4. Oktober 2012

Ein einziger Blick - Michelle Richmond

Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 512
Amazon
* * * * *

Die Autorin:

Michelle Richmond wurde in Alabama geboren und lebt heute mit ihrer Familie in San Francisco. Sie veröffentlichte zunächst einen Kurzgeschichtenband, mehrere Romane folgten. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben und gibt die Literaturzeitschrift "Fiction Attic" heraus. Auf Deutsch erschien bislang noch "Das Bootshaus unten am Fluss".

Inhalt:

Die Fotografin Abby ist mit ihrem Verlobten Jake und dessen sechsjähriger Tochter Emma glücklich. In wenigen Monaten soll die Hochzeit sein. Emmas Mutter ließ ihr Kind kurz nach der Geburt im Stich und Abby hofft inständig, dem Mädchen eine gute Stiefmutter zu sein. Eines Morgens macht sie mit Emma einen Ausflug an den Strand. Während Emma voraus läuft, ist Abby kurz abgelenkt und Sekunden später ist Emma spurlos verschwunden.

Abby sucht ohne Erfolg den ganzen Strand ab und verständigt schließlich die Polizei. Emma wird mit einem Großaufgebot vergeblich gesucht. Die Polizei vermutet, dass Emma ertrunken ist, doch Abby glaubt nicht daran, da das Mädchen Angst vor Wasser hat. Abbys Leben konzentriert sich von nun an nur noch darauf, Emma wiederzufinden. Sie startet Suchaktionen, geht ins Fernsehen, sucht nach Verdächtigen und möglichen Zeugen, die sie damals am Strand gesehen hat.

Unterdessen leidet die Beziehung zu Jake, der ihr nicht verzeihen kann, dass sie Emma verloren hat. Während Abby immer fanatischer in ihren Suchaktionen wird, kommt Jake allmählich zu der Überzeugung, dass Emma ertrunken ist. Zudem kehrt überraschend Lisbeth, Emmas leibliche Mutter, zurück und verstärkt Abbys Schuldgefühle. Trotz allem kann Abby nicht aufhören, nach Emma zu suchen ...

Protokoll einer verzweifelten Suche

Ein Kind verschwindet - Ausgangspunkt für viele Thriller und hier für einen Roman, der die Geschichte aus einer nicht ganz so oft verwendeten Perspektive beleuchtet.

~ Weitgehend spannend und emotional ~

Es wird dem Leser nicht schwer gemacht, mit Abby zu fühlen. Sie ist Emmas Stiefmutter und noch nicht wirklich mit dem Mädchen vertraut, was es umso schlimmer für sie macht, dass sie für ihr Verschwinden Verantwortung trägt. Einerseits wird ihr von der Umwelt keine Trauer eines Elternteils zugestanden, andererseits muss sie Vorwürfe ertragen. Von einer Sekunde auf die andere bricht ihre so rosig ausgemalte Zukunft zusammen. Die erfolgreiche Fotografin zieht sich von ihrer Arbeit zurück und legt ihr ganzes Leben darauf aus, Emma zu finden - eine innere Stimme sagt ihr, dass Emma nicht tot sein kann und dass es ihre Pflicht ist, sie wiederzubringen. Dabei durchlebt sie alle Stadien, von Verzweiflung bis über zeitweilige Hoffnung. Originell sind ihre Auseinandersetzungen mit der Gedächtnispsychologie. Abby liest sich ein umfassendes Wissen über das Erinnerungsvermögen an, in der Hoffnung, relevante Szenen kurz vor Emmas Verschwinden heraufzubeschwören. Diese Exkurse werden nicht zu trocken in die Handlung mit eingeflochten und immer schön von Abby mit ihren Erfahrungen als Fotografin verglichen, da es auch dort um das Einfangen und Behalten von Augenblicken geht.

Interessant ist auch, den Verlauf ihrer Beziehung zu Jake zu beobachten. Von einer Sekunde auf die andere ist ihr Glück zerbrochen, auch wenn Jake es anfangs zu verbergen sucht. Er vermeidet es, ihr offen die Schuld zuzusprechen, aber Abby merkt an seinem Verhalten, dass er ihr immer gehemmter gegenübertritt. Anstatt dass sie sich gegenseitig in dieser schweren Zeit unterstützen, isolieren sie sich immer mehr voneinander. Jake lehnt ihre Besuche mehr und mehr ab und verbringt die Abende und Nächte lieber allein in seiner Wohnung, Abby bleibt mit ihrem Kummer zurück. Dazu kommt Jakes Exfrau, die überraschend wieder in seinem auftaucht, nachdem sie ihn und die kleine Tochter seinerzeit zurückgelassen hatte. Auch wenn die beiden ein schlechtes Verhältnis zueinander hatten, ist sie Jake in dieser schweren Zeit näher als Abby - denn sie ist immerhin Emmas leibliche Mutter und gibt indirekt ebenfalls Abby die Schuld. Das Verschwinden des Mädchens und die Ermittlungsarbeiten sind nur ein kleiner Teil des Romans, der hauptsächlich ein Psychogramm einer Hinterbliebenen ist, die mit ihrer Schuld leben muss.

~ Ein paar Schwächen ~

Im Vergleich zu den meisten anderen Thrillern ist dieses Buch recht tempoarm. Die Handlung schleppt sich über Monate hin, es gibt kaum Wendungen oder Höhepunkte. Alles in allem hätte man den Bogen ruhig etwas straffen können, denn es wiederholen sich allmählich Abbys Gefühlszustände und der Leser sehnt sich nach neuen Erkenntnissen. Etwas seltsam angesichts Abbys verzweifelter Lage ist, dass sie sich zunächst so sehr gegen den Einsatz eines Hypnotiseurs sperrt und später nicht noch weitere Experten aufsucht, zumal sie ständig bemüht ist, ihre Erinnerung aufzufrischen. Zu ihrem ansonsten fast schon manischen Handeln hätte es gut gepasst, sich gleich mehreren Hypnotiseuren anzuvertrauen.

Hauptmanko ist wohl das recht simpel herbeigeführte Ende. Die Auflösung fällt Abby schließlich beinah in den Schoß und ist zu sehr von Zufall gezeichnet. Vor allem ahnt der Leser die Zusammenhänge recht früh und ist gar nicht überrascht, was hinter Emmas Verschwinden steckt. Das weitere Schicksal von Abby, das angedeutet wird, ist zwar wiederum angenehm realistisch gestaltet, kann aber nicht das konstruierte Finale ausgleichen.

Fazit:


Ein solider Roman um ein vermisstes Mädchen und die Suche ihrer Stiefmutter, der sich vor allem auf die psychologischen Aspekte der Angehörigen konzentriert statt auf die Ermittlungsarbeit. Die Handlung ist überwiegend spannend und emotional, aber auch von Längen durchzogen. Zudem ist das Ende etwa zu konstruiert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.