3. September 2014

Das Gruselbuch - Ilse Strasmann (Hrsg.)

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Produktinfos:

Ausgabe: 1987
Seiten: 128

Inhalt:

Die dreizehnte Kugel (Keigo Seki):

In dem ruhigen Dorf Owari verschwindet nach und nach immer mehr Vieh, schließlich gibt es auch Todesfälle unter den Bewohnern. Die Leichen werden schlimm zugerichtet gefunden - offenbar fallen sie einem Raubtier aus dem Wald zum Opfer. Der Jäger Gompei will dem Schrecken ein Ende bereiten und macht sich auf die Suche nach dem Untier ...

Jerry Bundlers letzter Trick (William Wymark Jacobs):

Eine Gruppe von Geschäftsleuten erzählt sich im Hotel Spukgeschichten. Schließlich kommen sie auf eine Geistergeschichte, die unmittelbar mit dem Hotel selbst zusammenhängt. Angeblich soll sich der berüchtigte Ganove Jerry Bundler kurz vor seiner Festnahme in einem der Zimmer erhängt haben. Noch heute soll sein Geist in diesem Zimmer umgehen ...

Rundherum Abgrund (Karl Springenschmid):

Eine Gruppe von Bergsteigern unterhält sich über ihre aufregendsten Erlebnisse. Nach den ersten drei gibt der vierte seine Geschichte zum Besten: An einem nasskalten Tag gerät er mitten auf einer Bergwanderung in einen Schneesturm, bis es Nacht wurde und er nichts mehr sehen kann. Beim Vorwärtstasten wird ihm plötzlich klar, dass er sich gefährlich nah an einem Abgrund befinden muss, während er keinen rettenden Rückweg findet ...

Augusthitze (William Fryer Harvey):

Ein beinah unerträglich heißer Tag im August. Der Künstler James Clarence Withencroft zeichnet spontan eine Skizze, die einen schwer übergewichtigen Mann im Gerichtssaal zeigt. Der Gesichtsausdruck des Mannes lässt darauf schließen, dass er gerade ein dramatisches Urteil erfahren hat. Kurz darauf macht er einen Spaziergang und trifft den Steinmetz Charles Atkinson. Atkinson entspricht dem gezeichneten Mann bis ins Detail, obgleich Withencroft ihn nie zuvor bewusst sah. Der Steinmetz wiederum fertigt gerade aus spontaner Eingebung einen Grabstein mit Withencrofts Daten an - mit dem heutigen Datum als Todestag ...

Der Schulmeister und die Gebeine (Kurt Benesch):

Der alte Dorfschulmeister Matthias Redlich hätte zu gern ein echtes Skelett in der Schule, um seinen Schülern die Anatomie zu erklären. Leider sind Skelette zu teuer. So entschließt er sich, heimlich aus dem Beinhaus die Gebeine eines Soldaten zu nehmen und mit Draht zusammenzufügen. Das Skelett lässt sich wunderbar im Unterricht einsetzen. Doch nach und nach häufen sich die Zwischenfälle mit dem Skelett, das auch mal zu beißen scheint ...

Die Satansschüler (Manly Wade Wellman):

Jim Setwick soll die nächste Zeit im Internat von Carrington verbringen. Am Bahnhof wird er von dem älteren Schüler Hoag abgeholt, der ihm gleich unsympathisch ist. Ebenso ergeht es Jim mit Hoags drei Freunden, die alle zwielichtig wirken. Seltsamerweise scheint das Internat sonst unbewohnt- und die vier Schüler beginnen plötzlich von Satansverehrung zu reden ...

Die offene Tür (Saki):

Der nervlich angegriffene Framton Nuttel will sich zur Erholung für eine Weile aufs Land zurückziehen. Da seine Schwester den Ort kennt, gibt sie ihm einige Briefe für alte Bekannte mit. Im Haus von Mrs. Sappleton wird sie von deren junger Nichte empfangen, die eine unheimliche Geschichte über den Mann und die Brüder der Tante erzählt. Vor genau drei Jahren verschwanden die drei im Moor ...

Louis in der Pendeluhr (Kurt Benesch):

Chantal hat von ihrer Tante eine alte Pendeluhr geerbt, die noch aus den Zeiten der Französischen Revolution stammt. Ein Familienfluch soll dafür verantwortlich sein, dass kein männlicher Nachkomme seit dieser Zeit älter als sieben Jahre wird. Chantal glaubt eigentlich nicht an den Fluch, doch als ihr Sohn Gilbert in das Alter kommt, macht sie sich dennoch Sorgen. Schließlich behauptet Gilbert sogar, er habe einen Freund, der in der Pendeluhr wohnt ...

