7. Juni 2012

Aeneis - Vergil

Produktinfos:

Auflage: 2005
Seiten: 288
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Der Autor:

Vergil, eigentlich Publius Vergilius Maro, war ein römischer Dichter, der von 70 v. Chr. bis 19 v. Chr. lebte. Seine drei berühmten Werke sind die Bucolica/Eklogen (Hirtengedichte), die Georgica (Lehrgedichte über den Ackerbau) und die "Aeneis", das römische Nationalepos.

Inhalt (enthält Spoiler, Ende wird verraten):

Die Aeneis ist ein im Original lateinisches Epos aus zwölf Bücher bzw Gesängen, das einen der Gründungsmythen des römischen Reiches zum Hauptthema hat. Es ist benannt nach dem Titelhelden Aeneas, dem Sohn der Göttin Venus und dem menschlichen Anchises, und erzählt seine Geschichte von der Flucht aus dem brennenden Troja, seinen Irrfahrten und seiner Landung in Latium, wo er den Kampf gegen die Latiner gewinnt und schließlich die Ausgangsbasis für die Gründung Roms schafft.

Buch 1) Im ersten Buch befindet sich Aeneas mit seinen Leuten auf der Fahrt von Sizilien nach Italien. Die Göttin Juno, die den Trojanern feindlich gegenübersteht, sorgt für einen Seesturm, der die Schiffe an die Küste Lybiens nach Karthago verschlägt. Währenddessen beklagt sich im Olymp Aeneas Mutter Venus beim Göttervater Jupiter über das Schicksal ihres Sohnes. Jupiter tröstete Venus, indem er ihr verspricht, dass Aeneas letztlich tatsächlich nach Latium gelangen und dort die Stadt Lavinium gründen, aus der später das berühmte römische Reich hervorgehen werde. Aeneas und sein Gefolge werden von der Königin Karthagos, Dido, freundlich empfangen und gebeten, ihre Erlebnisse bis zu zu erzählen.

Buch 2) Aeneas erzählt rückblickend, wie die Griechen Dank des Trojanisches Pferdes sich in Troja einschlichen und die Stadt überfielen. Aeneas gelang mit seinem Sohn Ascanius und seinem Vater Anchises, der wiederum die Hausgötter, die "Penaten" im Arm trug, die Flucht. Seine Gattin Creusa ging in den Flammen verloren, erscheint ihm jedoch in einer Vision und prophezeit ihm die Gründung einer neuen Stadt im Abendland.

Buch 3) Auf der Suche nach dem verheißenen Ziel durchlaufen Aeneas und sein Gefolge nacheinander zehn Etappenorte. In Delos weist sie das Apollo-Orakel zur "alten Mutter", das sie fälschlicherweise als ihr Mutterland Kreta interpretieren. In Kreta korrigiert eine Traumerscheinung des Aeneas, dass in Wirklichkeit das Stammland des Ahnen Dardanus, Italien, gemeint sei. In Epirus erhalten sie weitere Weissagungen vom Seher Helenus und folgen seiner vorgeschlagenen Route. Auf Sizilien stirbt Anchises und wird bestattet. Anschließend verschlägt es sie zu ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort Karthago.

Buch 4) Venus sorgt dafür, dass Dido in Liebe zu Aeneas entbrennt. Er erwidert ihre Gefühle, und sie gehen ein eheähnliches Verhältnis miteinander ein. Bald machen empörte Gerüchte über die Affären der beiden die Runde, sodass auch Jupiter davon erfährt. Er schickt Merkur aus, um Aeneas an seine Mission zu erinnern. Dido versucht ihn zurückzuhalten, doch Aeneas beugt sich seinem Schicksal und verlässt das Land. Die verlassene Dido verflucht ihn und begeht Selbstmord.

Buch 5) Die Aeneaden legen einen Zwischenhalt auf Sizilien ein. Zur Ehrung des nunmehr seit einem Jahr verstorbenen Anchises lässt Aeneas Spiele in Form von einer Regatta, einem Wettlauf, einen Boxkampf, Bogenschießen und einem Reiterspiel veranstalten. Die missgünstige Juno beauftragt Isis, die Frauen aus dem Gefolge aufzuhetzen, damit sie die Schiffe in Brand setzen, um den Irrfahrten ein Ende zu setzen. Aeneas verzweifelt, bis ihm Anchises im Traum rät, die Fahrtmüden zurückzulassen und mit den Willigen weiterzufahren. Aeneas befolgt den Rat und nimmt Kurs auf Italien.

