6. Juli 2012

Ulrike kommt ins Internat - Marie Louise Fischer

Produktinfos:

Ausgabe: 1963
Seiten: 128
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Die Autorin:

Marie-Louise Fischer, 1922-2005, zählt zu den bekanntesten Autorinnen Deutschlands. Sie studierte zunächst Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften, ehe sie als Dramaturgin in Prag arbeitete. Mit 29 Jahren erschien ihr erster Roman. Seitdem verfasste sie mehr als hundert Bücher, vorwiegend Gesellschafts- und Frauenromane. Vor allem ihre meist mehrbändigen Mädchenromane wurden zu Klassikern innerhalb der Jugendbuchliteratur, z.B. die Reihen "Ulrike", "Klaudia" und "Michaela".

Inhalt:


Die zwölfjährige Ulrike lebt seit knapp zwei Jahren mit ihren jungen Tanten Emmy und Sonja zusammen, da Ulrikes Eltern beruflich nach Persien reisen mussten. Obwohl Ulrike ihre Eltern vermisst, genießt sie ihr Leben bei den Tanten, die das Mädchen wie eine gleichaltrige Freundin behandeln. Als die Eltern endlich zu Besuch nach Hause kommen, sind sie sehr verwundert über Ulrikes Verhalten. Das Mädchen benimmt sich furchtbar altklug und geziert und hat keine einzige Freundin in seinem Alter.

Zu Ulrikes Entsetzen beschließen die Eltern, sie für eine Weile ins Internat zu geben, damit sie dort endlich Anschluss an Gleichaltrige findet. Dass auch Ulrikes Klassenkameradin und Nachbarin Gaby nach Hartenstein kommt, ist kein Trost, denn Ulrike findet die fröhliche und burschikose Gaby bloß albern.

Im Internat fällt es Ulrike sehr schwer, sich an die neuen Umstände zu gewöhnen. Aus lauter Trotz benimmt sie sich so unleidlich wie möglich. Am liebsten wäre ihr, man würde sie direkt wieder hinauswerfen. Die vielen Vorschriften sind ihr verhasst, sie kann nie alleine sein und niemand dort ist ihr auf Anhieb sympathisch, erst recht nicht die energische Zimmerverantwortliche Katja. Aber mit der Zeit lernt Ulrike zu ihrer Verwunderung auch die positiven Seiten des Internatslebens und die Bedeutung von Freundschaft kennen ...

Bewertung:

Marie Louise Fischer war sicher die Königin der Mädchen- und Internatsromane, in denen gerne eine dickköpfige Protagonistin die Hauptrolle spielte. Im ersten der drei Ulrike-Bänden, die zur Not auch unabhängig voneinander gelesen werden können, ist das zwölfjährige Mädchen zu Beginn noch eine sehr altkluge Einzelgängerin. Ein Internat ist für sie eine grauenhafte Vorstellung und nur sehr allmählich lernt sie die Vorzüge dieses neuen Lebens kennen. Obwohl Ulrike einige charakterliche Macken besitzt, eignet sie sich für junge Leserinnen als Identifikationsfigur - es ist leicht nachzuvollziehen, wie schwer ihr das neue Leben fällt und dass sie anfangs darauf baut, binnen einer Woche wieder zuhause zu sein. Ulrike ist gewiss kein schlechter Mensch, sondern einfach nur durch das jahrelange Zusammenleben mit den beiden Tanten den Gleichaltrigen entfremdet worden. Sie trägt lieber feine Kleider als praktische Hosen, legt Wert auf gute Manieren, liest viel und bemüht sich stets, einen erwachsenen Eindruck zu hinterlassen. Dabei vergisst sie ganz, dass sie mit ihren zwölf Jahren noch ein Kind ist und dass sie vor allem Spielkameraden in ihrem Alter haben sollte.

Das Internatsleben bedeutet zunächst einen Kulturschock für Ulrike: Maximal wenige Minuten am Tag kann sie alleine sein, ansonsten ist der ganze Tag verplant, angefangen mit Frühsport bis hin zum Abendessen. Von den Schülerinnen wird erwartet, dass sie mindestens ein oder zwei Freizeitkurse belegen, um sich sportlich, künstlerisch oder wissenschaftlich fördern zu lassen, was Ulrike, die am liebsten den ganzen Tag lesen würde, gehörig gegen den Strich geht. Auch beim Essen stellt sie sich quer, denn vieles entspricht nicht der Luxusqualität, die sie von zuhause gewohnt ist. Am schlimmsten ist aber für sie, dass jede Gruppe eine Zimmerverantwortliche hat, in ihrem Fall die fünfzehnjährige Katja Kramer. Die ernste, energische Katja duldet keine Widerworte, was Ulrike, die Anweisungen nicht gewohnt ist, nur noch wütender macht. Zu allem Überfluss ist auch Gaby auf ihrem Zimmer, die sich im Gegensatz zu Ulrike schnell, heimisch fühlt und die mit ihrer fröhlichen Art rasch Freundschaften schließt. Die vierte Zimmergenossin und ebenfalls ein Neuling ist die kleine, schüchterne Gerti Moll, die anfangs die Nächte durchheult und später noch für einige Dramatik sorgt. Ulrike hat anfangs nur Verachtung für das kleine Mädchen übrig, ehe sie erfährt, welche Probleme Gerti mit sich herumschleppt, die über Heimweh hinausgehen. Ganz allmählich begreift Ulrike, wie viel Sinn es macht, füreinander da zu sein und dass es ein schönes Gefühl gibt, wenn man anderen hilft.

