5. Juni 2012

Unsichtbare Spuren - Andreas Franz

Produktinfos:

Ausgabe: 2006
Seiten: 461
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Der Autor:

Andreas Franz wurde 1956 in Quedlinburg geboren und starb 2011. Bevor er sich dem Schreiben widmete, arbeitete er unter anderem als Übersetzer, Schlagzeuger, LKW-Fahrer und kaufmännischer Angestellter. 1996 erschien sein erster Roman. Franz lebte mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt, wo die meisten seiner Krimis spielen. Weitere Werke von ihm sind u. a.: "Jung, blond, tot", "Das achte Opfer", "Der Finger Gottes", "Letale Dosis", "Das Verlies" und "Teuflische Versprechen".

Inhalt:

Norddeutschland, 1999: Nach einer verregneten Nacht wird die brutal zugerichtete Leiche der siebzehnjährigen Sabine gefunden, die per Anhalter zu einer Chatfreundin reisen wollte. Aufgrund von Spermaspuren stößt die Polizei sehr schnell auf den vorbestraften Georg Nissen. Nissen gesteht zwar, Sabine mitgenommen und einvernehmlichen Sex mit ihr gehabt zu haben, er beteuert jedoch, mit ihrem Tod nichts zu tun zu haben. Doch für Kommissar Sören Henning ist der Fall klar. Kurz nach der Verurteilung nimmt sich der vermeintliche Täter das Leben - zu spät erkennt Henning, dass er tatsächlich unschuldig war.

Fünf Jahre später: Kommissar Henning hat seinen fatalen Irrtum bis heute nicht verkraftet. Seine Ehe ist zerbrochen, seine Frau versucht, den Kontakt zu den Kindern zu unterbinden, er selbst hat sich auf Büroarbeit verlegt. Doch dann wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, am gleichen Ort wie damals Sabine. Fast alles deutet darauf hin, dass der Täter wieder zugeschlagen hat. Henning recherchiert und erkennt, dass Dutzende Morde ähnlicher Art seit rund fünfzehn Jahren in ganz Deutschland verübt wurden. Trotz der Skepsis seiner Kollegen glaubt er an einen Serientäter, der schon zahlreiche Opfer auf dem Gewissen hat.

Ermuntert von seiner jungen, temperamentvollen Kollegin Lisa Santos, steigt Sören Henning wieder in die Ermittlungen ein. Er glaubt, dass der Mörder ein überdurchschnittlich intelligenter Mann ist, der mit seinen Verfolgern spielen will. Bald gibt es die Bestätigung in Form eines Briefes an Henning. Der Mörder schickt Fotos seiner toten Opfer und fordert den Ermittler zur Suche heraus. Die Zeitspanne zwischen seinen Taten wird immer kürzer, und Kommissar Henning befindet sich mitten in einem grausamen Katz-und-Maus-Spiel ...

Bewertung:

Mit den Krimis um Julia Durant und Peter Brandt existieren bereits zwei Ermittlerreihen von Andreas Franz, und mit Hauptkommissar Sören Henning gibt ein sehr menschlicher und sympathischer Ermittler sein Debüt, von dem man hoffentlich noch viele weitere Fälle lesen wird.

Interessante Charaktere

Hauptkommissar Henning ist Anfang vierzig und ein seelisch gebeutelter Mann. Nach dem fatalen Irrtum, der zum Tod des unschuldig verurteilten Georg Nissen führte, ging sein Leben stetig bergab. Um zu vermeiden, dass ihm jemals etwas Ähnliches nochmal passiert, hat er sich aufs Aktenbearbeiten verlegt, anstatt vor Ort zu ermitteln. Seine Ehe ist unter dieser Belastung zerbrochen, seine Frau verlangt horrenden Unterhalt, während sie sich weigert, arbeiten zu gehen. Seine Töchter vermissen ihn zwar, doch ihre Mutter unterbindet den Kontakt, wo immer es möglich ist. Eine der wenigen Stützen in seinem Leben ist seine langjährige Kollegin Lisa Santos. Die temperamentvolle Halbspanierin arbeitet zwar seit rund zehn Jahren mit ihm zusammen, doch erst jetzt lernt er ihre privaten Seiten kennen, die sie im Job erfolgreich verbirgt. Das schlimme Schicksal von Lisas Schwester hilft Henning aufzuwachen und die Resignation von sich abzuwerfen. Gemeinsam mit Santos macht er sich auf die Jagd nach dem brutalen Mörder, dem endlich das Handwerk gelegt werden muss.

Ebenso gut wie den Hauptkommissar lernt der Leser den mysteriösen Butcher kennen. Ein Mann mit biederer Fassade, verheiratet und Vater zweier Töchter, doch dahinter lauert ein Mörder, der Dutzende Opfer auf dem Gewissen hat. Zwar kommt natürlich weder Verständnis noch Mitleid für Butcher auf, aber man gewinnt zumindest Einblick in seine kaputte Psyche. Von klein auf wird er von seiner herrischen Mutter gedemütigt, zum Lernen getrimmt und von der Außenwelt ferngehalten. Freunde werden vergrault, körperliche Nähe gibt es nicht, jeder Fehler wird grausam bestraft. Die Ehe mit seiner Frau scheint ein Rettungsanker zu sein, doch stattdessen wird alles noch schlimmer. Seine Frau gleicht seiner Mutter charakterlich aufs Haar, die beiden Frauen verbünden sich, seine Mutter wohnt mit ihnen unter einem Dach.

