Produktinfos:
Ausgabe: 2016 bei Heyne (Erstauflage 2014 bei Eder & Bach)
Seiten: 414
Buchhandel.de
* * * * *
Der Autor:
Zoran Drvenkar, 1967 geboren in Jugoslawien und heute in Berlin lebend, arbeitete nach diversen Jobs seit 1989 als Autor. Er verfasst sowohl Kinder- und Jugend- als auch Erwachsenenbücher und erhielt für sein Schaffen zahlreiche Preise wie den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Friedrich-Glauser-Preis. Weitere Werke sind u.a.: Sorry, Du, Die Kurzhosengang und Die Nacht, in der meine Schwester den Weihnachtsmann entführte.
Inhalt:
Seit mehreren Jahren verschwinden regelmäßig im Winter im Raum Berlin/Brandenburg Kinder, vermutlich Opfer eines Pädophilenringes. Die Kinder werden direkt aus dem Elternhaus entführt. Ein Mädchen konnte seinen Peinigern offenbar entkommen - fast nackt, fiebernd und schwer verstört. Lucia ist mittlerweile zwanzig und lebt in einem Pflegeheim. Sie hat seit ihrer Rückkehr kein Wort gesprochen.
Der Lehrer Mika Stellar vermutet, dass auch seine Tochter ein Opfer dieser Täter wurde. Weil die Polizei nicht weiterkommt, macht er selbst Jagd auf die Täter und dafür in die Pädophilenszene ein. Seine Recherchen führen ihn zu vier Männern, die sich regelmäßig in einer Kneipe treffen und die er als die Täter vermutet. Mika nimmt eine neue Identität an und sucht Kontakt zu ihnen.
Er gibt vor, seine eigene Tochter sexuell zu begehren, und gewinnt allmählich das Vertrauen der Männer. Sein Ziel ist es, Rache für seine Tochter und all die anderen Kinder zu nehmen und die Männer ein für alle Mal auszuschalten. Dabei ist ihm bewusst, dass ihn der kleinste Fehler verraten und ihm zum tödlichen Verhängnis werden kann ...
Bewertung:
Bewegend, düster, abgründig und stilistisch ungewöhnlich kommt Zoran Drvenkars vierter Thriller "Still" daher. Die Handlung gliedert sich in drei abwechselnde Erzählstränge, die jeweils mit "Ich", "Du" und "Sie" betitelt sind.
"Ich" thematisiert Mika Stellars Gedanken und liefert fesselnde und beklemmende Einblicke in die zerrissene Seele eines Vaters, der sich für seine Tochter in die Hölle begibt. Ein Jahr lang betreibt er sorgfältige Recherche und bereitet seinen Plan vor, bei dem das kleinste Scheitern seinen Tod bedeuten kann. Er nimmt einen anderen Namen - eben Mika Stellar - an, beschafft sich Papiere für seine neue Identität und wechselt seinen Arbeitsplatz, damit die Täter bei eigenen Überprüfungen keinesfalls erfahren, dass er Vater eines der Opfer ist. Er taucht ein in die Rolle eines pädophilen Familienvaters, der obendrein die eigene Tochter begehrt und zwischen Scham und Verlangen hin- und hergerissen ist. Mika weiß sehr genau, wie er vorgehen muss, um das Vertrauen der Männer zu gewinnen, um einer von ihnen zu werden. Er muss überzeugen in seiner Rolle als Pädophiler, darf aber auch nicht übertreiben oder zu aufdringlich werden, um seine neuen Freunde nicht misstrauisch zu machen. Jeder Satz den Männern gegenüber ist wohlüberlegt, um seine Rolle authentisch dazustellen: der schüchterne, unsichere Vater, der mit den Gefühlen zu seiner Tochter kämpft und schwankt zwischen Scham und der Erleichterung, sich Gleichgesinnten öffnen zu können. Es gelingt ihm gut, den Leser auf seine Seite zu ziehen, sodass man mit ihm fiebert und bangt, ob seine Tarnung hält oder es zu einer Katastrophe kommt. Zugleich ist man sich aber mehr und mehr auch bewusst, dass Mika bei seinem Rachefeldzug selbst moralische Grenzen überschreiten will und für seine Mission womöglich selbst etwas Menschlichkeit einbüßen wird.
