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Seiten: 187
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Der Autor:
Theodor Storm wurde 1817 in Husum als Sohn eines Advokaten geboren und starb 1888. Nach einer liberalen Kindheit studierte er Jura und arbeitete anschließend als Rechtsanwalt. Gemeinsam mit mehreren Freunden sammelte er Sagen, Märchen und Lieder und veröffentlichte 1840 erste eigene Gedichte. Zu seinem dichterischen Freundeskreis gehörten unter anderem Theodor Fontane und Eduard Mörike. Im Laufe seines recht bewegten Lebens verfasste er zahlreiche Gedichte, Märchen und vor allem Novellen. Er zählt zu den berühmtesten Novellisten überhaupt. Bekannte Werke sind unter anderem: "Immensee", "Pole Poppenspäler", "Viola tricolor" und "Der kleine Hävelmann". Den größten Ruhm brachte ihm wohl sein letztes Werk "Der Schimmelreiter" ein, den er kurz vor seinem Tod vollendete. Sein Schaffen dreht sich vor allem um Familiengeschichten, Naturbeschreibungen, unheimliche Erlebnisse und beginnende Liebe.
Entstehung der Novelle
Es existieren mehrere Vorlagen, die Theodor Storm zum "Schimmelreiter" inspirierten. Nordfriesland wurde von mehreren Sturmfluten heimgesucht, wobei sich Storm vor allem jene am 7. Oktober 1756 zum Vorbild genommen haben dürfte. Die Orte in der Erzählung sind zwar fiktiv, aber durch Briefe des Autors weiß man, dass er sich vornehmlich auf die Gebiete von Nordstrand, Husum und Simonsberg bezog. Auch für den Hauke-Haien-Deich gibt es ein Vorbild, vermutlich orientierte sich Storm nämlich am heutigen "Hattstedter Neuen Koog".
Und obwohl sich ebenso für markante Gebäude wie den Deichgrafenhof und das Wirtshaus historische Stätten finden lassen, sind die Ortschaften nicht eins zu eins vom Autor übernommen worden, sondern bilden die Basis für ein Sammelsurium von Eindrücken, aus denen sich die Örtlichkeiten in der Erzählung herauskristallisierten. Der Schimmelreiter-Stoff geht auf die Weichselsage vom "gespenstigen Reiter" zurück, verwoben mit weiteren abergläubischen und phantastischen Motiven. Für die Hauptfigur gibt es wiederum mehrere historische Vorbilder wie z. B. Hans Momsen, der in der Novelle auch explizit Erwähnung findet.
Inhalt:
Nordfriesland, in der Mitte des 19. Jahrhunderts: In einer herbstlichen Unwetternacht reitet ein Reisender über einen Deich. An einer Stelle meint er eine geisterhafte Erscheinung auf einem Schimmel zu sehen. Das Unwetter zwingt ihn, in einem nahe gelegenen Wirtshaus zu übernachten. Als er von seiner Begegnung mit der unheimlichen Erscheinung berichtet, reagieren die Zuhörer erschrocken. Ihrer Meinung nach handelt es sich um den sagenumwobenen Schimmelreiter Hauke Haien, dessen Geist noch nach knapp hundert Jahren auf dem Deich spukt, wenn ein Unheil bevorsteht. Ein alter Schulmeister erzählt die Geschichte ...
Hauke Haien, der Sohn eines Kleinbauern, wächst als schweigsamer Junge auf, der sich bereits früh für mathematische Berechnungen interessiert. Am liebsten untersucht er die Deiche, die seiner Meinung nach nicht optimal gebaut werden. Obwohl sein Vater ihn nicht ernst nimmt, ist es sein Ziel, eines Tages einen Deich nach seinen eigenen Berechnungen anfertigen zu lassen. Als junger Mann erhält Hauke eine Stelle als Kleinknecht beim Deichgrafen Volkerts. Der Deichgraf, ein gemütlicher Mensch, hat nicht viel Ahnung von Mathematik, ganz im Gegensatz zu seiner unscheinbaren, dafür aber klugen Tochter Elke. Während der Deichgraf und seine Tochter an Hauke Gefallen finden, ist er dem neidischen Großknecht Ole Peters ein Dorn im Auge. Im Laufe der Jahre arbeitet sich Hauke zum Großknecht empor. Das Erbe seines Vater fällt großzügiger aus als erwartet, doch es reicht dennoch nicht, damit Hauke das Amt des Deichgrafen übernehmen kann. Erst als Elke bekannt gibt, ihn heiraten zu wollen, verwirklicht sich Haukes Traum.
