4. Februar 2018

Waidmannstod - Maxim Leo

Produktinfos:

Ausgabe: 2015 bei KiWi
Seiten: 288
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Der Autor:

Maxim Leo, Jahrgang 1970, absolvierte zunächst eine Ausbildung als Chemielaborant, studierte später Politikwissenschaften und arbeitete als Redakteur bei RTL und der Berliner Zeitung. Er verfasste mehrere Tatort-Drehbücher, 2009 erschien sein autobiografisches Buch "Haltet euer Herz bereit: eine ostdeutsche Familiengeschichte".

Inhalt:


Kommissar Daniel Voss kehrt mit 43 Jahren in seine brandenburgische Heimat Sternekorp zurück, um sich um seine pflegebedürftige Mutter zu kümmern. Kurz nach seiner Ankunft geschieht während einer Jagd ein Mord. Der Tote ist einer der Jäger; er wurde erschossen und waidgerecht aufgebahrt.

Schnell stellt sich heraus, dass viele Einwohner ein Motiv hatten. Verdächtig sind natürlich alle Teilnehmer der Jagd, auch wenn sie sich gegenseitig Alibis geben. Dem Toten gehörten aber auch Teile des Waldes, die er an eine Windkraftfirma verpachten wollte. Das sorgte bei Naturschützern für Wut und Hass, aber auch im Geschäftsumfeld und in seinem Privatleben gibt es Menschen mit Motiv.

Wenig später geschieht ein weiterer Mord nach dem gleichen Muster. Jetzt sucht Voss einen Serientäter, der womöglich noch weitere Taten plant. Die Zusammenhänge sind verzwickt, der Druck wächst. Wird es noch weitere Morde geben ...?

Bewertung:

Mit "Waidmannstod" schenkt Maxim Leo dem Ermittler Daniel Voss den ersten Auftritt, der neugierig auf weitere Fälle des Kommissars im ländlichen Brandenburg macht.

So stimmungsvoll wie das Cover mit Nebelwald sind viele Passagen des Krimis, denen man anmerkt, dass hier jemand die Gegend gut kennt, über die er schreibt. Gemeinsam mit Daniel Voss durchstreift der Leser den Wald und erfährt viele reizvolle Details zu Flora und Fauna der Region - angenehm dezent eingeflochten und nicht aufdringlich. Die idyllische Schönheit der Natur wird sehr anschaulich beschrieben; man sieht die Gegend durch die Augen von Voss, der hier als Junge häufig durch den Wald streifte und sich damals wie heute für Ornithologie interessierte.

Voss ist ein durchaus ungewöhnlicher Kommissar. Statt sich eine Wohnung zu nehmen, zieht er lieber ins heimische Kinderzimmer ein; er wirkt bisweilen unbeholfen, vor allem in Gegenwart der umso herzlicheren und offenen polnischen Pflegekraft Maja, die sich um seine Mutter kümmert. Daniel Voss ist kein besonders entscheidungsfreudiger Mensch, er ist introvertiert und für seine Kollegen in seiner ganzen zurückhaltenden Art erst einmal gewöhnungsbedürftig. Für den Leser ist er eine angenehme Figur; zwar mit gewissen Ecken und Kanten versehen, aber keiner jener extremen Antitypen, die bisweilen zu sehr im Mittelpunkt eines Kriminalromans stehen. Seine ruhige, etwas linkische Ausstrahlung macht ihn sympathisch; und die Dialoge mit der forschen Maja sorgen für ein paar amüsante Momente.

Die Krimihandlung ist solide, wenngleich keine Höchstspannung aufkommen will. Dank der Fülle an Motiven und Verdächtigen ist die Auflösung nicht vorhersehbar - allerdings sind die Mordopfer auch nicht so interessant, dass man an ihrem Schicksal besonders Anteil nähme. Die Auflösung am Schluss liefert zudem zwar ein passendes Motiv, es gibt auch zuvor eine sehr dezente Andeutung darauf, doch insgesamt wird diese Wendung zu wenig vorbereitet. Der Leser wird hier ein bisschen zu sehr vor vollendete Tatsachen gestellt. Des Weiteren ist Maja zwar ein origineller, aber nicht immer glaubwürdiger Charakter, was ihr Verhalten angeht.

