13. Mai 2015

Cry Baby - Gillian Flynn

Produktinfos:

Ausgabe: 2012
Seiten: 336
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Die Autorin:

Gillian Flynn, Jahrgang 1971, arbeitete nach ihrem Journalismus-Studium als Fernsehkritikerin, ehe sie sich dem Schreiben widmete. Bereits mit ihrem ersten Roman "Cry Baby" gelang ihr 2006 ein beachtlicher Erfolg, den sie 2009 mit "Dark Places" fortsetzte.

Inhalt:

Camille Preaker arbeitet als Journalistin für die Daily Post in Chicago. Ursprünglich stammt sie aus dem kleinen Ort Wind Cap, doch hier lässt sie nur selten blicken; zu ihrer Familie hat sie ein distanziertes Verhältnis. Gegen ihren Willen schickt sie jedoch ihr Chef in das Provinzstädtchen, um über das Verschwinden der zehnjährigen Nathalie zu berichten.

Einige Monate zuvor wurde bereits die gleichaltrige Ann Nash entführt und wenig später ermordet aufgefunden. Dem Mädchen wurden nach dem Tod sämtliche Zähne gezogen, die Polizei hat keine Hinweise auf den Täter. Kurz nach Camilles Ankunft wird auch die vermisste Nathalie tot aufgefunden - offenbar vom gleichen Täter ermordet.

Obwohl Camille eine Einheimische ist, begegnen ihr die meisten Einwohner verschlossen. Sie fürchten, dass eine große Berichterstattung über die Morde ihren Ort in Verruf bringt; nur mit Mühe erfährt Camille nach und nach Details über die Verbrechen. Camilles Recherchen in Wind Gap konfrontieren sie unwillkürlich auch mit ihrer eigenen Vergangenheit - und mit dem frühen Tod ihrer jüngeren Schwester, die vor zwanzig Jahren starb ...

Bewertung:

Im deutschsprachigen Raum ist Gillian Flynn der endgültige Durchbruch mit ihrem Bestseller Gone Girl gelungen, doch bereits ihr Debütroman "Cry Baby" beweist ihre Klasse als Thrillerautorin.

Ich-Erzählerin Camille Preaker ist eine Protagonistin mit reichlich Ecken und Kanten, die gleichzeitig dem Leser sympathisch ist. In teils schnodderigem, teils zynischen Tonfall erzählt Camille von ihrer schwierigen Vergangenheit, die sie gerne hinter sich lassen würde. Ihren leiblichen Vater hat sie nie kennen gelernt, ihre Mutter ist eine reiche Erbin, zu der sie nie wirklich Zugang gefunden hat; auch ihr Stiefvater Alan bleibt ihr fremd. Als Camille dreizehn ist, stirbt ihre seit jeher kränkliche jüngere Schwester Marian; Mutter Adora zieht sich noch weiter von Camille zurück.

Treffender als der in Deutschland verwendete Titel "Cry Baby" ist der Originaltitel "Sharp Objects", der eine zentrale Eigenschaft Camilles in den Fokus stellt: Ihr Körper ist mit Narben übersät, die sie sich selbst zugefügt hat, Narben, die aus Wörtern bestehen. "Schändlich" hat sie sich in ihr Handgelenk geritzt, "Babydoll" steht auf ihrem Bein, "Petticoat" flammt auf der Hüfte, "böse" über dem Schambein. Bis auf eine winzige Stelle am Rücken ist kein Hautfleck an Camilles Körper noch unversehrt; hochgeschlossene Kleidung schützt Camille vor irritierten Blicken, Männern gegenüber bleibt sie auf Abstand. Weder Camille noch die mit ihrem Fall betrauten Therapeuten haben durchschaut, nach welchem Prinzip welche Wörter ausgewählt werden. So erscheint die Protagonistin dem Leser als durchaus komplexe Figur, eine Mischung aus Verletzlichkeit und Sarkasmus, die trotz allem Bemühungen die Vergangenheit nicht hinter sich lassen kann.

Vordergründig dreht sich die Handlung um die beiden ermordeten Mädchen; unweigerlich allerdings muss sich Camille mit ihrer Familie auseinander setzen. Ihre dreizehnjährige Halbschwester Amma ist das kesse It-Girl der Stadt, Anführerin der Mädchenclique, frech gegenüber ihrer Schwester und auf den ersten Blick rundweg unsympathisch. Dies relativiert sich im weiteren Verlauf, wenn auch Amma ihre sensible Seite offenbart und es zwischen ihr und Camille gar zu rührenden schwesterlichen Szenen kommt. Immer wieder driften Camilles Erinnerungen rund fünfzehn Jahre zurück zu ihrer verstorbenen Schwester, zu ihrem jahrelangen Leiden und zu dem Kranken- und später Totenkult, den ihre exzentrische Mutter praktizierte. So ist denn "Cry Baby" nicht allein ein Thriller, sondern mindestens zu gleichen Teilen auch ein Familiendrama, dessen komplexes Gefüge sich von weit in der Vergangenheit bis in die Gegenwart streckt. Spannung bezieht der Roman sowohl aus der Frage nach dem Mörder der beiden Mädchen als auch aus Camilles Familiengeschichte - schon bald deutet sich an, dass auch dort sich einige Dinge anders abgespielt haben, als es zunächst den Anschein hat.

Eine kleine Schwäche des Romans liegt in den etwas zu überzeichneten Figuren. Das Auftauchen einzelner exzentrischer Charaktere hätte noch seinen Reiz, hier allerdings sind die auffälligen Personen deutlich in der Überzahl. Sowohl Camille mit ihrem Drang, sich wahllos Wörter in die Haut zu ritzen als auch ihre überkandidelte Mutter, die geistig in ihrer eigenen Welt lebt, ihr ausgesprochen steifer und förmlicher Stiefvater, ihre sexuell enthemmte kleine Schwester sowie die lästerfreudigen und trinkfesten Bekannten von Camilles Mutter sind sehr eigenwillige Gestalten und diese Fülle an ungewöhnlichen Charakteren nimmt sich zu gewollt aus.

Fazit:

Lesenswerter Roman, der eine Mischung aus Thriller und Familiendrama darstellt. Gelungenes Debütwerk, das durch Spannung und eine interessante Ich-Erzählerin überzeugt, wenngleich bei der Originalität der Charaktere etwas übertrieben wurde.

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