15. September 2012

Doppelmord in Fall River. Leben und Legende der Lizzie Borden - David Kent

Lizzie Borden, 1889 (Wikipedia)
Produktinfos:

Ausgabe: 1993 bei Rororo
Seiten: 312
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Der Autor:

David Kent, Schriftsteller und Geschäftsmann aus Virginia, hörte im Zweiten Weltkrieg erstmals vom Fall Lizzie Borden und war seither fasziniert davon. Nach umfangreichen Recherchen vor Ort verfasste er sein Buch und starb wenig später 1992.

Inhalt:

Das beschauliche Fall River in Massachusetts, an einem heißen Sommertag 1892: Lizzie Borden, die unverheiratete Tochter des wohlhabenden Andrew Borden, findet ihren Vater und ihre Stiefmutter Abby erschlagen vor. Beiden wurde mit einem Beil der Schädel gespalten. Die Nachricht geht wie ein Lauffeuer durch den Ort, Polizei und Schaulustige sind schnell zur Stelle.

Die ersten Untersuchungen werfen immer neue Fragen auf. Weder Lizzie noch Hausmädchen Bridget haben etwas gesehen oder gehört, es fehlen keine Wertgegenstände, weder im Haus noch aus Andrew Bordens Kleidung. Offenbar wurden Mr. Borden und seine Frau im Abstand von rund zwei Stunden getötet und man fragt sich, wo sich der Mörder in der Zwischenzeit so gut verstecken konnte - und weshalb er solch ein Risiko einging. Schließlich gerät Lizzie unter Verdacht und wird verhaftet.

Trotz ihrer Unschuldsbeteuerungen kommt es zu einem Aufsehen erregenden Prozess. Aus Hass gegen die Stiefmutter oder Geldgier soll sie die beiden ermordet haben. Die Öffentlichkeit ist gespalten, denn die unauffällige Lehrerin passt so gar nicht in das Schema eines so brutalen Mörders. Schließlich wird Lizzie von der Jury freigesprochen - doch der Mörder wird nie gefunden. Bis zu ihrem Tod und noch heute wird über ihre mögliche Schuld diskutiert ...

Bewertung:

"Lizzie Borden mit dem Beile ..." beginnt ein alter Vers, den in den USA fast jedes Schulkind aufsagen kann. Was England sein Jack the Ripper, ist Amerika Lizzie Borden - ein Mysterium, das wohl nie geklärt werden wird und das als einer der rätselhaftesten Fälle in die Kriminalgeschichte eingegangen ist. In der amerikanischen Kultur ist Lizzie Borden auch hundert Jahre nach den Geschehnissen ein fester Begriff und der Krimiautor Walter Satterthwait hat ihr in Miss Lizzie und der Fortsetzung dazu ein wunderbares, humorvolles Denkmal gesetzt. Hat sies getan oder nicht, lautet die Frage, die Kriminologen wie Hobbydetektive bis heute beschäftigt. David Kent ist der Frage nachgegangen und bemüht sich um ein differenziertes Lizzie-Borden-Bild. Im Gegensatz zu einigen Werken, die sie eindeutig der Tat bezichtigen, versucht der Autor sie zu entlasten und obwohl er sich einer eindeutigen Meinung enthält, ist offensichtlich, dass er ihre Schuld als eher unwahrscheinlich empfindet.