Fazit:


"Waidmannstod" von Maxim Leo bildet den soliden Start einer Krimireihe um den ruhigen Kommissar Daniel Voss. man bekommt durchaus Lust auf die weiteren Bände, was vor allem an der Hauptfigur liegt; Suchtfaktor ist hier allerdings nicht gegeben.

1. Februar 2018

Das Flüstern der Schuld - Sam Hepburn

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei Goldmann
Seiten: 528
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Die Autorin:

Sam Hepburn aus Großbritannien arbeitete für die BBC als Produzentin und Regisseurin von Dokumentarfilmen und hat bereits mehrere Jugendbücher veröffentlicht. "Das Flüstern der Schuld" ist ihr erster Spannungsroman für Erwachsene.

Inhalt:

Gracie Dwyer scheint das Glück für sich gepachtet zu haben: Sie feiert große Erfolge als TV-Köchin, ist hübsch und adrett, ist mit dem attraktiven Witwer Tom verheiratet und hat eine süße Stieftochter. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich steckt ihre Ehe in einer Krise, ein Stalker schickt ihr seit Monaten bedrohliche Briefe, und Gracie fühlt sich immer wieder im Schatten von Toms verstorbener erster Frau.

In dieser schwierigen Phase lernt sie die alleinerziehende Mutter Juliet kennen. Gracie zeigt anfangs kein besonderes Interesse an Juliet. Doch die wiederum setzt alles daran, um sich mit Gracie anzufreunden. Juliet hat ein Alkoholproblem, liegt ständig im Streit mit ihrem Ex-Mann, vernachlässigt ihre Tochter Freya und steckt ständig in Geldnöten. Dennoch kreuzen sich die Wege der beiden Frauen immer wieder, zumal sich deren Töchter anfreunden. Gracie hilft Juliet ab und zu dabei, ihren Alltag etwas besser zu strukturieren.

Dabei ist das Zusammentreffen der beiden Frauen alles andere als ein Zufall. Juliet ist überzeugt davon, dass Gracie ihr vor vielen Jahren die Chance auf eine große Karriere zerstört hat. Und so nimmt die Bekanntschaft der beiden Frauen ihren verhängnisvollen Lauf ...

Bewertung:

Der Schein trügt in Sam Hepburns "Das Flüstern der Schuld", und das auf mehreren Ebenen. Zunächst aber gönnt sich der Roman eine gemächliches Handlungstempo, in dem sich die Bekanntschaft der beiden Frauen ganz langsam entwickelt.

Abwechselnd konzentriert sich der Erzähler auf Gracies und Juliets Leben, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Schon früh ist dem Leser klar, dass Juliet alles daransetzt, um sich in Gracies Leben zu drängen, und man verfolgt gespannt die immer häufigeren Zusammentreffen der beiden. Unklar ist dabei lange Zeit, wie weit Juliet es treiben wird, was ihre genauen Motive sind, wie Gracie langfristig auf Juliet reagiert - und nicht zu vergessen, was es mit Gracies anonymen Stalker auf sich hat.

Die Handung ist recht vielschichtig, zumal auch die Lebenssituationen der beiden unabhängig voneinander interessant sind - die strahlende Gracie, hinter deren Fassade sich doch einige Abgründe verbergen, und die gefallene Juliet, die mit Mühe und Not sich und ihr Kind gerade so über Wasser hält. Allmählich erfährt man, wie es bei Juliet so weit kommen konnte. Anfangs kommt Juliet in erster Linie die Rolle der Antagonistin zu, später wird ihr Bild etwas differenzierter; bisweilen kommt Mitleid mit ihr auf. Das Label "Thriller" suggeriert womöglich einen dynamischeren Plot, passender ist eher die Bezeichnung "psychologischer Spannungsroman".

Temporeich wird das Werk erst sehr spät, dann allerdings gibt es umso heftigere Wendungen. Davon ist zumindest eine etwas verfrüht zu erahnen dank einer zu offensichtlichen Andeutung. Die andere markante Wendung wird nicht jedermann überzeugen. Sie ist zwar überraschend, aber auch etwas weit hergeholt. So bleibt nach der Lektüre auch ein leicht fader Beigeschmack zurück; bis dahin allerdings schenkt der Roman durchaus sehr solide Unterhaltung.