Doch die nächsten Jahre werden hart. Ole Peters schürt das böse Gerede, dass Hauke sein Amt nur seiner Frau verdankt. Um sich zu beweisen, stürzt sich Hauke in die Arbeit und lässt einen neuen Deich nach eigenen Vorstellungen bauen, der sich zunächst bewährt. Aber der Widerstand der Dorfbewohner reißt nicht ab. Über seinen neuen Schimmel munkelt man gar, es handele sich um ein Geisterpferd, da zur gleichen Zeit ein altes Pferdegerippe von einer Insel verschwunden ist. Als Hauke eines Tages eine undichte Stelle im alten Deichteil entdeckt, gelingt es ihm nicht, die dringend notwendige Reparatur durchzusetzen - und er beschwört damit eine Katastrophe herauf ...
Bewertung:
Der ewige Kampf zwischen Mensch und Natur, das Zusammenprallen von Vernunft und Aberglaube, der Konflikt zwischen Tradition und Innovation sowie zwischen Einzelgänger und Gemeinschaft - all das sind Themenkomplexe, die Theodor Storm in seiner Novelle vereint. Nicht umsonst gilt "Der Schimmelreiter" als bekanntestes seiner vielen Werke. Auch viele Nicht-Leseratten kennen zumindest den Titel, und als Schullektüre wird es immer wieder gern gelesen. Kein Wunder, denn die Interpretations- und Diskussionsansätze sind vielfältig, und selbst oberflächlich betrachtet bietet sich dem Leser ein spannender Sagenstoff, in dem sich Realität und Phantastik zunehmend miteinander vermischen.
Kunstfertige Rahmenhandlungen
Eine Besonderheit an dieser Novelle ist der gleich doppelt vorhandene Rahmen, in den die Binnenerzählung um Hauke Haien gebettet ist. Die Geschichte beginnt im Jahr 1888. Der Erzähler erinnert sich an eine Begebenheit, die er fünfzig Jahre zuvor in einer Zeitung gelesen hat und die ihm ob ihrer Außergewöhnlichkeit noch heute im Gedächtnis ist. Nach dieser kurzen Einleitung springt die Handlung eben jene fünfzig Jahre zurück und lässt den damaligen Ich-Erzähler in einer zweiten Rahmenhandlung berichten, wie er von der Geschichte erfahren hat. Um 1830 begegnet dem Reisenden eine geisterhafte Gestalt, die er später im Gasthaus erwähnt, woraufhin ihm ein alter Schulmeister von Hauke Haien erzählt. Die äußere Rahmenhandlung, die aus Theodor Storms eigener Gegenwart entspringt, sorgt beim Leser für eine erhöhte Neugierde und Spannung noch vor Beginn der Erzählung - denn eine Begebenheit, die noch nach über fünfzig Jahren im Gedächtnis liegt, erweckt hohe Erwartungen.
Der innere Rahmen lenkt durch fünf kurze Unterbrechungen den Leser immer wieder zurück in die Realität. Während sich in der Binnenhandlung die irrationalen Elemente steigern, so bewirkt der gelehrte Schulmeister mit seinen vernünftigen Erklärungen eine Beschwichtigung. Dennoch bleibt durch die geisterhafte Erscheinung, die der Reisende vor seinem Eintreffen im Gasthaus ohne Kenntnis der Legende erblickte, ein Hauch des Spuks zurück, und der Leser mag selbst entscheiden, inwieweit er der Sage Glauben schenkt ...
Starke Charaktere
Mit Hauke Haien ist dem Autor eine einprägsame Gestalt gelungen, die man nicht unbedingt sympathisch finden muss, um von ihrem Schicksal mitgerissen zu werden. Schon als Junge ist Hauke ein Einzelgänger. Er ist störrisch und sehr von sich selbst überzeugt, neigt zum Jähzorn und zur Überheblichkeit. Allerdings ist er auch intelligent und von klein auf ausgesprochen wissbegierig. Rasch spricht sich herum, dass er bereits als Kleinknecht die eigentliche Arbeit des Deichgrafen erledigt. Für sein großes Ziel, einen Deich nach eigenen Konstruktionen zu bauen, ist er zu beinah allem bereit. Mit seiner unleidlichen Art findet er nur wenige Fürsprecher, doch einer davon ist seine Frau Elke, mit der er eine ruhige, stabile Ehe führt. Auch seiner geistig zurückgebliebene Tochter Wienke gehört seine Liebe, und er, der da mit so rührend seinem Kind spielt, erscheint als anderer Mann als der verbissene Deichgraf.
