27. Februar 2014

Der Knochenjäger - Jeffery Deaver


Produktinfos:

Ausgabe: 1999
Seiten: 511
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Der Autor:

Jeffery Deaver, Jahrgang 1950, war zunächst Folksänger, Journalist und Anwalt, ehe 1988 sein erster Roman veröffentlicht wurde. Mittlerweile gehört er zu den erfolgreichsten Krimi- und Thrillerautoren dank Werken wie "Der Insektensammler", "Der gehetzte Uhrmacher" und "Die Menschenleserin".

Inhalt:

Einst war Lincoln Rhyme der Leiter der Forensik beim New Yorker Morddezernat. Vor drei Jahren jedoch erlitt er während eines Einsatzes einen schweren Unfall, der ihm den vierten Halswirbel brach - seither kann Rhyme nur noch seinen Kopf und einen Ringfinger bewegen. Lincoln Rhyme hat sich völlig von der Welt zurückgezogen. Kontakt hat er nur noch zu Ärzten und zu seinem Pfleger und Vertrauten Thom.

Während sich Rhyme mit Suizidgedanken quält, bittet ihn sein Ex-Kollege Lon Sellito um Hilfe bei einem aktuellen Fall. Die junge Streifenpolizistin Amelia Sachs hat ein Mordopfer entdeckt, das lebendig begraben wurde - nur die Hand ragte aus der Erde, der Ringfinger bis auf den Knochen freigelegt und mit einem Ring geschmückt. Der Täter offenbar absichtlich Spuren am Tatort hinterlassen, die zum nächsten Mordopfer führen sollen.

Widerwillig erklärt sich Rhyme zur Kooperation bereit. Schnell stellt sich heraus, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben, der ein Katz-und-Maus-Spiel mit ihnen treibt. Der Unbekannte gibt ihnen stets Chancen, die Opfer zu retten, ansonsten sterben sie einen qualvollen Tod - und die Spuren sind schwer zu entschlüsseln. Während Amelia, von deren Fähigkeiten Rhyme überzeugt ist, für ihn die Tatortarbeit erledigt, versucht der ehemalige Detective, den Täter zu durchschauen ...

Bewertung:

In mittlerweile zehn Romane (Stand 2013) bilden der querschnittsgelähmte Lincoln Rhyme und die junge Polizistin Amelia Sachs ein unkonventionelles, aber umso erfolgreicheres Team, das sich in diesem Werk erst mühsam zusammenraufen muss. Dieser erste Band wurde mit Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen verfilmt, der Film allerdings weicht in vielen Dingen erheblich von der Buchvorlage ab - Kenner des Films können bei der Lektüre also durchaus Überraschungen erleben.

Lincoln Rhyme ist eine Art moderner Sherlock Holmes: Ein hochintelligenter Mann mit außergewöhnlichem Gespür, der scharfsinnige Schlüsse zieht, die intellektuelle Herausforderung liebt und sich gerne kühl und unnahbar gibt. Derartige Charaktere sind im Krimi- und Thrillergenre nun nicht selten; das wirklich Besondere an Rhyme ist natürlich sein körperlicher Zustand. Bei der Suche nach einem Polizistenmörder stürzte ein ungesicherter Tatort ein und verursachte Rhymes fast vollständige Lähmung. Finanziell ist er durch seine Rente und eine hohe Entschädigung zwar unabhängig, doch auf seinen schwindenden Lebensmut hat dies keinen Einfluss. Rhyme reichte die Scheidung ein, um seine Frau Blaine nicht mit seinem Leiden zu belasten und entwickelte sich zu einem Zyniker, der meist nur seinen geduldigen Pfleger Thom um sich erträgt. Zum Beginn der Mordserie kennt Rhyme nur noch ein Ziel: Einen Arzt zu finden, der ihm Sterbehilfe leistet.

