20. Juni 2015

Totes Meer - Brian Keene

Produktinfos:

Ausgabe: 2010
Seiten: 383
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Der Autor:

Brian Keene (USA, Jahrgang 1967), erhielt gleich für seinen Debütroman "Auferstehung" im Jahr 2001 den Bram Stoker Award, der alljährlich für außergewöhnliche Horrorliteratur verliehen wird. Weitere Werke sind u. a. Stadt der Toten und Kill Whitey.

Inhalt:


Lamar Reed führt in Baltimore ein durchschnittliches und teils unglückliches Leben. Als homosexueller Schwarzer hat er gleich doppelt mit Vorurteilen zu kämpfen, er kommt aus armen Verhältnissen und hat vor Kurzem seinen Job verloren. Das alles spielt jedoch keine Rolle mehr, als eine Seuche über der Stadt und nach und nach über der ganze Welt ausbricht:

Infizierte Ratten greifen die Menschen an und verwandeln sich nach ihrem Tod in Zombiewesen. Wer von ihnen gebissen wird oder infizierte Körperflüssigkeit in Schleimhäute oder Wunden bekommt, stirbt kurze Zeit später und kehrt ebenfalls als Untoter zurück. Die Zombies scheinen ohne jeden Verstand, nur darauf gepolt, die Lebenden zu fressen. Ausschalten kann man sie nur, indem man ihr Gehirn zerstört.

In Baltimore wird das Kriegsrecht ausgerufen. Immer mehr Menschen fallen der Seuche zum Opfer, die Überlebenden verbarrikadieren sich oder nehmen einen verzweifelten Kampf auf. Lamar begegnet auf seiner Flucht den beiden Waisenkindern Tasha und Malik, die er rettet. Gemeinsam mit dem lässigen Waffenspezialisten Mitch flüchten sie sich zum Hafen. Zusammen mit rund zwanzig anderen Überlebenden fahren sie auf einem ehemaligen Schiff der US-Küstenwache aufs Meer hinaus. Sie hoffen, auf See vor Zombies sicher zu sein und vielleicht Zuflucht auf einer Insel zu finden ...

Zombies ahoi

"Ich erschoss die Schlampe erst, als sie anfing, Alans Gesicht zu fressen." Schon der erste Satz macht dem Leser deutlich, was er bei Brian Keenes Roman erwarten kann: Horden von Zombies, blutiges Gemetzel und eine Menge Verzweiflung. "Totes Meer" ist in den allermeisten Belangen ein klassisches Zombie-Machwerk mit den üblichen Zutaten des Genres. Die Zombies reagieren fast gänzlich ohne Verstand, die Epidemie breitet sich unaufhörlich weiter aus, Überlebende schließen sich zu einer Gruppe zusammen und müssen neben den Untoten auch noch die innergruppären Konflikte in Schach halten.

Hauptfigur und Ich-Erzähler ist der junge Lamar Reed, der als homosexueller Afro-Amerikaner gleich doppelt unter Vorurteilen leidet. Lamar wächst in ärmlichen Verhältnissen im Ghetto auf und versucht alles, um sein Leben trotz dieser Bedingungen im Griff zu behalten - abgeschlossene High School, ein solider Job, respektvolles Verhalten gegenüber Frauen, keine Drogen. Trotzdem schlägt ihm immer wieder zweifacher Ablehnung entgegen - der unterschwellige Rassismus der Weißen und das Unverständnis jener Schwarzen, die ihn als Verräter betrachten, weil er sich von allen Klischees fern hält. Rap und Hip Hop interessieren ihn ebensowenig wie die Parolen eines Jesse Jackson; genervt findet er sich damit ab, dass er auf Partys von wohlmeinenden Bekannten auf Klischeethemen wie Basketball oder Wiedergutmachung für ehemalige Sklaven angesprochen wird. Lamar erscheint dem Leser als sympathische Figur; er ist ein Durchschnittstyp, ohne langweilig zu sein. Seine Probleme machen ihm zum sensiblen Charakter, mit dem es sich leicht mitfühlen lässt, ohne dass er dabei je weinerlich oder selbstmitleidig wirkt.

