1. Januar 2013

For the Thrill of It: Leopold, Loeb, and the Murder That Shocked Chicago - Simon Baatz

Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 560
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Der Autor:

Simon Baatz studierte zunächst Physik, entschied sich dann aber für eine Karriere als Historiker. Er unterrichete als Geschichtsprofessor und verfasste mehrere Bücher über Geschichte und Wissenschaften. www.simonbaatz.net

Inhalt:

Chicago, 1924: Der 19-jährige Nathan Leopold und der 18-jährige Richard Loeb sind ein recht ungleiches Freundespaar: Nathan ist ein scheuer, gedrungener, nicht besonders hübscher junger Mann, Richard dagegen attraktiv, offen und charmant. Die beiden vereint allerdings sowohl ihre reichen Elternhäuser als auch vor allem ihre enorme Intelligenz: Nathan spricht rund zehn Sprachen, ist ein Experte für Ornithologie und hat bereits das College mit Glanznoten abgeschlossen, Richard ist der jüngste Absolvent der Universität Michigan und kaum weniger begabt.

Ihre außergewöhnliche Intelligenz macht die beiden seit frühester Jugend zu Außenseitern. Philosophische Diskussionen über Nietzsches These über die "Übermenschen" inspirieren sie allmählich zu dem Glauben, sie seien etwas Besseres und stünden außerhalb der moralischen und gesetzlichen Grundsätze. Richard entwickelt früh die Sehnsucht danach, ein "perfektes Verbrechen" zu begehen.

Die beiden beschließen, einen Menschen umzubringen und zu beseitigen und erhoffen sich durch eine solche Tat eine besondere Befriedigung. Ihr zufälliges Opfer wird der vierzehnjährige Bobby Franks, Richards Nachbar und Cousin. Nathan und Richard töten den Jungen, verstecken die Leiche und fordern als Ablenkungsmanöver Lösegeld. Doch der Plan geht nicht auf ...

For the thrill of it - just for the thrill


Leopold und Loeb, dieses leicht von den Lippen gehende Namenspaar ist in Deutschland vielleicht lange nicht so populär wie die Namen anderer Mörder, doch gehört ihr Fall und vor allem der nachfolgende Prozess mit zum Spektakulärsten, was die amerikanische Justizgeschichte zu bieten hat. Hitchcock verfilmte ein davon inspirierte Theaterstück mit James Stewart als "Cocktail für eine Leiche", auch "Mord nach Plan" mit Ryan Gosling und Sandra Bullock sowie "Der Zwang zum Bösen" mit Orson Welles basieren auf dem Fall.

Die Faszination dieses Verbrechens liegt in mehreren Punkten begründet: Zum einen ist es zunächst schwer zu verstehen - wenn auch bei näherer Betrachtung gar nicht mehr unlogisch -, dass zwei wohlhabende, äußerst talentierte Studenten aus gutem Elternhaus zu Mördern werden, zwei junge Männer, vor denen glanzvolle Karrieren lagen. Zum anderen ist nicht leicht zu begreifen, dass das einzige Motiv darin lag, den Nervenkitzel zu erleben und die scheinbare Übermacht auszuleben. Die 10.000 Dollar Lösegeld waren eher ein Ablenkungsmanöver und eine nette Beigabe, auch das Opfer hätte jeder andere Junge sein können - tatsächlich entschieden Leopold und Loeb erst Minuten vor der Tat, dass der vierzehnjährige Bobby Franks das Opfer werden sollte, nachdem sich mit anderen Schuljungen keine passende Gelegenheit ergab. Dass Richard mit Bobby verwandt war, machte die ganze Angelegenheit nur noch etwas einfacher, da sie ihn sehr leicht in ein Gespräch verwickeln und ins Auto lotsen konnten. Richard konnte Bobby nicht besonders gut leiden, hatte allerdings keine Hassgefühle - er war einfach das passende Opfer, das ihnen an diesem Tag über den Weg lief. Diese enorme Kaltblütigkeit, in der die beiden das Opfer zu einem Statisten in ihrem "Experiment", wie Nathan den Mord nannte, machten, ist schockierend und ungewöhnlich. Während Chicago und der Rest der USA zum einen nach der Todesstrafe schrie, fragten sich die Leute auch, wie die beiden jungen Männer zu solchen Mördern werden konnten.

