20. Juli 2016

Tag Vier - Sarah Lotz

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Goldmann
Seiten: 448
Buchhandel.de
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Die Autorin:

Sarah Lotz schreibt neben Romanen auch Drehbücher und lebt mit ihrer Familie in Südafrika. Ihr erster Solo-Roman "Die Drei" erschien 2014.

Inhalt:

Für die Reisenden auf dem Kreuzfahrtschiff "Beautiful Dreamer" nimmt der Urlaub am vierten Tag im Golf von Mexiko eine unerwartete Wendung, als das Schiff plötzlich anhält. Der Kreuzfahrtdirektor gibt zunächst durch, dass es sich nur um eine kleine technische Störung handele, und die meisten Passagiere gehen davon aus, dass es bald weitergeht. Doch die Maschinen stehen auch in den nächsten Tagen still, der Strom ist ausgefallen und mangels Funkempfang kann keine Rettung angefordert werden.

Die sporadischen Durchsagen des Kreuzfahrtdirektors bleiben vage, vom Kapitän ist lange Zeit überhaupt nichts zu sehen, das Personal weicht den Fragen der Passagiere aus. Während manche Urlauber nur genervt sind, weil sie ihre gebuchten Flüge verpassen und der Komfort aufgrund des Stromausfalls wegfällt, machen sich andere zunehmend Sorgen um ihre Sicherheit.

Bei einer Kabinenkontrolle wird schließlich eine tote junge Frau gefunden. Offiziell wird als Todesursache eine Alkoholvergiftung angegeben, doch schnell verbreiten sich die Gerüchte, sie sei ermordet worden. Die Spannungen und Ängste an Bord steigen, und weitere seltsame Dinge geschehen. Die Schiffsangestellte Althea sieht immer wieder einen kleinen Jungen, obwohl keine Kinder an Bord sind, das angebliche Medium Celine macht eigenartige Äußerungen, und ein dumpfes, unerklärliches Pochen erfüllt das Schiff ...

Bewertung:

Von der Idylle in den Alptraum, so etwa lässt sich das Grundthema von Sarah Lotz' "Tag Vier" in aller Kürze zusammenfassen. Die "Beautiful Dreamer" gehört zwar eher zur unteren Klasse der Kreuzfahrtschiffe, verspricht aber dennoch zunächst ein paar entspannte Urlaubstage auf dem Meer. Doch nach dem plötzlichen Anhalten der Maschinen ist nichts mehr, wie es vorher war, und allmählich kristallisiert sich bei Personal und Passagieren heraus, dass sie alle noch weit tiefer in der Misere stecken als gedacht.

Die Handlung ist grundsätzlich spannend, wenngleich sie sich manchmal ein wenig zu sehr in Details verliert. Das Unwohlsein der Beteiligten steigert sich ganz langsam über mehrere Tage hinweg, und diese betuliche Steigerung stellt ungeduldigere Leser bisweilen auf die Probe. Die zunehmend beklemmende Atmosphäre wird gut eingefangen, ebenso die unterschiedlichen Reaktionen der Passagiere, die teils vernünftiger und teils egoistischer und hysterischer erscheinen.

Die Kapitel fokussieren sich jeweils auf unterschiedliche Charaktere, indem personale Erzähler deren Sichtweise beleuchten. Da ist einmal Maddie, die Assistentin der betagten Celine del Ray. Celine, die im Rollstuhl sitzt, gibt sich als Medium aus, das mit den Toten sprechen kann. Als Gaststar der Kreuzfahrtreise bietet sie ihren Anhängern regelmäßig Shows, in denen sie dem Publikum Nachrichten von ihren lieben Verstorbenen übermittelt. Maddie weiß als ihre Assistentin nur zu gut, dass diese Informationen aus weitaus profaneren Quellen stammen als angegeben und betrachtet diese Veranstaltungen daher mit sehr gemischten Gefühlen. Ihr leichtes Unwohlsein steigert sich jedoch erheblich, als Celine nicht nur kränklich wirkt, sondern auch seltsame Botschaften übermittelt, die ausnahmsweise authentisch zu sein scheinen. Maddie ist eine sympathische Figur, die zwischen ihrer Loyalität zu ihrer Arbeitgeberin und ihrer gleichzeitigen Abscheu hin- und hergerissen ist. Ab dem vierten Tag sorgt sie sich zunehmend um die Gesundheit von Celine und spürt immer mehr, dass hier etwas absolut nicht in Ordnung ist. Während der Reise lernt Maddie den Blogger Xavier kennen, der Celines Lügenshow entlarven möchte und zynische Einträge zu der Schiffsreise schreibt - auch wenn er sie mangels W-Lan zunächst nicht veröffentlichen kann.