Der "Du"-Strang widmet sich dem entkommenen Opfer Lucia. Die Handlung springt zurück zur Entführung der damals dreizehnjährigen Lucia und erzählt in knappen, eindringlichen Worten - konsequent in der Du-Perspektive -, was ihr und ihrem kleinen Bruder damals zugestoßen ist. "Sie" sind die Männer, die Jagd auf Kinder machen, immer wenn der Winter kommt. Schnee und Eis verdecken die Spuren, hüllen die Welt ein, und das ist die Zeit, wenn sie still und leise in die Häuser schleichen und ihre Beute holen.
Drvenkars Stil ist gewöhnungsbedürftig. Nicht allein, dass er die alte Rechtschreibung nutzt und statt Anführungszeichen Spiegelstriche setzt, sodass man leicht übersieht, welche Absätze eine wörtliche Rede kennzeichnen. Er nutzt auch oft kurze Sätze, formuliert eindringlich und bildhaft, spiegelt in seiner Sprache die Verzweiflung und die Besessenheit Mika Stellars wider. Man erfährt auch jeweils recht spät, wer "Ich", "Du" und "Sie" überhaupt sind, wie die drei Stränge inhaltlich und chronologisch konkret zusammengehören, sodass gerade auf den ersten zwanzig, dreißig Seiten mehr Konzentration als bei anderen Thrillern gefordert ist. Hat man sich erst einmal damit - und auch mit den leider recht zahlreichen Tippfehler, insbesondere was die Kleinschreibung der Höflichkeitsanrede angeht - abgefunden, passt dieser Stil gut zu der atmosphärisch dichten und harten Handlung.
Gegen Ende kommen mehrere Wendungen ins Spiel, von denen zumindest eine weit hergeholt ist und ein bisschen zu reißerisch wirkt. Davon abgesehen, ist das Ende gelungen, da es weder allzu harmonisch noch unbefriedigend ausgeht.
Fazit:
"Still" von Zoran Drvenkar ist ein beklemmender, atmosphärischer und spannender Thriller mit brisanter Thematik. Auf den zunächst gewöhnungsbedürftigen Stil muss man sich einlassen, dann liest sich der Roman flüssig. Gegen Ende hin kommt eine etwas überzogene Wendung ins Spiel, die aber den Gesamteindruck nicht wesentlich trübt.
Ausgabe: 2016 bei Heyne (Erstauflage 2014 bei Eder & Bach)
Seiten: 414
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Der Autor:
Zoran Drvenkar, 1967 geboren in Jugoslawien und heute in Berlin lebend, arbeitete nach diversen Jobs seit 1989 als Autor. Er verfasst sowohl Kinder- und Jugend- als auch Erwachsenenbücher und erhielt für sein Schaffen zahlreiche Preise wie den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Friedrich-Glauser-Preis. Weitere Werke sind u.a.: Sorry, Du, Die Kurzhosengang und Die Nacht, in der meine Schwester den Weihnachtsmann entführte.
Inhalt:
Seit mehreren Jahren verschwinden regelmäßig im Winter im Raum Berlin/Brandenburg Kinder, vermutlich Opfer eines Pädophilenringes. Die Kinder werden direkt aus dem Elternhaus entführt. Ein Mädchen konnte seinen Peinigern offenbar entkommen - fast nackt, fiebernd und schwer verstört. Lucia ist mittlerweile zwanzig und lebt in einem Pflegeheim. Sie hat seit ihrer Rückkehr kein Wort gesprochen.
Der Lehrer Mika Stellar vermutet, dass auch seine Tochter ein Opfer dieser Täter wurde. Weil die Polizei nicht weiterkommt, macht er selbst Jagd auf die Täter und dafür in die Pädophilenszene ein. Seine Recherchen führen ihn zu vier Männern, die sich regelmäßig in einer Kneipe treffen und die er als die Täter vermutet. Mika nimmt eine neue Identität an und sucht Kontakt zu ihnen.
Er gibt vor, seine eigene Tochter sexuell zu begehren, und gewinnt allmählich das Vertrauen der Männer. Sein Ziel ist es, Rache für seine Tochter und all die anderen Kinder zu nehmen und die Männer ein für alle Mal auszuschalten. Dabei ist ihm bewusst, dass ihn der kleinste Fehler verraten und ihm zum tödlichen Verhängnis werden kann ...