Das Schloss der Vampire (Kurt Benesch):

Der russische Diener Rupertus sucht auf dem Rückweg in seine Heimat eine Unterkunft in den Karpaten. Eine alte Frau schickt ihn in ein Schloss, doch deren Tochter warnt ihn eindringlich - das Schloss sei von Vampiren bewohnt. Rupertus schenkt ihr keinen Glauben, nimmt aber dennoch den angebotenen Knoblauchkranz mit sich. Auf dem Schloss wird er von einem eleganten Herrn empfangen ...

Der Fremde (Ambrose Bierce):

Eine Gruppe von Abenteurern sitzt in Arizona am Lagerfeuer. Ein Fremder tritt hinzu und erzählt von einer Expedition, die vier Männer vor dreißig Jahren in der Gegend unternahmen. Sie werden von Apachen überfallen, können fliehen und verstecken sich in einer Berghöhle. Sie haben entweder die Wahl, langsam zu verdursten oder den lauernden Indianern erneut in die Hände zu fallen ...

Kjartans Gesicht (Jón Svensson):

Ein Knecht bringt den kleinen Kjartan auf einen großen isländischen Bauernhof, da Kjartans Vater krank geworden sei. Der Junge lebt sich rasch ein, spielt mit den anderen Kindern und scheint kein Heimweh zu verspüren. Eines Abends jedoch erleidet Kjartan einen Zusammenbruch und behauptet, etwas Entsetzliches gesehen zu haben ...

Der beleidigte Vater (Kurt Benesch):

Seit Jahren redet man in einem vornehmen Badeort von dem Bürgersohn, der seinen alten Vater erst beraubte und dann davon lief. Der Sohn wurde Gaukler und führte sprechende, mechanische Puppen vor, doch trotz seines Erfolges ließ sich sein Vater nicht erweichen und hinterließ sein Vermögen der Gemeinde. Jetzt ist der Sohn wieder da und kämpft um das verlorene Erbe. Ein Schlossbesitzer bittet den Gaukler um eine Privatvorstellung, die anders verläuft als gedacht ...

Die Scheune der Toten (Eric Ambrose):

Esor ist während seiner Internatszeit mit dem naturwissenschaftlich begabten John Carlton befreundet. John spricht immer wieder bewundernd von seinem Vater, einem offenbar genialen Forscher, doch zu Esors Enttäuschung wird er nie zu John nach Hause eingeladen. Viele Jahre später trifft Esor, inzwischen als Bauinspektor tätig, seinen einstigen Freund wieder. Esor muss die Gebäude auf Johns Grundstück auf Baufälligkeit überprüfen. Dabei wittert er die Chance, endlich Johns Vater kennenzulernen. Doch aus unerfindlichem Grund sperrt sich John dagegen, dass er die Scheune betritt ...

Alles, nur kein Gespenst (Hellmut Holthaus):

Gespenster haben es nicht leicht - das dachte sich der Ich-Erzähler schon immer. Eines Nachts begegnet er um Mitternacht selbst einem Gespenst, das in seinem Haus spukt. Zwischen dem Erzähler und dem Gespenst namens Herr Mertens entwickelt sich ein Gespräch über das Leid des Gespensterdaseins ...

Wenn du dich gruseln willst ...


Zeit für ein bisschen Nostalgie ... Dieses Büchlein schenkte mir mein Bruder zu meinem elften Geburtstag. Ich war klein, süß, trug meist zwei Zöpfe und hatte ein Faible für alles Gruselige - bei Licht betrachtet hat sich nichts davon geändert. Die Geschichten sind teilweise gehörig unheimlich (und für Kinder nicht unbedingt geeignet), teils aber auch schwarzhumorig und leicht verdaulich.

Die dreizehnte Kugel
ist etwas unglücklich gewählt als Auftaktgeschichte, da sie zu den schwächeren Beiträgen des Bandes gehört. Keigo Seki war ein japanischer Folkloreschriftsteller und dementsprechend präsentiert er hier eine sagenhaft anmutende Erzählung. Der Grusel hält sich freilich in Grenzen, zu märchenhaft und zu behäbig sind Handlung und Erzählweise. Das Geschehen ist sehr vorhersehbar, der Schlusssatz alles andere als überraschend. Insgesamt eine Geschichte, die man lesen kann, die man anschließend aber nicht weiter im Gedächtnis behält.

