6. März 2017

Eisige Schwestern - S. K. Tremayne

Produktinfos:

Ausgabe: 2015
Seiten: 400
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Der Autor:

S. K. Tremayne ist das Pseudonym eines englischen Bestsellerautors und Reisejournalisten.

Inhalt:


Die eineiigen Zwillinge Lydia und Kirstie sind unzertrennlich, bis Lydia mit sechs Jahren bei einem häuslichen Unfall ums Leben kommt. Auch ein Jahr später kann die Familie Moorcraft mit dem Verlust noch nicht umgehen. Vater Angus hat durch Alkoholprobleme seinen Job verloren, das Geld wird knapp. Sarah und Angus beschließen, gemeinsam mit Tochter Kirstie ein neues Leben auf der kleinen schottischen Privatinsel zu beginnen, die Angus' Familie gehört.

Doch auch die Abgeschiedenheit inmitten der reizvollen Natur bringt zunächst keine Besserung. Kirstie behauptet, in Wirklichkeit Lydia zu sein, ihre Eltern hätten die Zwillinge bei dem Unfall verwechselt. Sarah glaubt zunächst, dass Kirstie auf diese Weise den Verlust ihrer geliebten Schwester verarbeitet. Aber dann geht es so weit, dass sich ihre Tochter wie die ruhige, sanfte Lydia verhält statt wie die temperamentvollere Kirstie, und sie reagiert nur noch auf den Namen Lydia.

Sarah bekommt zunehmend Zweifel, ob wirklich Lydia starb oder ob ihr und Angus ein schrecklicher Fehler bei der Identifizierung unterlief. Kirstie findet in der neuen Schule keinen Anschluss, die Mitschüler fürchten sich vor ihr, da sie mit ihrer toten Schwester spricht. Während Angus aufgrund seiner neuen Arbeit oft mehrere Tage auf dem Festland verbringt, versucht Sarah auf der Insel herauszufinden, wer ihre Tochter ist und was am Unfalltag wirklich geschah ...

Bewertung:


Eineiige Zwillinge üben auf viele Menschen eine besondere Faszination aus, sehen sie doch oft nicht nur auf den ersten Blick identisch aus, sie verbindet auch häufig ein für Außenstehende geradezu magisch erscheinendes Band, wenn sie die Sätze des anderen ergänzen, die gleichen Gedanken verfolgen, die gleiche Gestik und Mimik zeigen und sich ohne Worte verständigen. Zwillingsforschung ist ein komplexes Feld, und natürlich sind Zwillinge dementsprechend auch ein gern gewähltes Sujet in Literatur und Film.

S. K. Tremayne verpackt die Frage danach, welcher Zwilling tatsächlich gestorben ist und wie die Mutter dies herausfindet, in einen fesselnden und wendungsreichen Psychothriller.
Kirstie und Lydia sind selbst für eineiige Zwillinge außergewöhnlich eng verbunden gewesen. Man erfährt, dass sie häufig in einer für andere unverständlichen Phantasiesprache miteinander redeten, die gleichen Träume hatten und andere verwirrten, indem sie die Identitäten tauschten. In der Regel gibt es bei Zwillingen mit der Zeit doch einige optische Unterschiede wie verschiedene Haarwirbel, Muttermale, Leberflecken, Narben oder Pigmentstörungen, sodass das nähere Umfeld sie gut unterscheiden kann. Im Fall von Kirstie und Lydia gab es so etwas nicht, es waren wenn die unterschiedlichen Charaktere, die dafür sorgten, dass man die Schwestern auseinanderhalten konnte.