Mit seiner eigenbrötlerischen und gebieterischen Art findet Hauke kaum Freunde, aber dennoch sind nicht alle Dorfbewohner als missgünstige Meute über einen Kamm zu scheren. Sein ehemaliger Vorgesetzter Tede Volkerts schätzt seine Sachkenntnis, Elkes Pate, der alte Jewers, ist ein großer Fürsprecher für den jungen Deichgrafen, und nach dessen Tod setzt sich einer seiner Freunde für Hauke ein. Selbst die alte Trin' Jans, deren Kater der junge Hauke im Jähzorn tötet, bietet ihm später die Versöhnung an und verbringt ihren Lebensabend auf dem Hof des Deichgrafen. Theodor Storm ist mit Hauke Haien, dem begabten Denker, der an seinem übergroßen Ehrgeiz scheitert und ein ganzes Dorf mit in seinen Untergang reißt, eine bemerkenswerte literarische Figur gelungen. Auch die kluge und treue Elke, die herzerwärmende Tochter Wienke, der ruhige Jewers und Haukes Widersacher Ole Peters sind überzeugende Gestalten, die dem Leser plastisch vor Augen kommen. Doch Hauke Haien ist in seiner Zerrissenheit zweifelsohne ein Charakter, mit dem der Autor Großes geleistet hat.
Gewöhnungsbedürftiger Stil
Natürlich unterscheidet sich die Sprache des 19. Jahrhunderts ohnehin schon grundlegend von unserer heutigen. Dazu kommt aber, dass Storm sich zwecks möglichst hoher Authentizität vieler veralteter und mundartlicher Ausdrücke und Formulierungen bediente, die einen jungen Leser sicherlich erst mal langweilen oder sogar überfordern. Storm orientierte sich dabei an der Regionalsprache des Marschlandes in Schleswig-Holstein. Heutige Ausgaben enthalten gewöhnlich einen ausführlichen Anhang mit Wort- und Sacherklärungen, die für das Verständnis unabdingbar sind - denn die wenigsten unvoreingenommenen Leser werden auf Anhieb mit Begriffen wie "Fenne", "Koog", "Hallig", "Sielsachen" oder "Bummeis" etwas anfangen können.
Auch die wörtliche Rede ist stark dialektgefärbt und gewöhnungsbedürftig. Grundsätzlich dominieren lange und verschachtelte Sätze mit eigenwilligem Satzbau in der Novelle. Keine Frage, zum raschen Überfliegen eignet sich das Werk nicht, sondern man muss schon ein wenig Konzentration mitbringen, um den "Schimmelreiter" auf seinem Lebensweg zu begleiten. Das ist insofern schade, als sicher viele Leser durch diesen Stil abgeschreckt werden und auf die Lektüre verzichten, obwohl der Inhalt noch heute mitreißend und bewegend ist. Allerdings liest man sich schneller, als man befürchtet, in diesen eigentümlichen Stil ein, um nach ein paar Seiten festzustellen, dass eine modernere Sprache viel von der norddeutschen und altmodischen Atmosphäre rauben würde.
Fazit:
In der rauen Meereslandschaft Nordfrieslands erzählt die Novelle eine bewegende, unheimliche und tragische Geschichte. Zahlreiche Interpretationsansätze, zwei kunstvolle Rahmenhandlungen, zeitlose Aussagen, ein einprägsamer Hauptcharakter und sich mit der Realität vermischende Phantastikelemente machen aus dieser Erzählung eine beeindruckende Novelle, die zu den bekanntesten deutschsprachigen Werken des 19. Jahrhunderts gehört. Die altertümliche Sprache, die nordischen Spezialausdrücke und die langen Sätze lesen sich zunächst ein wenig ungewohnt, sollten aber niemanden von dieser Lektüre abhalten. Auch für den Schulunterricht ist das Werk ideal geeignet.
