Produktinfos:
Ausgabe: 2007
Seiten: 528
Amazon
* * * * *
Der Autor:
Jed Rubenfeld, Jahrgang 1959, ist Professor an der Yale-Universität und Experte für Verfassungsrecht. "Morddeutung" ist sein erster Roman und setzte sich direkt an die Spitze der Bestsellerlisten. Die Filmrechte wurden bereits verkauft.
Inhalt:
New York, 1909: Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud trifft per Schiff zu seiner Amerikareise ein. Geplant ist eine Reihe von Vorträgen an der Clark University. Begleitet wird er von zwei Kollegen, dem ernsten Züricher Carl Jung und dem herzlichen Ungarn Sándor Ferenczi. Sie werden von dem amerikanischen Psychoanalytiker Stratham Younger empfangen, einem jungen Mediziner, der bemüht ist, Freuds bahnbrechende Theorien in den USA zu verbreiten.
Zur gleichen Zeit wird in einem Luxusappartement eine junge Frau grausam ermordet. Ihr Körper hängt an einem Kronleuchter, und sie wurde ausgepeitscht, ehe der Mörder sie erwürgte. Kurz darauf wird die junge, aristokratische Miss Nora Acton auf ähnliche Weise misshandelt, kann jedoch gerettet werden, während der Täter flieht. Miss Acton hat jedoch jede Erinnerung an den Mörder und die Geschehnisse verloren und verweigert zunächst sogar die Sprache.
Die Polizei setzt große Hoffnungen in die einzige Zeugin. Stratham Younger wird beauftragt, mit Freuds Unterstützung das Trauma aufzuarbeiten, damit Miss Actons verdrängte Erinnerungen endlich wieder in ihr Bewusstsein zurückkehren. Die Arbeit kommt nur mühsam voran, da sich Miss Acton zunächst gegen die ungewöhnliche Therapie sperrt. Bald darauf deutet sich an, dass die Suche nach dem Mörder in die höchsten Kreise der New Yorker Gesellschaft führt. Die Zeit drängt, denn es besteht die Gefahr, dass der Täter erneut zuschlägt - oder Miss Acton als Zeugin ausschalten wird. Allerdings wird der Fall auch zunehmend verwirrender, und Younger weiß bald kaum noch, wem er trauen darf ...
Bewertung:
Schon die Amerikareise von Sigmund Freund und Carl Friedrich Jung alleine böte genug Stoff für einen historischen Roman, die Verquickung mit einer Thriller-Handlung sorgt jedoch für einen besonderen Reiz.
Tätersuche mit Tücken
Der Fall wirft gleich zu Beginn viele Fragen auf, die nur ganz allmählich beantwortet werden und bis kurz vor Schluss eher stets neue Überraschungen mit sich bringen. Eine Leiche und ein versuchter Mord gehen auf das Konto des Täters; die bizarren Umstände, eine Fesselung und Auspeitschung der Opfer, sorgen für zusätzliches Entsetzen. Nora Acton erweist sich als schwierige Patientin, deren Erinnerungen unzuverlässig erscheinen und die sich gegen die ungewohnte und damals revolutionäre Vorgehensweise der Psychoanalyse wehrt. Dr. Younger wiederum hat mit doppelter Verunsicherung zu kämpfen, zum einen sieht er sich gezwungen, unter den Augen des von ihm bewunderten Sigmund Freud eine überzeugende Leistung abzuliefern, und zum anderen entwickelt er recht schnell tiefere Gefühle für Nora, auch wenn er diese als Resultat der Behandlung zu erklären versucht.
Bis zum Schluss ergeben sich einige unvorhersehbare Wendungen, denn vieles ist anders, als es auf den ersten Blick erscheint, und bis zu diesem turbulenten Finale, in dem die Masken fallen, muss der Leser um weitere mögliche Opfer bangen, erst recht um die Sicherheit von Nora Acton, die als Zeugin auch ohne zuverlässige Erinnerung in Gefahr schwebt.
