Produktinfos:
Ausgabe: 2016
Seiten: 317
* * * * *
Der Autor:
Marc-Oliver Bischoff, geboren 1967 in Lemgo, studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitet als Technologieberater. Gleich für sein Krimidebüt "Tödliche Fortsetzung" erhielt er den Friedrich-Glauser-Preis. Weitere Werke sind "Die Voliere" und "Golanhöhen".
Inhalt:
Die junge Krankenschwester Katharina verpasst einen Anruf ihrer Schwester Sara. Als sie später ihre Mailbox abhört, erklingt ein verstörender Hilferuf. Saras Handy ist daraufhin nicht mehr zu erreichen. Katharina sorgt sich um ihre Schwester und fragt auf deren Arbeitsstelle in Rostock nach, wo Sara als Gerichtsvollzieherin arbeitet. Dort erfährt sie, dass sich Sara für eine Woche krankgemeldet hat.
Doch Sara ist weder in ihrer Wohnung noch in einem Krankenhaus, ihr Hausarzt hat sie auch nicht krankgeschrieben. Katharina meldet sie vermisst, doch die Polizei glaubt, dass sich alles harmlos aufklären wird. Katharina hingegen fürchtet, dass ihrer Schwester etwas zugestoßen ist, und forscht auf eigene Faust nach.
Saras Spur verliert sich in dem Dorf Grantzow, wo sie kurz vor ihrem Verschwinden einen beruflichen Termin hatte. Doch in dem idyllischen Dorf will sie niemand gesehen haben. Katharina quartiert sich in dem Örtchen ein. Die Zeit scheint hier einige Jahrzehnte zurückgedreht worden zu sein: Die Einwohner verzichten auf moderne Technik, bauen auf ökologische Landwirtschaft und leben in einfachen, aber scheinbar sehr harmonischen Verhältnissen. Doch Katharina spürt schon bald, dass hinter der Fassade dieser seltsamen Gemeinschaft nicht alles so friedlich ist ...
Bewertung:
Marc-Oliver Bischoffs "bislang politischste(r) Roman", wie es auf der Buchrückseite heißt, widmet sich den Gefahren faschistoider Gemeinschaften und fremdenfeindlichen Tendenzen, die gerade in den Jahren 2016 und 2017 in diversen westlichen Ländern vermehrt aufflammen.
Das Werk ist anfangs sehr spannend, da unklar ist, was mit Sara geschehen ist und wie die Bewohner des Dorfes auf Katharinas Nachforschungen reagieren werden. Einige Bewohner von Grantzow begegnen dem neugierigen Neuankömmling sichtlich misstrauisch bis feindselig, andere sind aber weniger durchschaubar. Eine interessante Figur ist vor allem Ursula "Ursel" Breker, auf deren Biobauernhof Katharina vorerst unterkommt. Katharina versteht sich gut mit Ursels Kindern Niklas und Ester-Marie, Ursel verhält sich freundlich und großzügig, und sie verbringen viel Zeit miteinander; Ursel ist mit Abstand Katharinas engste Vertraute im Dorf. Andererseits war ausgerechnet Ursels Hof Saras letzter Termin vor ihrem Verschwinden, und Katharina weiß nicht, wie weit sie Ursel wirklich vertrauen kann - hat sie Sara tatsächlich nie gesehen, weiß sie wirklich nichts über deren Verschwinden? Oder hat sie vielleicht Angst vor der "Sippe" und hält deswegen Informationen zurück? Oder ist sie sogar in Saras Verschwinden involviert? Diese Fragen stellen sich sowohl Katharina als auch der Leser.
Der kriminalistische Teil der Handlung dreht sich um Katharinas Suche nach ihrer Schwester. Der Roman enthält aber auch eine starke gesellschaftlich-politische Komponente. Gezeigt wird auf der einen Seite die Gefahr, die von nationalistischen Gruppierungen ausgeht, auf der anderen Seite wird verdeutlicht, wie leicht man in diese Fänge geraten kann. Katharina begegnet Menschen, die die fremdenfeindliche Gesinnung der Dorfbewohner unterschätzen und verharmlosen und nur die positiven Aspekte des altmodischen Dorflebens sehen, das durch die vier Familien der "Sippe" kontrolliert und organisiert wird: Gesunde Ernährung wird großgeschrieben, Kinder lernen Disziplin, Mütter werden bei der Erziehung entlastet, die Dorfgemeinschaft unterstützt einander und Nachbarschaft existiert nicht nur auf dem Papier.
