3. Juni 2012

Das schlafende Geheimnis - Paullina Simons

Produktinfos:

Ausgabe: 1999
Seiten: 470
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Die Autorin:

Paullina Simons wurde 1963 in Leningrad geboren und wanderte später in die USA aus. Sie arbeitete als Journalistin und Fernsehproduzentin, ehe ihr der schriftstellerische Durchbruch mit dem Roman "Die Liebenden von Leningrad" gelang. Weitere Werke von ihr sind u. a. "Die Sommer der Freundschaft", "Tatiana und Alexander" und "Elf Stunden". Sie lebt heute mit ihrer Familie in New York.

Inhalt:

Dartmouth ist eine verschlafene kleine Universitätsstadt in New Hampshire. Die vier Freunde Kristina, Conni, Albert und Jim bilden eine Studentenclique. Die rätselhafte Kristina, Basketball-Ass und chronisch chaotisch, ist mit Jim liiert, doch die Beziehung kriselt. Sie hat eine heimliche Affäre mit Albert, der wiederum mit Conni ein Paar bildet. Während Kristina immer wieder bemüht ist, das Verhältnis zu beenden, und ein schlechtes Gewissen wegen ihrer einstmals besten Freundin Conni hat, versucht Albert sie stets aufs Neue zu überreden, mit ihm ein neues Leben anzufangen. Die eifersüchtige Conni ahnt zwar, dass Albert an Kristina interessiert ist, will die Affäre aber nicht wahrhaben und drängt ihn zur Verlobung. Unter diesen Spannungen leiden die Freundschaften, und die Streitereien unter den vieren häufen sich immer mehr.

Auch der junge Detective Spencer Patrick O'Malley lebt in Dartmouth. Seit dem Krebstod seiner Frau hat er sich zurückgezogen. An einem verschneiten Wintertag trifft er in der Stadt die abgebrannte Kristina und lädt sie zum Essen ein. Von Anfang an ist er fasziniert von der intelligenten und sehr eigenwilligen Frau, und sein Interesse ist geweckt. Kurz darauf verursacht Kristina einen Autounfall, bei dem sie Fahrerflucht begeht. Ausgerechnet Spencer bearbeitet den Fall, sodass sie sich bald wiedersehen. Kristina soll in den nächsten Tagen aufs Revier kommen. Zudem verabreden Spencer und sie sich für die Woche nach Thanksgiving.

Doch Spencer hört nichts mehr von Kristina. Enttäuscht glaubt er schon, dass sie ihn versetzt hat, als er einen Anruf erhält. In der Nähe des Studentenheims wurde eine Leiche gefunden - Kristina. Kurz nach ihrer letzten Begegnung muss die junge Frau im Schnee gestorben sein. Ist sie verunglückt, als sie wieder einmal betrunken auf dem Brückengeländer balancierte? Oder hat sie jemand ermordet? Spencer bemüht sich, seine persönlichen Gefühle außen vor zu lassen und die Umstände zu klären. Bald steht fest, dass Kristina getötet wurde. Ein aufsehenerregendes Testament und eine geheime Scheinehe tauchen auf, die alles noch verwirrender machen ...

Bewertung:

Eine verschneite Universitätsstadt, eine Clique von Studenten mit Spannungen und Affären, ein einsamer Polizeibeamter und ein Verbrechen aus Leidenschaft - das sind die Zutaten, aus denen Paullina Simons einen über weite Strecken sehr spannenden und gelungenen Krimi gebastelt hat. Der Klappentext bemüht den Vergleich mit Donna Tartts Sensationserfolg "Die geheime Geschichte", den Simons mit "Das schlafende Geheimnis" leider nicht ganz halten kann - doch das Ergebnis kann sich dennoch sehen lassen.

Vielschichtige Charaktere

Viel Mühe wurde auf die Charaktere verwendet, die durch Vielschichtigkeit bestechen. Im Zentrum der Handlung steht zunächst Kristina, die gerade durch ihre Zwiespältigkeit das Interesse des Lesers weckt. Die knapp Einundzwanzigjährige präsentiert sich als intelligente junge Frau, ein hoffnungsvolles und ehrgeiziges Basketball-Talent, das sich zudem in der Freizeit in einem Heim für jugendliche Mütter engagiert und von den Mädchen, denen sie Stärke vermittelt, bewundert wird. Auf der anderen Seite wird bald klar, dass sie ihrem aktuellen Freund Jim nicht nur ihre Ehe verheimlicht hat, sondern auch noch eine Daueraffäre mit dem gemeinsamen Kumpel Albert führt und damit auch noch ihre einstmals beste Freundin Conni hintergeht. Kristina ist nicht gewissenlos, sondern hasst sich für die Lügereien, aber dennoch lässt sie sich wieder von Albert bezirzen und landet mit ihm im Bett, während auf dem Flur die misstrauische Conni nach ihrem Verlobten in spe ruft. Kristina ist also alles andere als eine Heldenfigur, doch man versteht dennoch sofort, warum sich Spencer Patrick O'Malley zu ihr hingezogen fühlt.

