31. März 2013

Terror - Dan Simmons

Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 992
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Der Autor:

Dan Simmons, geboren 1948 in Illinois, arbeitete nach dem Collegestudium zunächst als Grundschullehrer. 1982 erschien seine erste Geschichte, seither zählt er zu Amerikas erfolgreichsten Phantastik-Autoren. Zu seinem Werk gehören vor allem Horror, Fantasy- und SF-Bücher. Einige seiner bekanntesten Romane sind Sommer der Nacht, Hyperion, Song of Kali, Endymion und Drood. www.dansimmons.com

Inhalt:

England, 19. Mai 1845: Der 59-jährige Kapitän und Entdecker Sir John Franklin bricht mit 129 Besatzungsmitgliedern und den Schiffen "Terror" und "Erebus" der königlich-britischen Marine zum Nordpol zu seiner größten Mission auf - Ziel ist es, die legendäre Nordwestpassage zu finden, die einen Weg vom Atlantik in den Pazifik bietet. Die Terror und die Erebus gelten als die modernsten Schiffe ihrer Zeit, an Bord sind Kohle- und Nahrungsvorräte für mehrere Jahre.

Die Stimmung ist zunächst gut, doch die Bedingungen in der Arktis erweisen sich als noch unwirtlicher als gedacht. Der Sommer 1846 ist ungewöhnlich kalt und die Schiffe frieren im Eis fest. Die Männer bleiben anfangs optimistisch, doch dann wendet sich das Schicksal in eine Katastrophe.

Die Mannschaften werden durch Skorbut geschwächt, ein Teil der Vorräte ist verdorben, Sir John Franklin stirbt im Jahr 1847. Die Schiffe sind weiterhin eingefroren, das Eis droht sie zu zerbrechen. Doch neben den Kämpfen gegen die unbarmherzige Natur bekommen es die Männer noch mit einem weiteren Feind zu tun - einer riesenhaften Gestalt aus dem Eis, die sich nach und nach ihre Opfer holt. Die Männer versuchen eine verzweifelte Flucht, die ausweglos zu sein scheint, gequält durch Hunger, Panik und Kälte ...

Im ewigen Eis

Bis heute gilt die gescheiterte Franklin-Expedition als eine der größten und bewegendsten Tragödien der Polarfahrten und der britischen Forschungsreisen. Die Terror und die Erebus sind auch nach mehr als 150 Jahre verschollen, Inuit-Sichtungen einiger Teilnehmer um 1850 sind die letzten Lebenszeichen der Besatzungsmitglieder. Die Gründe für die Katastrophe sind vielschichtig und umstritten, offenbar eine missliche Folge an Fehlentscheidungen und Pech - ungewöhnlich schlechte Wetterbedingungen, verdorbene Nahrung durch schlecht verlötete Konserven, Skorbut durch Vitamin C-Mangel, teils unpassende Ausrüstung, kaum Jagdmöglicheiten dank mangelnder Waffen und zu geringe Anpassung an die Umgebung sind einige der heiß diskutierten Gründe. Die Hinweise auf die Ereignisse sind spärlich - zwei Nachrichten auf dem gleichen Blatt von 1847 und 1848, einzelne Gräber, Mumien und Skelettteile sowie Augenzeugenberichte von Inuit geben ein wenig Aufschluss über die katastrophalen Geschehnisse nach dem Aufbruch der beiden Schiffe, die schließlich brisanterweise sogar in Kannibalismus mündeten. Der Tod von knapp 130 Männern, das Verschwinden der riesigen Schiffe, das Scheitern einer scheinbar so modern angelegten Forschungsreise fasziniert die Menschen nach wie vor und bietet dementsprechend eine phantastische Vorlage für einen großangelegten Roman. Dan Simmons ist nicht der erste Autor, der sich dieser Geschichte bedient, doch er tut es im besonderen Stil: Der Roman ist nicht nur ein großartiges historisches Werk, sondern enthält auch deutliche Elemente aus Horror und Fantasy.

Simmons gelingt es darüber hinaus, einige reizvolle Charaktere zu erschaffen, die den Leser zum Mitfiebern einladen. Besonders hervorstechend sind Sir John Franklin, Francis Crozier, der Kommandant der Terror, der Assistenzarzt Dr. Goodsir sowie die mysteriöse "Lady Silence". Lady Silence ist eine junge Inuitfrau, deren Begleiter - ob Ehemann, Vater oder Bruder ist ungewiss - von den Männern versehentlich getötet wird und die fortan auf den Schiffen lebt. Ihren Spitznamen bekommt sie, weil ihre Zunge abgebissen und sie daher stumm ist. Ihre schweigsame Art, ihr ständiges Verschwinden und plötzliches Auftauchen und ihre rätselhafte Herkunft sorgen für erotische Faszination und Angst zugleich bei den Männern - schnell kommt der Verdacht auf, sie sei eine Hexe, zumal das unheimliche Wesen aus dem Eis etwa zeitgleich mit ihr zum ersten Mal erscheint. Lady Silences Rolle ist auch für den Leser lange Zeit ungewiss und sorgt für Spannung. Sir John Franklin wird als sympathischer, allerdings nicht unfehlbarer Kapitän porträtiert. Mit seinen fast sechzig Jahren ist er ungewöhnlich alt, als er zur Expedition aufbricht, was er allerdings beinah trotzig gegenüber seinen Mitmenschen verteidigt. Aufgrund seiner früheren Erfolge als Polarforscher ist er sehr optimistisch, seinen hervorragenden Ruf mit der Durchquerung der Nordwestpassage zu krönen. Ein weiterer Anreiz ist dabei, mit dem zu erwarteten Geldgewinn zum erheblichen Privatvermögen seiner liebenden Ehefrau Lady Jane aufzuschließen. Franklin ist voller Ehrgeiz, was die Mission betrifft und begeht doch einige verhängnisvolle Fehlentscheidungen.