In der zweiten Hälfte gibt es allerdings ein paar Schwächen. Katharinas vorheriges Leben spielt plötzlich keine Rolle mehr, da sich alles um das Dorf dreht, obwohl zuvor ein paar nicht uninteressante Punkte berührt worden: Katharina hat ein geheimes Verhältnis mit dem Arzt Dr. Roland Keller, was in der Klinik auf keinen Fall publik werden darf. Eines Abends wird sie überfallen und beinah vergewaltigt. Sie erleidet kurz darauf in der Öffentlichkeit einen Zusammenbruch und wird zu ihrem Pech in das Krankenhaus eingeliefert, in dem sie arbeitet. Schließlich erhält ausgerechnet ihre Mitbewohnerin den Zuschlag für die begehrte Stelle der Stationsleitung, für die Katharina sich beworben hatte. Natürlich lässt sich durch diese Vorgeschichte gut erklären, weshalb Katharina sich eine Auszeit nimmt und in Ruhe nach ihrer Schwester suchen kann; dennoch ist es etwas schade, dass all diese Punkte, die ihr Leben in den Wochen zuvor so sehr bestimmten, seit ihrer Ankunft in Grantzow quasi keine Rolle mehr spielen.
Weiterhin fällt ein wenig störend auf, dass der Handlung nach und nach etwas an Glaubwürdigkeit einbüßt. Es erscheint nicht wirklich realistisch, dass Katharina binnen einer Woche von der Gemeinschaft akzeptiert wird und man davon ausgeht, dass sie tatsächlich deren Gesinnung übernommen hat und fortan hier leben möchte. Das fällt umso mehr auf, wenn man bedenkt, wie misstrauisch ihr anfangs begegnet wird. Katharina wird im Schnelldurchlauf mit den Grundsätzen und Regeln der Gemeinschaft gefüttert, ihre Indoktrinierung liest sich recht oberflächlich, hier wäre etwas mehr Subtilität schön gewesen. Überhaupt verläuft gegen Ende alles etwas schnell und überstürzt, verglichen mit dem anfänglichen langsamen Aufbau.
Fazit:
"Die Sippe" von Marc-Oliver Bischoff ist ein interessanter Spannungsroman mit aktueller und brisanter politischer Thematik. Vor allem die erste Hälfte unterhält gut und überzeugt, in der zweiten schleichen sich dann ein paar Schwächen ein.
Ausgabe: 2016
Seiten: 317
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Der Autor:
Marc-Oliver Bischoff, geboren 1967 in Lemgo, studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitet als Technologieberater. Gleich für sein Krimidebüt "Tödliche Fortsetzung" erhielt er den Friedrich-Glauser-Preis. Weitere Werke sind "Die Voliere" und "Golanhöhen".
Inhalt:
Die junge Krankenschwester Katharina verpasst einen Anruf ihrer Schwester Sara. Als sie später ihre Mailbox abhört, erklingt ein verstörender Hilferuf. Saras Handy ist daraufhin nicht mehr zu erreichen. Katharina sorgt sich um ihre Schwester und fragt auf deren Arbeitsstelle in Rostock nach, wo Sara als Gerichtsvollzieherin arbeitet. Dort erfährt sie, dass sich Sara für eine Woche krankgemeldet hat.
Doch Sara ist weder in ihrer Wohnung noch in einem Krankenhaus, ihr Hausarzt hat sie auch nicht krankgeschrieben. Katharina meldet sie vermisst, doch die Polizei glaubt, dass sich alles harmlos aufklären wird. Katharina hingegen fürchtet, dass ihrer Schwester etwas zugestoßen ist, und forscht auf eigene Faust nach.
Saras Spur verliert sich in dem Dorf Grantzow, wo sie kurz vor ihrem Verschwinden einen beruflichen Termin hatte. Doch in dem idyllischen Dorf will sie niemand gesehen haben. Katharina quartiert sich in dem Örtchen ein. Die Zeit scheint hier einige Jahrzehnte zurückgedreht worden zu sein: Die Einwohner verzichten auf moderne Technik, bauen auf ökologische Landwirtschaft und leben in einfachen, aber scheinbar sehr harmonischen Verhältnissen. Doch Katharina spürt schon bald, dass hinter der Fassade dieser seltsamen Gemeinschaft nicht alles so friedlich ist ...
Bewertung:
Marc-Oliver Bischoffs "bislang politischste(r) Roman", wie es auf der Buchrückseite heißt, widmet sich den Gefahren faschistoider Gemeinschaften und fremdenfeindlichen Tendenzen, die gerade in den Jahren 2016 und 2017 in diversen westlichen Ländern vermehrt aufflammen.