Das Buch plädiert gegen Vorverurteilungen und macht Mut, sich neuen Lebenssituationen zu stellen. Ulrike ist am Ende des ersten Bandes immer noch einzelgängerisch und hat keine 180-Grad-Wandlung vollzogen, aber dennoch Kameradschaftlichkeit schätzen gelernt und befindet sich auf einem guten Weg. Sehr interessant ist das anfangs von ihr belächelte Strafpunkt-System in Hartenstein: Für jede Verfehlung wie Unordnung, Unpünktlichkeit oder Unfairness gibt es einen Strafpunkt, den sich die Schülerinnen aber selbst geben müssen. In Hartenstein verlassen sich die Erzieher auf die Ehre des Einzelnen, dass jeder ehrlich genug ist, um sich einen fälligen Strafpunkt zu geben, ohne dass er dafür eine Ermahnung von außen braucht. Bei einer gewissen Anzahl wartet ein Fußmarsch in den Nachbarort, also keine drakonische Strafe, sondern eher eine weitere Ermunterung zur körperlichen Ertüchtigung.

Trotz der teilweisen ernsten Thematik ist der Tenor des Buches insgesamt sehr humorvoll gehalten. Ulrikes Darstellung ist am Rand einer Karikatur, denn selten hat man eine so abgeklärte Zwölfjährige erlebt, die sich dazu zwingt, ihre entgeisterten Eltern nach zwei Jahren Abwesenheit mit einem Knicks zu begrüßen, statt ihnen um den Hals zu fallen. Sehr witzig ist auch das Zusammenspiel zwischen Ulrike und der ungestümen Gaby, die so gar nichts von feinen Kleidern hält, wenig Tischmanieren besitzt und gerne munter vor sich hinquasselt. Besonders amüsant ist das Gespräch zwischen Ulrike und der Erzieherin Fräulein Faust, die in einer Goethe-Anspielung hinterrücks seit Jahren nur "Gretchen" genannt wird. Fräulein Faust stellt Ulrike zur Rede, warum sie sich für keinen Freizeitkurs eingetragen hat und ist perplex von Ulrikes herablassender Art und der Andeutung, Fräulein Faust solle sich nicht aufregen, denn das mache vorzeitig alt.

Das sehr solide Buch hat insgesamt nur wenige Schwächen. Sicher ist Ulrikes Darstellung ein wenig zu überzeichnet geraten. So erwachsen wie sie spricht, kann man kaum glauben, dass sie erst zwölf Jahre alt sein soll, realistisch ist das nicht. Schade am Hartensteiner System ist außerdem, dass man nur zu auserwählten Zeiten und auch nur in der Bibliothek lesen darf, obwohl gerade das Lesen ruhig bei den Jugendlichen gefördert werden sollte. Für heutige Leser wirken die Ausdrücke der Internatsschüler teilweise unfreiwillig komisch, besonders freudige Ereignisse werden beispielsweise mit "knallig" und "der Oberfrosch" kommentiert. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist natürlich die lange Abwesenheit der Eltern. So gut es geht macht die Autorin deutlich, dass es keine leichte Entscheidung war, nach Persien zu gehen und dass Ulrike vor allem wegen ihrer empfindlichen Gesundheit zuhause geblieben ist. Trotzdem ist das gerade für die jüngsten Leser bestimmt ein wenig befremdlich, dass ein Kind so lange von den Eltern getrennt ist und ein bisschen zu einfach dargestellt.

Fazit:

Ein etwas altmodischer, aber immer noch sehr unterhaltsamer Mädchenroman, der den Auftakt zu einer dreibändigen Internats-Serie bildet. Die Geschichte ist lehrreich für Mädchen ab etwa zehn Jahren, die Hauptfigur lädt zur Identifikation ein. Trotz kleiner Mängel empfehlenswerte Lektüre.

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