Der junge Sergeant-Detective ist ebenfalls nicht ohne Makel; zwar ein sympathischer und ehrlicher Polizeibeamter, dessen schwere Vergangenheit den Leser berührt, aber andererseits neigt er zu impulsiven Ausbrüchen. Ehemalige Fehleinschätzungen werden angesprochen, und bei den Vernehmungen kann er seine Gefühle oftmals kaum verhehlen oder bremsen. Das Wissen durch den Klappentext, dass sich die zart anbahnende Beziehung zwischen Kristina und Spencer nie entfalten wird, sorgt für eine melancholische Grundstimmung, die über dem gesamten Roman schwebt. Man bedauert den Verlust, den Spencer mit dem Tod der jungen Studentin erleidet, der gerade deshalb schwer für ihn zu verarbeiten ist, weil das erste offizielle Date der beiden noch ausstand. Spencer weiß fast nichts über die Tote und erfährt bei den Ermittlungen Dinge aus ihrer Vergangenheit, die ihm zusetzen - auf der anderen Seite hatte er Kristina schon von der ersten Begegnung ins Herz geschlossen und leidet als junger Witwe doppelt unter der bitteren Erfahrung, wieder einmal einen Menschen verloren zu haben.

Auch Kristinas Freunde Jim, Albert und Conni sind nicht auf Anhieb einzuordnen. Einerseits spürt man die tiefe Vertrautheit zwischen ihnen, und man ahnt, wie viel sie einander einst bedeutet haben und teilweise immer noch bedeuten. Aber die Spannungen sind unübersehbar, die Heimlichkeiten überschreiten das legitime Maß, und zwischen ihnen allen scheint eine Form der Hass-Liebe in der Luft zu liegen, die jeden Moment zur Eskalation führen kann.

Spannung bis zum Schluss

Aus dieser Vielschichtigkeit der Charaktere entspringt auch die Spannung, die der Roman fast durchgängig aufrechterhalten kann. An Verdächtigen mangelt es nicht, und genau wie Spencer rätselt man, wer von ihnen Kristina zu ihrem eisigen Tod verholfen hat. War es Howard Kim, ihr Ehemann aus Hongkong, der sie zwar wie ein väterlicher Freund zu achten scheint, jedoch kurz vor ihrem Tod die Scheidungspapiere vorgelegt bekommt? War es die eifersüchtige Conni, die um keinen Preis der Welt akzeptieren will, dass ihr Fast-Verlobter ständig die Nähe der früheren Vertrauten sucht? War es Albert, der Kristina zu einer Beziehung überreden will und doch nur eine Affäre mit ihr bekommt? Oder war es Jim, der abgelegte Freund, den sie mit ihrer geheimen Ehe und ihrer Affäre gleich doppelt betrogen hat? Nach und nach erlebt man, wie Spencer die Spuren am Tatort, die Alibis, die Vernehmungs- und Zeugenaussagen und die Motive auswertet und sich der Verdacht mal auf den einen und mal auf den anderen verlagert. Spannend ist außerdem die Aufklärung über Kristinas Vergangenheit, denn bis zu ihrem Tod weiß auch der Leser kaum mehr über sie als ihre Freunde. Mit ihrem Testament, Briefen aus ihrem Schließfach, Erzählungen ihres Exmannes und ihrer Mutter ergeben sich Informationen, die das Puzzlebild der geheimnisvollen und undurchschaubaren jungen Frau langsam vervollständigen.

Kleine Mankos

Schwächen offenbart das Werk nur wenige, die nicht schwer wiegen. Allerdings übertreibt es die Autorin etwas mit der Geheimhaltung über Kristinas Leben. So erlebt man zwar recht bald zu Beginn ein Treffen mit ihrem Nochehemann mit, doch über die Umstände der Ehe erfährt man fast nichts. Erst nach ihrem Tod wird auch der Leser eingeweiht, warum diese Ehe geschlossen wurde und in welchem Verhältnis Howard Kim und Kristina zueinander standen. Das beschwört eher Ungeduld als Spannung herauf, weil man unweigerlich über ihre seltsame Ehe und die spärlichen Informationen nachgrübelt und ein wenig die Konzentration für die eigentlichen Geschehnisse verliert. Etwas informationsarm ist auch der Teil von Spencers Leben, der mit seiner verstorbenen Frau zusammenhängt. Unterm Strich erfährt man nur sehr wenig über ihren Tod und seine Gefühle. Zwar weiß man um ihre Todesursache und seine Trauer, doch es hätte nicht schaden können, diesen Bereich zu intensivieren und Spencer ein paar kurze Rückblicke, ein paar gedankliche Abschweifungen zu gönnen. Das liegt gerade deshalb nah, weil ihr früher und unerwarteter Tod seinen Charakter und vor allem auch seinen Job als Polizeibeamter stark beeinflusst. Der Leser ahnt, wie zerbrechlich dieser junge Mann ist, aber seine verstorbene Frau bleibt ein blasses, verflüchtigtes Phantom im Hintergrund, zu dem man keinen Bezug aufbaut.

Fazit:

Dem Leser bietet sich bei "Das schlafende Geheimnis" ein bis zum Schluss spannender Krimi mit vielschichtigen Charakteren und einer Handlung mit melodramatischen Anklängen, die über die bloße Mörderjagd hinausgeht. An manchen Stellen wäre es zwar wünschenswert, wenn dem Leser mehr Informationen über die Figuren zugestanden hätten, doch insgesamt bleibt ein lesenswerter Roman, der solide Unterhaltung bietet und sich leicht lesen lässt.

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