Fazit:

"Das Flüstern der Schuld" von Sam Hepburn ist ein leicht überdurchschnittlicher Spannungsroman über zwei unterschiedliche Frauen, ihre jeweiligen Geheimnisse und einen fatalen Verlauf ihrer Bekanntschaft; kein Highlight des Genres zwar, aber doch kurzweilig und lesenswert.

27. Januar 2018

Flugangst 7a - Sebastian Fitzek

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei Dromener/Knaur
Seiten: 400
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Der Autor:

Sebastian Fitzek, Jahrgang 1971, zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Thrillerautoren. Gleich mit seinem Erstling "Die Therapie" gelang ihm 2006 der Durchbruch. Weitere Werke sind u.a. "Der Seelenbrecher", "Der Augensammler", "Splitter", "Noah", "Passagier 23", "Das Paket" und "AchtNacht".

Inhalt:

Nach dem Tod seiner Frau vor vier Jahren ist der Psychiater Mats Krüger nach Argentinien ausgewandert und hat Deutschland den Rücken gekehrt. Jetzt aber ist seine Tochter Nele hochschwanger und bittet ihn, ihr nach der Geburt ihres Babys beizustehen. Trotz seiner ausgeprägten Flugangst geht Mats an Bord des Langstreckenfluges Bueno Aires - Berlin.

Kurz nach Betreten des Flugzeugs erhält Mats jedoch einen schockierenden Anruf. Ein Unbekannter behauptet, dass er die hochschwangere Nele entführt hat. Um Neles Leben zu retten, soll Mats dafür sorgen, dass das Flugzeug abstürzt - samt den mehr als 600 Passagieren inklusive ihm selbst.

Der Unbekannte eröffnet Mats, dass sich an Bord eine seiner ehemaligen Patientinnen befindet. Vor zehn Jahren konnte Mats sie vor einem Amoklauf abhalten und erfolgreich therapieren. Jetzt soll er genau jene Gewaltphantasien wieder bei ihr hervorrufen, damit sie das Flugzeug zum Abstürzen bringt. Für den verzweifelten Mats Krüger beginnt die Uhr zu ticken ...

Bewertung:


In "Passagier 23" entführte Sebastian Fitzek seine Leser auf ein Kreuzfahrtschiff, diesmal wird ein Flugzeug Schauplatz seines neuesten Psychothrillers.

Für Spannung wird hier an allen Ecken und Enden gesorgt: Natürlich fragt man sich, ob Mats das Flugzeug tatsächlich zum Absturz bringen wird, wie er das überhaupt bewerkstelligen will. Ebenso bangt man mit Nele, zu deren Schicksal immer wieder geschaltet wird. Zudem darf man rätseln, welches Motiv der Täter überhaupt hat. Die Handlung spielt sich beinahe in Echtzeit ab, was zusätzlich dazu einlädt, den Roman in einem Rutsch zu verschlingen. Das brisante und dramatische Szenario mag reichlich überzogen wirken, ist aber absolut fesselnd inszeniert. Das Geschehen ist so zwar schwer vorstellbar, aber nicht so hanebüchen wie etwa in "Das Paket". Nebenbei lädt die Ausgangssituation auch dazu ein, sich grundsätzlich über solche moralischen Dilemmata Gedanken zu machen.

Trotz der unterschiedlichen Handlungsfäden behält man gut den Überblick: Im Fokus steht natürlich Mats an Bord des Flugzeuges, der sich entscheiden muss, ob er die Maschine mit sich und über sechshundert weiteren Passagieren ins Verderben stürzen lassen will - und wenn ja, wie genau er das innerhalb weniger Stunden anstellen soll. Mats verfügt zwar über Handy- und Internetempfang, kann dies aber nur begrenzt zu Neles Rettung einsetzen: Der anonyme Täter warnt ihn - sollte er mitbekommen, dass die Polizei nach Nele sucht, wird sie sterben. Stattdessen kontaktiert Mats jedoch heimlich seine frühere Kollegin Feli und hofft, dass sie irgendwie eine Spur Nele und ihrem Entführer findet. Felis Suche nach Nele bildet den zweiten großen Handlungsstrang. Brisanterweise haben sich Feli und Mats vor vier Jahren nach einer gemeinsamen Nacht alles andere als im Guten getrennt - und obendrein steht in ein paar Stunden Felis Hochzeit an. Der dritte Strang dreht sich um die entführte Nele, die um ihr Überleben kämpft - und um das ihres ungeborenen Kindes.