Weitere Hauptcharaktere sind die verwitweten Freundinnen Helen und Elaine; Helen schmal und energisch, Elaine rundlich und freundlich. Niemand an Bord ahnt, dass die beiden Frauen die Reise mit dem Ziel angetreten haben, gemeinsam Selbstmord zu begehen; keine verzweifelte, spontane Aktion, sondern ein wohlüberlegter Entschluss. Wichtig ist weiterhin die Schiffsangestellte Althea, die einerseits die Passagiere beruhigt, andererseits selbst nicht weiß, was überhaupt los ist. Althea ist auch diejenige, die immer wieder eine geisterhafte Jungenerscheinung sieht, die es an Bord überhaupt nicht geben dürfte. Althea hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen und bemüht sich dennoch, auf dem Schiff einen Hauch von Souveränität gegenüber Gästen und Kollegen zu bewahren. Schließlich gibt es da noch den Schiffsarzt Jesse, der wie so viele Figuren auch mit gewissen Dämonen zu kämpfen hat, die in dieser Ausnahmesituation besonders präsent werden. Sympathieträger sind vor allem Maddie, Althea und die "Selbstmordschwestern" Elaine und Helen, aber zunehmend auch der sarkastische Blogger Xavier. Mit ihnen nimmt man Anteil, und man möchte gerne erleben, dass sie sich aus dieser Katastrophe retten können.

Der Roman beginnt als normaler Thriller, ehe er nach und nach zusätzlich Mysteryelemente aufblitzen lässt, die gegen Ende hin offenkundig werden. Wer den Vorgänger "Die Drei" gelesen hat, wird darauf vorbereitet sein, für alle anderen kann insbesondere der Schluss eher Ratlosigkeit hervorrufen - es ist dringend anzuraten, "Die Drei" vorher zu lesen, auch wenn die inhaltlichen Zusammenhänge zunächst sehr dezent zu sein scheinen. Es wird mehrfach jener "Schwarzer Donnerstag" aus "Die Drei" erwähnt, an dem vier Passagierflugzeuge am gleichen Tag auf verschiedenen Kontinenten abstürzten; zudem wird Bezug auf zwei wichtige Personen genommen. Über weite Strecken ist "Tag Vier" auch ohne den Vorgänger gut verständlich, aber gerade der Schluss nimmt deutliche Bezüge auf "Die Drei". Die Sogkraft des ersten Bandes kann "Tag Vier" nicht ganz erreichen, da die Handlung phasenweise etwas langatmig und zu detailliert erzählt wird. Wie in "Die Drei" muss man damit leben, dass man nicht auf alle Fragen völlig eindeutige Antworten erhält, und der Leser ist aufgerufen, ein wenig zu spekulieren - das sollte man mögen, um den Roman genießen zu können.

Fazit:


"Tag Vier" ist ein weitgehend spannender Mysterythriller, dessen Bezüge zum Vorgänger "Die Drei" anfangs sehr dezent und später intensiver werden. Die zunehmend beklemmende Atmosphäre an Bord wird anschaulich dargestellt, die grundsätzliche Spannung leidet phasenweise darunter, dass sich das Werk in zu vielen Details verliert. Das Ende lässt Raum für Spekulationen - man darf hier nicht erwarten, alle Ereignisse erklärt zu bekommen.

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