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Der Autor:
Theodor Storm wurde 1817 in Husum als Sohn eines Advokaten geboren und starb 1888. Nach einer liberalen Kindheit studierte er Jura und arbeitete anschließend als Rechtsanwalt. Gemeinsam mit mehreren Freunden sammelte er Sagen, Märchen und Lieder und veröffentlichte 1840 erste eigene Gedichte. Zu seinem dichterischen Freundeskreis gehörten unter anderem Theodor Fontane und Eduard Mörike. Im Laufe seines recht bewegten Lebens verfasste er zahlreiche Gedichte, Märchen und vor allem Novellen. Er zählt zu den berühmtesten Novellisten überhaupt. Bekannte Werke sind unter anderem: "Immensee", "Pole Poppenspäler", "Viola tricolor" und "Der kleine Hävelmann". Den größten Ruhm brachte ihm wohl sein letztes Werk "Der Schimmelreiter" ein, den er kurz vor seinem Tod vollendete. Sein Schaffen dreht sich vor allem um Familiengeschichten, Naturbeschreibungen, unheimliche Erlebnisse und beginnende Liebe.
Entstehung der Novelle
Es existieren mehrere Vorlagen, die Theodor Storm zum "Schimmelreiter" inspirierten. Nordfriesland wurde von mehreren Sturmfluten heimgesucht, wobei sich Storm vor allem jene am 7. Oktober 1756 zum Vorbild genommen haben dürfte. Die Orte in der Erzählung sind zwar fiktiv, aber durch Briefe des Autors weiß man, dass er sich vornehmlich auf die Gebiete von Nordstrand, Husum und Simonsberg bezog. Auch für den Hauke-Haien-Deich gibt es ein Vorbild, vermutlich orientierte sich Storm nämlich am heutigen "Hattstedter Neuen Koog".
Und obwohl sich ebenso für markante Gebäude wie den Deichgrafenhof und das Wirtshaus historische Stätten finden lassen, sind die Ortschaften nicht eins zu eins vom Autor übernommen worden, sondern bilden die Basis für ein Sammelsurium von Eindrücken, aus denen sich die Örtlichkeiten in der Erzählung herauskristallisierten. Der Schimmelreiter-Stoff geht auf die Weichselsage vom "gespenstigen Reiter" zurück, verwoben mit weiteren abergläubischen und phantastischen Motiven. Für die Hauptfigur gibt es wiederum mehrere historische Vorbilder wie z. B. Hans Momsen, der in der Novelle auch explizit Erwähnung findet.
Inhalt:
Nordfriesland, in der Mitte des 19. Jahrhunderts: In einer herbstlichen Unwetternacht reitet ein Reisender über einen Deich. An einer Stelle meint er eine geisterhafte Erscheinung auf einem Schimmel zu sehen. Das Unwetter zwingt ihn, in einem nahe gelegenen Wirtshaus zu übernachten. Als er von seiner Begegnung mit der unheimlichen Erscheinung berichtet, reagieren die Zuhörer erschrocken. Ihrer Meinung nach handelt es sich um den sagenumwobenen Schimmelreiter Hauke Haien, dessen Geist noch nach knapp hundert Jahren auf dem Deich spukt, wenn ein Unheil bevorsteht. Ein alter Schulmeister erzählt die Geschichte ...
Hauke Haien, der Sohn eines Kleinbauern, wächst als schweigsamer Junge auf, der sich bereits früh für mathematische Berechnungen interessiert. Am liebsten untersucht er die Deiche, die seiner Meinung nach nicht optimal gebaut werden. Obwohl sein Vater ihn nicht ernst nimmt, ist es sein Ziel, eines Tages einen Deich nach seinen eigenen Berechnungen anfertigen zu lassen. Als junger Mann erhält Hauke eine Stelle als Kleinknecht beim Deichgrafen Volkerts. Der Deichgraf, ein gemütlicher Mensch, hat nicht viel Ahnung von Mathematik, ganz im Gegensatz zu seiner unscheinbaren, dafür aber klugen Tochter Elke. Während der Deichgraf und seine Tochter an Hauke Gefallen finden, ist er dem neidischen Großknecht Ole Peters ein Dorn im Auge. Im Laufe der Jahre arbeitet sich Hauke zum Großknecht empor. Das Erbe seines Vater fällt großzügiger aus als erwartet, doch es reicht dennoch nicht, damit Hauke das Amt des Deichgrafen übernehmen kann. Erst als Elke bekannt gibt, ihn heiraten zu wollen, verwirklicht sich Haukes Traum.
