt den Saal, in dem Ritter und wilder Mann leben. Der Ritter liegt auf einem Fensterbrett, der wilde Mann sitzt schlafend in einer Ecke. Die vorletzte Seite stellt das fein eingerichtete Zimmer der weißen Dame dar, die gerade in den Schrank verschwindet. Das letzte Bild schließlich ist das Kaminzimmer, in dem die Katze zusammengerollt auf einem Teppich liegt. Auch wenn die Leser für ein Bilderbuch eigentlich zu alt sein dürften, ist es eine sehr schöne Idee, die Bewohner und das Schloss selbst mit dem Buch mitzuliefern.

Fazit:

Das "Leselöwen-Geisterschloss" enthält eine Fülle von unheimlichen Geschichten, eingebettet in eine liebevolle und weniger gruselige Rahmenhandlung. Obwohl das Buch durchgehend in einer kindgerechten Sprache verfasst ist, sind einige der Erzählungen zu schaurig für sehr junge Leser etwa unter acht Jahren. Insgesamt bietet sich eine sehr gelungene Gruselsammlung mit vielen detailgenauen Illustrationen und als nette Beigabe ein Pappschloss zum Basteln und Aufstellen.

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