Produktinfos:
Seiten: 127
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* * * * *
Der Autor:
Hartmann von Aue starb vermutlich zwischen 1210 und 1220 und gehört zu den größten Dichtern der mittelhochdeutschen Klassik. Die wenigen Informationen über sein Leben stammen hauptsächlich aus den Prologen und Epilogen seiner Werke, wonach er zum Ritterstand gehörte und sehr gebildet war. Seine bekanntesten Werke sind "Erec", "Gregorius" und "Iwein".
Inhalt:
Schwabenland, um 1200: Der junge Freiherr Heinrich führt ein glückliches und wohlhabendes Leben, bis er plötzlich vom Aussatz befallen wird. Sein Umfeld wendet sich von ihm ab, und Heinrich sieht die Krankheit als Strafe Gottes. Er will ein Heilmittel finden und sucht zunächst Ärzte in Montpellier auf, die ihm aber nicht helfen können.
In der berühmten Medizinerstätte Salerno findet er dagegen einen Meister, der ein Heilmittel weiß: Heinrich braucht das Herzblut einer Jungfrau, die sich freiwillig für ihn opfert. Da sich so jemand wohl kaum finden lässt, erklärt der Mediziner seinen Fall als hoffnungslos. Der deprimierte Heinrich zieht sich daraufhin auf einen Bauernhof zurück, der zu seinem Besitz gehört.
Die Bauernfamilie hat eine Tochter im Kindesalter, die sich sehr eng mit Heinrich verbunden fühlt. Als sie von dem möglichen Heilmittel erfährt, ist sie sofort bereit, sich zu opfern. Das gottgläubige Mädchen sehnt sich nach dem Himmelreich und will gern sterben, um Heinrich zu erlösen. Der lehnt zunächst ab, doch sie lässt sich weder von ihm noch von ihren Eltern umstimmen. Also machen sie sich auf nach Salerno, um die Operation durchführen zu lassen ...
Bewertung:
Um 1200 entstand die kurze mittelhochdeutsche Verserzählung, über deren Quellen nichts bekannt ist, wiewohl es einige ähnliche Erzählungen mit dem Schema "Heilung vom Aussatz durch das Blut unschuldiger Kinder/Jungfrauen" gibt. Wenngleich die mittelhochdeutsche Sprache gewöhnungsbedürftig zu lesen ist und auch die hochdeutsche Übersetzung sich nicht so leicht wie heutige Prosawerke lesen lässt, so ist die Handlung allemal spannend und unterhaltsam genug, um sich auch fernab der Literaturwissenschaft damit zu beschäftigen.
Spannung und Dramatik
Der Plot liest sich beinah wie ein Horrorroman: ein grausiges Ritual als einziges Heilmittel, ein opferbereites Mädchen, das sich bei lebendigem Leib das Herz herausschneiden lassen will, ein hin- und hergerissener Kranker, der unbedingt genesen möchte, aber nicht jemand anderes dafür sterben sehen will. Das Ende, so viel sei verraten, hält dann doch überraschende und glückliche Wendungen bereit, bis dahin ist die Geschichte aber durchweg spannend.
Die Erzählung ist flott und ohne Abschweifungen geschrieben und lässt sich durchaus wie eine längere Kurzgeschichte in einem Rutsch lesen. Vorteilhaft ist auch der dialoglastige Stil, der zur flüssigen Lektüre beiträgt. In der Erzählung vereinen sich verschiedene Gattungen wie die Legende und das Märchen, auch Elemente des höfischen Romans sind zu finden, und die dramatische Handlung hat über die Jahrhunderte hinweg zahlreiche Adaptionen erfahren.
Der arme Heinrich und das namenlose Bauernmädchen sind die beiden eindeutigen Hauptfiguren, deren Schicksale den Leser gleichermaßen fesseln. Zum einen bedauert man den armen Heinrich, der von höchstem Ansehen in die Rolle eines Ausgestoßenen fällt und zudem jahrelang starke Schmerzen erleidet. Es mag sein, dass er sich trotz all seiner Tugenden, die zu Anfang genannt werden, nicht gottesfürchtig genug gezeigt hat, wie er selbst glaubt und was der Interpretation, wie so vieles andere, offengelassen wird - aber in keinem Fall wird sein Aussatz als gerecht empfunden, und der Leser leidet mit dem armen Protagonisten, dessen Leben so urplötzlich eine schlimme Wendung genommen hat.
Demgegenüber steht das Mädchen, das eine ungewöhnliche Reife entwickelt und in einer predigtartigen Rede voller Eloquenz seinen Eltern versichert, dass es gern zu dem Opfertod bereit ist, und sich sogar freut, als Märtyrerin zu sterben. Auch wenn sie keine Sekunde lang während des ganzen Werkes Zweifel zeigt, will der Leser natürlich nicht ihren Tod miterleben und hofft, dass es nicht zum Äußersten kommt, so gern man wiederum Heinrich geheilt sähe.