Doch die nächsten Jahre werden hart. Ole Peters schürt das böse Gerede, dass Hauke sein Amt nur seiner Frau verdankt. Um sich zu beweisen, stürzt sich Hauke in die Arbeit und lässt einen neuen Deich nach eigenen Vorstellungen bauen, der sich zunächst bewährt. Aber der Widerstand der Dorfbewohner reißt nicht ab. Über seinen neuen Schimmel munkelt man gar, es handele sich um ein Geisterpferd, da zur gleichen Zeit ein altes Pferdegerippe von einer Insel verschwunden ist. Als Hauke eines Tages eine undichte Stelle im alten Deichteil entdeckt, gelingt es ihm nicht, die dringend notwendige Reparatur durchzusetzen - und er beschwört damit eine Katastrophe herauf ...
Bewertung:
Der ewige Kampf zwischen Mensch und Natur, das Zusammenprallen von Vernunft und Aberglaube, der Konflikt zwischen Tradition und Innovation sowie zwischen Einzelgänger und Gemeinschaft - all das sind Themenkomplexe, die Theodor Storm in seiner Novelle vereint. Nicht umsonst gilt "Der Schimmelreiter" als bekanntestes seiner vielen Werke. Auch viele Nicht-Leseratten kennen zumindest den Titel, und als Schullektüre wird es immer wieder gern gelesen. Kein Wunder, denn die Interpretations- und Diskussionsansätze sind vielfältig, und selbst oberflächlich betrachtet bietet sich dem Leser ein spannender Sagenstoff, in dem sich Realität und Phantastik zunehmend miteinander vermischen.
Kunstfertige Rahmenhandlungen
Eine Besonderheit an dieser Novelle ist der gleich doppelt vorhandene Rahmen, in den die Binnenerzählung um Hauke Haien gebettet ist. Die Geschichte beginnt im Jahr 1888. Der Erzähler erinnert sich an eine Begebenheit, die er fünfzig Jahre zuvor in einer Zeitung gelesen hat und die ihm ob ihrer Außergewöhnlichkeit noch heute im Gedächtnis ist. Nach dieser kurzen Einleitung springt die Handlung eben jene fünfzig Jahre zurück und lässt den damaligen Ich-Erzähler in einer zweiten Rahmenhandlung berichten, wie er von der Geschichte erfahren hat. Um 1830 begegnet dem Reisenden eine geisterhafte Gestalt, die er später im Gasthaus erwähnt, woraufhin ihm ein alter Schulmeister von Hauke Haien erzählt. Die äußere Rahmenhandlung, die aus Theodor Storms eigener Gegenwart entspringt, sorgt beim Leser für eine erhöhte Neugierde und Spannung noch vor Beginn der Erzählung - denn eine Begebenheit, die noch nach über fünfzig Jahren im Gedächtnis liegt, erweckt hohe Erwartungen.
Der innere Rahmen lenkt durch fünf kurze Unterbrechungen den Leser immer wieder zurück in die Realität. Während sich in der Binnenhandlung die irrationalen Elemente steigern, so bewirkt der gelehrte Schulmeister mit seinen vernünftigen Erklärungen eine Beschwichtigung. Dennoch bleibt durch die geisterhafte Erscheinung, die der Reisende vor seinem Eintreffen im Gasthaus ohne Kenntnis der Legende erblickte, ein Hauch des Spuks zurück, und der Leser mag selbst entscheiden, inwieweit er der Sage Glauben schenkt ...
Starke Charaktere
Mit Hauke Haien ist dem Autor eine einprägsame Gestalt gelungen, die man nicht unbedingt sympathisch finden muss, um von ihrem Schicksal mitgerissen zu werden. Schon als Junge ist Hauke ein Einzelgänger. Er ist störrisch und sehr von sich selbst überzeugt, neigt zum Jähzorn und zur Überheblichkeit. Allerdings ist er auch intelligent und von klein auf ausgesprochen wissbegierig. Rasch spricht sich herum, dass er bereits als Kleinknecht die eigentliche Arbeit des Deichgrafen erledigt. Für sein großes Ziel, einen Deich nach eigenen Konstruktionen zu bauen, ist er zu beinah allem bereit. Mit seiner unleidlichen Art findet er nur wenige Fürsprecher, doch einer davon ist seine Frau Elke, mit der er eine ruhige, stabile Ehe führt. Auch seiner geistig zurückgebliebene Tochter Wienke gehört seine Liebe, und er, der da mit so rührend seinem Kind spielt, erscheint als anderer Mann als der verbissene Deichgraf.
