30. September 2012

Ehrenwort - Ingrid Noll

Produktinfos:

Ausgabe: 2010
Seiten: 336
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Die Autorin:

Ingrid Noll wurde 1935 als Tochter eines Arztes in Shanghai geboren. Mit 14 Jahren siedelte ihre Familie nach Deutschland über, wo sie in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte zu studieren begann. Erst im Alter von 55 Jahren veröffentlichte sie mit "Der Hahn ist tot" ihren ersten Roman, der sofort die Bestsellerlisten stürmte. Es folgten weitere erfolgreiche Werke, u.a.: "Die Apothekerin", "Die Häupter meiner Lieben", "Selige Witwen" und "Röslein rot". Mehrere ihrer Bücher wurden bereits verfilmt.

Inhalt:

Der verwitwete Willy Knobel ist trotz seiner neunzig Jahre noch recht gut beisammen. Das ändert sich schlagartig, als er auf dem Küchenboden stürzt und sich den Oberschenkelhals bricht. Nach der Operation geht es mit seiner Gesundheit und dem Lebenswillen steil bergab. Die Ärzte rechnen mit einem baldigen Tod, den er im Kreis seiner Familie erleben soll.

Und so nimmt ihn sein Sohn Harald auf Drängen von Ehefrau Petra und Sohn Max bei sich zuhause auf. Alle rechnen damit, dass Willy Knobel in wenigen Tagen friedlich einschlafen wird. Doch stattdessen erholt sich der alte Mann zusehends, auch dank der Zuwendung seines Enkels Max - diese ist wiederum nicht ganz uneigennützig, denn Max erhält von seinem Opa die Vollmacht über das Konto.

Der einst Sterbenskranke wird wieder munter, zwei Pflegerinnen unterstützen tatkräftig seine Genesung. Zum Entsetzen von Harald und Petra will Willy schon bald wieder auf Krücken gehen. Das geplante Erbe scheint warten zu müssen, zudem sorgt Willys Anwesenheit für zunehmend Streit im Haus. Harald und Petra schmieden finstere Pläne, wie man das Ableben des alten Mannes, der doch eigentlich schon tot sein sollte, unauffällig beschleunigen kann. Unterdessen bändelt Max mit der hübschen Pflegerin Jenny an, nichtsahnend, dass sie eine dunkle Vergangenheit besitzt ...

Eine schrecklich nette Familie

Familienbande bedeutet bei Ingrid Noll fast immer mörderische Aktivitäten. Mit viel schwarzem Humor, wie es ihre Art ist, kombiniert sie hier eine Krimihandlung mit alltäglichen Problemen. Daraus entsteht ein durchweg amüsanter Roman, der allerdings nicht ganz die Klasse der Vorgänger und vor allem der ersten Werke erreichen kann. Gelungen ist das Buch dennoch über die weitesten Strecken, vor allem liest es sich so flott runter, dass man die gut 300 Seiten in ein, zwei Tagen schaffen kann. Für Spannung ist auch gesorgt, wenngleich man diese natürlich nicht mit der in einem Psychothriller vergleichen kann.

Dennoch: Es ist, wie immer bei Ingrid Noll, nicht vorherzusehen, wer alles im Verlauf der Handlung sein Leben lassen wird, ob am Ende überhaupt jemand glücklich wird. Klar ist eigentlich nur, dass ausgerechnet der neunzigjährige Willy Knobel sicher nicht der Erste sein wird, der hier stirbt, wenn er überhaupt sterben sollte. Stattdessen laufen die schön durchdachten Mordmethoden schief und treffen im schlimmsten Fall die Falschen. Recht spannend ist auch Max' Geheimnis, weshalb er so dringend auf Opas Geld angewiesen ist, das sich erst ganz allmählich lüftet. Witzig wird es vor allem dank der ständigen Reibereien der Familienmitglieder untereinander, die schön die Realität parodieren und besonders dank Willy Knobel - der rüstige Akademiker hat stets den passenden lateinischen Spruch paart, um eine Situation zu kommentieren und schwankt zum Vergnügen des Lesers und zum Leid seiner Familie zwischen guter Laune, Verwirrung und Kasernenton.

