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15. Juni 2012

Erbarmen - Jussi Adler-Olsen

Produktfakten:

Ausgabe: 2009
Seiten: 420
Amazon
* * * * *

Der Autor:

Jussi Adler-Olsen, 1950 in Kopenhagen geboren, studierte zunächst Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film und arbeitete in vielen Berufen, ehe 1997 sein Debütroman erschien. Nach weiteren Werken gelang ihm mit "Erbarmen", der erste Teil um Kommissar Carl Mørk, der internationale Durchbruch. Mit "Schändung" und "Erlösung" erschienen inzwischen Teil 2 und 3, weitere Bände werden folgen.

Inhalt:

Kopenhagen: Vizepolizeikommissar Carl Mørk erlebt gerade einen privaten und beruflichen Tiefpunkt: Bei einer routinemäßigen Tatortuntersuchung wurden er und seine beiden Freunde und Kollegen Anker und Hardy plötzlich durch einen Unbekannten niedergeschossen. Anker starb an den Folgen, Hardy ist hoffnungslos vom Hals abwärts gelähmt, Carl erlitt einen vergleichsweise harmlosen Streifschuss. Nach seiner Genesung leidet Carl unter einem Trauma, seine ohnehin schon etwas schroffe und muffelige Art verstärkt sich.

Seine Vorgesetzten entscheiden sich zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie befördern Carl zum Leiter des neu gegründeten Sonderdezernats Q, das alte, ungeklärte Fälle aufrollen soll. Carl wird in den Keller verfrachtet und lässt es erst einmal ruhig angehen. Als Assistent, der für Ordnung sorgen und als Fahrer dienen soll, wird der junge Syrer Assad eingestellt.

Carls widmet sich als erstes dem Fall der vermissten Merete Lyngaard. Die junge, politisch engagierte und attraktive Merete verschwand vor fünf Jahren spurlos von einer Fähre. Zurück blieb dort nur ihr seit einem Autounfall geistig gestörter, stummer Bruder Uffe, den Merete seit Jahren zuhause pflegte. Die unbewiesenen Theorien reichen von Selbstmord bis hin zum Totschlag durch Uffe, der heute in einem Pflegeheim lebt. Carl und Assad, der sich überraschend als ausgesprochen fähiger Kollege erweist, rollen den Fall auf und kommen plötzlich brisanten Entwicklungen auf die Spur. Wurde Merete ermordet oder lebt sie vielleicht noch ...?

Bewertung:

Jussi Adler Olsens furioser erster Band um Carl Mørk und das Sonderdezernat Q ist unter den drei bisher erschienenen Bänden möglicherweise immer noch der beste, auch wenn sie alle grandios sind. Er vereint alle Qualitäten für einen überzeugenden Thriller: Ein sympathisches und zugleich originelles Ermittlerteam mit hohem Wiedererkennungswert, eine gesunde Mischung aus Ermittlungsarbeit und privaten Anekdoten, eine verschwundene Person mit rätselhaftem Schicksal, ein grauenhaftes Verbrechen und einen bis kurz vor Schluss ungewissen Ausgang.

Geschickt inszeniert der Autor drei Ebenen, die alle eng miteinander verwoben sind: Zum einen die Arbeit von Carl und Assad, zum anderen die Rückblicke in Meretes Leben vor ihrem Verschwinden - und zum dritten ihr aktuelles Schicksal, gefangen und gequält und ahnungslos, warum ausgerechnet ihr das angetan wird. Anders als Carl und Assad erfährt der Leser verhältnismäßig früh, dass Merete tatsächlich noch lebt. Das tut der Spannung aber keinen Abbruch. Vielmehr fiebert man mit, ob Merete rechtzeitig gerettet wird, denn sicher ist das keineswegs. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto offensichtlicher wird für den Leser, dass ein Happy End alles andere als garantiert ist. Spannend ist zudem die Frage, warum Merete in diesem grausamen Gefängnis fristet, mal ein Jahr lang ununterbrochen von Licht bestrahlt, mal in monatelanger Dunkelheit und immer nur in Kontakt mit einer Lautsprecherstimme. Auch Merete ist völlig ahnungslos, warum sie zum Opfer wurde - doch es wird immer offenkundiger, dass es einen bestimmten Grund dafür gibt, dass sie hier ist.