Im Gegensatz dazu steht der tatkräftige, eher ruppige Francis Crozier, der mit Franklin so manches Mal nicht einer Meinung ist und trotz seiner Fähigkeiten zunächst die zweite Geige hinter Franklin spielen muss. Nach dem Tod des Kapitäns übernimmt er das Oberkommando und sieht sich einer fast ausweglosen Lage gegenüber, was er, ganz Pessimist, auch nüchtern zur Kenntnis nimmt. Croziers Rolle wird vor allem gegen Ende hin sehr bedeutungsvoll und seine Figur sorgt auch, so viel darf verraten werden, für einen Hauch Versöhnlichkeit in der dramatischen Geschichte. Dr. Goodsir ist eine recht bemitleidenswerte Gestalt. Der junge Assistenzarzt ist tüchtig und hilfsbereit, bei seinen Kameraden allerdings weder sonderlich geachtet noch beliebt. Goodsir tritt die Reise in erster Linie an, um sich als Naturforscher weiterzubilden und ist anfangs voller Hoffnung und Optimismus. Schon bald aber erweist sich, dass der unerfahrene junge Mann mit den arktischen Anforderungen heillos überfordert ist. Tapfer bemüht er sich, seinen Teil zum Gelingen der Expedition beizutragen und der Leser kann sich mit dem frierenden und zunehmend verzweifelten Arzt gut identifizieren. Auch zahlreiche weitere Charaktere werden vor den Augen des Lesers lebendig - etwa der liebenswerte, humorvolle Eislotse Blanky, der sich seine augenzwinkernde Art bis in den Tod bewahrt und als herber Gegensatz der Antagonist des Romans, der verschlagene Kalfaterersmaat Cornelius Hickey.

Das Leben auf dem Schiff, der viktorianische Zeitgeist, die Strapazen durch Hunger, Kälte und Krankheiten werden detailliert und sehr anschaulich geschildert, die Entbehrungen und Schmerzen der Figuren manchmal fast unerträglich. Die Handlung arbeitet mit Zeitsprüngen, was anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig ist. Die auf Franklin konzentrierten Kapitel spielen in der Zeit unmittelbar nach dem Aufbruch, die Crozier-Kapitel sowie die weiterer Mannschaftsmitglieder spielen nach Franklins Tod 1847, wenn das Grauen bereits in vollem Gange ist. Zudem werden die Goodsir-Kapitel in Form seiner Tagebucheinträge erzählt. Hilfreich sind die jeweiligen Kapitelüberschriften, in denen stets Breiten- und Längengrad, Ort und Datum der Handlung angegeben sind.

Freilich wäre der übernatürliche Aspekt nicht nötig gewesen, der historische Hintergrund allein liefert genug Folie für einen ausladenden Roman. Daher wird sicher der eine oder andere Leser diesem Horror- und Fantasyelement eher skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Gerade wer sich einen rein historischen Roman erhofft, wie Cover und Kurzbeschreibung vermuten lassen, kann enttäuscht werden, wenn das Wesen "Tuunbaq" ins Spiel kommt. Sicher wäre "Terror" kein weniger großer Roman geworden, hätte Dan Simmons auf Tuunbaq verzichtet. Allerdings hat dieses geheimnisvolle und gefährliche Wesen definitiv seinen Reiz und diese mythischen Elemente sind sicher mehr als ein Entgegenkommen an Simmons' Stammleserschaft, die mit Horror und Fantasy rechnet. Ein jeder Leser sollte sich aber vor der Lektüre darüber im Klaren sein, dass er keinen reinen Historienroman geliefert bekommt, sonst ist Enttäuschung naheliegend.

Fazit:

Ein monumentales Historienwerk mit leichten Horror- und Fantasyelementen, das sich der wahren Geschichte über die berühmte verhängnisvolle Franklin-Expedition annimmt. Intensive Charakterdarstellungen, ausgiebige Recherche, Spannung und Atmosphäre sorgen für wohliges Lesevergnügen. Zu bemängeln ist lediglich der übernatürliche Aspekt, der von den realen Geschehnissen abweicht und der sicher nicht nötig gewesen wäre.

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