Das Werk ist anfangs sehr spannend, da unklar ist, was mit Sara geschehen ist und wie die Bewohner des Dorfes auf Katharinas Nachforschungen reagieren werden. Einige Bewohner von Grantzow begegnen dem neugierigen Neuankömmling sichtlich misstrauisch bis feindselig, andere sind aber weniger durchschaubar. Eine interessante Figur ist vor allem Ursula "Ursel" Breker, auf deren Biobauernhof Katharina vorerst unterkommt. Katharina versteht sich gut mit Ursels Kindern Niklas und Ester-Marie, Ursel verhält sich freundlich und großzügig, und sie verbringen viel Zeit miteinander; Ursel ist mit Abstand Katharinas engste Vertraute im Dorf. Andererseits war ausgerechnet Ursels Hof Saras letzter Termin vor ihrem Verschwinden, und Katharina weiß nicht, wie weit sie Ursel wirklich vertrauen kann - hat sie Sara tatsächlich nie gesehen, weiß sie wirklich nichts über deren Verschwinden? Oder hat sie vielleicht Angst vor der "Sippe" und hält deswegen Informationen zurück? Oder ist sie sogar in Saras Verschwinden involviert? Diese Fragen stellen sich sowohl Katharina als auch der Leser.
Der kriminalistische Teil der Handlung dreht sich um Katharinas Suche nach ihrer Schwester. Der Roman enthält aber auch eine starke gesellschaftlich-politische Komponente. Gezeigt wird auf der einen Seite die Gefahr, die von nationalistischen Gruppierungen ausgeht, auf der anderen Seite wird verdeutlicht, wie leicht man in diese Fänge geraten kann. Katharina begegnet Menschen, die die fremdenfeindliche Gesinnung der Dorfbewohner unterschätzen und verharmlosen und nur die positiven Aspekte des altmodischen Dorflebens sehen, das durch die vier Familien der "Sippe" kontrolliert und organisiert wird: Gesunde Ernährung wird großgeschrieben, Kinder lernen Disziplin, Mütter werden bei der Erziehung entlastet, die Dorfgemeinschaft unterstützt einander und Nachbarschaft existiert nicht nur auf dem Papier.
In der zweiten Hälfte gibt es allerdings ein paar Schwächen. Katharinas vorheriges Leben spielt plötzlich keine Rolle mehr, da sich alles um das Dorf dreht, obwohl zuvor ein paar nicht uninteressante Punkte berührt worden: Katharina hat ein geheimes Verhältnis mit dem Arzt Dr. Roland Keller, was in der Klinik auf keinen Fall publik werden darf. Eines Abends wird sie überfallen und beinah vergewaltigt. Sie erleidet kurz darauf in der Öffentlichkeit einen Zusammenbruch und wird zu ihrem Pech in das Krankenhaus eingeliefert, in dem sie arbeitet. Schließlich erhält ausgerechnet ihre Mitbewohnerin den Zuschlag für die begehrte Stelle der Stationsleitung, für die Katharina sich beworben hatte. Natürlich lässt sich durch diese Vorgeschichte gut erklären, weshalb Katharina sich eine Auszeit nimmt und in Ruhe nach ihrer Schwester suchen kann; dennoch ist es etwas schade, dass all diese Punkte, die ihr Leben in den Wochen zuvor so sehr bestimmten, seit ihrer Ankunft in Grantzow quasi keine Rolle mehr spielen.
Weiterhin fällt ein wenig störend auf, dass der Handlung nach und nach etwas an Glaubwürdigkeit einbüßt. Es erscheint nicht wirklich realistisch, dass Katharina binnen einer Woche von der Gemeinschaft akzeptiert wird und man davon ausgeht, dass sie tatsächlich deren Gesinnung übernommen hat und fortan hier leben möchte. Das fällt umso mehr auf, wenn man bedenkt, wie misstrauisch ihr anfangs begegnet wird. Katharina wird im Schnelldurchlauf mit den Grundsätzen und Regeln der Gemeinschaft gefüttert, ihre Indoktrinierung liest sich recht oberflächlich, hier wäre etwas mehr Subtilität schön gewesen. Überhaupt verläuft gegen Ende alles etwas schnell und überstürzt, verglichen mit dem anfänglichen langsamen Aufbau.
Fazit:
"Die Sippe" von Marc-Oliver Bischoff ist ein interessanter Spannungsroman mit aktueller und brisanter politischer Thematik. Vor allem die erste Hälfte unterhält gut und überzeugt, in der zweiten schleichen sich dann ein paar Schwächen ein.
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