Das Werk ist eine Zusammensetzung aus Zeitungsartikeln, Mitschriften des Prozesses und David Kents Analyse. Behutsam führt er in die Geschichte ein, stellt die Ausgangssituation und die wichtigsten Figuren vor, als da wären: Lizzie Borden, eine unauffällige unverheiratete Frau Anfang dreißig, beherrscht, tierlieb und belesen, die im Haus ihres Vaters lebt. Andrew Borden ist ein reicher, aber sehr geiziger Mann, dennoch offenbar seiner Tochter sehr zugetan. Seit rund 30 Jahren ist er mit seiner zweiten Frau Abby verheiratet, die andere Tochter Emma ist wie Lizzie unverheiratet und lebt in Fairhaven. Der bestialische Mord erschüttert die Stadt und trifft sie bis ins Mark. Niemand kann sich ein Motiv für diese Tat denken, es sind keine Feinde der Bordens bekannt und der Täter muss ein enormes Risiko eingegangen sein. Die Polizei steht angesichts des Status der Bordens als reiche Bürger unter Zugzwang - und sieht in Lizzie den einzigen möglichen Täter. Obwohl das Motiv auf wackligen Füßen steht, keine eindeutige Tatwaffe gefunden wird und es für Lizzie zeitlich sehr schwierig gewesen sein müsste, die Tat zu begehen und sich rasch umzukleiden kommt es zur Anklage und zu einem Aufsehen erregenden Prozess.

Geschickt stellt David Kent die Indizien, die auf Lizzies Schuld hindeuten denen gegenüber, die sie entlasten. Besonders reizvoll ist sein Bemühen, Ungerechtigkeiten und Widersprüche aufzudecken; seien es Meineide, die Gesetzeshüter geschworen haben, um Lizzie zu belasten oder aus der Luft gegriffene Beschuldigungen der Zeitungen. Vor allem der "Globe" legte sich von Anfang an auf Lizzie als Täterin fest und setzte einen rufschädigenden Artikel nach dem anderen in die Welt und verkaufte Spekulationen und Lügen als Tatsachen, die die Leser beeinflussten. Tatsächlich dürfte der Leser des Buches nach der Lektüre dahin tendieren, als dass Lizzie wirklich unschuldig war - dass die Öffentlichkeit sich aber so dringend nach Aufklärung des entsetzlichen Doppelmordes sehnte, dass sie händeringend nach der naheliegendsten Lösung griff. Obwohl Lizzie nach nicht einmal einer Stunde Beratungszeit von den Geschworenen freigesprochen wurde und es zwischenzeitlich gar aussah, als würde die Anklage fallen gelassen, gilt Lizzie bis heute weithin als Täterin. David Kent deutet mögliche andere Täter an, ein Mieter etwa, der sich kurz zuvor mit Andrew Borden zerstritt oder sein Schwager John Morse, der sich reichlich seltsam zum Tatzeitpunkt verhielt, zwingt dem Leser im Gegensatz zu den allermeisten anderen Büchern zu dem Fall aber keine Meinung auf. Eine alphabetische Namenstafel am Ende und zahlreiche Fotos von Tatort und vielen Beteiligten sorgt für eine gute Ergänzung.

Das Buch ist einerseits ein spannendes kriminalistisches Werk, das minutiös einen dramatischen Prozess erläutert und dabei Rücksicht auf Leser nimmt, die im juristischen Bereich weniger bewandert sind. Andererseits ist es eine Art Biographie Lizzie Bordens, jener schwer fassbaren, geheimnisvollen Hauptperson, die in den Jahrzehnten bis zu ihrem Tod nicht mehr öffentlich über den Doppelmord sprach. So wenig Lizzie auch zeitlebens über sich preisgegeben hat, der Autor bemüht sich, ein differenziertes Bild von ihr zu zeichnen. Lizzie ist hier weder ein Unschuldsengel noch eine erwiesene Mörderin, in jedem Fall aber eine rätselhafte Frau, die bis zu ihrem Tod gebrandmarkt war.

Lizzie Borden took an axe
And gave her mother forty whacks.
When she saw what she had done
She gave her father forty-one.

Fazit:

Eine fesselnde sowie leicht zu lesende Darstellung des berühmten Kriminalfalls, der durch umfangreiche Recherche besticht. Allen an Kriminologie interessierten Lesern sei das Buch aufs Wärmste empfohlen, Vorkenntnisse über den Fall sind nicht notwendig.

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