1. November 2015

Verdacht ist ein unheimlicher Nachbar - Louise Welsh

Produktinfos:

Ausgabe: 2014
Seiten: 275
Amazon
* * * * *
Die Autorin:

Die Britin Louise Welsh, Jahrgang 1965, studierte zunächst Geschichtswissenschaft und verfasste Kurzgeschichten. 2002 erschien ihr erster Roman "Dunkelkammer", weitere Werke sind beispielsweise "Der Kugeltrick" und "Das Alphabet der Knochen".

Inhalt:

Nach sechs Jahren Fernbeziehung zwischen Glasgow und Berlin zieht die Schottin Jane endlich zu ihrer Freundin Petra. Zudem ist Jane im achten Monat schwanger, und die beiden Frauen freuen sich auf ihr erstes gemeinsames Kind. Während Petra als Bankerin beruflich viel eingespannt ist und teilweise ins Ausland reisen muss, erledigt Jane den Haushalt.

Obwohl Jane froh ist, bei Petra zu leben, verunsichert sie die neue Umgebung auch. Außer Petra hat sie in Berlin kaum Bekanntschaften, die finanzielle Abhängigkeit von ihrer Lebensgefährtin setzt ihr zu, sie hat Mühe mit der deutschen Sprache. Zudem missfällt ihr der Nachbar Alban Mann, der hier alleine mit seiner dreizehnjährigen Tochter Anna lebt. Die frühreife Anna liefert sich lautstarke Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, Jane entdeckt blaue Flecken im Gesicht des Mädchens.

Sie bietet ihre Hilfe an, doch sowohl Anna als auch ihr Vater bestreiten, dass Misshandlungen vorliegen. Janes Verunsicherung steigt, als sie das Gerücht hört, Alban Mann habe seine Frau vor Jahren ermordet. Obwohl Petra Jane dazu drängt, sich aus den Angelegenheiten der Nachbarn herauszuhalten, befasst sich Jane immer obsessiver damit ...

Bewertung:

Der deutsche Titel klingt ein wenig abgehoben, simpler und treffender ist da der englische Originaltitel: "The girl on the stairs". Protagonistin Jane ist generell noch nicht heimisch in Berlin und leidet unter gewissen Verunsicherungen; so richtig beginnt ihr Dilemma allerdings erst, als sie dem Mädchen auf der Treppe begegnet. Die dreizehnjährige Anna weckt in der schwangeren Frau starke Beschützerinstinkte. Jane stößt in ihrem Umfeld und bei den Behörden allerdings schnell auf taube Ohren und greift daraufhin zu unkonventionellen und gefährlichen Methoden, um Anna zu helfen.

Es macht den besonderen Reiz des Romans aus, dass der Leser lange Zeit nicht recht einschätzen kann, wie real Janes Ängste tatsächlich sind. Es ist unklar, ob Jane die Ereignisse überinterpretiert oder ob sie tatsächlich in Gefahr schwebt. Es ist gut nachzuvollziehen, dass Jane anhand ihrer Beobachtungen gewisse Schlüsse zieht, dass ihr der Nachbar unheimlich ist und dass sie sich um seine Tochter sorgt. Es besteht jedoch auch immer die Möglichkeit, dass alles harmloser ist, als es sich Jane darstellt - möglicherweise ist Albans Frau wirklich vor ein paar Jahren bei Nacht und Nebel durchgebrannt, möglicherweise hat sich Anna ihre Verletzung in der Tat beim Basketballtraining zugezogen. Der Leser schwankt zwischen Solidarisierung für Jane auf der einen Seite und Verständnis für ihre Umgebung, welche allmählich ungeduldig wird, auf der anderen Seite.

Somit ist der Roman nicht nur ein Thriller, sondern auch ein interessantes Psychogramm einer verunsicherten Frau, die sich mehr und mehr in einer Obsession verliert. Neben dem kriminalistischen Teil steht auch die Beziehung zwischen Jane und Petra im Fokus. Dass die beiden lesbisch sind, wird angenehm unaufgeregt eingebaut und spielt keine wesentliche Rolle.

Wichtiger ist das Gefälle zwischen den beiden, das Jane immer deutlicher bewusst wird. Petra ist eine erfolgreiche Bankerin, die für den Lebensunterhalt der beiden sorgt. In Glasgow hat Jane eine Buchhandlung geführt; diesen Job möchte sie auch in Berlin irgendwann wieder ausüben. Doch vorerst trägt sie das gemeinsame Kind der beiden aus, das durch künstliche Befruchtung entstand. Jane ist aufgrund der Schwangerschaft besonders sensibel und Alban Mann erscheint ihr nicht als die einzige Bedrohung. Sie spürt Petras zunehmende Ungeduld, wenn sie wieder einmal den Nachbarn hinterher spioniert hat; sie reagiert eifersüchtig auf Petras Geschäftskollegen und befürchte eine Affäre mit einer anderen Frau. Besonders schmerzhaft ist der Verdacht, dass Petra sie nicht liebt, sondern nur benutzt, um an ein Kind zu kommen und sie bald nach der Geburt verlassen wird. Der Konflikt mit Alban Mann ist so nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, während Jane grundsätzlich mit ihrem Leben hadert und zunehmend den Halt verliert.

Obwohl Janes Verhalten in vielerlei Hinsicht verständlich ist, reagiert sie manchmal jedoch auch angesichts ihres Zustandes zu unbedacht. Mehrmals begibt sie sich viel zu leichtsinnig in Gefahr und das macht es dem Leser nicht immer leicht, sich mit ihr zu identifizieren. Gewiss wäre der Roman noch stärker, wenn man sich noch intensiver in Jane einfühlen könnte, wenn sie einen nicht bisweilen mit ihren überstürzten Aktionen verärgern würde.

Zum Schluss laufen alle Fäden zusammen, bis dahin offen gebliebene Fragen klären sich. Allerdings erscheint die Wendung, die das alles ermöglicht, auch ein wenig konstruiert. Angesichts der zuvor kreierten düsteren Atmosphäre erscheint das Ende ein bisschen zu zahm und zu harmonisch.

Fazit:

Von kleinen Schwächen abgesehen ein stimmungsvoller und lesenswerter Psychothriller mit einer interessanten Grundthematik.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.