10. Juni 2012

Der Glanzrappe - Robert Olmstead

Produktinfos:

Ausgabe: 2009
Seiten: 264
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Der Autor:

Robert Olmstead wurde 1964 in New Hampshire geboren und arbeitet nach seinem Studium heute als Dozent für Kreatives Schreiben, nachdem er schon Tellerwäscher, Viehzüchter und Englischlehrer gewesen ist. Zu seinem von der Literaturkritik hochgelobtem Werk gehören einige Kurzgeschichten und Romane wie "Spuren von Herzblut, wohin wir auch gehen", "Jagdsaison" und das autobiografisch gefärbte "Geh nicht fort."

Inhalt:

Mai, 1863: Die USA befinden sich mitten im Sezessionskrieg. Mit Thomas "Stonewall" Jackson ist gerade einer der bedeutendsten Generäle der Südstaaten gefallen. Die Mutter des vierzehnjährigen Robey Childs sieht das als Zeichen, dass der Krieg bald zu Ende sein wird, und schickt ihren Jungen los, den Vater heimzuholen, der für die Konföderierten kämpft. Der tapfere Robey beugt sich dem Wunsch der Mutter und reitet sofort los.

Unterwegs macht er Rast beim Krämerladen von Mr. Morphew. Als dieser Robeys erschöpftes und lahmendes Pferd sieht, überlässt er ihm leihweise seinen prächtigen Rapphengst. Auf diesem wunderschönen Tier setzt Robey seinen Weg fort, in Richtung Fluss, wo die Armee stationiert sein soll. Schon sehr bald merkt er, dass es mit dem Pferd etwas Besonderes auf sich hat. Es scheint nie zu ermüden, sogar im Lauf zu schlafen und den Weg von allein zu suchen.

Auch andere Leute sind von dem schönen Pferd fasziniert, und durch eine Nachlässigkeit wird es Robey gestohlen. Der Junge nimmt die Verfolgung auf, in der Hoffnung, nicht nur seinen Vater, sondern auch sein Pferd wiederzufinden. Während er sich dem Fluss nähert, begegnet er unzähligen Verwundeten und erlebt hautnah die Schrecken des Krieges ...

Bewertung:

Hierzulande ist der Amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865, auch als Sezessionskrieg bekannt, ein eher wenig beachtetes Thema, sieht man mal von Klassikern wie "Vom Winde verweht" oder "Fackeln im Sturm" ab. Das sieht in den USA auch rund 150 Jahre später anders aus, und die Grausamkeit dieses für damalige Verhältnisse erstaunlich modernen Krieges inspiriert nach wie vor zu literarischen Umsetzungen.

Packend und poetisch

Robert Olmstead gelingt es, die Schrecken des Krieges so gut einzufangen und wiederzugeben, wie es einem Buch nur möglich ist. Als vierzehnjähriger Junge zieht Robey von zuhause los, um innerhalb weniger Monate all seine Jugendlichkeit einzubüßen. Manchmal begegnet er tagelang keiner Menschenseele und kann sich an der Natur erfreuen, manchmal durchquert er Schlachtfelder mit Tausenden von Toten und Verwundeten mit Verletzungen aller Art. Der Autor schwelgt nicht in Grausamkeiten, aber gerade die nüchterne Sprache und die knappen, prosaischen Bemerkungen der Geschehnisse treffen den Leser ins Mark.

Dabei hat er keine Übertreibungen nötig, denn die Aufzeichnungen decken sich mit den hier geschilderten Grausamkeiten. Da sind Männer ohne Arme oder ohne Beine oder ohne alles davon, Männer mit Schusswunden in Bauch oder Kopf und Männer ohne Gesicht. Manche leben noch tagelang, rufen nach Wasser, vertrauen Robey ihre tiefsten Geheimnisse im Sterben an und geben ihm ihre Briefe und Fotos, damit sie keinem Leichenfledderer in die Hände fallen. Der durchdringende Blutgeruch nach Eisen, der Robey anfangs beinah umkippen lässt, macht ihm bald kaum noch etwas aus. Das Grauen wird Alltag, aber auch wenn Robey immer souveräner mit diesen Erlebnissen umgeht, zeichnen ihn die Bilder ebenso wie die Veteranen.