Spannung ist im Roman durchweg gegeben. Lamar und seine Begleiter müssen nahezu nonstop mit Angriffen rechnen und sich immer wieder aus brenzligen Situationen befreien. Im Laufe der Handlung sterben einige Charaktere, darunter durchaus auch Figuren, die man ins Herz geschlossen hat und die zu Lamars Freunden zählten. Somit ist "Totes Meer" ein sehr düsteres Werk, das wenig Gnade kennt und sowohl durch eine gewisse Unberechenbarkeit überzeugt als auch durchaus auch emotionale Momente beschert. Neben Lamar weckt vor allem der Waffennarr Mitch das Interesse des Lesers; nach außen hin erscheint er lässig und souverän; später allerdings offenbart er ein bewegendes Schicksal. Er und Lamar sind in vielerlei Hinsicht grundverschiedene Charaktere, die sich dennoch zu engen Vertrauen entwickeln; vor allem diese Freundschaft und Lamars Sorge um die beiden Kinder sind es, die innerhalb dieses Grauens für Augenblicke der Hoffnung entstehen lassen.

Neben dem Kampf gegen die Zombies reizen vor allem die Schwierigkeiten der Charaktere untereinander. Die rund zwanzig Überlebenden auf dem Schiff hätten sich vor der Katastrophe kaum je zusammengefunden, sodass rasch Konflikte entstehen. Da ist beispielsweise der Cop Officer Steven Runkle, der kaum etwas über sich preisgibt und in seiner kühlen Verschlossenheit zwar souverän, aber auch etwas angsteinflößend wirkt. Noch unwohler fühlt sich Lamar in Gegenwart von Cleveland Hooper, dem einzigen anderen schwarzen Erwachsenen in der Gruppe. Hooper versucht sich zu Beginn mit Lamar zu verbrüdern, ehe er ihn verächtlich als "Onkel Tom" abstempelt, der sich bei den Weißen anbiedere und mit Ekel auf dessen Homosexualität reagiert. Ihr Kapitän Chief Maxey bemüht sich zwar, die Lage an Bord so ausgeglichen wie möglich zu halten, doch natürlich sind Probleme unausweichlich - die Vorräte müssen streng rationiert werden, eine Frau aus der Gruppe ist Diabetikerin und benötigt dringend Medikamente; es herrscht Uneinigkeit über das nächste anzusteuernde Ziel.

Trotz vieler gelungener Aspekte enthält der Roman auch einige Schwachstellen. Am Ausbruch der Seuche nimmt der Leser kaum teil, stattdessen bekommt er die Ereignisse des vergangenen Monats auf den ersten Seiten in sehr komprimierter Form präsentiert, der Beginn wirkt daher recht gedrängt und ein wenig überhastet, da viele Informationen auf sehr kleinem Raum preisgegeben werden. Grundsätzlich sind die Geschwister Malik und Tasha zwei interessante Charaktere, vor allem aufgrund ihrer engen Bindung zu Lamar und dessen Entwicklung einer Art Vaterrolle. Allerdings wirkt Malik für seine acht Jahre viel zu reif und furchtlos und damit alles andere als realistisch. Obwohl er und seine Schwester ihre Mutter verloren haben und sich allein in ihrem Haus vor Horden von Zombies verschanzen, reagiert Malik selbstbewusst und patzig gegenüber Lamar. Auch später tritt Malik immer wieder eher wie ein Teenager auf statt kindlichere Verhaltensweisen an den Tag zu legen.

Überdies ist die Gestaltung der Charaktere ein bisschen zu simpel geraten. Die Rollen sind recht klar verteilt und es gibt in dieser Hinsicht wenig bis keine Überraschungen - den guten Charakteren fehlt es teilweise an Ecken und Kanten, die schlechten Charaktere sind als solche schnell auszumachen; insbesondere die negativen Figuren sind stereotyp gezeichnet und hätten eine etwas ausgefeiltere Darstellung verdient.

Zudem wird in der zweiten Hälfte des Romans der interessante Gedanke einer möglichen geistigen Weiterentwicklung der Zombies aufgegriffen, aber leider nicht fortgeführt. Es scheint Indizien dafür zu geben, dass die Untoten irgendwann nicht mehr ausschließlich auf Fressen und Töten ausgelegt sind, sondern einen Funken Bewusstsein zeigen; indessen bleibt es bei dieser vagen Andeutung, ohne dass es zu einem richtigen Thema wird. Zu guter Letzt reagieren die Figuren immer mal wieder etwas zu naiv; während der Leser gewisse Gefahren schon früh erkennt, zeigen sich die Charaktere mehrfach lange Zeit arglos - das gilt erst recht für die Risiken, die sich unter dem Meer verbergen.

Fazit:

Ein insgesamt kurzweiliger Zombie-Roman, der gut unterhält, wenn man keine zu hohen Ansprüche stellt. Die Handlung ist spannend, der Protagonist gelungen, allerdings sind die anderen Charaktere überwiegend etwas zu stereotyp geraten. Eine nette Lektüre für Fans von "The Walking Dead" und Konsorten, aber kein Highlight im Horror-Genre.

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