27. Oktober 2012

Echo einer Winternacht - Val McDermid

Produktdetails:

Ausgabe: 2004
Seiten: 550
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Die Autorin:

Val McDermid wurde 1955 geboren und wuchs in einer schottischen Bergarbeiterstadt auf. Sie studierte in Oxford und arbeitete als Dozentin für Englische Literatur und als Journalistin. Ihr Spezialgebiet als Autorin sind Thriller und Kriminalromane. Ihre Bücher werden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. Für den Roman "Das Lied der Sirenen" wurde sie 1995 mit dem Gold Dagger der britischen Crime Writers' Association ausgezeichnet. Weitere Werke von ihr sind unter anderem: "Ein Ort für die Ewigkeit", "Die Erfinder des Todes", "Schlussblende", "Ein kalter Strom", "Abgekupfert", Skrupellos" und "Das Kuckucksei".

Inhalt:


Dezember 1978: Die vier Studenten Alex, Ziggy, Mondo und Weird, Freunde seit Jugendtagen trotz unterschiedlichster Charaktere, kommen von einer Party und streifen durch die verschneite Nacht der schottischen Universitätsstadt St. Andrews. Da passiert etwas, das ihr aller Leben für immer verändern wird: Alex stolpert auf dem keltischen Friedhof über den Körper einer schwerverletzten jungen Frau. Während Medizinstudent Ziggy ihr erste Hilfe leistet, holt Alex den Streifenpolizisten Lawson herbei. Doch sie kommen zu spät - die junge Frau ist tot. Verblutet, offenbar erstochen.

Für die vier Jungen beginnt ein Albtraum. Die Polizei lässt keinen Zweifel daran, dass sie sie für die Täter halten. Es existieren keine Zeugen und keine weiteren Verdächtigen, alle vier haben in der Nacht Alkohol getrunken und jeder war zu einem Zeitpunkt auf der Party unbeobachtet. Zu allem Überfluss kannten die Jungs die tote Rosie Duff als Kellnerin in einem Pub, Alex war sogar verliebt in sie.
Die Ermittlungen verlaufen erfolglos, trotz mehrmaliger Verhöre wird keiner der Vier verhaftet. Doch sowohl für Rosies Familie als auch für viele ihrer Studienkollegen und der Leute im Dorf bleiben die Freunde auch ohne Verurteilung die Hauptverdächtigen.

Fünfundzwanzig Jahre später: Neben einer Reihe anderer Morde wird auch der ungeklärte Fall Rosie Duff wieder aufgerollt. Mit Hilfe neuer DNA-Untersuchungsmethoden will man einen erneuten Anlauf wagen. Die vier Freunde sind inzwischen unterschiedliche Wege gegangen, haben dabei aber stets den Kontakt gehalten. Alex ist glücklich mit Mondos jüngerer Schwester Lynn verheiratet. Die beiden erwarten das erste Kind. Ziggy ist ein berühmter Kinderarzt, Weird ist ein leicht überkandidelter Gemeindepriester geworden und Mondo hat eine akademische Laufbahn eingeschlagen. Doch die Vergangenheit holt sie erbarmungslos wieder ein, als zwei von ihnen kurz nacheinander ermordet werden, pünktlich zu Rosie Duffs 25. Todestag. Alex ahnt, dass hier jemand seine späte Rache nimmt. Der Polizei allerdings genügen die Beweise nicht, auch die erneuten Ermittlungen verlaufen schleppend. Um sein Leben zu retten, bleibt Alex nur eine Möglichkeit - er selbst muss den wahren Täter finden ...

Bewertung:


Das "Echo einer Winternacht" hallte nicht nur an den rauen Klippen der schottischen Küste, sondern auch in den Bestsellerlisten nach. Zu Recht, denn hinter dem dicken Schmöker mit dem stimmungsvollen Titelbild steckt ein spannender Krimi, der alle Leseratten in den Bann zieht - wenn auch nicht ohne Einschränkungen.