In Rundherum Abgrund benötigt Karl Springenschmid keine vier Seiten, um eine gelungene kleine Geschichte mit amüsanter Pointe zu erzählen, die durchaus ihren lakonischen Charme besitzt und die bei aller Kürze doch auch die beklemmende Situation überzeugend transportiert. Ein Geschmäckle erhält die Erzählung allerdings, wenn man weiß, dass Springenschmid ein überzeugter österreichischer Nationalsozialist war, der wichtige Positionen in der NSDAP bekleidete. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Springenschmid der völkischen Literatur treu und dem rechtsextremen Gedankengut verbunden. In "Rundherum Abgrund" ist freilich nichts von dieser Gesinnung zu spüren, lediglich das alpine Setting geht mit seinen grundsätzlich die Heimatverbundenheit betonenden Werken konform. Von der Qualität her gibt es keine Einwände gegen die Aufnahme der Geschichte in diesen Band; indessen darf man es aufgrund der Hintergründe des Autors dennoch kritisch sehen.

Von William Wymark Jacobs kennt man in erster Linie die legendäre Gruselgeschichte "Die Affenpfote". Jerry Bundlers letzter Trick kann diese Klasse zwar nicht erreichen, ist aber dennoch eine überzeugende Gruselgeschichte mit einem wahrlich schauerlichen Ende, das gleich in doppelter Hinsicht verstört. Der Plot ist alles andere als originell und wurde in ähnlicher Form schon häufig umgesetzt, und doch versteht es die Geschichte zu fesseln und sich dem Leser nachhaltig einzuprägen.

W. F. Harvey ist vor allem für seine (mit dem wunderbaren Peter Lorre verfilmte) Erzählung "Die Bestie mit den fünf Fingern" bekannt, aber auch Augusthitze zählt zu seinen populäreren Werken. Auf wenigen Seiten gelingt es ihm, eine beklemmende Atmosphäre zu kreieren. Man erfährt nur das Nötigste über die Charaktere und doch genügt dies, um sich in die Lage des Protagonisten und Ich-Erzählers einzufühlen. Was anfangs wie ein sehr merkwürdiger Zufall wirkt, erscheint nach und nach immer bedrohlicher und das Ende sagt bei aller Offenheit doch genug.

Kurt Benesch scheint es der Herausgeberin angetan zu haben, ist er doch gleich mit vier Geschichten in diesem Buch vertreten. Der Schulmeister und die Gebeine gehört dabei definitiv zu den Highlights, obwohl oder gerade weil die Erzählung humorvoll statt unheimlich angelegt ist. Die Geschichte wird in einem augenzwinkernden Tonfall wiedergegeben und präsentiert etliche Jahre vor dem zauberkundigen Gerippe und Held einer Jugendbuchreihe Skulduggery Pleasent ein charmantes Skelett nebst weiteren gelungenen Charakteren. Kurzzeitig kommt tatsächlich leichter Grusel auf, aber der Fokus liegt eindeutig auf makaberem Witz.

Die Satansschüler zählt zu den unheimlichsten Werken des Bandes. Von Beginn an werden Hoag und dessen Freunde als gefährliche und unangenehme Gestalten empfunden, wobei sich diese Empfindungen erst allmählich an konkreten Punkten festmachen lassen. Die bedrohliche Stimmung spitzt sich zu und erreicht einen effektvollen Höhepunkt. Die letzten Sätze sind vielleicht ein bisschen zu sehr explizit erklärend, der Inhalt hätte sicher auch etwas dezenter angebracht werden können - doch dem Lesespaß tut dies keinen großen Abbruch.

Die offene Tür ist eine sehr gute Pointengeschichte, die einen sehr vergnüglichen Beitrag innerhalb dieses Bandes darstellt. Hinter dem Pseudonym Saki verbirgt sich der englische Autor Hector Hugh Munro, der für seine makaberen Werke bekannt ist. In diese Riege reiht sich auch die vorliegende Geschichte ein, die einfach und geistreich zugleich ist. Die Erzählung spielt gekonnt mit den Erwartungen des Lesers und mündet in einen überzeugenden Schluss.

