4. Juni 2012

Ein Sommer in Ligurien - Christobel Kent

Produktinfos:

Ausgabe: 2006
Seiten: 384
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Die Autorin:

Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman "A Party In San Niccolo".

Inhalt:

Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.

Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen "Contessa" genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.

Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen, und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale ...

Bewertung:

Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut.

Interessante Charaktere

Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser. Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen. Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gern in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.

Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.

Psychogramm und Krimi

Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.

Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss. In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nah, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist ...

Kleine Schwächen

Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte. Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.

Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.

Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.

Fazit:

Unterm Strich bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.

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