Die Hauptfiguren sind im Großen und Ganzen solide ausgearbeitet. Mats Krüger ist zwar nicht unbedingt ein Antiheld, hat aber zumindest deutliche Ecken und Kanten. Er ist einerseits ein sehr erfolgreicher Psychiater, leidet andererseits selbst unter Flugphobie, wogegen auch ein spezielles Seminar kaum geholfen hat. Vor allem aber ist er gezeichnet vom Tod seiner Ehefrau vor vier Jahren; ein einschneidendes Erlebnis, das zunächst nur angedeutet und später näher beleuchtet wird. Seine Tochter hat sich zeitweilig ganz von ihm zurückgezogen, Feli fühlt sich von ihm benutzt - Mats Krüger hat trotz seiner Profession durchaus selbst einige Defizite im emotionalen und sozialen Bereich. Der erfolgreiche Therapeut, der gleichzeitig Probleme mit der eigenen Psyche hat, ist zwar an sich eine recht klischeebehaftete Figur; in diesem Kontext passt es aber gut.

Neles Charakter wird nicht sehr intensiv beleuchtet, aber ihre Situation wird schmerzlich detailliert vor Augen geführt. Sie liegt im Clinch mit dem Vater ihres ungeborenen Kindes und ist HIV-positiv. Selbst wenn beide also die Geburt in den Fängen des Entführers überleben, besteht ein erhöhtes Risiko der Ansteckung des Babys. Neles Angst, ihre Schmerzen und ihre verzweifelten Versuche, sich irgendwie aus der Situation zu retten, werden packend geschildert.

Ein bisschen übertrieben wird mit den allzu penetrant eingesetzten Cliffhangern. Das gilt vor allem für die Stellen, an denen ein Kapitel mit einer dramatischen Entwicklung endet, die sich dann später harmloser darstellt als gedacht. Bisweilen fällt auch das etwas zu konstruierte perfekte Timing mancher Situationen auf; zudem reagieren Mats, Feli und Nele ein bisschen zu clever angesichts ihrer Notlagen, die klares Denken sehr schwermachen.

Fazit:


Alles in allem ist "Flugangst 7a" von Sebastian Fitzek ein rasanter, spannender Thriller, der Spaß macht. Von ein paar Kleinigkeiten abgesehen also ein sehr empfehlenswerter Roman für alle Freunde des Genres.

30. Dezember 2017

Stalker - Louise Voss/Mark Edwards

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei btb
Seiten: 416
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Die Autoren:

Louise Voss und Mark Edwards aus London veröffentlichten ihren ersten gemeinsamen Thriller "Fieber" zunächst im Eigenverlag. Der Roman entwickelte sich zum Sensationserfolg. Mit "Stalker" folgte die zweite Zusammenarbeit.

Inhalt:


Vor Jahren hat Siobhan ihren ersten und bisher einzigen Roman veröffentlicht - der große Durchbruch ist ihr damit noch nicht geglückt, und für einen weiteren Roman fehlt ihr die Inspiration. Um sich finanziell über Wasser zu halten, arbeitet sie als freie Journalistin und gibt Schreibkurse.

In ihrem Schreibkurs sitzt auch der junge Alex. Vom ersten Blick an ist er fasziniert von seiner Dozentin und träumt davon, sie näher kennenzulernen. Er schickt ihr eine überschwängliche Kritik zu ihrem Buch, schleicht um ihr Haus herum und beschafft sich schließlich einen Zweitschlüssel. Während Siobhans Abwesenheit spioniert er ihr Zuhause aus, um seiner Angebeteten möglichst nahe zu sein.

Siobhan ahnt mit der Zeit, dass etwas bei ihr zu Hause nicht stimmt, ohne den genauen Grund zu erkennen. Alex' Besessenheit steigert sich immer weiter - bis es eines Tages zu einem Todesfall kommt ...

