14. Februar 2014

Lolita - Vladimir Nabokov

Produktfakten:

Ausgabe: 1989
Seiten: 336
Amazon
* * * * *
Der Autor:

Vladimir Nabokov, geboren 1899 in St. Petersburg und gestorben 1977 in Montreux, studierte zunächst in England französische und russische Literatur, lebte in Deutschland und Frankreich, ehe er nach Amerika auswanderte. Dort arbeitete er als Schmetterlingsforscher und Universitätsprofessor, bis er mit "Lolita" einen Welterfolg landete und sich ganz dem Schreiben widmete.

Inhalt:

Der in Paris geborene Gelehrte und Schriftsteller Humbert Humbert ist seit einem prägenden Jugenderlebnis sexuell auf junge Mädchen im Alter zwischen neun und vierzehn Jahren fixiert. "Nymphchen" nennt Humbert diesen Typus, der ihn fasziniert, und er versucht, so oft es geht in die Nähe solcher jungen Mädchen zu gelangen.

In der Kleinstadt Ramsdale in New England bezieht Humbert Ende der vierziger Jahre mit Ende dreißig ein möbliertes Zimmer im Hause der Witwe Charlotte Haze. Ausschlaggebend dafür ist die zwölfjährige Tochter Dolores. Lolita, wie Humbert sie nennt, erscheint ihm wie die Inkarnation seiner gestorbenen Jugendliebe und er ist von der ersten Begegnung an besessen von ihr.

Während sich Humbert im Haushalt der Hazes einlebt, sucht er so unauffällig wie möglich Lolitas Nähe und gewinnt ihr Vertrauen. Zwischen Charlotte Haze und ihrer schwierigen, patzigen und teils frechen Tochter kommt es immer häufiger zu Konflikten. Unterdessen verliebt sich Charlotte in Humbert. Als sie Humbert schließlich vor die Wahl stellt, das Haus zu verlassen oder sie zu heiraten, willigt er ein und täuscht Liebe vor, um Lolita nicht zu verlieren. Charlotte ahnt nichts von seiner Leidenschaft für ihre Tochter. Doch die Lage spitzt sich zu und eine Katastrophe kündigt sich allmählich an ...

Bewertung:

Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Lo. Li. Ta.- Sie war Lo, kurz Lo, am Morgen, 1.50 m groß in einem Söckchen. Sie war Lola in Hosen. Sie war Dolly in der Schule. Sie war Dolores von amtswegen. Aber in meinen Armen war sie immer Lolita.

Wer kennt ihn nicht zumindest dem Namen nach, den Skandalroman Vladimir Nabokovs, der nicht nur Verfilmungen, sondern auch die Definition des Lolitakomplexes nach sich zog; der Typus der verführerischen Kindfrau ist entscheidend durch "Lolita" geprägt.

"Lolita" wurde bekanntlich zu einem Literaturskandal aufgrund der Vorwürfe der Pornografie und Pädophilie. Tatsächlich enthält der Roman weder pornografische Szenen noch kann ernsthaft einem Leser der Gedanke kommen, die pädophilen Vorlieben des Ich-Erzählers würden gebilligt, nicht einmal sympathisch erscheint der Protagonist. Das beginnt schon mit dem unangenehm klingenden Namen Humbert Humbert und setzt sich mit seiner Darstellung fort. Humbert kann nichts für seine Vorliebe und die Gedanken sind frei, doch fatalerweise belässt er es nicht bei ihnen, sondern nutzt fleißig Gelegenheiten, seine Nymphchen und speziell Lolita zu missbrauchen. Dies inszeniert er so geschickt und unauffällig, dass Lolita zunächst gar nichts davon merkt, etwa wenn er sie auf dem Schoß hält. Pikanterweise rechtfertigt Humbert sein Vorgehen damit, dass er niemandem schade, solange es unbemerkt bleibt und stellt sich spätestens von da an ins Abseits der Lesersympathie.

Ganz anders in Stanley Kubricks teils verrissener und teils (zu recht, obgleich dem Werk ein Großteil der Melancholie der Vorlage fehlt - aus Rücksicht auf die Zensoren orientierte sich Kubrick mehr am komödiantischen Teil) gelobter Verfilmung, die umgekehrt vorgeht: Hier wird nicht nur aus Lolita alias der zauberhaften Sue Lyon ein Teenager; Humbert Humbert alias James Mason ist scheinbar nur auf Lolita fixiert und seine generelle Vorliebe für "Nymphchen" spielt keine wirkliche Rolle, die sexuellen Andeutungen bleiben insgesamt sehr schwach und Humbert Humbert begnügt sich lange Zeit mit sehnsüchtigen Gedanken, statt es auf Berührungen anzulegen. Die Verfilmung präsentiert einen deutlich sympathischeren Protagonisten (was auch an James Mason als Besetzung liegt), dessen Faszination für einen frühreifen Teenager nachvollziehbarer ist und zugleich keuscher inszeniert wird.