Bei allem kriminalistischen Vergnügen ist der ernste Hintergrund, der hier grotesk und überzogen aufgezeigt wird, interessant: Es ist nichts Neues, dass schwerkranke, alte Angehörige in der Familie oft für Streit und Kummer bei den Angehörigen sorgen. Opa Knobel will nicht in ein Heim abgeschoben werden, das ohnehin, wenn es seinen Ansprüchen genügen sollte, recht teuer käme, für die Familie ist es allerdings eine große Umstellung, den widerspenstigen Alten plötzlich im Haus zu haben. Je mehr sich der alte Herr erholt, desto energischer äußert er seine Wünsche.

Auseinandersetzungen mit ihm sind unerfreulich, enterbt werden will erst recht keiner der Angehörigen. Also beißt man in den sauren Apfel und hofft insgeheim, dass der Alte nicht mehr lange auf der Erde weilt. Bei Ingrid Noll liegt es dann nah, dass tatkräftig mitgeholfen wird, um das Ende zu beschleunigen, aber das Grundproblem mit all den Konflikten, die es mit sich bringt, wenn plötzlich der pflegebedürftige Vater/Schwiegervater/Großvater in den eigenen vier Wänden lebt, wird gleichfalls interessant aufbereitet. Harald Knobel hat schon längst kein gutes Verhältnis mehr zu seinem Vater und macht sehr widerwillig eine halbwegs gute Miene zum bösen Spiel. Ehefrau Petra hat anfangs darauf gedrängt, den alten Mann ins Haus zu holen, das allerdings im Glauben, er würde ohnehin nur noch eine Woche leben. Für die Eltern erstaunlich positiv steht Sohn Max all dem gegenüber - sie ahnen nicht, dass er wegen einer Erpressung dringend auf Opas Spendierhosen angewiesen ist und den alten Mann nicht nur aus Zuneigung umhegt.

Dass das Buch trotz all dieser Zutaten nicht zu Nolls besten Werken zählt, liegt an mehreren Faktoren. Vor allem sind die Charaktere, mit Ausnahme des knorrigen Willy Knobel, ungewohnt blass geraten und ihre Verhaltensweisen erscheine nicht immer plausibel. Wenn in "Der Hahn ist tot" oder "Die Häupter meiner Lieben" die Ich-Erzählerinnen zu Mörderinnen wurden, dann waren das zwar absurde Situationen, die aber aus der Handlung heraus nachvollziehbar waren. Dort wurde gehadert und abgewägt und aus Verzweiflung gehandelt - wenn hier dagegen Harald Knobel überlegt, seinem Vater Gift zu geben, wirkt das unglaubwürdig. Auch wenn Harald seinem Vater nicht gerade nahesteht, ist es nicht nachvollziehbar, dass er ihn tatsächlich lieber gestern als heute tot sehen würde, das Verhältnis der beiden bietet nicht genug Zündstoff, damit man Harald diese Denkweise abnimmt.

Auch Haralds Frau Petra ist eine recht unscheinbare Figur. Kurzzeitig wird sie interessant, als ihr Geliebter ins Spiel kommt und sie selbst mörderische Aktivitäten zeigt, aber das kommt insgesamt zu kurz. Der zwiegespaltene Max ist dagegen wieder besser gelungen, einerseits auf das Erbe des Opas bedacht, andererseits dem Alten tatsächlich recht zugetan, aber die Geschichte mit Jenny, die erst so brisant ist, verläuft am Schluss einfallslos im Sande. Überhaupt wirkt das Ende etwas lieb- und ideenlos, geradezu uninspiriert, wie man es von der Autorin eigentlich nicht kennt.

Fazit:

Knappe vier Sterne für diesen Krimi, der grundsätzlich gut unterhält und vor allem durch seinen ironischen Humor überzeugt. Das Thema ist interessant und das Buch liest sich schnell, kann aber nicht ganz an frühere Werke anknüpfen, die die Charaktere teilweise zu blass sind und das Ende zu unspektakulär ist.

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