Produktinfos:
Ausgabe: 2017 bei TOR (Fischer)
Seiten: 512
* * * * *
Der Autor:
Mats Strandberg aus Schweden, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalist bei Schwedens größter Abendzeitung. Weitere Werke sind die Engelfors-Trilogie (Zirkel, Feuer, Schlüssel) und der Roman "Halbes Leben".
Inhalt:
Seit etlichen Jahren fährt die schwedische Ostsee-Fähre "Baltic Charisma" dieselbe Route von Stockholm nach Finnland. An Board ist stets eine bunte Mischung aus allen Altersklassen - Familien mit Kindern, junge Leute in Partystimmung, Senioren. Es fließt reichlich Alkohol, man will sich hier amüsieren und die Alltagssorgen vergessen.
Zu den Passagieren gehört diesmal die ältere, alleinstehende Marianne, die ihrem tristen Alltag entfliehen will und den etwa gleichaltrigen Göran kennenlernt. Ebenfalls an Bord ist der zwölfjährige Albin mit seiner Familie, in der einige Spannungen herrschen. Calle wiederum gehörte vor acht Jahren selbst zum Bordpersonal. Heute möchte er seinem Lebensgefährten Vincent einen Heiratsantrag machen. Die junge Madde will mit ihrer besten Freundin Zandra feiern und die Sorge um ihren drohenden Jobverlust verdrängen.
In der Karaokebar moderiert der ehemalige Schlagerstar Dan Applegren, der sich mit dem verhassten Job mühsam über Wasser hält. Niemand ahnt, dass sich diesmal auch zwei besondere Passagiere an Bord befinden - eine geheimnisvolle Frau und ein kleiner Junge. Mit ihnen kommt das Grauen an Bord - und es scheint kein Entrinnen zu geben ...
Bewertung:
"Die Überfahrt" von Mats Strandberg braucht eine Weile, bis es sich zu einem Horrorroman entwickelt - dann jedoch schlägt der Horror umso erbarmungsloser zu.
Zunächst befasst sich die Handlung vor allem mit dem Porträt des Schiffes und seinen Gästen, einem bunten Potpourri aus allen Altersklassen und Herkünften. Viele von ihnen vereint allerdings, dass sie gescheiterte Existenzen sind, die auf der "Baltic Charisma" ihrem trostlosen oder problematischen Alltag entfliehen möchten; sie sind ein bisschen wie das Schiff selbst, das mittlerweile in die Jahre gekommen ist, bei dem niemand genau weiß, wie lange es überhaupt noch fahren wird. Der Alkohol fließt in Strömen, in den Bars und Discotheken wird getanzt und geflirtet, Hemmungen werden fallengelassen. Offiziell wollen sich alle amüsieren, und doch liegt beständig der Geruch von Verzweiflung in der Luft. Auf der "Baltic Charisma" versammeln sich auf jener Überfahrt unzählige Probleme und Konflikte, Hoffnungen und Wünsche, die auch ohne den später auftretenden übernatürlichen Aspekt der Handlung bereits eine düstere Atmosphäre verleihen.
Besonders berührend sind die Geschichten von Marianne und Albin. Marianne ist eine ältere, einsame Frau, die sich von der Fahrt ein wenig Aufmunterung und Abwechslung verspricht. Sie lernt den etwa gleichaltrigen Göran kennen, der hier mit seinen Freunden feiert. Auch wenn Göran gewiss kein Traummann auf den ersten Blick ist, fühlt sich Marianne zu ihm hingezogen, er macht ihr Komplimente - und die scheue Frau hofft, dass sich zwischen ihnen etwas entwickeln könnte, was vielleicht über diese Nacht hinaus Bestand hat. Sie ist eine liebenswerte Figur, deren Schmerz und Einsamkeit eindringlich dargestellt werden und mit der man unwillkürlich mitfühlt.
Gut gelungen ist auch die Darstellung des kleinen Albin. Das lang ersehnte Wiedersehen mit seiner Cousine Lo fällt anders als als erhofft, denn Lo ist ein schnippischer Teenager geworden, zeigt sich genervt von der ganzen Reise und erinnert kaum noch an seine damals beste Freundin, mit der er so viele Abenteuer erlebte. Während er dem Wiedersehen entgegenfieberte, ist Lo offenbar nur sehr widerwillig mitgekommen. Sie rollt ständig abwertend die Augen, kommentiert alles sarkastisch mit "Nice", kaut gelangweilt Kaugummi und interessiert sich in erster Linie für Mode und Make-up - enttäuschend und einschüchternd für Albin, der in der aufreizenden jungen Dame kaum noch seine Kinderfreundin wiedererkennt. Dazu belasten Albin die Sorgen um seine geliebte Mutter, die im Rollstuhl sitzt, und um den immer öfter alkoholisierten Vater, bei dem sich ein schwerwiegendes psychisches Problem herauskristallisiert. Albins Kummer ist sehr gut nachvollziehbar, in kürzester Zeit wächst einem der Junge ans Herz. Umso schöner ist es dann, als Lo schließlich doch langsam auftaut und Albin zaghaft die alte Vertrautheit zwischen ihnen erahnt.