Verquickung von Realität und Fiktion
Auch wenn Sigmund Freud nicht die zentrale Gestalt des Romans ist (denn diese Aufgabe kommt Stratham Younger zu), wird er als interessanter Charakter eingeführt, eine Autoritätsperson mit zugleich väterlicher Gutmütigkeit, scharfsinnig und zurückhaltend in einem. Stratham Younger ist ein ganz eindeutiger Sympathieträger, ein junger Arzt, der unter dem Suizid seines Vaters leidet und trotz seiner Intelligenz nicht frei von Unsicherheiten ist.
Zwielichtig in Szene gesetzt wird dagegen Carl Gustav Jung. Von seiner Ankunft in Amerika an distanziert er sich von seinen Kollegen und deutet vermehrt eine kritische Haltung gegenüber Freuds Theorien an. Der einstige Schüler entwickelte sich später zu einem Gegner des Vaters der Psychoanalyse, und erste Anzeichen für diesen Bruch werden hier in die Handlung mit eingewoben. Zunächst gewöhnungsbedürftig sind die verschiedenen Perspektiven, da einmal aus der Ich-Perspektive Youngers und dann wieder aus der Sicht eines unbeteiligten Erzählers gesprochen wird, der wiederum abwechselnd die Handlungsstränge um Younger und Freud sowie um die Ermittler Coroner Hugel und Detective Littlemore verfolgt. Der knurrige, erfahrene Coroner Hugel wählt ausgerechnet den Neuling Littlemore zum Assistenten, der sich mit Feuereifer auf seinen ersten Mordfall stürzt und, zum Amüsement des Lesers, voller Begeisterung wilde Theorien entwickelt. Allerdings entwickelt sich der überaus sympathische Littlemore von einer Humorfigur nach und nach zu einem fähigen Ermittler, der sich immer näher an die Wahrheit heranarbeitet. Eine nette Einbettung in die Handlung ist auch seine Romanze mit dem Dienstmädchen Betty, das ursprünglich als Zeugin für den Mord fungierte.
Der Aufhänger für den Roman ist Freuds bis heute nicht ganz geklärte Abneigung gegen die USA nach seiner Vortragsreise. Die Verwicklung in einen mysteriösen Mordfall ist eine gelungene, phantasievolle Begründung für Freuds Verhalten. Zudem wurden zahlreiche verbürgte Zitate von Freud und Jung in ihre Dialoge miteingebaut, sodass Kenner der Psychoanalyse ihren Spaß daran haben werden, die biografisch korrekten Elemente herauszufiltern. Auch Historienfreunde kommen auf ihre Kosten, denn das New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildet einen bunten Schauplatz, der gerade im Begriff ist, sich zur Modernität aufzuschwingen, und in dem zahlreiche neue Erfindungen auf dem Vormarsch sind. Es ist eine Zeit, in der die Automobile allmählich die Droschken auf den Straßen verdrängen, in der sich die Architekten mit den höchsten Gebäuden gegenseitig zu übertreffen anstreben und in der aristokratische Dynastien wie die Vanderbilts und die Astors den Ton der Gesellschaft angeben.
Nur geringe Schwächen
Auch den Anhängern der Psychoanalyse werden Freuds Analysen teilweise zu hellseherisch erscheinen. Dank seiner Theorien gelingen ihm auf Gesellschaften Erkenntnisse über das Leben fremder Leute, die nicht mehr realistisch sind. Des Weiteren müssen Historienfreunde hinnehmen, dass der Autor einige Fakten zugunsten seiner Geschichte abwandelt oder zeitlich versetzt. So wurde beispielsweise das Leichenschauhaus in einen anderen Stadtteil versetzt, der Baufortschritt der Manhattan Bridge verändert und ein Streik ein paar Monate früher angesetzt. Zudem fällt Noras Charakter gegenüber den anderen Figuren ab, sie wird recht klischeehaft gestaltet, was sich vor allem in der Auflösung aller Zusammenhänge offenbart.
Fazit:
Eine gelungene Mischung aus Historienroman und Thriller, in dem Sigmund Freud eine wichtige Rolle spielt. Die verschachtelte Handlung kann mit einigen überraschenden Wendungen aufwarten, und die Hauptfiguren überzeugen. Kleine Abstriche gibt es für ein paar konstruierte Elemente und eine klischeehafte Nebenfigur. Ansonsten sehr lesenswert, auch ohne Vorkenntnisse in der Psychoanalyse.