Jussi Adler-Olsen gelingen Charaktere mit Wiedererkennungswert. Da ist zum einen Carl Mørk, der leichte Züge eines Antihelden hat. Er lebt getrennt von seiner Frau und hat keine Aussicht auf eine neue Beziehung, er hat eine leicht ruppige Art an sich und ist für sein Umfeld manchmal recht unbequem. Dabei ist er aber durch und durch sympathisch, ein sehr menschlicher Kommissar, der seine neue Stelle erst einmal nutzt, um auszuspannen und nur pro forma arbeitet, eher er auf den Fall Merete Lyngaard stößt. Bei ihm lebt sein Stiefsohn Jesper, ein Jungspund, der es ihm nicht immer leicht macht, sowie sein Untermieter Morten, ein ewiger Student, der immer wieder Feuer und Flamme für eine neue Studienrichtung ist. Dazu kommt der regelmäßige Ärger mit seiner überkandidelten Exfrau Vigga.

Assad ist eine undurchschaubare Figur, deren Hintergründe auch im aktuellen Band noch nicht gelüftet sind. Anfangs erscheint er vor allem als freundlicher, engagierter und flinker Mitarbeiter, der seine neue Aufgabe mit Feuereifer angeht. Im weiteren Verlauf zeigt er gute Ermittlungskenntnisse und wird so etwas wie ein Partner für Carl Mørk, obwohl er eigentlich hauptsächlich den Putzeimer schwingen sollte. Assad hat ein paar liebenswerte Macken, serviert unermüdlich zuckersüßen Tee und betet regelmäßig auf dem mitgebrachten Gebetsteppich. Für Carl Mørk ist es sichtlich gewöhnungsbedürftig, einen jungen Syrer, der noch nicht alle Feinheiten der dänischen Sprache kennt, als Assistenten zu haben und da ist es logisch, dass er Assad anfangs unterschätzt. Allerdings ahnt man nach und nach und nach auch, dass Assad schon irgendwelche Gründe hat, sein Privatleben gut zu verbergen - welche das sind, kann man in diesem ersten Band aber nur erahnen. Berührend ist die Geschichte um Hardy, einen Koloss von über zwei Metern, der nun hilflos und mit Todessehnsucht im Krankenhaus vom Hals abwärts dahinvegetiert. Carl hat Schuldgefühle, weil er den Angriff im Gegensatz zu seinen Freunden leicht verletzt überstand und gleichzeitig nagt es an ihm, dass der Täter noch unerkannt ist.

Bewegend ist der Strang, der sich um Merete dreht. Als Jugendliche erlitt die Familie einen schweren Autounfall, die Eltern starben und seither hat Merete die Verantwortung für ihren Bruder. Uffe spricht seit dem Unfall nicht mehr und braucht ständige Betreuung. Neben ihrer fordernden Arbeit als Abgeordnete widmet Merete ihr spärliche Freizeit dem Bruder. Der Leser ist erleichtert, als er realisiert, dass Merete noch lebt - doch ihre Gefangenschaft ist mehr als grauenvoll. Obwohl oder auch gerade weil ihr Entführer ihr nie gegenüber tritt, sondern sie nur eine unbekannte Stimme durch Lautsprecher hört, die oft Monate schweigt, ist ihr Schicksal besonders unheimlich. Vor allem in der zweiten Hälfte des Romans gibt es durchaus auch ein paar Stellen, die zartbesaiteten Lesern einen unruhigen Magen bescheren können - es werden zwar keine Folterungen geschildert, aber Meretes Gesundheit leidet in den Jahren der Gefangenschaft enorm und sie wird zu äußert unappetitlichen Dingen gezwungen. Geschickterweise spielt aber auch die Phantasie des Lesers hier eine große Rolle und entscheidende Details muss man sich selbst ausmalen.

Reizvoll ist auch die Figur Uffe, denn man hofft immer, dass er einen entscheidenden Hinweis geben kann und weiß doch gleichzeitig, wie unwahrscheinlich das ist. Das Verhältnis zwischen Merete und Uffe wird in den Rückblickend rührend geschildert. Bei aller Geschwisterliebe wird auch deutlich, welche Mühen Merete durch die Pflege ihres Bruders hat und dass ein Leben mit ihm auch den Verzicht auf eine Beziehung mit sich bringt, ja dass sie sich sogar gezwungen sieht, ihren Bruder und damit ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Schwächen kennt das Werk, das ist wohl inzwischen offensichtlich geworden, so gut wie keine. Allenfalls fällt das Ende ein klein wenig zu knapp aus, hätte man gerne noch ein paar Seiten weiter gelesen. Vielleicht ist das Finale in all seiner Dramatik auch ein Hauch zu klischeehaft geworden, denn man kennt es bereits aus so vielen Thrillern, dass am Schluss alles auf die Sekunde ankommt und sich die entscheidenden Entwicklungen im letzten Moment überstürzen. Zudem wird schon im ersten band deutlich, dass es der Autor auf eine lange Reihe abgesehen hat: Weder die Frage, wo Assad eigentlich genau herstammt und was er vorher gemacht hat noch wer die Schüsse auf Carl., Anker und Hardy abgegeben hat, werden geklärt und wer daran interessiert ist, wird wohl die vermutlich mindestens neun Bände lesen müssen, die Jussi Adler-Olsen plant.