So sicher Sarah monatelang auch war, dass Lydia starb und Kirstie überlebte - nach Kirsties vehementer Behauptung, Lydia zu sein, kann sie nicht abstreiten, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass tatsächlich Lydia beerdigt wurde. Ihre verbliebene Tochter will nicht nur mit Lydia angeredet werden, sie hat auch in letzter Zeit vermehrt mit Lydias statt mit Kirsties besten Freundinnen gespielt. Sie hat deutliche Fortschritte im Lesen gemacht und Rückschritte in der Mathematik - ganz wie es Lydias Talenten entsprach. Und zu guter Letzt verhält sich auch Familienhund Beany ihr gegenüber eher so, wie er sich gegenüber Lydia verhielt - kuschelig und sanft, während er mit Kirstie eher herumtobte. Sarah muss mit dem schrecklichen Verdacht leben, ein Jahr lang ihre Töchter verwechselt zu haben. Möglich ist aber auch, dass Kirstie aus Schuld- und Verlustgefühlen heraus die Rolle der toten Schwester übernimmt, wie ein Kinderpsychiater erläutert.

Für den Leser ist es äußerst spannend und nicht vorherzusehen, ob der überlebende Zwilling nun Kirstie oder Lydia ist - und falls es doch Kirstie ist, ob sie sich bewusst als Lydia ausgibt oder ob dies ihrer Verwirrung zuzuschreiben ist. Des Weiteren kristallisiert sich zunehmend heraus, dass der Unfall noch eine größere Rolle spielen wird. Anfangs erfährt man nur, dass die Zwillinge oben im Haus spielten und einer dabei herunterstürzte; später wird angedeutet, dass es mit dem Unfall eine besondere Bewandtnis auf sich haben könnte, wenn es denn überhaupt einer war.

Die intensiv gestaltete Atmosphäre tut ihr Übriges dazu, um den Thriller einen gewissen Grusel zu verleihen. Ein großer Teil der Handlung spielt auf der kleinen Insel, die von der rauen Natur ringsum beherrscht wird, von den Gezeiten, dem Watt, in dem man steckenbleiben kann, dem reißenden Meer und den heftigen Stürmen. In Sarahs und Angus renovierungsbedürftigem Haus gibt es keinen Handy- oder Internetempfang, die Telefonverbindung ist unzuverlässig, das Festland muss mühsam mit einem motorisierten Schlauchboot angesteuert werden. Es ist keine heile Welt, die die Moorcrafts auf der Insel erwartet, doch aus finanziellen Gründen gibt es keine Alternative. Der Schauplatz ist ideal geeignet, um die unheilvolle Stimmung aus Misstrauen und Verunsicherung, die in dieser Familie herrscht, noch zu intensivieren. Sarah und Angus haben offenbar Geheimnisse voreinander, jeder nimmt dem anderen gewisse Dinge übel. Zwar reißen sich beide zusammen, doch das Brodeln unter der Oberfläche ist offenkundig.

Während das Buch in Sachen Spannung vollauf überzeugt und zum beständigen Weiterlesen ermuntert, hapert es ein wenig bei den Charakteren. Angus ist überwiegend unsympathisch gezeichnet, er wirkt häufig unterschwellig aggressiv, und schließlich kommt der Verdacht auf, er könnte mit dem Tod des Zwillings gar etwas zu tun haben. Mit Sarah, die in den meisten Kapiteln als Ich-Erzählerin auftritt (in anderen Kapiteln spricht ein personaler Erzähler, der Angus fokussiert), kann man mehr mitfühlen. Allerdings zeigt sie phasenweise zu wenig Verständnis für ihre Tochter, die Schule wird beispielsweise viel zu wenig über das erlittene Trauma informiert, das Mädchen erhält zu wenig psychologische Unterstützung, und das wiederum verärgert beim Lesen und nimmt einen gegen Sarah ein.

Ein weiterer kleiner Minuspunkt ist das nicht ganz perfekte Ende. Eine wichtige Enthüllung wird recht plakativ und plötzlich eingebracht, ein paar subtile Vorausdeutungen dazu wären schön gewesen, so wirkt es eher wie eine spontane Eingebung des Autors. Des Weiteren erhält die Geschichte am Schluss einen kleinen Mystery-Einschlag, der vorher nicht absehbar war, und es bleibt ein Interpretationsspielraum, der nicht zwingend ein Minuspunkt sein muss, aber sicher nicht jedem gefällt.

Fazit:


Ein sehr spannender und atmosphärischer Psychothriller, der trotz kleiner Schwächen unterm Strich ausgesprochen gut unterhält.

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