Buch 6) Aeneas sucht die Sibylle von Cumae auf. Er steigt mit ihr als Führerin in die Unterwelt hinab. Dort trifft er auf die Seelen vieler Verstorbener, zuletzt auch auf seinen Vater Anchises. In einer Heldenschau präsentiert ihm dieser die kommenden größten Vertreter des Römischen Reiches und gewährt ihm einen Einblick in die Macht und Größe seiner künftigen Heimat.

Buch 7) Die Aeneaden gelangen nach Latium, wo sie von König Latinus freundlich empfangen werden. Er bietet ihm die Hand seiner vielumworbenen Tochter Lavinia an. Juno veranlasst die Furie Allecto dazu, die Italiker gegen die Trojaner aufzuhetzen. Turnus, der sich vergeblich um Lavinia beworben hat, ruft zum Kampf gegen Aeneas auf.

Buch 8) Aeneas bittet den Arkaderkönig Euander und dessen Sohn Pallas um Beistand, den er auch zugestanden bekommt. Venus lässt vom Gott Vulkan Waffen für Aeneas anfertigen, darunter einen Schild, auf dem sich Abbildungen mit vielen Szenen und Figuren aus der künftigen römischen Geschichte befinden.

Buch 9) Turnus will Aeneas Abwesenheit für einen Angriff nutzen. Die beiden tapferen Freunde Nisus und Euryalus wollen Aeneas warnen und schleichen sich durch das feindliche Lager. Sie werden entdeckt und fallen in einem großen Kampf. Turnus greift das Trojanerlager an, muss sich aber schließlich in den Tiber retten.

Buch 10) In einer olympischen Götterversammlung greifen sich Juno und Venus gegenseitig an. Jupiter stellt sich auf keine der beiden Seiten, sondern lässt das Schicksal gewähren. Aeneas kehrt zurück und stürzt sich in den Kampf. Turnus tötete den jungen Pallas, Aeneas wiederum die Verbündeten des Turnus, Mezentius und dessen Sohn Lausus.

Buch 11) Beide Lager schließen einen kurzen Waffenstillstand, in dem die Gefallenen bestattet werden. Die Latiner halten eine Ratsversammlung ab, die jedoch abbricht, als sich Aeneas der Stadt nähert. Die italische Amazone Camilla übernimmt zunächst die Führung, doch als auch sie nach großem Kampf fällt, greift Turnus wieder ein.

Buch 12) Die Latiner und Aeneas einigen sich auf einen Zweikampf zwischen ihm und Turnus, doch Juno sorgt dafür, dass der Vertrag gebrochen wird und es erneut zu einem Kampf kommt. Später stellt sich Turnus dem Aeneas zum Duell. Aeneas besiegt ihn, will ihm aber zunächst das Leben lassen. Als er jedoch den Schwertgurt des getöteten Pallas an ihm entdeckt, tötet er Turnus im Zorn und aus Rache für seinen jungen Freund. Jupiter und Juno schließen einen Kompromiss, dass die Latiner mit Aeneas ein Bündnis schließen und ein gemeinsames Volk, aus dem die Römer hervorgehen werden, gründen.

Bewertung:

Bereits in der Antike war das Meisterwerk Vergils eine beliebte Schullektüre, deren Erfolg sich bis heute ungebrochen gehalten hat. Oft wird Vergil als "römischer Homer" bezeichnet, dessen Epos in zwei Hälften der "Ilias" und der "Odyssee" entspreche. Und tatsächlich hat Vergil nicht nur in überzeugender Manier an den Großmeister des Epos angeknüpft, sondern auch Neuerungen miteingebracht.