So unterschiedlich Nathan Leopold und Richard Loeb auch waren, beide hoben sich durch ihre Intelligenz schon im Kindesalter von Gleichaltrigen ab. Im Fall von Nathan kam noch seine eher scheue Art hinzu, die es ihm sehr schwer machte, Freundschaften zu schließen. Der gutaussehende, extrovertierte Richard faszinierte ihn sofort und die beiden schlossen sich als Teenager zusammen. Bald verbanden sie auch sexuelle Experimente und Nathan begehrte Richard so sehr, dass er nahezu alles tat, um seine Gunst nicht zu verlieren. Es liegt nah, sich Nathan als willigen Handlanger vorzustellen, der Richard bei dem Mord in blinder Verehrung Beihilfe leistete. Nathan allerdings teilte Richards Ansichten und lehnte moralische Maßstäbe oder Mitleid ab. Einmal gefasst und überführt, beschuldigten sich die beiden gegenseitig, der Initiator gewesen zu sein und den Mord ausgeführt zu haben, während der jeweils andere nur der Fahrer im Wagen gewesen sein will. Das Verhältnis zwischen den beiden ist interessant, weil durchaus sehr ambivalent. Einerseits steht dort die enge Bindung, die beiden verbrachten den Großteil der freien Zeit zusammen und machten, obwohl beide ansonsten eher an Frauen interessiert, sexuelle Erfahrungen miteinander, Nathan war Richard sogar so verfallen, dass er wegen ihm die Uni wechselte und ihm nach Michigan folgte. Auf der anderen Seite schien Richard die Abhängigkeit Nathans gerne auszunutzen und beide zögerten schließlich nicht, den jeweils anderen der eigentlichen Mordtat zu bezichtigen - und jeweils zu betonen, dass der andere die Ursprungsidee zu der Tat hatte.

Autor Simon Baatz liefert unzählige Zitate aus den Verhören und dem Prozess - nicht nur von Leopold und Loeb, sondern auch von Familienangehörigen, Polizisten, Ärzten, Anwälten und weiteren Beteiligten. Schwarz-Weiß-Fotos, Skizzen und Karten illustrieren die Ereignisse zusätzlich. Sehr erfreulich ist zudem, dass Baatz hunderte von Quellenbelegen liefert, die an den Hauptteil angegliedert sind. Etwas seltsam ist allenfalls, dass er in der Mordbeschreibung der Version Nathan Leopolds folgt, ansonsten gibt es so gut wie nichts zu bemängeln. Das Buch liefert nicht nur detaillierte Einblicke in die Biographien der Täter, sondern auch in die amerikanische Justiz und Kriminalarbeit jener Zeit. Clarence Darrow, der 67-jährige Anwalt der beiden, wurde mit seinem zwölfstündigen Schlussplädoyer zu einer Legende der Rechtsgeschichte - heute noch zählt er zu den berühmtesten Anwälten und Bürgerrechtlern und seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass er die beiden vor der Todesstrafe bewahrte. Während Nathan Leopold tatsächlich nach vielen Jahren entlassen wurde und als rehabilitiert galt, wurde Richard Loeb im Gefängnis von einem Mitgefangenen im Kampf getötet. Ein Rätsel bleiben diese beiden Männer bei allen Recherchen dennoch - ein Rätsel, das noch lange nach der Lektüre nachhaltig beschäftigt.

Fazit:

Ein höchst interessantes Werk über einen der spektakulärsten Mordfälle der USA, der noch heute verstört und bewegt. Sehr fundiert recherchiert, flüssig geschrieben, mit Bildern und Karten untermalt - leider bislang nicht auf Deutsch erhältlich.

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