Dabei ist die Grundkonstellation des Romans zunächst alles andere als neu: Eine Handvoll Freunde, die zufällig in einen Mordfall verwickelt werden und von da an als Hauptverdächtige gelten, bis einer von ihnen den Mörder auf eigene Faust sucht - das hat man so oder so ähnlich bereits häufig in der Kriminalliteratur gelesen. Val McDermid gelingt es dennoch, diesen altbekannten Plot so solide zu präsentieren, dass man schnell von der Geschichte gefesselt wird. Auch der lockere, flüssig zu lesende Stil trägt dazu bei, dass man sich in wenigen Tagen/Nächten durch die knapp 550 Seiten liest. Die Dialoge der jungen Studenten wirken authentisch und ungekünstelt, die Sätze sind einfach und übersichtlich gehalten.

Das Hauptaugenmerk der Autorin liegt dabei sichtlich auf den Charakteren der Freunde, die trotz ihrer Unterschiedlichkeiten so eng miteinander verbunden sind. Da wäre zunächst Alex, der die Hauptfigur des Romans ist. Sein Leben und seine Gedanken nehmen den größten Teil des Werkes ein. Gleichzeitig ist er der geradlinigste Charakter der Vier, der sich auch nach fünfundzwanzig Jahren kaum verändert hat. Er ist derjenige, der die arme Rosie Duff auf dem Friedhof findet und damit derjenige, der den Stein ins Rollen bringt. Dem Leser fällt es leicht, sich mit ihm zu identifizieren - von Anfang an sieht man in ihm den zuverlässigen Hauptcharakter, der zu seinen Schwächen und Ängsten steht und in dem man sich wohl am ehesten von den Vieren wiedererkennt. Einerseits fehlen ihm gewisse markante Züge der anderen drei, andererseits trägt genau diese Durchschnittlichkeit zur Identifizierung bei.

Ziggy, eigentlich Sigmund Malkiewicz, steht Alex am nächsten. Sein bester Freund ist auch der einzige Mensch, der um Ziggys Homosexualität weiß. Ziggy erscheint als ruhiger, stets gefestigter Charakter, hinter dessen Oberfläche man jedoch eine vielschichtige Tiefgründigkeit spürt. Tom Mackie ist Weird (engl. für "seltsam"), der komische Kauz, der sich gerne mit Drogen vollpumpt und auch Mondo alias David Kerr macht seinem Spitznamen - abgeleitet von "Crazy Diamond" - alle Ehre.

Leider stecken in den Charakteren der beiden letztgenannten Figuren einige Schwächen: Weird macht im Verlauf des Buches eine erstaunliche und viel zu abrupte Wandlung durch. Als junger Student ist er der verrückteste der vier, der gerne zu Drogen greift und immer nur knapp mit einem blauen Auge davonkommt. Nach dem Mord entdeckt er urplötzlich seinen Sinn im Glauben und wird von heute auf morgen zum ultrareligiösen Christen. Im zweiten Teil des Buches, der 25 Jahre später spielt, wird sein Charakter wiederum gut dargestellt, eine amüsante Mischung aus dem schlagfertigen Frechdachs, der er früher einmal war und dem ernsthaften Gehabe eines religiösen Fundamentalisten. Nicht nur Alex, auch der Leser muss an manchen Stellen grinsen, wenn der ehemalige Wirrkopf sowohl in passenden als auch unpassenden Momenten feierlich den Glauben predigt.

Aber es fällt ausgesprochen schwer, diese Karikatur eines Geistlichen mit dem unberechenbaren Jungspund von 1978 in Einklang zu bringen. Weirds Wandlung vom Saulus zum Paulus kommt erst kurz vor Schluss des ersten Teils, der kurz danach abrupt abbricht. Der Leser wird dann im zweiten, 25 Jahre später spielenden Teil, fast unvermittelt mit dem "neuen Weird" konfrontiert, während die anderen drei ihr Grundwesen beibehalten haben. Dadurch, dass man von Weird nicht so viel mitbekommt wie vom Hauptcharakter Alex, erscheint seine Wandlung sehr überraschend und willkürlich, gerade so, als wolle die Autorin mit diesem originellen Charakter die Leser unterhalten ohne sein Verhalten begründen zu können.