Der Stoff, aus dem die Epen sind

Der Stoff der Aeneassage wurde von Vergil nicht er-, sondern vorgefunden. Bereits in der "Ilias", die im 8. Jh. v. Chr. entstand, war die Gestalt des Aeneas angelegt und seine Geschichte seit dem 3. Jh. v. Chr. verbreitet, sodass sie von Anfang an ein fester Teil der römischen Historie war. Wie bei vielen Sagen und Legenden üblich, existierten auch hier viele verschiedene, teilweise auch widersprüchliche Varianten, derer sich Vergil bediente und sie nach seinen Vorstellungen miteinander kombinierte. Das Gleiche gilt für seine Figuren, die er nicht nach einem einzigen, sondern aus mehreren Vorbildern erschuf und die dadurch eine lebendige Vielschichtigkeit erhielten. Bei den Vorbildern standen sowohl ähnliche historische Personen sowie entsprechende literarische Gestalten Pate. So erinnert Aeneas aufgrund seiner Irrfahrten an Odysseus und aufgrund seines Duells mit Turnus an den zornigen Achill. Bei der ihm verfallenen Königin Dido kommen Erinnerungen an die rasende Medea des Apollonios von Rhodos ebenso hoch wie sogar an Königin Kleopatra. Dazu finden sich viele kleine Anspielungen auf bestimmte Gestalten aus anderen Werken, die nur dem gelehrten Kenner ins Auge fallen - und dieser vorinformierte Leser ist der Ansprechpartner Vergils. Während heute ausführliche Kommentare zum detaillierten Verständnis der "Aeneis" nötig sind, konnte sich ein antiker Autor auf einen "lector doctus", einen "gelehrten Leser" verlassen, der über die aktuelle Literatur im Bilde war.

Aeneis als Caesareis?

Vordergründig betrachtet bietet die "Aeneis" die tapfere Tat eines Helden, der nach dem Untergang seiner alten Heimat (Troja) eine neue Stadt gründet (Lavinium), aus der später eine Weltmacht hervorgeht (Rom). Hintergründig betrachtet ist Aeneas auch ein Sinnbild für den römischen Kaiser Augustus und ist somit eine Lobpreisung seiner Herrschaft. Tatsächlich gibt es vier explizite Verweise im Epos, in denen das spätere Rom und der wunderbare Augustus erwähnt werden - und Aeneas wird als sein Vorfahr gesehen, der den Grundstein für das goldene Zeitalter des augusteischen Epoche legte. So prophezeit Jupiter gegenüber seiner Tochter Venus die kommende Größe von Rom, des Weltreiches ohne Grenzen, so bekommt Aeneas in der Heldenschau der Unterwelt die künftigen Herrscher präsentiert, so sind auf dem Schild des Aeneas zahlreiche Szenen aus der römischen Geschichte aufgeführt, und so bekräftigt Jupiter kurz vor Schluss noch einmal den Pakt, dass Aeneas den Grundstein für die Gründung Roms legen wird. Auch wenn der Held der Handlung Aeneas und nicht Augustus heißt, so durfte sich der Kaiser über eine nahezu makellose Huldigung seiner Person und seiner Taten erfreuen, die seinesgleichen sucht. Dass er neugierig auf dieses Werk war, ist offensichtlich - sogar während eines Spanien-Feldzuges soll er sich regelmäßig bei Vergil nach den Fortschritten erkundigt haben.

Kriege, Helden, Götter

Augustus hin, Augustus her, auch wer sich für diese Zweitbedeutung des Werkes nicht interessiert, kann an der bunten Handlung Gefallen finden. Die Bezeichnung "Kombination aus Ilias und Odyssee" deutet bereits an, auf was der Leser gefasst sein darf: abenteuerliche Reisen, jahrelange Irrfahrten, schöne Frauen, blutige Kriege, treue Freundschaften, heißer Zorn und eiskalte Rache. Statt durch die Phantasielandschaften der Odyssee reisen Aeneas und seine Begleiter über das reale Mittelmeer und machen Station an bekannten Ortschaften wie Sizilien und Kreta. Währenddessen gründet Aeneas auf diesen Zwischenhalten immer wieder neue Städte - auch das gehört zum sogenannten ätiologischen Element des Epos, das die Namen zeitgenössischer Orte in Beziehung zu Aeneas stellen will.

Unter den menschlichen und göttlichen Verhaltensweisen finden sich nahezu alle Charakterzüge, die man aus modernen Seifenopern kennt: Die rachsüchtige Juno ist ein Paradebeispiel für eine missgünstige Frau, die dem Helden wo immer sie nur kann Steine in den Weg zu legen versucht. Die Gründe für ihren Hass gegen alles Trojanische sind dementsprechend prekär: Es war ein Trojaner, Paris nämlich, der nicht die Göttermutter, sondern Venus als Schönste aller Göttinnen kürte. Und es war ein Trojaner, den ihr liebestoller Gatte Jupiter, der bekanntlich noch nie ein Anhänger der Treue war, als Lustknaben entführte. Dergestalt gedemütigt ist es nicht verzeihlich, aber doch im Kern nachvollziehbar, dass Junoauf Trojaner schlecht zu sprechen ist.