Nabokovs Lolita erscheint anfangs als nicht besonders liebenswertes Mädchen: Sie ist zickig, flatterhaft und macht ihrer alleinerziehenden Mutter das Leben nicht gerade leicht. Humbert fühlt sich auf den ersten Blick an seine früh gestorbene Jugendliebe Annabel Leigh (!) erinnert, jenes dreizehnjährige Ur-Nymphchen, das in ihm die Liebe zu diesen Mädchen weckte. In der ersten Hälfte des Romans liegt der Fokus auf Humbert, in der zweiten rückt Lolita zunehmend in den Mittelpunkt. Obwohl die Geschehnisse und somit auch Lolita stets vom unzuverlässigen Erzähler Humbert aus betrachtet werden, kann der Leser unterscheiden zwischen Humberts Phantasien und Interpretationen und Lolitas wirklichem Empfinden. Lolita ist, und das ist wichtig, mitnichten die frühreife Verführerin, die gerne mit ihrem Namen assoziiert wird. Dolores Haze ist vielmehr ein verwirrtes und unter der etwas frechen Schale verletzliches Kind an der Schwelle zum Teenager. Ihre Zuneigung zu Humbert verwandelt sich in Abhängigkeit, ihre anfängliche sexuelle Neugier wird hemmungslos ausgenutzt und in einen Zwang umgepolt.

Erschreckend und zugleich höchst geschickt sind Humberts beiläufige Einflechtungen, die ihm harmlos erscheinen und die dem Leser Lolitas Leid vor Augen führen: Ganz en passant lässt er einfließen, dass er Lolita etwa den Kaffee verweigert, bis sie ihrer "Morgenpflicht" nachgekommen ist oder dass sie ihn so sehr zerkratzt, dass eine Dame an eine Auseinandersetzung mit einer Katze glaubt; ihr häufiges Weinen und ihre Beschimpfungen werden als Laune abgetan, während Humbert im Gegenzug betont, wie sehr er sich um sie kümmert und ihr alle materiellen Wünsche erfüllt. Während er auf der einen Seite liebevolle Fürsorge vorgibt, warnt er sie, sie bei fehlender Kooperation in ein Heim zu geben. Vor den Augen des Lesers entfaltet sich immer beklemmender Humberts Phantasiewelt, in der er mit seiner Lo eine erfüllte Beziehung lebt, sie dabei unentwegt manipuliert und ihre Verzweiflung ignoriert oder bagatellisiert.

Charlotte Haze ist vor allem bemitleidenswert. Sie ist eine leidlich hübsche Frau Mitte dreißig; ihr zwanzig Jahre älterer Ehemann starb früh und sie möchte das Leben noch genießen. Charlotte ist recht simpel gestrickt, dabei aber bemüht, elegant und verführerisch zu wirken. Ihre Redseligkeit und ihre eingeworfenen französischen Phrasen, die Weltgewandtheit demonstrieren sollen, machen Humberts herablassende Betrachtung teils nachvollziehbar, wirklich unsympathisch ist Charlotte aber nicht.

Der Roman ist gespickt mit literarischen und sprachlichen Anspielungen, von denen einige nur im Original zu erahnen sind. Und doch beschert auch die deutsche Übersetzung mit dem oft blumigen und dann doch wieder lakonischen Stil einen Lesegenuss. Oft genug und besonders in der zweiten Hälfte ist "Lolita" ein melancholisches Werk dank der unmöglichen Obsession Humbert Humbert und der bedauernswerten Seele Charlotte Haze. Nabokovs Verdienst ist es unter anderem, aus "Lolita" zugleich auch einen humorvollen Roman gemacht zu haben, der das Thema dennoch ernst nimmt und nie ins Lächerliche zieht. Für den Leser mutet es sehr amüsant an, wenn ausgerechnet Humbert Humbert immer wieder ins Blickfeld lüsterner Damen gerät, die nicht ahnen, dass ihre wogenden Brüste ihn verschrecken statt stimulieren, wenn er in sarkastischem Tonfall die für ihn als kultivierten Europäer oft abstoßende amerikanische Lebensart kommentiert oder in seinem Tagebuch knapp notiert, dass er seine frisch angetraute Ehefrau mit Lolitas Söckchen betrogen hat.

Viel anzukreiden ist diesem Roman wahrlich nicht. Störend fällt auf, dass Charlottes Schicksal sehr früh vorweggenommen wird, was gewiss bewusst geschieht, aber doch einen spannungsdämpfenden Effekt hat. Bei manch einem Satzgefüge hat es der Autor mit blumigen Formulierungen etwas zu sehr auf die Spitze getrieben; aber dies schmälert kaum den außerordentlichen Lesegenuss.

Fazit:

Nabokovs Roman präsentiert interessante und vielschichtige Charaktere, eine spannende und vor allem bewegende Handlung, verpackt in einen kunstvollen Stil und bleibt noch lange nach der Lektüre im Gedächtnis. Unterm Strich eines jener Werke, das man durchaus öfter im Leben zur Hand nimmt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.