So unbarmherzig Butcher mit seinen Opfern umgeht, so sehr schreckt er davor zurück, sich von Frau oder Mutter zu befreien. Die Demütigungen im eigenen Haus werden durch Sadismus sublimiert. Aber der Drang zu töten wird immer stärker, seine unterdrückte Wut lässt sich kaum noch kontrollieren. Für eine überraschende Seite in seinem Wesen sorgt das Zusammentreffen mit Carina, einer alleinerziehenden Mutter, die alles verkörpert, was sich Butcher insgeheim immer von einer Frau gewünscht hat: liebevolle Ausstrahlung, Rücksichtnahme, Güte und Herzlichkeit. Während die ahnungslose junge Frau sich eine Beziehung mit dem scheinbar so verständnisvollen Mann erhofft, reagiert Butcher verzweifelt. Für einen Neuanfang mit Carina ist es zu spät, es ist bereits schwer genug, sein Doppelleben als Mörder und Familienvater zu verbergen. Er ahnt, wie anders sein Leben hätte verlaufen können, wenn Carina ihm früher begegnet wäre, aber gleichzeitig weiß er, dass nichts davon jemals wahr werden kann.

Fesselnd bis zum Schluss

Ein weiterer Pluspunkt ist die Spannung, die den Leser von Anfang bis Ende durchgängig in den Bann zieht. Das ist vor allem bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es hier nicht um einen Whodunit-Krimi handelt, sondern dass dem Leser die Identität des Täters früh bekannt ist. Abwechselnd wird aus dem Leben des Ermittlers und aus dem des Mörders erzählt, sodass man beide Figuren gleichermaßen kennenlernt. Lange bevor der erste Kontakt zwischen Täter und Verfolger zustandekommt, ist der Leser umfassend informiert über die Hintergründe der grausamen Taten und besitzt einen großen Wissensvorsprung gegenüber Hauptkommissar Henning. Trotzdem bleiben genug Fragen, die den Leser bis zum Schluss fesseln.

Zwar rechnet man nicht damit, dass Henning bei seinem Katz-und-Maus-Spiel das Leben verliert, doch seine Kollegen, insbesondere die ihm nahestehende Lisa Santos, sowie Hennings Familie können durchaus ins Blickfeld des Täters geraten. Sehr lange unklar bleibt auch, ob sich "Butcher" stellen wird, ob er sich womöglich umbringt oder ob die Polizei ihn fasst. Was geschieht mit seinen Angehörigen, seiner verhassten Mutter und der nicht weniger verhassten Frau? Wie viele Opfer müssen ihr Leben lassen, bis es zu einem Ende kommt? Welches Schicksal wartet auf Carina und ihre Tochter, die nichts vom wahren Wesen des netten Mannes ahnen, der in ihr Leben getreten ist? Bei Andreas Franz muss man damit rechnen, dass sich nicht alles in glückliches Wohlgefallen auflöst, sondern dass auch zum Schluss noch deprimierende Elemente übrig bleiben.

Geringe Schwächen

Es gibt nicht viele Punkte, die man dem Roman ankreiden kann. Die Entwicklung des Serienmörders erscheint ein wenig klischeehaft. Die dominante Mutter, die empfundene Hass-Liebe und das zerrüttete Verhältnis zu Frauen sind bekannte Begründungen aus Psychothrillern, spätestens seit dem populären "Psycho" fast schon Standard in der Thriller- und Kriminalliteratur. Zudem fällt das Ende etwas zu knapp aus. Zwar werden die wichtigsten Fragen geklärt, aber gerade was Nebenfiguren angeht verrät der Roman nur sehr wenig über deren Schicksal, zu wenig angesichts der Neugierde, die zuvor geweckt wurde. Unter Umständen enttäuscht auch, dass Hauptkommissar Henning nicht viel Ermittlungsarbeit leisten muss, um an den Täter zu gelangen. Butcher hat Recht, wenn er behauptet, dass er der Polizei sehr entgegengekommen ist, indem er selber den Kontakt suchte und die Leichen teilweise extra so arrangierte, dass die Zusammenhänge zwischen den Morden offensichtlich wurden. So geschickt der Mörder bei allem vorgeht, etwas zu glatt laufen seine Taten dennoch ab. Es wäre wünschenswert gewesen, ihn nicht ganz so souverän zu gestalten, sondern auch hin und wieder in brenzlige Situationen zu bringen. Allerdings trüben diese Kritikpunkte den positiven Gesamteindruck nur wenig.

Fazit:

Ein durchgängig spannender Krimi über einen Serienmörder und einen Hauptkommissar, von dem man hoffentlich noch einige weitere Fälle lesen wird. Dem Autor ist eine überzeugende Ermittlerfigur gelungen, die man gern begleitet. Von kleinen Schwächen abgesehen, liegt hier ein sehr unterhaltsamer Roman vor, der allen Krimilesern ans Herz zu legen ist.

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