Ausgabe: 2007
Seiten: 528
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* * * * *
Der Autor:
Jed Rubenfeld, Jahrgang 1959, ist Professor an der Yale-Universität und Experte für Verfassungsrecht. "Morddeutung" ist sein erster Roman und setzte sich direkt an die Spitze der Bestsellerlisten. Die Filmrechte wurden bereits verkauft.
Inhalt:
New York, 1909: Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud trifft per Schiff zu seiner Amerikareise ein. Geplant ist eine Reihe von Vorträgen an der Clark University. Begleitet wird er von zwei Kollegen, dem ernsten Züricher Carl Jung und dem herzlichen Ungarn Sándor Ferenczi. Sie werden von dem amerikanischen Psychoanalytiker Stratham Younger empfangen, einem jungen Mediziner, der bemüht ist, Freuds bahnbrechende Theorien in den USA zu verbreiten.
Zur gleichen Zeit wird in einem Luxusappartement eine junge Frau grausam ermordet. Ihr Körper hängt an einem Kronleuchter, und sie wurde ausgepeitscht, ehe der Mörder sie erwürgte. Kurz darauf wird die junge, aristokratische Miss Nora Acton auf ähnliche Weise misshandelt, kann jedoch gerettet werden, während der Täter flieht. Miss Acton hat jedoch jede Erinnerung an den Mörder und die Geschehnisse verloren und verweigert zunächst sogar die Sprache.
Die Polizei setzt große Hoffnungen in die einzige Zeugin. Stratham Younger wird beauftragt, mit Freuds Unterstützung das Trauma aufzuarbeiten, damit Miss Actons verdrängte Erinnerungen endlich wieder in ihr Bewusstsein zurückkehren. Die Arbeit kommt nur mühsam voran, da sich Miss Acton zunächst gegen die ungewöhnliche Therapie sperrt. Bald darauf deutet sich an, dass die Suche nach dem Mörder in die höchsten Kreise der New Yorker Gesellschaft führt. Die Zeit drängt, denn es besteht die Gefahr, dass der Täter erneut zuschlägt - oder Miss Acton als Zeugin ausschalten wird. Allerdings wird der Fall auch zunehmend verwirrender, und Younger weiß bald kaum noch, wem er trauen darf ...
Bewertung:
Schon die Amerikareise von Sigmund Freund und Carl Friedrich Jung alleine böte genug Stoff für einen historischen Roman, die Verquickung mit einer Thriller-Handlung sorgt jedoch für einen besonderen Reiz.
Tätersuche mit Tücken
Der Fall wirft gleich zu Beginn viele Fragen auf, die nur ganz allmählich beantwortet werden und bis kurz vor Schluss eher stets neue Überraschungen mit sich bringen. Eine Leiche und ein versuchter Mord gehen auf das Konto des Täters; die bizarren Umstände, eine Fesselung und Auspeitschung der Opfer, sorgen für zusätzliches Entsetzen. Nora Acton erweist sich als schwierige Patientin, deren Erinnerungen unzuverlässig erscheinen und die sich gegen die ungewohnte und damals revolutionäre Vorgehensweise der Psychoanalyse wehrt. Dr. Younger wiederum hat mit doppelter Verunsicherung zu kämpfen, zum einen sieht er sich gezwungen, unter den Augen des von ihm bewunderten Sigmund Freud eine überzeugende Leistung abzuliefern, und zum anderen entwickelt er recht schnell tiefere Gefühle für Nora, auch wenn er diese als Resultat der Behandlung zu erklären versucht.
Bis zum Schluss ergeben sich einige unvorhersehbare Wendungen, denn vieles ist anders, als es auf den ersten Blick erscheint, und bis zu diesem turbulenten Finale, in dem die Masken fallen, muss der Leser um weitere mögliche Opfer bangen, erst recht um die Sicherheit von Nora Acton, die als Zeugin auch ohne zuverlässige Erinnerung in Gefahr schwebt.
