15. Juni 2012

Der weiße Wolf - Frederick Marryat

Produktinfos:

Erscheinungsjahr: 2010
Laufzeit: 60 Minuten
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Der Autor:

Frederick Marryat, 1792-1848, verließ früh die Schule und gab seinem Herzenswunsch nach, zur See zu gehen. Er wurde zum Leutnant, Kommandeur und Flottenkapitän befördert. Ab 1830 widmete er sich dem Schreiben und verfasste zahlreiche Seefahrtromane wie Der Flottenoffizier, Peter auf den sieben Meeren, Das Gespensterschiff oder der Fliegende Holländer, zunächst für Erwachsene, später auch für Jugendliche.

Inhalt:

Transsilvanien, Anfang des 19. Jahrhunderts: Der wohlhabende Gutsverwalter Krantz ist glücklich mit seiner Frau Ludmilla, den drei Kindern Cäsar, Armin und Marcella und seiner Arbeit als Leibeigener des Fürsten Istvan - bis ihn seine Frau mit dem Fürst betrügt und er die beiden im Affekt erschießt. Unmittelbar nach der Tat flüchtet er mit seinen Kindern ins Harzgebirge, um dort ein neues Leben anzufangen.

Krantz verachtet die Frauen von nun an und zeigt das auch seiner Tochter Marcella, aber dennoch fühlen sich die Kinder allmählich heimisch in der neuen, einsamen Umgebung. Sie ernähren sich von den Jagderfolgen des Vaters und den Früchten aus dem Garten. Im Winter streifen Wölfe umher. Schließlich machen Krantz und Armin Jagd auf einen weißen Wolf, der sich nah ans Haus heranwagt, können ihn aber nicht erlegen. Gerade als sie umkehren wollen, finden sie einen Mann und eine junge Frau, die sich im Schneesturm verirrt haben.

Krantz nimmt Wilfried von Barnsdorf und seine schöne Tochter Kristina gern bei sich auf, und die beiden zeigen sich sehr dankbar. Während sich die Männer gut verstehen und sogar als entfernte Verwandte entpuppen, fühlt sich der junge Armin von der betörenden Kristina magisch angezogen. Auch Krantz ergeht es nicht anders, und bald schon heiratet er sie. Marcella hat Mühe damit, ihre neue Stiefmutter zu akzeptieren. Dann beobachten die Kinder eines Nachts überrascht, dass sich Kristina aus dem Haus schleicht ...

Bewertung:

Fremde, die spontan aufgenommen werden; eine Frau, die nicht nur betörend schön und verführerisch, sondern auch irgendwie bedrohlich ist - diese Zutaten erinnern ein bisschen an die bereits umgesetzte Erzählung "Carmilla" von Sheridan LeFanu. Wem jenes Hörspiel zugesagt hat, der wird auch ganz sicher hieran Gefallen finden.

Es ist ein wunderbares Setting, das den Ausgangspunkt für die zunehmend schaurige Handlung bildet: das verschneite Harzgebirge, heulende Wölfe rund um die einsame Hütte, sechs Menschen, die auf engem Raum zusammen dem tiefen Winter trotzen. Von Anfang an liegt ein Hauch von Unheil in der Luft, schon als sich die schöne Kristina auf dem Weg zur Hütte eng an den jungen Armin schmiegt und den Jungen mit ihren Reizen verwirrt. Am nächsten Morgen badet sie sich ganz ungeniert vor seinen Augen und genießt die Situation mit dem verlegenen Armin ganz offensichtlich. In den folgenden Wochen entwickelt sich ein melancholisches Familiendrama. Während sich Krantz und Kristina immer öfter bis spät in die Nacht hinein unterhalten, liegt Armin schlaflos im Bett, voll unvernünftiger, aber unheilbarer Eifersucht auf den Vater, die den Höhepunkt erreicht, als Kristina zu seiner Stiefmutter wird. Auch wenn bis dahin noch kein Grusel in Sicht ist, ziehen diese Entwicklungen den Hörer in den Bann.