Fazit:

Ein überaus überzeugender Thriller und der Auftakt einer sehr gelungenen Reihe aus Dänemark. Die Hauptfiguren sind originell und werden schnell sympathisch, der Fall ist spannend und dramatisch bis zur letzten Seite, es gibt kleine humorvolle Einlagen und insgesamt kaum etwas zu bemängeln.

Erlösung - Jussi Adler-Olsen

Produktfakten:

Ausgabe: 2011
Seiten: 592
Amazon
* * * * *

Der Autor:

Jussi Adler-Olsen, 1950 in Kopenhagen geboren, studierte zunächst Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film und arbeitete in vielen Berufen, ehe 1997 sein Debütroman erschien. Nach weiteren Werken gelang ihm mit "Erbarmen", der erste Teil um Kommissar Carl Mørk, der internationale Durchbruch. Mit "Schändung" und "Erlösung" erschienen inzwischen Teil 2 und 3, weitere Bände werden folgen.

Zum Hintergrund der Reihe:

Vizekriminalkommissar Carl Mørk ist Leiter des neu ins Leben gerufenen Sonderdezernat Q in Kopenhagen, im Keller des Polizeipräsidiums. Hier rollt er alte, ungelöste Fälle, die schon vor Jahren zu den Akten gelegt wurde, neu auf. Ihm zur Seite steht das syrische Multitalent Assad, der ihm eigentlich als Putzhilfe und Fahrer helfen sollte, der sich aber zu einem durchaus ebenbürtigen Assistenten gemausert hat.

Inhalt:

Nach seinem letzten Fall kehrt Carl Mørk aus dem zweiwöchigen Urlaub zurück und erhält seinen neuen Fall direkt aus Schottland. Dort wurde vor fast zehn Jahren im Meer eine Flaschenpost gefunden, die in Vergessenheit geriet und nun untersucht wurde. Es ist ein auf dänisch verfasster Hilferuf, mit Blut geschrieben und durch Witterung und Alter kaum noch zu entziffern.

In mühsamen Untersuchungen stellt sich heraus, dass offenbar zwei Jungen in den neunziger Jahren von einem Mann entführt und gefangen gehalten wurden. Einer der beiden Brüder konnte mit Blut und einer Scherbe diesen Hilferuf schreiben und anschließend ins Meer schmuggeln. Trotzdem bleiben noch etliche Rätsel - vor allem die Frage, wer die beiden Jungen sind und warum sie nie vermisst gemeldet wurden.

Carl Mørk und sein Assistent Assad ahnen noch nicht, dass sie es mit einem Serientäter zu tun haben. Sein Ziel sind Kinder aus religiösen Gemeinden, von deren Familien er sich das Vertrauen erschleicht. Und er ist noch aktiv ...

Bewertung:

"Erlösung" ist der lang erwartete dritte und derzeit aktuellste Teil von Jussi Adler-Olsens fulminanter Thrillerreihe, die genau wie die beiden Vorgänger durch sehr gute Qualität überzeugt - wenn auch nicht in allen Belangen perfekt ist.

Kindesentführungen und Lösegelderpressungen sind an sich ein sehr traditionelles Thema des Genres, das hier aber auf raffinierte Weise variiert wird. Es geht dem Täter längst nicht nur um das Geld, sondern er nimmt auf diese Weise gleichzeitig Rache für seine missratene Kindheit, die er unter der Knute eines fanatischen Pfarrers verbrachte. Rache für ein glückliches Familienleben, das er nie hatte, Rache für all die Schläge und Demütigungen, die ihm Namen Gottes auf ihn einprasselten. Diese Mischung aus persönlicher Motivation und schlichter Geldgier ist überzeugend und glaubwürdig. Der Leser erfährt durch Rückblicke viele Details aus der Biographie des Täters, versteht auch durchaus, dass er Hass gegenüber religiösen Gemeinden fühlt, aber zum Glück wird gar nicht erst der Versuch unternommen, Mitgefühl beim Leser zu wecken. Geschickt wird zwischen dem Leben des Entführers und den Ermittlungen hin- und hergeschalten, es gibt jede Menge Action und brisante Momente und auch kleine Pannen, sowohl bei den Ermittlern als auch beim Täter, der damit erfreulicherweise nicht als Übermensch erscheint.