Mitreißend ist zudem die Geschichte um Calle, der seinem Lebensgefährten Vincent einen Heiratsantrag macht - der ganz anders endet, als er sich gedacht hatte. Absolut kein Sympathieträger, aber dennoch eine gut dargestellte Figur ist der abgehalfterte Schlagerstar Dan Applegren. Vor zwanzig Jahren hatte er seinen großen Hit, scheiterte allerdings selbst damit beim Grand-Prix-Vorentscheid. Heute kann er vom damaligen Ruhm nur noch träumen; den verhassten Moderationsjob in der Karaokebar erträgt er nur dank Koks und williger Groupies.
Lange Zeit geht es abwechselnd um die Probleme, Sorgen und Gedanken dieser und noch ein paar weiterer Passagiere. Recht spät kommt der Horror in Form moderner Vampire ins Spiel, die die Überfahrt in einen grausigen Alptraum verwandeln und die Opfer zu zombieähnlichen Wesen machen. Auch nach den ersten Vorkommnissen ahnen die Passagiere noch nicht, was wirklich vor sich geht. Für Spannung ist dadurch gesorgt, dass man um das Leben der sympathischen Charaktere bangt und hofft, dass sie dem Grauen entrinnen können, dass sie vielleicht mit einem Rettungsboot fliehen können oder mit dem Schiff rechtzeitig die Küste erreichen.
Während die beklemmende und düstere Atmosphäre hervorragend eingefangen wird und die Charaktere überzeugen, sind die Schilderungen der brutalen Übergriffe und des Blutdurstes der Vampire etwas zu ausufernd geraten. Die drastischen Szenen nehmend phasenweise etwas überhand und sind ein wenig zu plakativ geraten; zudem lesen sie sich auf Dauer recht ermüdend, weil repetetiv. Grundsätzlich ist "Die Überfahrt" ein Roman, der sich Zeit für die Handlungsentfaltung nimmt und damit auch Geduld beim Leser einfordert.
Fazit:
"Die Überfahrt" von Mats Strandberg ist ein atmosphärisch sehr dichter Horrorroman mit überwiegend sehr gelungenen Charakteren, der gut unterhält und berührt - sieht man davon ab, dass der Horror erst spät ins Spiel kommt und dann teilweise ein bisschen zu brutal geschildert wird.
Ausgabe: 2017 bei TOR (Fischer)
Seiten: 512
* * * * *
Der Autor:
Mats Strandberg aus Schweden, Jahrgang 1976, arbeitet als Journalist bei Schwedens größter Abendzeitung. Weitere Werke sind die Engelfors-Trilogie (Zirkel, Feuer, Schlüssel) und der Roman "Halbes Leben".
Inhalt:
Seit etlichen Jahren fährt die schwedische Ostsee-Fähre "Baltic Charisma" dieselbe Route von Stockholm nach Finnland. An Board ist stets eine bunte Mischung aus allen Altersklassen - Familien mit Kindern, junge Leute in Partystimmung, Senioren. Es fließt reichlich Alkohol, man will sich hier amüsieren und die Alltagssorgen vergessen.
Zu den Passagieren gehört diesmal die ältere, alleinstehende Marianne, die ihrem tristen Alltag entfliehen will und den etwa gleichaltrigen Göran kennenlernt. Ebenfalls an Bord ist der zwölfjährige Albin mit seiner Familie, in der einige Spannungen herrschen. Calle wiederum gehörte vor acht Jahren selbst zum Bordpersonal. Heute möchte er seinem Lebensgefährten Vincent einen Heiratsantrag machen. Die junge Madde will mit ihrer besten Freundin Zandra feiern und die Sorge um ihren drohenden Jobverlust verdrängen.
In der Karaokebar moderiert der ehemalige Schlagerstar Dan Applegren, der sich mit dem verhassten Job mühsam über Wasser hält. Niemand ahnt, dass sich diesmal auch zwei besondere Passagiere an Bord befinden - eine geheimnisvolle Frau und ein kleiner Junge. Mit ihnen kommt das Grauen an Bord - und es scheint kein Entrinnen zu geben ...
Bewertung:
"Die Überfahrt" von Mats Strandberg braucht eine Weile, bis es sich zu einem Horrorroman entwickelt - dann jedoch schlägt der Horror umso erbarmungsloser zu.