Parallel dazu zeichnet der Erzähler poetische Bilder, ohne in die Klischeekiste zu greifen. Trotz spartanischer Beschreibungen verzaubern die Augenblicke, in denen Robey durch die einsamen Landschaften reitet, wo Rinder grasen und Gutshäuser liegen, die so dank ihrer Abgeschiedenheit vom Krieg nicht berührt wurden. Morbide Schönheit strahlt ein Pferdegerippe aus, das von Moos überwuchert ist und dessen Knochen eine Windmelodie spielen. Und auch wenn Spannung nicht des Erzählers vordringliches Ziel ist, kommt auch sie nicht zu kurz - in dieser überwiegend düsteren Atmosphäre ist weder gesichert, dass Robey seinen Vater finden wird, noch, dass er selbst den Krieg überlebt.

Gelungener Protagonist

Schon sehr bald stellt Robey fest, dass im Krieg am Ende nur der Krieg gewinnt. Er ist der Protagonist eines Bildungsromans, den die Erlebnisse in kürzester Zeit rapide altern lassen. Natürlich ist ein Vierzehnjähriger zur Zeit des Bürgerkriegs nicht mit heutigen Teenagern vergleichbar, trotzdem gibt es immer wieder Szenen, in denen er verunsichert reagiert und der Verzweiflung nah ist, weil ihn alles überfordert. Sein Pferd ist lange Zeit sein einziger Vertrauter, und auch der geht ihm plötzlich durch einen Diebstahl verloren.

Eine für den weiteren Verlauf wichtige Figur ist ein Mädchen, das mit einem Geistlichen und einer blinden Frau reist, dessen Vergewaltigung Robey hilflos aus einem Versteck miterlebt. Später begegnet er ihr wieder, und sie ist der einzige Mensch, dem er in dieser Zeit näherkommt, und auch das ist zunächst eher eine Zweckgemeinschaft. Am Ende des Romans trägt Robey trotz seines jugendlichen Alters die Verantwortung eines Erwachsenen, es bleibt aber kein Zweifel, dass er diese Reife auf einem unschönen Weg gewonnen hat.

Nur kleine Mängel

Dafür dass das Buch den Titel "Der Glanzrappe" trägt, spielt das Pferd insgesamt eine kleinere Rolle als womöglich vermutet. Das beinah magische Gespür des Tiers fasziniert anfangs, bei diesen Andeutungen bleibt es allerdings. Schließlich geht Robey der Rappe, der leider namenlos bleibt, vorübergehend verloren und spielt in dieser Zeit nur in Robeys Gedanken eine Rolle. Ohne Frage ist er eine interessante Figur, über die man aber weniger erfährt als angenommen.

Auf keinen Fall darf man hier außerdem einen typischen Historienroman erwarten, der über die Hintergründe und die Zeit informiert. Bis auf ganz wenige Eckpunkte wie den gefallenen Thomas Jackson und Gettysburg, wo sich das Schicksal des Krieges wendete, lässt sich die Handlung auf beinah jeden anderen Krieg übertragen. Nur sehr selten werden die Sklaven erwähnt, und zentrale Namen wie Abraham Lincoln fallen überhaupt nicht. Wer also Interesse am genauen Verlauf des Sezessionskrieges hat, wird hier keine Antworten finden. Stattdessen präsentiert das Werk ein Porträt seines Protagonisten, und die genauen Kriegsumstände bleiben absichtlich im Dunkeln, um zu verdeutlichen, wie ähnlich sich Kriege zu jeder Zeit und an jedem Ort sind.

Fazit:

Ein berührender Entwicklungsroman, der im Amerikanischen Bürgerkrieg spielt und durch erschreckende Schilderungen und Spannung überzeugt. Der Fokus liegt eindeutig auf der Hauptfigur statt auf den historischen Umständen, weshalb Bürgerkriegs-Interessierte enttäuscht sein könnten.

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