Zwischen Magie und Christentum
Der geplante Opfertod des Mädchens und seine strenge Gottbezogenheit versetzen die Handlung eindeutig in einen religiösen Kontext, ganz abgesehen von zahlreichen biblischen Bezügen, von denen der Hiob-Vergleich mit Heinrich der auffälligste ist. Zum anderen enthält der Text eine Reihe geradezu anti-christlicher Komponenten, die eher den Bereich von Magie und Aberglauben widerspiegeln. Da ist das menschliche Blutopfer, das spätestens seit Abraham und Isaak als verpönt gilt, der Quasi-Selbstmord des Mädchens, den die Kirche verdammt, der Mediziner, der den hippokratischen Eid geleistet hat und trotzdem offenbar zu einer solchen Tat bereit ist und der ausgerechnet in der medizinischen Hochburg Salerno ein so unmedizinisches Heilmittel angibt.
Der Text polarisiert und hat zahlreiche widersprüchliche Deutungen erfahren, die zwischen tiefster Religiosität und Erotik schwanken, und auch die Figuren Heinrich und das Mädchen werden in der Forschung mal als Helden und mal als Sünder gesehen. Das sorgt einerseits für Diskussionsstoff, andererseits ist es gerade der nicht durchweg christliche Tenor, der auch Nicht-Christen für das Werk einnehmen kann und der für seine Rezipienten verschiedene Lesarten offenhält.
Allerdings bereitet die Lektüre wohl dann das größte Vergnügen, wenn man sich etwas mit den Hintergründen auskennt. Der Text verliert eindeutig an Spannung, sollte sich der Leser nicht über gewisse christliche Anspielungen und Werte im Klaren sein, und ist stark in die Zeit des Mittelalters verwurzelt. Man muss kein Anhänger des Christentums sein, um Spaß beim Lesen zu haben, aber ohne Kenntnisse geht zu viel des Inhalts an einem vorbei.
Fazit:
Eine verhältnismäßig leicht zu lesende Verserzählung der mittelhochdeutschen Klassik mit einer spannenden und dramatischen Handlung. Kenntnisse über die Zeitumstände und das Christentum sind sehr hilfreich beim Verständnis und erhöhen das Lesevergnügen definitiv.
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Hartmann von Aue starb vermutlich zwischen 1210 und 1220 und gehört zu den größten Dichtern der mittelhochdeutschen Klassik. Die wenigen Informationen über sein Leben stammen hauptsächlich aus den Prologen und Epilogen seiner Werke, wonach er zum Ritterstand gehörte und sehr gebildet war. Seine bekanntesten Werke sind "Erec", "Gregorius" und "Iwein".
Inhalt:
Schwabenland, um 1200: Der junge Freiherr Heinrich führt ein glückliches und wohlhabendes Leben, bis er plötzlich vom Aussatz befallen wird. Sein Umfeld wendet sich von ihm ab, und Heinrich sieht die Krankheit als Strafe Gottes. Er will ein Heilmittel finden und sucht zunächst Ärzte in Montpellier auf, die ihm aber nicht helfen können.
In der berühmten Medizinerstätte Salerno findet er dagegen einen Meister, der ein Heilmittel weiß: Heinrich braucht das Herzblut einer Jungfrau, die sich freiwillig für ihn opfert. Da sich so jemand wohl kaum finden lässt, erklärt der Mediziner seinen Fall als hoffnungslos. Der deprimierte Heinrich zieht sich daraufhin auf einen Bauernhof zurück, der zu seinem Besitz gehört.
Die Bauernfamilie hat eine Tochter im Kindesalter, die sich sehr eng mit Heinrich verbunden fühlt. Als sie von dem möglichen Heilmittel erfährt, ist sie sofort bereit, sich zu opfern. Das gottgläubige Mädchen sehnt sich nach dem Himmelreich und will gern sterben, um Heinrich zu erlösen. Der lehnt zunächst ab, doch sie lässt sich weder von ihm noch von ihren Eltern umstimmen. Also machen sie sich auf nach Salerno, um die Operation durchführen zu lassen ...
Bewertung:
Um 1200 entstand die kurze mittelhochdeutsche Verserzählung, über deren Quellen nichts bekannt ist, wiewohl es einige ähnliche Erzählungen mit dem Schema "Heilung vom Aussatz durch das Blut unschuldiger Kinder/Jungfrauen" gibt. Wenngleich die mittelhochdeutsche Sprache gewöhnungsbedürftig zu lesen ist und auch die hochdeutsche Übersetzung sich nicht so leicht wie heutige Prosawerke lesen lässt, so ist die Handlung allemal spannend und unterhaltsam genug, um sich auch fernab der Literaturwissenschaft damit zu beschäftigen.