Mondo ist insgesamt zu blass geraten für die wichtige Rolle, die er im Buch trägt. Er ist der labilste der vier Freunde, aber das Potential seines zerrissenen Charakters wird nicht voll ausgeschöpft. Am Ende des ersten Teils kommt ihm eine wichtige Rolle zu, als er bei einem missglückten Versuch, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, eine Tragödie auslöst. Leider endet genau an der Stelle der Teil aus dem Jahr 1978 und es erfolgt der nahtlose Sprung zu 2003. Im Rückblick wird mehrmals auf die Vergangenheit und die Entwicklung Mondos nach diesem Vorfall eingegangen, aber immer nur flüchtig, so dass das Bild des schwachen und schwierigen Mondos im Verhältnis zu den anderen Figuren verschwommen bleibt. Sein Charakter besitzt weder die sympathische Art von Alex und Ziggy, noch die schillernde Persönlichkeit des älteren Weird.

Etwas schade ist auch, dass der Täter relativ leicht zu erraten ist. Es kommen nur wenige Figuren in Betracht und bei den meisten Verdächtigen ahnt der Leser, dass man bei ihnen auf eine künstliche falsche Fährte geschickt werden soll. Das Buch ist keiner der typischen Thriller, bei denen man atemlos durch die Seiten hetzt und immer wieder mit den Verdächtigen als mögliche Täter umher jongliert. Die größte Spannung liegt zunächst in der Frage, welche der beiden Freunde ermordet werden und ob dieser Täter mit Rosie Duffs Mörder identisch ist. Beide Fragen werden relativ früh beantwortet, so dass der weitere Verlauf eher einem Drama ähnelt, bei dem man um Alex und seine kleine Familie bangt.

Überhaupt liegt der Schwerpunkt des Werkes auf gesellschaftskritischen Aspekten. In einem Interview mit der Zeitschrift "Brigitte" sagte Val McDermid, die Idee zu dem Roman sei ihr durch einen Fall in der Bekanntschaft gekommen. Eine Gruppe Studenten eilte dem Opfer einer Schlägerei zu Hilfe und wurde von der Polizei zunächst irrtümlich für die Täter gehalten.

Im "Echo einer Winternacht" ist das Opfer tot und kann nicht mehr für die Zeugen aussagen. Eine Nacht genügt, um vier junge Männer in einen Strudel aus Gewalt, Hass und Rache hineinzuziehen. Was nützt alle Unschuld, wenn man sie nicht beweisen kann? Alex und seine Freunde werden zwar von keinem Gericht, dafür aber von den Einwohnern St. Andrews verurteilt. Jeder der vier versucht, auch nach dem Vorfall sein Leben so gut wie möglich zu meistern. Doch die menschliche Natur braucht immer einen Schuldigen. Für die Hinterbliebenen von Rosie Duff sind das die vier Studenten, die für ihre schicksalhafte Begegnung büßen müssen. Einer von ihnen wird in einer Höhle eingesperrt, ein anderer brutal zusammengeschlagen, ihr aller Leben wird zu einem Spießrutenlaufen und am Ende werden zwei von ihnen sterben. Die Ereignisse jener Winternacht werfen einen Schatten auf das Leben der Männer, der auch nach 25 Jahren noch nicht erloschen ist.

Fazit:

"Echo einer Winternacht" ist unterm Strich ein dichter und über weite Strecken auch sehr spannender Krimi, der sich schnell und leicht herunter liest. Der Leser identifiziert sich rasch mit der Hauptperson und verfolgt gebannt seine Ermittlungen auf eigene Faust, um nach über zwanzig Jahren einen Mörder dingfest zu machen. Kein überragender, aber auf alle Fälle überdurchschnittlicher Roman um Rache, Schuld und die Flucht aus einer Vergangenheit, die einen immer wieder einholt.

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