Es gelingt gut, neben Rhymes intellektuellen Fähigkeiten und der Mörderjagd auch sein psychisches und körperliches Leid in die Handlung zu integrieren. Rhymes suizidale Gedanken sind ebenso nachvollziehbar wie die ablehnende Haltung seiner wenigen Vertrauten. Neben dem Wunsch zu sterben beherrscht Rhyme vor allem die Sorge, durch einen seiner Anfälle und Krämpfe auch noch den Rest an Mobilität einzubüßen - immerhin kann er mittels hochtechnisierter Ausrüstung durch Mund und Ringfinger einen Rollstuhl steuern, Buchseiten umblättern oder ein Telefon bedienen. Auch die körperlich prekären Details dieses Zustandes wie Katheter, Windeln und Darmentleerungen spart die Handlung nicht aus, ohne dabei aber ins Peinliche oder Entwürdigende abzugleiten. Es ist zugegeben gewagt, seinen Protagonisten mit einem derartigen Zustand zu versehen, besteht doch die Gefahr, dass der Thrillerteil dagegen verblasst; gleichwohl ist Jeffery Deaver dieser Spagat durchaus geglückt.

Amelia Sachs ist dagegen unspektakulärer, aber auch keine Durchschnittspolizistin. Die hochgewachsene Schönheit mit den feuerroten Haaren hat früher gemodelt und soll eigentlich zu Beginn des Falls wegen ihrer chronischen Arthritis in die Presseabteilung versetzt werden. Das schmerzhafte Ende ihrer letzten Beziehung hat Amelia geprägt und sie erscheint als äußerlich souveräne, aber unnahbare und zur Selbstzerstörung neigende Persönlichkeit, die gemäß ihrem Motto "Wenn man in Schwung ist, kriegt einen keiner" waghalsige Automanöver liebt - kein Wunder also, dass sie und Lincoln Rhyme sich in gewisser Weise seelenverwandt fühlen. Als Streifenpolizistin ist P.T. Sachs (Plattfuß-Tochter, ihr wenig charmanter Spitzname in Anlehnung an ihren Vater, der vierzig Jahre bei der Streife diente) alles andere als eine Tatort- oder Mordfallexpertin. Doch ihr couragiertes Auftreten bei der Tatortsicherung des ersten Opfers beeindruckt Rhyme, der fortan nur sie als Assistentin haben will - was Amelia anfangs mäßig begeistert und später umso engagierter umsetzt. Es bleibt nicht aus, dass sich Amelia und Rhyme auch privat näherkommen, schließlich ist Lincoln Rhyme ungeachtet seines körperlichen Zustands immer noch ein attraktiver Mann - aber diese Ebene nimmt zumindest im ersten Roman der Reihe keine entscheidende Rolle ein.

Die Handlung fokussiert sich auf Rhyme und Amelia, schweift aber kurzzeitig immer wieder zum Täter, ohne seine Identität zu verraten. Der Leser besitzt anfangs ein wenig mehr Hintergrundinformationen zum Mörder als die Ermittler, doch die genauen Zusammenhänge werden erst zum Schluss klar. Für Spannung ist gesorgt, vor allem da es Rhyme und Amelia ab und zu tatsächlich gelingt, Opfer noch zu retten. Nach jeder Tat geht es sofort ans Deuten der hinterlassenen Spuren und es stellt sich stets aufs Neue die Frage, ob es gelingen wird, das nächste Opfer rechtzeitig zu finden oder nicht. Die Todesarten sind perfide, denn der Täter ist ein Spieler, der aufwändige Inszenierungen wählt. Die Zustände der Opfer sind nicht gerade erbaulich, aber auch für etwas sensiblere Mägen noch erträglich.

Auch wenn sich Rhymes und Sachs' erster Fall unterhaltsam präsentiert, gibt es doch auch kleine Schwächen. Vor allem Rhymes Schlussfolgerungen sind manchmal zu weit hergeholt. Sicher ist er ein Experte auf dem Gebiet der Spurensicherung, trotzdem wirken seine geradezu Holmes'schen Erkenntnisse übertrieben genial, insbesondere in Anbetracht der Kürze der Zeit. Übertrieben inszeniert ist zudem auch das Ende, das zwar originell, aber nicht gerade realistisch erscheint. Der Täter hat ein nachvollziehbares Motiv, allerdings ist seine Darstellung ein wenig blass geraten. Die inszenierten Tatorte, die Grausamkeit und das Intelligenzduell mit den Ermittlern erinnert an David Finchers genialen Film "Sieben", jedoch ohne einen ebenso charismatischen Mörder zu präsentieren.

Fazit:

Guter, wenn auch nicht hochklassiger Thriller über einen Serienmörder, der den Auftakt zu einer Reihe bildet. Das Werk besticht vor allem durch eine spannende Handlung und ein interessantes Ermittlerduo, neigt dabei aber zu teils unrealistischen und übertriebenen Szenarien.

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