Wer streitende Götter erleben will, der braucht nur einen Blick in den vergilischen Olymp zu werfen. Mit Juno, Venus und Jupiter stehen sich drei Götter gegenüber, die unterschiedliche Ansichten vertreten. Die gluckenhafte Venus wünscht nur das Beste für ihren Sohn Aeneas, Juno will seinen Untergang sehen, und der begütigende Jupiter bemüht sich zu schlichten und überlässt dem Schicksal den Verlauf der Dinge.

Auch auf der Erde wird nicht an großen Gefühlen gespart. Dido ist eine der tragischsten Gestalten überhaupt, mit der jeder Leser intensiv mitzuleiden vermag. Juno und Venus schließen einen Komplott gegen die arme Königin, denn jede der beiden sieht für sich einen Vorteil in einer Beziehung zu Aeneas: Venus ist die besorgte Mutter, die ihrem Sohn dadurch Wohlwollen zu verschaffen erhofft, Juno dagegen sieht eine Chance, Aeneas auf Karthago festzunageln, sodass seine Mission von der Gründung Roms in Gefahr gerät. Das Opfer dieser perfiden Pläne ist natürlich Dido, der eine leidenschaftliche, aber kurze Beziehung zu Aeneas vergönnt ist. Nur allzu gut versteht man ihren Schmerz, als sich der Geliebte urplötzlich auf seine Mission besinnt, die Liebe Liebe sein lässt und mit seinen Schiffen auf und davon zieht. Doppelte Tragik erhält diese Episode dadurch, dass nach antikem Verständnis Aeneas kein treuloser Held ist, sondern für das hohe Gut der Gründung Roms private Opfer bringen muss - und so zum Wohle aller folgenden Generationen auf die Liebe zu Dido verzichten muss.

Zum geflügelten Wort für unerschütterliche Freundschaft wurde das homerische Paar Achill und Patroklos, denen Vergil Aeneas und Pallas entsprechend gegenüberstellt. Pallas ist der junge Sohn des Arkaderkönigs Euander, der Aeneas zur Seite gestellt wird und der von Turnus nicht nur getötet, sondern auch noch seines Schwertgurtes beraubt wird - was Aeneas wiederum am Ende des Duells entdeckt und ihn zur tödlichen Rache zwingt ...

Vergils Unvollendete

Der plötzliche Schluss des Epos sowie diverse punktuelle sowie mindestens ein konzeptioneller Widerspruch innerhalb der Handlung sind die Konsequenzen daraus, dass Vergil über der Fertigstellung seines Werkes verstarb. Die "Aeneis" ist nicht in den Genuss eines perfektionierenden Feinschliffs gekommen - was den Lesegenuss jedoch nicht schmälert. Auch wenn Vergil verfrüht gestorben ist, so ist der Inhalt der "Aeneis" komplett, und es wird alles gesagt, was gesagt werden muss.

Irritierender wirkt auf den heutigen Leser sicherlich die äußere Form, das hexametrische Versmaß, das in der Antike zum Rezitieren von Epen verwendet wurde. Die deutschen Übersetzungen mühen sich, die poetische Sprachgewalt des Originals beizubehalten und stoßen dabei naturgemäß auf eine schwierige Aufgabe. Trotz ihrer spannenden und bunten Handlung ist die "Aeneis" nun einmal kein Prosa-Roman, sondern lässt sich am besten häppchenweise konsumieren. Ein Buch pro Tag ist ein gutes Maß, um sich mit diesem antiken Werk anzufreunden - und dabei vielleicht zu entdecken, dass es sich lohnt, die scheinbar verstaubten Klassiker zur Hand zu nehmen.

Fazit:

Auch nach mehr als 2000 Jahren ist Vergils "Aeneis" zu Recht ein beliebter Klassiker, der sich hinter den populäreren Epen Homers nicht zu verstecken braucht. Ist es oberflächlich betrachtet eine Odyssee durch das Mittelmeer mit episodenhaften Liebesbeziehungen, Intrigen und einem großen Krieg, bietet es dahinter eine Darstellung des Ursprungs der römischen Geschichte. Zahlreiche Anlehnungen auf weitere Sagen und Sagengestalten machen das Werk zu einem Quell der Freude für interessierte Philologen - und unter Umständen und mit etwas Bereitschaft zu einer lesenswerten Bereicherung für jeden Bücherfreund.

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