Bewertung:

Die zweite Gemeinschaftsarbeit von Louise Voss und Mark Edwards ist ein recht unterhaltsamer, aber nicht überdurchschnittlicher Thriller. Abwechselnd werden die Tagebucheinträge von Siobhan und Alex präsentiert, und der Leser erfährt das Geschehen aus der jeweiligen Perspektive. Die Handlung beginnt als recht konventionelle Stalking-Geschichte: Alex sieht in Siobhan die große Liebe, obwohl er sie kaum kennt; er ist von einer Seelenverwandtschaft überzeugt, und er interpretiert ihr Verhalten häufig falsch. Dabei wird er auch kriminell, etwa wenn er sich in ihrer Wohnung herumschleicht - immer in der Überzeugung, dass er bald ja ohnehin Siobhans Lebensgefährte wird. Spannung ist durchaus gegeben, schließlich möchte man erfahren, wie weit Alex mit seinem Stalking geht, wie Siobhan reagiert und welche Konsequenzen der Todesfall nach sich zieht.

Auch die beiden unterschiedlichen Perspektiven haben ihren Reiz - man kann zwar Alex' Handlungen schwerlich gutheißen, doch man kann zumindest ein wenig die Gedanken des naiven, verliebten jungen Mannes nachvollziehen. Alex meint es nicht böse, er will Siobhan nicht verängstigen oder gar verletzen, steigert sich aber immer drastischer in seine Obsession hinein. Dabei ist gerade reizvoll, dass Alex auf den ersten Blick recht attraktiv und sogar sympathisch wirkt; er ist niemand, dem man Stalking zutrauen würde, was ihn in der Hinsicht zu einer interessanten Figur macht.

Die Tagebucheinträge lesen sich aber von beiden Charakteren konstruiert. Beide wirken nicht wie echte Tagebucheinträge, sondern wie für ein Publikum geschrieben; dazu ist es kaum glaubhaft, dass jemand ständig die aktuellen Ereignisse beinah live einträgt, und das auch noch in dieser Ausführlichkeit.

Eine weitere Schwäche liegt in der bemerkenswerten Wendung, die die Handlung in der zweiten Hälfte unternimmt. Diese Wendung mag zwar originell und eher unerwartet sein, aber sie erscheint auch unglaubwürdig. Das gilt ebenfalls und erst recht für das Ende. Schade ist außerdem, dass im Prolog bereits verraten wird, wer sterben wird, auch wenn man noch nicht die genauen Hintergründe kennt.

Fazit:

"Stalker" von Louise Voss und Mark Edwards ist ein grundsätzlich unterhaltsamer Thriller, der allerdings unter ein paar Unglaubwürdigkeiten leidet. Sofern man die Thematik mag und keine hohen Ansprüche hat, bekommt man für ein paar Stunden solide Lektüre geboten.

20. Dezember 2017

Gute Töchter - Joyce Maynard

Produktinfos:

Ausgabe: 2015 bei HarperCollins Germany
Seiten: 352
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Die Autorin:

Joyce Maynard (USA), Jahrgang 1953, begann in den Siebzigern ihre journalistische Karriere beim New York Times Magazine. Ein Jahr lang war sie mit dem populären Autor J. D. Salinger liiert, was sie in ihren Memoiren "Tanzstunden. Mein Jahr mit Salinger" literarisch verarbeitete. Ihr Werk "To Die For" wurde mit Nicole Kidman und Joaquin Phoenix verfilmt. Weitere Romane sind: Die Guten, Das Leben einer anderen und Der Duft des Sommers.

Inhalt:

Rachel und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Patty wachsen in den siebziger Jahren in einer Kleinstadt bei San Francisco auf. Nach der Trennung ihrer Eltern bleiben sie bei der Mutter, doch sie vergöttern ihren Vater, einen Detective, immer noch. Sowohl Rachel als auch Patty sind Außenseiterinnen, die die meiste Zeit unter sich bleiben und sich phantasievolle Spiele und Geschichten ausdenken.

In jenem Sommer 1979, als sie dreizehn und elf Jahre alt sind, beginnt eine Serie von Frauenmorden am nah gelegenen Berghang. Ihr Vater übernimmt die Ermittlungen, und plötzlich erfährt vor allem Rachel Aufmerksamkeit von Mitschülern. Obwohl ihr Vater ihnen keine Details zu dem Fall verrät, befassen sich die Schwestern immer intensiver mit dem "Sunset Strangler".

Getrieben vom Wunsch, ihren Vater zu beeindrucken, spionieren Rachel und Patty in der Gegend herum, sammeln Informationen aus den Medien und spekulieren über den Täter. Was als aufregender Zeitvertreib beginnt, verselbständigt sich in den folgenden Monaten immer mehr - bis die Mädchen dem Täter viel zu nahe kommen ...