Spannung und Dramatik
Der Plot liest sich beinah wie ein Horrorroman: ein grausiges Ritual als einziges Heilmittel, ein opferbereites Mädchen, das sich bei lebendigem Leib das Herz herausschneiden lassen will, ein hin- und hergerissener Kranker, der unbedingt genesen möchte, aber nicht jemand anderes dafür sterben sehen will. Das Ende, so viel sei verraten, hält dann doch überraschende und glückliche Wendungen bereit, bis dahin ist die Geschichte aber durchweg spannend.
Die Erzählung ist flott und ohne Abschweifungen geschrieben und lässt sich durchaus wie eine längere Kurzgeschichte in einem Rutsch lesen. Vorteilhaft ist auch der dialoglastige Stil, der zur flüssigen Lektüre beiträgt. In der Erzählung vereinen sich verschiedene Gattungen wie die Legende und das Märchen, auch Elemente des höfischen Romans sind zu finden, und die dramatische Handlung hat über die Jahrhunderte hinweg zahlreiche Adaptionen erfahren.
Der arme Heinrich und das namenlose Bauernmädchen sind die beiden eindeutigen Hauptfiguren, deren Schicksale den Leser gleichermaßen fesseln. Zum einen bedauert man den armen Heinrich, der von höchstem Ansehen in die Rolle eines Ausgestoßenen fällt und zudem jahrelang starke Schmerzen erleidet. Es mag sein, dass er sich trotz all seiner Tugenden, die zu Anfang genannt werden, nicht gottesfürchtig genug gezeigt hat, wie er selbst glaubt und was der Interpretation, wie so vieles andere, offengelassen wird - aber in keinem Fall wird sein Aussatz als gerecht empfunden, und der Leser leidet mit dem armen Protagonisten, dessen Leben so urplötzlich eine schlimme Wendung genommen hat.
Demgegenüber steht das Mädchen, das eine ungewöhnliche Reife entwickelt und in einer predigtartigen Rede voller Eloquenz seinen Eltern versichert, dass es gern zu dem Opfertod bereit ist, und sich sogar freut, als Märtyrerin zu sterben. Auch wenn sie keine Sekunde lang während des ganzen Werkes Zweifel zeigt, will der Leser natürlich nicht ihren Tod miterleben und hofft, dass es nicht zum Äußersten kommt, so gern man wiederum Heinrich geheilt sähe.
Zwischen Magie und Christentum
Der geplante Opfertod des Mädchens und seine strenge Gottbezogenheit versetzen die Handlung eindeutig in einen religiösen Kontext, ganz abgesehen von zahlreichen biblischen Bezügen, von denen der Hiob-Vergleich mit Heinrich der auffälligste ist. Zum anderen enthält der Text eine Reihe geradezu anti-christlicher Komponenten, die eher den Bereich von Magie und Aberglauben widerspiegeln. Da ist das menschliche Blutopfer, das spätestens seit Abraham und Isaak als verpönt gilt, der Quasi-Selbstmord des Mädchens, den die Kirche verdammt, der Mediziner, der den hippokratischen Eid geleistet hat und trotzdem offenbar zu einer solchen Tat bereit ist und der ausgerechnet in der medizinischen Hochburg Salerno ein so unmedizinisches Heilmittel angibt.
Der Text polarisiert und hat zahlreiche widersprüchliche Deutungen erfahren, die zwischen tiefster Religiosität und Erotik schwanken, und auch die Figuren Heinrich und das Mädchen werden in der Forschung mal als Helden und mal als Sünder gesehen. Das sorgt einerseits für Diskussionsstoff, andererseits ist es gerade der nicht durchweg christliche Tenor, der auch Nicht-Christen für das Werk einnehmen kann und der für seine Rezipienten verschiedene Lesarten offenhält.
Allerdings bereitet die Lektüre wohl dann das größte Vergnügen, wenn man sich etwas mit den Hintergründen auskennt. Der Text verliert eindeutig an Spannung, sollte sich der Leser nicht über gewisse christliche Anspielungen und Werte im Klaren sein, und ist stark in die Zeit des Mittelalters verwurzelt. Man muss kein Anhänger des Christentums sein, um Spaß beim Lesen zu haben, aber ohne Kenntnisse geht zu viel des Inhalts an einem vorbei.
Fazit:
Eine verhältnismäßig leicht zu lesende Verserzählung der mittelhochdeutschen Klassik mit einer spannenden und dramatischen Handlung. Kenntnisse über die Zeitumstände und das Christentum sind sehr hilfreich beim Verständnis und erhöhen das Lesevergnügen definitiv.
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