Verquickung von Realität und Fiktion
Auch wenn Sigmund Freud nicht die zentrale Gestalt des Romans ist (denn diese Aufgabe kommt Stratham Younger zu), wird er als interessanter Charakter eingeführt, eine Autoritätsperson mit zugleich väterlicher Gutmütigkeit, scharfsinnig und zurückhaltend in einem. Stratham Younger ist ein ganz eindeutiger Sympathieträger, ein junger Arzt, der unter dem Suizid seines Vaters leidet und trotz seiner Intelligenz nicht frei von Unsicherheiten ist.
Zwielichtig in Szene gesetzt wird dagegen Carl Gustav Jung. Von seiner Ankunft in Amerika an distanziert er sich von seinen Kollegen und deutet vermehrt eine kritische Haltung gegenüber Freuds Theorien an. Der einstige Schüler entwickelte sich später zu einem Gegner des Vaters der Psychoanalyse, und erste Anzeichen für diesen Bruch werden hier in die Handlung mit eingewoben. Zunächst gewöhnungsbedürftig sind die verschiedenen Perspektiven, da einmal aus der Ich-Perspektive Youngers und dann wieder aus der Sicht eines unbeteiligten Erzählers gesprochen wird, der wiederum abwechselnd die Handlungsstränge um Younger und Freud sowie um die Ermittler Coroner Hugel und Detective Littlemore verfolgt. Der knurrige, erfahrene Coroner Hugel wählt ausgerechnet den Neuling Littlemore zum Assistenten, der sich mit Feuereifer auf seinen ersten Mordfall stürzt und, zum Amüsement des Lesers, voller Begeisterung wilde Theorien entwickelt. Allerdings entwickelt sich der überaus sympathische Littlemore von einer Humorfigur nach und nach zu einem fähigen Ermittler, der sich immer näher an die Wahrheit heranarbeitet. Eine nette Einbettung in die Handlung ist auch seine Romanze mit dem Dienstmädchen Betty, das ursprünglich als Zeugin für den Mord fungierte.
Der Aufhänger für den Roman ist Freuds bis heute nicht ganz geklärte Abneigung gegen die USA nach seiner Vortragsreise. Die Verwicklung in einen mysteriösen Mordfall ist eine gelungene, phantasievolle Begründung für Freuds Verhalten. Zudem wurden zahlreiche verbürgte Zitate von Freud und Jung in ihre Dialoge miteingebaut, sodass Kenner der Psychoanalyse ihren Spaß daran haben werden, die biografisch korrekten Elemente herauszufiltern. Auch Historienfreunde kommen auf ihre Kosten, denn das New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildet einen bunten Schauplatz, der gerade im Begriff ist, sich zur Modernität aufzuschwingen, und in dem zahlreiche neue Erfindungen auf dem Vormarsch sind. Es ist eine Zeit, in der die Automobile allmählich die Droschken auf den Straßen verdrängen, in der sich die Architekten mit den höchsten Gebäuden gegenseitig zu übertreffen anstreben und in der aristokratische Dynastien wie die Vanderbilts und die Astors den Ton der Gesellschaft angeben.
Nur geringe Schwächen
Auch den Anhängern der Psychoanalyse werden Freuds Analysen teilweise zu hellseherisch erscheinen. Dank seiner Theorien gelingen ihm auf Gesellschaften Erkenntnisse über das Leben fremder Leute, die nicht mehr realistisch sind. Des Weiteren müssen Historienfreunde hinnehmen, dass der Autor einige Fakten zugunsten seiner Geschichte abwandelt oder zeitlich versetzt. So wurde beispielsweise das Leichenschauhaus in einen anderen Stadtteil versetzt, der Baufortschritt der Manhattan Bridge verändert und ein Streik ein paar Monate früher angesetzt. Zudem fällt Noras Charakter gegenüber den anderen Figuren ab, sie wird recht klischeehaft gestaltet, was sich vor allem in der Auflösung aller Zusammenhänge offenbart.
Fazit:
Eine gelungene Mischung aus Historienroman und Thriller, in dem Sigmund Freud eine wichtige Rolle spielt. Die verschachtelte Handlung kann mit einigen überraschenden Wendungen aufwarten, und die Hauptfiguren überzeugen. Kleine Abstriche gibt es für ein paar konstruierte Elemente und eine klischeehafte Nebenfigur. Ansonsten sehr lesenswert, auch ohne Vorkenntnisse in der Psychoanalyse.
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