Zunächst befasst sich die Handlung vor allem mit dem Porträt des Schiffes und seinen Gästen, einem bunten Potpourri aus allen Altersklassen und Herkünften. Viele von ihnen vereint allerdings, dass sie gescheiterte Existenzen sind, die auf der "Baltic Charisma" ihrem trostlosen oder problematischen Alltag entfliehen möchten; sie sind ein bisschen wie das Schiff selbst, das mittlerweile in die Jahre gekommen ist, bei dem niemand genau weiß, wie lange es überhaupt noch fahren wird. Der Alkohol fließt in Strömen, in den Bars und Discotheken wird getanzt und geflirtet, Hemmungen werden fallengelassen. Offiziell wollen sich alle amüsieren, und doch liegt beständig der Geruch von Verzweiflung in der Luft. Auf der "Baltic Charisma" versammeln sich auf jener Überfahrt unzählige Probleme und Konflikte, Hoffnungen und Wünsche, die auch ohne den später auftretenden übernatürlichen Aspekt der Handlung bereits eine düstere Atmosphäre verleihen.
Besonders berührend sind die Geschichten von Marianne und Albin. Marianne ist eine ältere, einsame Frau, die sich von der Fahrt ein wenig Aufmunterung und Abwechslung verspricht. Sie lernt den etwa gleichaltrigen Göran kennen, der hier mit seinen Freunden feiert. Auch wenn Göran gewiss kein Traummann auf den ersten Blick ist, fühlt sich Marianne zu ihm hingezogen, er macht ihr Komplimente - und die scheue Frau hofft, dass sich zwischen ihnen etwas entwickeln könnte, was vielleicht über diese Nacht hinaus Bestand hat. Sie ist eine liebenswerte Figur, deren Schmerz und Einsamkeit eindringlich dargestellt werden und mit der man unwillkürlich mitfühlt.
Gut gelungen ist auch die Darstellung des kleinen Albin. Das lang ersehnte Wiedersehen mit seiner Cousine Lo fällt anders als als erhofft, denn Lo ist ein schnippischer Teenager geworden, zeigt sich genervt von der ganzen Reise und erinnert kaum noch an seine damals beste Freundin, mit der er so viele Abenteuer erlebte. Während er dem Wiedersehen entgegenfieberte, ist Lo offenbar nur sehr widerwillig mitgekommen. Sie rollt ständig abwertend die Augen, kommentiert alles sarkastisch mit "Nice", kaut gelangweilt Kaugummi und interessiert sich in erster Linie für Mode und Make-up - enttäuschend und einschüchternd für Albin, der in der aufreizenden jungen Dame kaum noch seine Kinderfreundin wiedererkennt. Dazu belasten Albin die Sorgen um seine geliebte Mutter, die im Rollstuhl sitzt, und um den immer öfter alkoholisierten Vater, bei dem sich ein schwerwiegendes psychisches Problem herauskristallisiert. Albins Kummer ist sehr gut nachvollziehbar, in kürzester Zeit wächst einem der Junge ans Herz. Umso schöner ist es dann, als Lo schließlich doch langsam auftaut und Albin zaghaft die alte Vertrautheit zwischen ihnen erahnt.
Mitreißend ist zudem die Geschichte um Calle, der seinem Lebensgefährten Vincent einen Heiratsantrag macht - der ganz anders endet, als er sich gedacht hatte. Absolut kein Sympathieträger, aber dennoch eine gut dargestellte Figur ist der abgehalfterte Schlagerstar Dan Applegren. Vor zwanzig Jahren hatte er seinen großen Hit, scheiterte allerdings selbst damit beim Grand-Prix-Vorentscheid. Heute kann er vom damaligen Ruhm nur noch träumen; den verhassten Moderationsjob in der Karaokebar erträgt er nur dank Koks und williger Groupies.
Lange Zeit geht es abwechselnd um die Probleme, Sorgen und Gedanken dieser und noch ein paar weiterer Passagiere. Recht spät kommt der Horror in Form moderner Vampire ins Spiel, die die Überfahrt in einen grausigen Alptraum verwandeln und die Opfer zu zombieähnlichen Wesen machen. Auch nach den ersten Vorkommnissen ahnen die Passagiere noch nicht, was wirklich vor sich geht. Für Spannung ist dadurch gesorgt, dass man um das Leben der sympathischen Charaktere bangt und hofft, dass sie dem Grauen entrinnen können, dass sie vielleicht mit einem Rettungsboot fliehen können oder mit dem Schiff rechtzeitig die Küste erreichen.
Während die beklemmende und düstere Atmosphäre hervorragend eingefangen wird und die Charaktere überzeugen, sind die Schilderungen der brutalen Übergriffe und des Blutdurstes der Vampire etwas zu ausufernd geraten. Die drastischen Szenen nehmend phasenweise etwas überhand und sind ein wenig zu plakativ geraten; zudem lesen sie sich auf Dauer recht ermüdend, weil repetetiv. Grundsätzlich ist "Die Überfahrt" ein Roman, der sich Zeit für die Handlungsentfaltung nimmt und damit auch Geduld beim Leser einfordert.
Fazit:
"Die Überfahrt" von Mats Strandberg ist ein atmosphärisch sehr dichter Horrorroman mit überwiegend sehr gelungenen Charakteren, der gut unterhält und berührt - sieht man davon ab, dass der Horror erst spät ins Spiel kommt und dann teilweise ein bisschen zu brutal geschildert wird.
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