Mit seiner eigenbrötlerischen und gebieterischen Art findet Hauke kaum Freunde, aber dennoch sind nicht alle Dorfbewohner als missgünstige Meute über einen Kamm zu scheren. Sein ehemaliger Vorgesetzter Tede Volkerts schätzt seine Sachkenntnis, Elkes Pate, der alte Jewers, ist ein großer Fürsprecher für den jungen Deichgrafen, und nach dessen Tod setzt sich einer seiner Freunde für Hauke ein. Selbst die alte Trin' Jans, deren Kater der junge Hauke im Jähzorn tötet, bietet ihm später die Versöhnung an und verbringt ihren Lebensabend auf dem Hof des Deichgrafen. Theodor Storm ist mit Hauke Haien, dem begabten Denker, der an seinem übergroßen Ehrgeiz scheitert und ein ganzes Dorf mit in seinen Untergang reißt, eine bemerkenswerte literarische Figur gelungen. Auch die kluge und treue Elke, die herzerwärmende Tochter Wienke, der ruhige Jewers und Haukes Widersacher Ole Peters sind überzeugende Gestalten, die dem Leser plastisch vor Augen kommen. Doch Hauke Haien ist in seiner Zerrissenheit zweifelsohne ein Charakter, mit dem der Autor Großes geleistet hat.
Gewöhnungsbedürftiger Stil
Natürlich unterscheidet sich die Sprache des 19. Jahrhunderts ohnehin schon grundlegend von unserer heutigen. Dazu kommt aber, dass Storm sich zwecks möglichst hoher Authentizität vieler veralteter und mundartlicher Ausdrücke und Formulierungen bediente, die einen jungen Leser sicherlich erst mal langweilen oder sogar überfordern. Storm orientierte sich dabei an der Regionalsprache des Marschlandes in Schleswig-Holstein. Heutige Ausgaben enthalten gewöhnlich einen ausführlichen Anhang mit Wort- und Sacherklärungen, die für das Verständnis unabdingbar sind - denn die wenigsten unvoreingenommenen Leser werden auf Anhieb mit Begriffen wie "Fenne", "Koog", "Hallig", "Sielsachen" oder "Bummeis" etwas anfangen können.
Auch die wörtliche Rede ist stark dialektgefärbt und gewöhnungsbedürftig. Grundsätzlich dominieren lange und verschachtelte Sätze mit eigenwilligem Satzbau in der Novelle. Keine Frage, zum raschen Überfliegen eignet sich das Werk nicht, sondern man muss schon ein wenig Konzentration mitbringen, um den "Schimmelreiter" auf seinem Lebensweg zu begleiten. Das ist insofern schade, als sicher viele Leser durch diesen Stil abgeschreckt werden und auf die Lektüre verzichten, obwohl der Inhalt noch heute mitreißend und bewegend ist. Allerdings liest man sich schneller, als man befürchtet, in diesen eigentümlichen Stil ein, um nach ein paar Seiten festzustellen, dass eine modernere Sprache viel von der norddeutschen und altmodischen Atmosphäre rauben würde.
Fazit:
In der rauen Meereslandschaft Nordfrieslands erzählt die Novelle eine bewegende, unheimliche und tragische Geschichte. Zahlreiche Interpretationsansätze, zwei kunstvolle Rahmenhandlungen, zeitlose Aussagen, ein einprägsamer Hauptcharakter und sich mit der Realität vermischende Phantastikelemente machen aus dieser Erzählung eine beeindruckende Novelle, die zu den bekanntesten deutschsprachigen Werken des 19. Jahrhunderts gehört. Die altertümliche Sprache, die nordischen Spezialausdrücke und die langen Sätze lesen sich zunächst ein wenig ungewohnt, sollten aber niemanden von dieser Lektüre abhalten. Auch für den Schulunterricht ist das Werk ideal geeignet.
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