20. Dezember 2017

Gute Töchter - Joyce Maynard

Produktinfos:

Ausgabe: 2015 bei HarperCollins Germany
Seiten: 352
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Die Autorin:

Joyce Maynard (USA), Jahrgang 1953, begann in den Siebzigern ihre journalistische Karriere beim New York Times Magazine. Ein Jahr lang war sie mit dem populären Autor J. D. Salinger liiert, was sie in ihren Memoiren "Tanzstunden. Mein Jahr mit Salinger" literarisch verarbeitete. Ihr Werk "To Die For" wurde mit Nicole Kidman und Joaquin Phoenix verfilmt. Weitere Romane sind: Die Guten, Das Leben einer anderen und Der Duft des Sommers.

Inhalt:

Rachel und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Patty wachsen in den siebziger Jahren in einer Kleinstadt bei San Francisco auf. Nach der Trennung ihrer Eltern bleiben sie bei der Mutter, doch sie vergöttern ihren Vater, einen Detective, immer noch. Sowohl Rachel als auch Patty sind Außenseiterinnen, die die meiste Zeit unter sich bleiben und sich phantasievolle Spiele und Geschichten ausdenken.

In jenem Sommer 1979, als sie dreizehn und elf Jahre alt sind, beginnt eine Serie von Frauenmorden am nah gelegenen Berghang. Ihr Vater übernimmt die Ermittlungen, und plötzlich erfährt vor allem Rachel Aufmerksamkeit von Mitschülern. Obwohl ihr Vater ihnen keine Details zu dem Fall verrät, befassen sich die Schwestern immer intensiver mit dem "Sunset Strangler".

Getrieben vom Wunsch, ihren Vater zu beeindrucken, spionieren Rachel und Patty in der Gegend herum, sammeln Informationen aus den Medien und spekulieren über den Täter. Was als aufregender Zeitvertreib beginnt, verselbständigt sich in den folgenden Monaten immer mehr - bis die Mädchen dem Täter viel zu nahe kommen ...

Bewertung:

Zwar dreht sich Joyce Maynards "Gute Töchter" zum großen Teil um einen Serienmörder, dennoch handelt es weniger um einen Krimi oder Thriller. In erster Linie erzählt der Roman einfühlsam und bewegend, mal humorvoll und mal melancholisch von einer intensiven Schwesternbeziehung.

Rund dreißig Jahre nach jenem verhängnisvollen Sommer erzählt Rachel rückblickend von den aufregenden, lustigen, verwirrenden und erschreckenden Ereignissen und Erkenntnissen der damals elf- und dreizehnjährigen Mädchen. Die erste Hälfte konzentriert sich vorwiegend auf die geradezu symbiotische Beziehung der Schwestern zueinander. Die ältere Rachel ist die bestimmendere von beiden, der Patty wie ein treues Hündchen folgt. Im Gegenwart anderer ist Patty die stille Schwester, die aber in trauter Zweisamkeit wie ein Wasserfall plappert. Da ihre Mutter nach der Trennung vermehrt in Depressionen versinkt, durchstreifen die Mädchen gewöhnlich alleine die Gegend.

Besonders gern hocken sie sich abends vor die Fenster der Nachbarn, um in den Genuss des Fernsehprogramms zu kommen - wobei sie sich mangels Ton die Handlung zurechtphantasieren, was zu amüsanten Konstruktionen führt. Eine weitere intensive Beschäftigung ist die Observierung ihres Nachbarn Mr. Armitage, die in einer erstaunlichen Erkenntnis resultiert. Auch erste Schwärmereien und Spekulationen über das vollkommen fremde Terrain der Sexualität gehören zu den Themen dieses Sommers, ebenso wie Pattys neuentdecktes außergewöhnliches Basketball-Talent. Das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt der späten siebziger Jahre wird in diesen Kapiteln lebendig; Patty und Rachel sind zwei äußerst sympathische und liebenswerte Charaktere, die der Leser sogleich ins Herz schließt, an deren Schicksal er intensiv teilnimmt.

Es ist die Geschichte zweier Schwestern, die bedingungslos einander, aber auch ihren Vater lieben - den charmanten italienischstämmigen Detective Anthony Torricelli mit der Ausstrahlung eines Filmstars, der seine Töchter in James-Bond-Filme ausführt und viel gelassener als andere Väter ihre Flausen betrachtet. In der zweiten Romanhälfte nimmt die Suche nach dem Frauenmörder einen zunehmend breiteren Platz ein.

Für die Schwestern ist es keine Frage, dass ihr Vater der beste Ermittler ist und dem "Sunset Strangler" auf die Spur kommen wird; doch der Fall erweist sich als äußerst knifflig. Anfangs wird Anthony Torricelli noch von der Öffentlichkeit hofiert als der Mann, der sicher bald die Mordserie beenden wird. Mit jedem weiteren Mord aber nimmt die Kritik zu; Rachel beobachtet besorgt, dass ihr Vater immer dünner und müder wird. Eine wichtige Rolle spielen Rachels sporadische "Visionen", Déjà-vu-artige Ahnungen, die sich manchmal bewahrheiten. Rachel versucht, diese Visionen bewusst hervorzurufen, um Details zu dem Mörder zu erfahren, die ihrem Vater helfen könnten. Das Werk ist zwar nicht als Spannungsroman konzipiert, doch spätestens in der zweiten Hälfte geht es nicht nur atmosphärisch, sondern auch fesselnd zu. Gebannt verfolgt man die Ermittlungen der Mädchen, die anfangs niedlich zu beobachten sind und später gefährlich werden. Unbedingt möchte man erfahren, ob der Mörder gefasst wird, ob die Mädchen dazu beitragen, was ihre Ermittlungen für Folgen für sie haben.

Im Gegensatz zum leichteren ersten Teil liegt zunehmend Melancholie auf der zweiten Romanhälfte - und am Ende wird wohl jedem Leser das Herz ein bisschen schwer. Das ist ein bisschen schade, passt allerdings zur Handlung; man darf eben trotz der zahlreichen poetischen und humorvollen Momente keinen reinen Wohlfühlroman erwarten.

Fazit:

Joyce Maynard ist mit "Gute Töchter" ein sehr bewegender, einfühlsamer, teils melancholischer und teils auch sehr amüsanter Roman gelungen, der noch lange nach der Lektüre nachwirkt.

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