Unheimlich wird es erstmals bei der seltsamen Zeremonie, in der Wilfried von Barnsdorf seine Tochter mit Krantz vermählt - mangels Priester in der abgelegenen Gegend übernimmt er dieses Amt und lässt den Bräutigam ein Gelübde "bei den Geistern des Harzgebirges" ablegen. Sollte er Kristina Schaden zufügen, soll der Fluch seine Kinder treffen, und nur die leidenschaftliche Liebe zu seiner künftigen Frau kann Krantz dazu bringen, diese Worte trotz seiner Bedenken zu sprechen. Schließlich taucht der titelgebende weiße Wolf wieder auf, und die Kinder sehen immer wieder, wie sich Kristina nachts in die Kälte hinausschleicht. Was sie dort macht und was der Wolf damit zu tun hat, ist für den Hörer gewiss keine große Überraschung, aber trotzdem effektvoll in Szene gesetzt. Vor allem scheut das Hörspiel nicht davor zurück, einigen Figuren ein grausames Schicksal zu bescheren. So ruhig die Handlung auch lange Zeit verläuft, in der zweiten Hälfte gibt es einige traurige und mitreißende Ereignisse, die den Hörer erschüttern, und über dem Schluss liegt eine ordentliche Portion Beklemmung.

Die Charaktere sind überzeugend und teils schön vielschichtig gestaltet. Da ist einmal Krantz, der einerseits ein Patriarch ist, der vor allem gegenüber Marcella oft zu viel Härte zeigt. Andererseits versteht der Hörer, dass er erst durch den schweren Verrat seiner ersten Frau und seinen Fürsten so hart wurde, zumal er angesichts Kristinas Gegenwart wieder aufblüht. Kristina ist augenscheinlich eine sanfte, vernünftige Frau, die sich in Krantzens Gegenwart bemüht, den Kindern eine gute Mutter zu sein. Gleichzeitig aber lässt sie keine Gelegenheit aus, um ihren Stiefsohn in Verwirrung zu stürzen, was sie nicht sympathisch macht. Wilfried von Barnsdorf erscheint erst als jovialer Charakter, ein Landsmann, Vetter und Leidensgenosse von Krantz, was die beiden gleich zu engen Verbündeten macht. Dass dies nur eine Seite seiner Person ist, ahnt man gleich, ohne es direkt benennen zu können, was er im Schilde führt.

Die Sprecher sind, wie bei der Reihe üblich, mit viel Bedacht gewählt und passen zu den Charakteren. Bettina Weiß, bekannt vor allem als Synchronstimme von Sandra Bullock, spricht ihre Rolle als Kristina mit dunkler, kehliger Stimme, teils verführerisch flüsternd, teils sanft. Axel Lutter passt gut zum leutseligen Wilfried, der aber auch eine andere Seite zeigen kann. Nicolas Artajo, alias deutsche Stimme von Jamie Bell, passt grundsätzlich sehr gut zu dem leicht unsicheren Jungen, der gleichzeitig als rückblickender Ich-Erzähler fungiert. Aber in den Anfangspassagen klingt er ein bisschen zu teilnahmslos, was sich dann später aber gibt. Die Geräuschkulisse bietet eine ideale Untermalung der Handlung. Vor allem die leise Klaviermusik im Hintergrund, wenn Armin als Erzähler spricht oder sich mit Kristina unterhält, ergänzt wunderbar die Stimmung und lässt die Sehnsucht des Jungen noch besser spüren.

Fazit:

Ein über weite Strecken melancholisches und gefühlvolles Gruselhörspiel, das gegen Ende zunehmend dramatischer wird. Die Sprecher sind fast durchgehend perfekt und passen sehr gut zu ihren Rollen. Die Handlung ist teils für den Hörer vielleicht etwas vorhersehbar, trotzdem aber insgesamt eine sehr gute Folge.

Sprechernamen:

Armin: Nicolas Artajo
Krantz: Peter Reinhardt
Marcella: Gabrielle Pietermann
Cäsar: Max Felder
Kristina: Bettina Weiß
Wilfried: Axel Lutter

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