Louis in der Pendeluhr beginnt als zunächst vielversprechende Geschichte, wenngleich das Thema recht traditionell ist. Eine gewisse Spannung kommt auf, das Szenario wird zunehmend unheilvoller - doch dann löst sich die Geschichte auf enttäuschende Weise auf. Vor allem die letzten beiden Sätze wirken arg phantasielos und nehmen der Erzählung viel von ihrem Reiz.

Das Schloss der Vampire ist eine Vampirgeschichte, in der kaum ein Klischee über die untoten Blutsauger ausgelassen wird. Vom düsteren Karpatenschloss über den eleganten Schlossherrn, die verführerischen weiblichen Vampire, den Knoblauch, die Särge und die Holzpflöcke, jedes altbekannte Motiv wird aufgegriffen und in gänzlich unorigineller Weise eingesetzt. Auch das Ende ist uninspiriert, die Charaktere bleiben recht blass - unterm Strich ein sehr belangloser Beitrag, bei dem auch kaum wirklicher Grusel aufkommt.

Ambrose Bierce zählt zweifellos zu den großen amerikanischen Kurzgeschichtenautoren. Ich werde mit ihm ja nicht wirklich warm, trotz mehrerer wohlwollender Versuche (und obwohl er viel über mein geliebtes Thema "amerikanischer Civil War" geschrieben hat), aber das liegt an mir und nicht an ihm. Der Fremde ist wie viele seiner Erzählungen eine knappe, aber durchaus intensive Pointengeschichte mit subtilem Grusel. Die Pointe ist alles andere als neu, aber Bierce versteht es, sie gekonnt zu präsentieren. Dies wird eingebunden in eine düstere Atmosphäre, die das Flair am Lagerfeuer gut wiedergibt.

Kjartans Gesicht ist rundherum solide, doch wartet man immer darauf, dass die Geschichte nun doch einen zumindest etwas überraschenden Verlauf nimmt - tatsächlich aber entwickeln sich die Dinge absolut vorhersehbar. Lesenswert ist die Geschichte allemal, vor allem der Kummer Kjartans nimmt den Rezipienten durchaus gefangen. Trotzdem insgesamt ein eher durchschnittlicher Beitrag, dem etwas mehr Innovation gut getan hätte.

Der beleidigte Vater
erweckt zunächst den Eindruck, dass sich die Geschichte in die unheimliche Richtung entwickelt. Gegen Ende jedoch dominieren vor allem die humorvollen Züge, die allerdings nicht so überzeugend gelingen wie in Beneschs Geschichte "Der Schulmeister und die Gebeine". Stattdessen entsteht der Eindruck, die Erzählung könne sich nicht entscheiden zwischen gruseliger und amüsanter Stimmung. Alles in allem ist die Handlung sehr zahm und lässt die Möglichkeit aus, das Geschehen etwas makaberer zu gestalten.

Die Scheune der Toten zählt zu den unumstrittenen Höhepunkten des Bandes. Die Geschichte baut sukzessive eine unheilvolle Atmosphäre auf, die sich um eine faszinierende Grundidee rankt. Nicht nur Ich-Erzähler Esor McKenzie, auch der Leser wird immer neugieriger auf den mysteriösen Vater und es ist gewiss nicht vorhersehbar, warum sich John Carlton so vehement gegen ein Treffen sträubt. Allerdings: Dem Übersetzer gilt für den deutschen Titel gehörig der Hintern versohlt; wer die Erzählung gelesen hat, wird das verstehen.

Den Abschluss bildet mit Alles, nur kein Gespenst eine sehr amüsante Geschichte, die dem Leser die Nachteile des Gespensterlebens vor Augen führt. Der spöttisch-heitere Tonfall des Erzählers sorgt für einen überzeugenden Ausklang der Sammlung. Der humoristische Blick auf das Gespensterleben fällt zwar recht knapp aus und reizt nicht alle Möglichkeiten aus, ist aber definitiv sehr unterhaltsam.

Fazit:


"Das Gruselbuch" präsentiert eine Sammlung von vierzehn überwiegend gelungenen unheimlichen Geschichten. Manche legen ihren Fokus auf den schauerlichen Charakter, manche dagegen sind schwarzhumorig angelegt. Nicht alle Beiträge können durchweg überzeugen, doch insgesamt ist der Band auf jeden Fall lesenswert.

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