14. Juni 2012

Der Leuchtturm von Alexandria - Gilian Bradshaw

Produktinfos:

Ausgabe: Goldmann, 1998
Seiten: 394
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Die Autorin:

Gillian Bradshaw wurde 1956 in Washington geboren und studierte zunächst Englische und Klassische Literatur. Bereits während ihres Studiums begann sie mit dem Schreiben und veröffentlichte 1977 ihren ersten Roman. Seither hat sie zahlreiche Romane verfasst, darunter vorwiegend historische Werke wie die Trilogie um die Ritter der Tafelrunde, Die Tochter des Bärenzähmers, Die Seidenweberin und Der Sohn der Kleopatra.

Inhalt:

Ephesus zur Zeit des 4. Jahrhunderts nach Christus: Die fünfzehnjährige Charis lebt hier glücklich als Tochter eines angesehenen Konsuls, zusammen mit ihrem Bruder Thorion, der ihr ein guter Freund ist. Die Mutter der beiden starb zwar bereits vor vielen Jahren, doch ihre Amme Maia hat ein enges Verhältnis zu ihren beiden Schützlingen. Charis ist allerdings eine untypische junge Frau für ihre Zeit, denn ihre Leidenschaft ist die Heilkunst. Ihr größter Wunsch ist es, eines Tages Medizin zu studieren und als Ärztin arbeiten zu können, was Frauen jedoch verboten ist.

Die glücklichen Zeiten haben ein Ende, als ihr Vater durch den mächtigen Statthalter Festus unter Druck gerät. Der brutale Festus fühlt sich zur hübschen Charis hingezogen und drängt ihren Vater zum Eheversprechen, dem dieser schließlich nachgibt. Charis ist entsetzt, ebenso ihr Bruder und ihre Amme. Für Charis steht fest, dass sie niemals den widerlichen Festus heiraten wird - stattdessen flieht sie mit Thorions Unterstützung nach Alexandria. Sie verkleidet sich als Eunuch "Chariton" und nimmt ein Medizinstudium auf - so will sie Festus entfliehen, bis dieser das Interesse verloren hat und zugleich endlich ihren größten Wunsch wahr machen.

In Alexandria lernt Charis den jüdischen Arzt Philon kennen und bekommt eine Anstellung als Assistent. Philon wird ihr ein väterlicher Freund, und auch seine Familie heißt den scheinbaren jungen Mann willkommen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und dem ständigen Versteckspiel beginnt Charis ihr neues Leben zu lieben und stürzt sich mit Feuereifer in die medizinische Lehre. Ihr Schicksal hält allerdings noch einige Herausforderungen bereit, angefangen vom Dienst für den Erzbischof über ein Leben als Militärarzt bis zur unverhofften Liebe ...

Bewertung:

In der Fülle der "Frau verkleidet sich als Mann"-Historienromane sticht "Der Leuchtturm von Alexandria" angenehm hervor und gehört sicherlich zum Besten, was dieses Genre zu bieten hat. Mit Charis erlebt der Leser eine glaubwürdige und liebenswerte Protagonistin, die zwar für ihre Zeit recht modern denkt, aber dennoch in ihrer Epoche verwurzelt ist. Charis ist eine etwas burschikose junge Frau, gar nicht an schönen Kleidern oder Schminke oder kunstvollen Frisuren interessiert, ebensowenig wie an einer Ehe oder Kindern. Dafür ist sie umso intelligenter, auch geschult durch den intensiven Unterricht ihres Hauslehrers, und für sie ist es ein schrecklicher Gedanke, niemals einen Beruf ausüben zu dürfen. Ihr Leben als Eunuch bringt einige Probleme mit sich, immer muss sie darauf achten, dass sie niemand beim Umziehen beobachtet, dass ihre Periode unbemerkt bleibt, dass ihre zum Glück ohnehin kleinen Brüste nicht gesehen werden - allerdings hat sie als angeblicher Eunuch auch einige Freiheiten: Eunuchen werden von vielen Menschen ohnehin misstrauisch gemieden, auch ihre weichen Gesichtszüge, die helle Stimme und der fehlende Bartwuchs fallen nicht als ungewöhnlich auf. Dennoch liegt eine beständige Spannung dadurch in der Luft, dass Charis jederzeit entlarvt werden könnte. Natürlich ist es unvermeidlich, dass sie sich früher oder später auch mal verliebt - allerdings kommt diese Komponente erst spät ins Spiel und wird nie als Folie für kitschige oder pseudoerotische Schilderungen benutzt.