Bewertung:
Bewegend, düster, abgründig und stilistisch ungewöhnlich kommt Zoran Drvenkars vierter Thriller "Still" daher. Die Handlung gliedert sich in drei abwechselnde Erzählstränge, die jeweils mit "Ich", "Du" und "Sie" betitelt sind.
"Ich" thematisiert Mika Stellars Gedanken und liefert fesselnde und beklemmende Einblicke in die zerrissene Seele eines Vaters, der sich für seine Tochter in die Hölle begibt. Ein Jahr lang betreibt er sorgfältige Recherche und bereitet seinen Plan vor, bei dem das kleinste Scheitern seinen Tod bedeuten kann. Er nimmt einen anderen Namen - eben Mika Stellar - an, beschafft sich Papiere für seine neue Identität und wechselt seinen Arbeitsplatz, damit die Täter bei eigenen Überprüfungen keinesfalls erfahren, dass er Vater eines der Opfer ist. Er taucht ein in die Rolle eines pädophilen Familienvaters, der obendrein die eigene Tochter begehrt und zwischen Scham und Verlangen hin- und hergerissen ist. Mika weiß sehr genau, wie er vorgehen muss, um das Vertrauen der Männer zu gewinnen, um einer von ihnen zu werden. Er muss überzeugen in seiner Rolle als Pädophiler, darf aber auch nicht übertreiben oder zu aufdringlich werden, um seine neuen Freunde nicht misstrauisch zu machen. Jeder Satz den Männern gegenüber ist wohlüberlegt, um seine Rolle authentisch dazustellen: der schüchterne, unsichere Vater, der mit den Gefühlen zu seiner Tochter kämpft und schwankt zwischen Scham und der Erleichterung, sich Gleichgesinnten öffnen zu können. Es gelingt ihm gut, den Leser auf seine Seite zu ziehen, sodass man mit ihm fiebert und bangt, ob seine Tarnung hält oder es zu einer Katastrophe kommt. Zugleich ist man sich aber mehr und mehr auch bewusst, dass Mika bei seinem Rachefeldzug selbst moralische Grenzen überschreiten will und für seine Mission womöglich selbst etwas Menschlichkeit einbüßen wird.
Der "Du"-Strang widmet sich dem entkommenen Opfer Lucia. Die Handlung springt zurück zur Entführung der damals dreizehnjährigen Lucia und erzählt in knappen, eindringlichen Worten - konsequent in der Du-Perspektive -, was ihr und ihrem kleinen Bruder damals zugestoßen ist. "Sie" sind die Männer, die Jagd auf Kinder machen, immer wenn der Winter kommt. Schnee und Eis verdecken die Spuren, hüllen die Welt ein, und das ist die Zeit, wenn sie still und leise in die Häuser schleichen und ihre Beute holen.
Drvenkars Stil ist gewöhnungsbedürftig. Nicht allein, dass er die alte Rechtschreibung nutzt und statt Anführungszeichen Spiegelstriche setzt, sodass man leicht übersieht, welche Absätze eine wörtliche Rede kennzeichnen. Er nutzt auch oft kurze Sätze, formuliert eindringlich und bildhaft, spiegelt in seiner Sprache die Verzweiflung und die Besessenheit Mika Stellars wider. Man erfährt auch jeweils recht spät, wer "Ich", "Du" und "Sie" überhaupt sind, wie die drei Stränge inhaltlich und chronologisch konkret zusammengehören, sodass gerade auf den ersten zwanzig, dreißig Seiten mehr Konzentration als bei anderen Thrillern gefordert ist. Hat man sich erst einmal damit - und auch mit den leider recht zahlreichen Tippfehler, insbesondere was die Kleinschreibung der Höflichkeitsanrede angeht - abgefunden, passt dieser Stil gut zu der atmosphärisch dichten und harten Handlung.
Gegen Ende kommen mehrere Wendungen ins Spiel, von denen zumindest eine weit hergeholt ist und ein bisschen zu reißerisch wirkt. Davon abgesehen, ist das Ende gelungen, da es weder allzu harmonisch noch unbefriedigend ausgeht.
Fazit:
"Still" von Zoran Drvenkar ist ein beklemmender, atmosphärischer und spannender Thriller mit brisanter Thematik. Auf den zunächst gewöhnungsbedürftigen Stil muss man sich einlassen, dann liest sich der Roman flüssig. Gegen Ende hin kommt eine etwas überzogene Wendung ins Spiel, die aber den Gesamteindruck nicht wesentlich trübt.
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