Bewertung:

Zwar dreht sich Joyce Maynards "Gute Töchter" zum großen Teil um einen Serienmörder, dennoch handelt es weniger um einen Krimi oder Thriller. In erster Linie erzählt der Roman einfühlsam und bewegend, mal humorvoll und mal melancholisch von einer intensiven Schwesternbeziehung.

Rund dreißig Jahre nach jenem verhängnisvollen Sommer erzählt Rachel rückblickend von den aufregenden, lustigen, verwirrenden und erschreckenden Ereignissen und Erkenntnissen der damals elf- und dreizehnjährigen Mädchen. Die erste Hälfte konzentriert sich vorwiegend auf die geradezu symbiotische Beziehung der Schwestern zueinander. Die ältere Rachel ist die bestimmendere von beiden, der Patty wie ein treues Hündchen folgt. Im Gegenwart anderer ist Patty die stille Schwester, die aber in trauter Zweisamkeit wie ein Wasserfall plappert. Da ihre Mutter nach der Trennung vermehrt in Depressionen versinkt, durchstreifen die Mädchen gewöhnlich alleine die Gegend.

Besonders gern hocken sie sich abends vor die Fenster der Nachbarn, um in den Genuss des Fernsehprogramms zu kommen - wobei sie sich mangels Ton die Handlung zurechtphantasieren, was zu amüsanten Konstruktionen führt. Eine weitere intensive Beschäftigung ist die Observierung ihres Nachbarn Mr. Armitage, die in einer erstaunlichen Erkenntnis resultiert. Auch erste Schwärmereien und Spekulationen über das vollkommen fremde Terrain der Sexualität gehören zu den Themen dieses Sommers, ebenso wie Pattys neuentdecktes außergewöhnliches Basketball-Talent. Das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt der späten siebziger Jahre wird in diesen Kapiteln lebendig; Patty und Rachel sind zwei äußerst sympathische und liebenswerte Charaktere, die der Leser sogleich ins Herz schließt, an deren Schicksal er intensiv teilnimmt.

Es ist die Geschichte zweier Schwestern, die bedingungslos einander, aber auch ihren Vater lieben - den charmanten italienischstämmigen Detective Anthony Torricelli mit der Ausstrahlung eines Filmstars, der seine Töchter in James-Bond-Filme ausführt und viel gelassener als andere Väter ihre Flausen betrachtet. In der zweiten Romanhälfte nimmt die Suche nach dem Frauenmörder einen zunehmend breiteren Platz ein.

Für die Schwestern ist es keine Frage, dass ihr Vater der beste Ermittler ist und dem "Sunset Strangler" auf die Spur kommen wird; doch der Fall erweist sich als äußerst knifflig. Anfangs wird Anthony Torricelli noch von der Öffentlichkeit hofiert als der Mann, der sicher bald die Mordserie beenden wird. Mit jedem weiteren Mord aber nimmt die Kritik zu; Rachel beobachtet besorgt, dass ihr Vater immer dünner und müder wird. Eine wichtige Rolle spielen Rachels sporadische "Visionen", Déjà-vu-artige Ahnungen, die sich manchmal bewahrheiten. Rachel versucht, diese Visionen bewusst hervorzurufen, um Details zu dem Mörder zu erfahren, die ihrem Vater helfen könnten. Das Werk ist zwar nicht als Spannungsroman konzipiert, doch spätestens in der zweiten Hälfte geht es nicht nur atmosphärisch, sondern auch fesselnd zu. Gebannt verfolgt man die Ermittlungen der Mädchen, die anfangs niedlich zu beobachten sind und später gefährlich werden. Unbedingt möchte man erfahren, ob der Mörder gefasst wird, ob die Mädchen dazu beitragen, was ihre Ermittlungen für Folgen für sie haben.

Im Gegensatz zum leichteren ersten Teil liegt zunehmend Melancholie auf der zweiten Romanhälfte - und am Ende wird wohl jedem Leser das Herz ein bisschen schwer. Das ist ein bisschen schade, passt allerdings zur Handlung; man darf eben trotz der zahlreichen poetischen und humorvollen Momente keinen reinen Wohlfühlroman erwarten.

Fazit:

Joyce Maynard ist mit "Gute Töchter" ein sehr bewegender, einfühlsamer, teils melancholischer und teils auch sehr amüsanter Roman gelungen, der noch lange nach der Lektüre nachwirkt.