Zu den interessantesten Figuren gehört der Arzt Philon, der ihr schnell ein Vertrauter wird. Reizvoll ist allein schon die Tatsache, dass ein jüdischer Arzt sich als Assistenten ausgerechnet einen angeblich christlichen Eunuchen zum Assistenten nimmt - und für beide Seiten ist dies eine außergewöhnliche Erfahrung, die mit Respekt beginnt und zu inniger Freundschaft führt. Philon erkennt rasch das Talent seines Schützlings, aber auch den Ehrgeiz und vor allen den brennenden Wunsch, anderen Menschen zu helfen. Philon selbst ist bekannt dafür, dass er oft auch unentgeltlich seine Dienste den Armen anbietet, und Charis tut es ihm gleich - immer darauf bedacht, sich an den weisen Lehren von Hippokrates zu orientieren. Eine weiterer gelungener Charakter ist der Erzbischof Athanasios. Der alte, von Krankheiten geschwächte Mann wird von Charis alias Chariton gerettet und ernennt den Eunuchen daraufhin zu seinem Leibarzt. Für Charis ist das eine Ehre und eine Bürde zugleich, denn die Verantwortung für ihren Patienten ist hoch, der Neid und die Anfeindungen erdrückend. Im Laufe der Handlung werden mehrere Personen aus ihrem Umfeld von ihrer wahren Identität erfahren, und ausgerechnet Atanasios ist der Erste, der ihr Spiel durchschaut und dem sie gleichzeitig vertrauen kann, dass er sie nicht verraten wird.

Natürlich bezieht der Roman einen großen Teil seiner Spannung aus der ständigen Frage, ob Charis enttarnt wird und ob vielleicht sogar der grausame Festus ihr Versteck aufspüren kann. Doch es sind auch die turbulenten Zeitumstände einer bewegten Epoche, die für Brisanz sorgen. Religiöse Unruhen und politische Intrigen können jeden treffen, Charis selbst erfährt es anhand des Statthalters Festus, der aus dem Nichts heraus plötzlich ihre ganze Familie gefährdet. Auch wenn der historische Hintergrund nicht so ausführlich erläutert wird, wie das in anderen historischen Werken der Fall ist, bekommt der Leser doch ein gutes Bild von der Spätantike. Vor allem die Einblicke in die Welt der damaligen Medizin sind faszinierend. In mancherlei Hinsicht waren die Erkenntnis bereits sehr ausgereift, doch gab es auch viele Streitigkeiten über die besten Behandlungsmethoden. So ist Charis eine große Anhängerin des Hippokrates, steht damit allerdings im Kreise der Kollegen manchmal recht isoliert da. Neben diese fesselnden Schilderungen gesellen sich auch bewegende und traurige Momente, ebenso aber auch humorvolle Szenen mit amüsanten Dialogen. Zu den wenigen Schwächen des Romans gehört das fehlende Glossar, das für einige historische Begriffe angebracht gewesen wäre. Innerhalb der Handlung ist es ein bisschen übertrieben, wie eng Charis ihre Herkunft als "Chariton" an ihr wahres Leben anlehnt - das macht es ihr zwar einfacher, auf spontane Fragen zu antworten, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, sie setzt sich damit aber auch einem gewaltigen Risiko aus, enttarnt zu werden - denn die Suche nach der verschwundenen Charis aus Ephesus kommt wegen ihrer Skandalösität sogar bis nach Alexandria, und sie fordert ihr Glück ein bisschen zu sehr heraus.

Fazit:

Ein ausgezeichneter Historienroman, der das Schicksal einer ungewöhnlichen jungen Frau in der Spätantike erzählt. Mitreißend geschrieben, mit überzeugenden Charakteren und vielen Details zum damaligen Alltag.

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