6. Februar 2016

Schlafe, mein Prinzchen, schlaf - Karin Fossum

Produktinfos:

Ausgabe: 2014
Seiten: 288
Amazon
* * * * *
Die Autorin:


Karin Fossum wurde 1954 in Norwegen geboren. 1995 erschien ihr Debütroman "Evas Auge", der erste Kriminalroman mit Kommissar Sejer. Weitere Bände sind u.a. "Fremde Blicke", "Dunkler Schlaf" und "Wer anders liebt". Bis 2016 erschienen elf Bände der Reihe.

Inhalt:


Kommissar Sejer wird zum Todesfall des kleinen Tommy hinzugerufen. Der sechzehn Monate alte Junge verließ offenbar unbemerkt das Haus, als seine Eltern gerade beschäftigt waren und ertrank im nah gelegenen See. Alles sieht nach einem Unfall aus, einer unglücklichen Verkettung von Dingen.

Kommissar Sejer ist allerdings misstrauisch. Die Eltern Carmen und Nicolai sind noch sehr jung und gehen sehr unterschiedlich mit dem Vorfall um. Während Nicolai sich zurückzieht und intensiv trauert, scheint die lebenslustige Carmen Tommys Tod viel besser zu verkraften. Tommy hatte das Down-Syndrom, und Sejer erfährt aus Carmens Umfeld, dass sie damit viel schlechter umgehen konnte als ihr Mann - teilweise schämte sie sich sogar für ihr Kind.

Allerdings kann sich kaum jemand vorstellen, dass Tommys Tod kein Unfall gewesen sein soll. Untersuchungen ergeben, dass der Junge gut genährt und gepflegt wurde, es gibt keine Hinweise auf Misshandlungen. Trotzdem lässt Sejer nicht locker und stellt immer wieder neue Befragungen an ...

Bewertung:


Normalerweise sind Karin Fossums psychologische Krimis eine sichere Bank. Mit ihrem elften Band der Kommissar-Sejer-Reihe "Schlafe, mein Prinzchen, schlaf" weicht die norwegische Autorin ein wenig von der gewohnten Qualität ab und legt ein recht durchschnittliches Werk vor, das nicht an die früheren Bände heranreicht.

Vorweg sei gesagt, dass der Buchrückseitentext gleich zwei inhaltliche Fehler enthält, die falsche Erwartungen wecken können. Dort heißt es: "Wie kam der gehbehinderte Junge aus dem Haus? Warum war das Kind nackt?" Gehbehindert war der kleine Tommy nicht, im Gegenteil hatte er gerade Laufen gelernt und war "schnell wie ein Eichhörnchen". Weiterhin wird betont, dass er abgesehen von seinem Down-Syndrom vollkommen gesund war, auch bezüglich der Motorik. Nackt war er indessen schon, allerdings spielt das bei den Ermittlungen, anders als hier suggeriert wird, keine bedeutende Rolle - er starb nämlich an einem sehr heißen Sommertag, und seine Mutter erklärt, dass er sich deswegen unbekleidet auf einer Decke tummelte. Die Betonung der Nacktheit auf der Buchrückseite könnte daran denken lassen, dass hier Kindesmissbrauch thematisiert wird, was nicht der Fall ist.

Die Ausgangslage des Falles ist an sich durchaus dazu geeignet, den Leser zu fesseln und klingt dementsprechend vielversprechend. Ein kleines Kind ist ertrunken, eine kleine Unaufmerksamkeit der Mutter löst eine Katastrophe aus. Tommys Vater macht seiner Frau Vorwürfe, wagt es aber nicht, an irgendeine Art von Vorsatz zu denken. Kommissar Sejer hat nichts Konkretes gegen die Eltern in der Hand, er folgt in erster Linie seinem Gespür. Während Nicolas Trauer ernst scheint, wirkt Carmens Reaktion teilweise aufgesetzt. Schnell denkt sie an ein neues Kind, als Überbrückung dient ihr ein Hundewelpe. Man kann Sejers Gedanken sehr gut nachvollziehen, Carmen erscheint auch dem Leser von Anfang an nicht koscher. Trotzdem gibt es nur Indizien und keine Beweise; es ist ein für die Ermittler frustrierender Fall. Sejer kann und will nicht lockerlassen, macht aber nur sehr langsam Fortschritte. Spannung ergibt sich aus den Fragen, ob Carmen am Ende womöglich doch ein Verbrechen nachgewiesen werden kann, wie dies geschehen mag und wie die Ehe der Eltern den Vorfall verkraftet.

Wie bei der Reihe üblich liegt der Fokus auf Gesprächen mit dem Umfeld des Opfers, aus Kommissar Sejers Gedanken und seiner bedächtigen, subtilen Vorgehensweise. Er ist ein guter Beobachter, seine souveräne Ausstrahlung bringt Verdächtige wider Willen dazu, ihm zu vertrauen. Der zurückgezogene Witwer, der nach wie vor um seine an Krebs verstorbenen Frau trauert, ist eine Figur, deren Lebensweg man als Leser gerne verfolgt und der einem schnell ans Herz wächst. Anders als sonst sind die Charaktere hier jedoch blass geraten. Nicolai ist der traumatisierte Vater, Carmen die unsympathische Mutter; die Schwarz-Weiß-Malerei ist ausgeprägter als in anderen Bänden. Zwar weiß man zunächst noch nicht, wie groß Carmens Schuld tatsächlich ist, aber unabhängig davon distanziert man sich schnell von ihr.

Es ist an sich ein reizvoller Gedanke, die Gefühls- und Gedankenwelt einer Mutter zu präsentieren, die mit der Behinderung ihres Kindes hadert. Diese schwierige Gratwanderung will hier aber nicht wirklich gelingen. Carmen ist kein Charakter zum Ein- und Mitfühlen, sie erscheint nahezu durchweg als verwöhnte, egoistische Prinzessin, die sich zu kurz gekommen fühlt. Andere Täter oder Verdächtige in der Sejer-Reihe erwecken Mitgefühl und stellen den Leser vor eine emotionale Zerreißprobe, dieser Effekt bleibt hier aus. Carmen macht keine Entwicklung durch, bleibt recht eindimensional und ist einfach keine besonders interessante Figur. Zu allem Überfluss gibt es ganz zum Schluss noch einen sehr konstruierten Zufall, der wenig glaubwürdig erscheint.

Fazit:


Ein psychologischer Krimi, der in der Qualität gegenüber den anderen Werken der Reihe abfällt. Kann man lesen, wenn man keine zu hohen Erwartungen hat, aber die anderen Bände sind deutlich vorzuziehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.