Das Privatleben von Carl Mørk und die kleinen Nebenhandlungen, die auch in den vorherigen Bänden bereits einflossen, sind auch hier wieder schön dosiert. Der nach wie vor immer etwas muffelige aber liebenswerte Carl beginnt sein Verhältnis zur Polizeipsychologin Mona zu vertiefen, ohne dass es wirklich eine bedeutende Rolle in der Handlung spielen würde, keine Gefahr also, dass diese Liaison in irgendeiner Form von der Haupthandlung ablenken würde. Ein weiteres Thema ist Hardy, Carls ehemaliger Kollege und Partner, der kurz vor Einstieg des ersten Bandes bei einem Einsatz so schwer verletzt wurde, dass er nun vom Hals abwärts gelähmt ist. Carl erfüllt seinem stark depressiven Freund den Wunsch, ihn bei sich zuhause aufzunehmen, gepflegt von Carls Untermieter, dem alternativen Ultralangzeitstudenten Morten. Die etwas exzentrische Bürokraft Rose, die im zweiten Band eingeführt wurde, schickt hier ihre nicht weniger exzentrische Zwillingsschwester Yrsa ins Spiel, die noch für einige Verwirrung sorgen wird. Assad, der von der Putzhilfe zum inoffiziellen Partner Carl Mørks aufgestiegen ist, beweist ein ums andere Mal seine brillanten Kenntnisse, garniert mit den humorvollen Sprachschwierigkeiten und in Carls Augen irritierend derben Sprichwörtern. Überhaupt sind diese amüsanten Einflechtungen ein besonderes Geschick Jussi Adler-Olsens, dennoch wird der Humor niemals überstrapaziert, wirkt es nie albern oder aufgesetzt, wenn sich solche Momente trotz der Dramatik ergeben.

Wie schon in den beiden vorherigen Bänden gibt es ein paar neue Details, die zeigen, dass Assad einiges zu verbergen hat. Auf der einen Seite ist er der sympathische, verlässliche Assistent, auf der anderen Seite ist inzwischen überdeutlich, dass er Geheimnisse hat und offenbar gute Gründe, seine Herkunft zu verschleiern. Nachdem Carl in diesem Band mit der Nase darauf gestoßen wird, dass Assad ihm etwas Wichtiges verheimlicht hat, stellt er ihn zwar zu Rede - belässt es dann aber dabei, nachdem sich Assad herausredet, dass das Thema ein andermal wieder auf den Tisch kommt und das passiert nicht mehr in diesem Band. Im ersten Band war es noch sehr reizvoll, dass man kaum etwas über Assads Herkunft weiß, im zweiten ahnte man, dass sich das noch ausweitet, im dritten hätte man nun doch ganz gerne zumindest etwas Handfesteres, es muss ja nicht gleich die ganze Wahrheit sein. Aber selbst wenn einem dieses Rätselraten durchaus gefällt, ist es nicht sehr realistisch, wie gleichmütig Carl hinnimmt, so gut wie nichts über seinen treuen Assistenten zu wissen. Ein anderer Punkt ist das etwas zu knappe Ende. Der Epilog lässt Raum für Spekulationen und leider kann sich nicht darauf verlassen, dass die im nächsten Band geklärt werden - denn die beiden vorherigen Fälle wurden bislang allenfalls kurz namentlich erwähnt, aber deren Ausgang nie angesprochen. Das ist positiv, wenn man die Bücher nicht in der chronologischen Reihenfolge liest, weil man sich die Spannung nicht verdirbt - aber negativ, wenn man darauf hofft, ein paar mehr Details zum weiteren Schicksal einiger Personen dieses Bandes zu erfahren. An einem Punkt wird auch der Zufall überstrapaziert, wenn sich quasi in allerletzte Minute zwei Menschen zufällig begegnen, die beide eng mit dem Täter verbunden sind und die der Handlung damit eine neue Wendung geben.

Fazit:

Insgesamt ein sehr empfehlenswerter Thriller mit rasanter Handlung, überzeugenden Charakteren, einem interessant aufbereiteten Thema. Der dritte Band der Carl-Mørk-Reihe bringt grundsätzlich alle Vorzüge der beiden Vorgänger mit, kann allerdings nicht in allen belangen hundertprozentig überzeugen. Für mich bleibt der erste Band der bisher beste, ein paar Fragen wünscht man sich am Ende doch besser geklärt. Aber auch wenn er die Vorgänger mit "Erlösung" nicht übertreffen kann, bleibt ein sehr guter Thriller zurück.