30. April 2017

Die drei Fragezeichen und die flüsternden Puppen

Hörspiel.de
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Inhalt:

Peter findet vor einem neu eröffneten Fitnessstudio einen Walkman und hört sich aus Neugierde die Kassette an. Die Musik auf dem Band wird aber kurzzeitig durch eine dramatische Aufnahme unterbrochen - man hört die Schreie eines Mädchens oder einer jungen Frau, die offenbar entführt wurde.

Justus, Peter und Bob erfahren im Fitnessstudio, dass der Walkman einer jungen Frau namens Bianca gehört, und erhalten ihre Handynummer. Am Handy meldet sich ein Mann in Mexiko, der das Gerät in einer Straße in Tijuana gefunden hat. Kurzerhand fahren die drei Fragezeichen nach Mexiko, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Biancas Spur führt sie zu einer alten Hütte, die den Freunden alles andere als geheuer ist. Hier stoßen sie auch auf seltsame Puppen, die einige Sätze sprechen. Und schon bald schweben die drei auf der Suche nach Bianca in großer Gefahr ...

Bewertung:


Titel und Cover dieser Folge sind zwar ungewöhnlich harmlos, aber gerade das kann neugierig darauf machen, wie sich aus "flüsternden Puppen" ein dramatischer Fall zimmern lässt - und man darf nicht vergessen, dass spätestens seit Mörderpuppe "Chucky" auch Puppen durchaus etwas Unheimliches anhaftet. Und anfangs wirkt tatsächlich alles spannend und vielversprechend in dieser Hinsicht, schließlich wurde offenbar ein Teenager nach Mexiko entführt. Die Handlung kommt schnell zum Punkt, die Grundthematik ist reizvoll, es ergeben sich rasch drängende Fragen: Warum wurde Bianca entführt, wer sind die Entführer, kann das Mädchen gerettet werden, wie werden die drei Fragezeichen sie finden?

Erste Längen stellen sich dann ein, als die Freunde in Mexiko gezwungenermaßen aufgrund einer Autopanne die Nacht in der Hütte verbringen müssen. Hier kommt zwar eine gewisse gruselige Atmosphäre auf, aber es wird doch etwas viel Zeit auf diese Situation verschwendet. Und leider muss man schon zu diesem Zeitpunkt die Logik der Handlung etwas in Frage stellen - denn wie realistisch ist es wohl, dass die Freunde einfach auf gut Glück nach Mexiko düsen, statt in einem Entführungsfall lieber direkt Inspector Cotta zu verständigen? Natürlich hat Justus den Ehrgeiz, Fälle ohne die Polizei zu klären und will sie nicht so schnell herbeirufen wie der ängstliche Peter, doch wenn offenbar ein Mädchen von Gangstern entführt und in ein anderes Land verschleppt wurde, ist diese Reaktion mehr als unpassend. Apropos ängstlicher Peter: In der Hütte gibt es eine Szene, in der er seinen Ängsten mal freien Lauf lässt. Die Szene dürfte die Zuhörer spalten: Einerseits ist sie ausgesprochen witzig, andererseits auch reichlich überzogen. Aber bei aller verständlichen Kritik wäre es schade gewesen, sie herauszulassen, weil sie so schön absurd ist.

Am Ende wird alles lückenlos aufgeklärt, und es gibt einen gewissen Überraschungseffekt, den der Hörer kaum vorherahnen kann. Allerdings ist es sehr konstruiert, dass jemand einen so fehleranfälligen und aufwändigen Plan austüftelt, der insgesamt einfach hanebüchen ist. Die Auflösung ist reichlich abstrus und verärgert eher, als dass sie durch ihre Unvorhersehbarkeit begeistert. Zudem agiert Justus selbst für seine Verhältnisse zu sehr im Alleingang. Es ist zwar eines der Markenzeichen der drei Fragezeichen, dass Justus eben der Anführer und besonders clever ist. Dennoch wird diese Eigenschaft in dieser Folge übertrieben. Zu Recht sind Peter und Bob schließlich genervt von der Geheimniskrämerei ihres "ersten Detektivs", der sie wie Handlanger dastehen lässt.

Fazit:

"Die drei ??? und die flüsternden Puppen" ist eine zunächst reizvolle, teils atmosphärische und teils witzige Folge, die gegen Ende hin aber mehr und mehr abflacht und enttäuscht. Okay zum einmaligen Hören, ansonsten sind viele Folgen besser.

Sprechernamen:

Erzähler - Thomas Fritsch
Justus Jonas - Oliver Rohrbeck
Peter Shaw - Jens Wawrczeck
Bob Andrews - Andreas Fröhlich
Michael Rompa - Mario Ramos
Afton - Julia Fölster
Inspektor Cotta - Holger Mahlich
Goodween - André Minninger

27. April 2017

Perfect Girl (Nur du kennst die Wahrheit) - Gilly Macmillan

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Droemer Knaur
Seiten: 464
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Die Autorin:

Gilly Macmillan aus Großbritannien studierte zunächst Kunst und Kunstgeschichte und arbeitete als Dozentin und für Kunstgalerien. Ihr Debütroman "Toter Himmel" erschien 2015 und war gleich ein großer Erfolg.

Inhalt:

Die vierzehnjährige Zoe ist eine hochbegabte Pianistin, die vor einer glänzenden Karriere steht. Doch alles ändert sich schlagartig, als Zoe nach einer Party einen Autounfall verursacht, bei dem alle drei Mitfahrer sterben, darunter ihre beste Freundin. Zoe kommt für einige Monate in Jugendhaft, ihre Eltern trennen sich unter der Belastung.

Drei Jahre später: Zoe wurde mittlerweile entlassen. Ihre Mutter Maria hat den reichen Unternehmer Chris geheiratet und noch ein Baby bekommen. Sowohl Zoe als auch ihre Mutter haben seinen Namen angenommen und hoffen auf einen schönen Neuanfang in einer neuen Stadt. Allerdings weiß Chris nichts von Zoes Vergangenheit - und Maria hat ihrer Tochter eingeschärft, dass er es auch niemals erfahren darf.

Als Zoe gemeinsam mit Stiefbruder Lucas ihr erstes Konzert nach ihrer Entlassung gibt, stürmt ein Mann auf sie zu und beschimpft sie als Mörderin - es ist der Vater eines der Opfer. Zoes Mutter bekommt Panik, dass ihre Zukunft zusammenbricht; die furchtbare Vergangenheit holt die Familie ein. Und um Mitternacht ist Zoes Mutter tot - was ist geschehen ...?

Bewertung:

In Gilly Macmillans "Perfect Girl - Nur du kennst die Wahrheit" trifft Familientragödie auf Thriller, wobei der Thrilleranteil erst später ins Spiel kommt. Die Hauptfigur ist Zoe, aber die Handlung wird aus verschiedenen Sichtweisen erzählt. Mal spricht Zoe, dann ihre Tante Tessa, Zoes ehemaliger Anwalt Sam und Tessas Eheman Richard. Man erfährt nach und nach Details zu Zoes Unfall; zunehmend dreht sich dann aber die Thematik um Marias Tod. War es ein Unfall oder hat sie jemand bewusst getötet? Zoe trauert nicht nur um ihre Mutter, sie hat auch - nicht unberechtigt - Angst, dass sie erneut ins Visier der Polizei gerät. Es herrscht Misstrauen unter den Familienmitgliedern, und sie haben jeweils ihre Geheimnisse. So hat beispielsweise Tessa ein Verhältnis mit Zoes Anwalt Sam, wovon ihr alkoholabhängiger Ehemann Richard natürlich nichts erfahren soll. Im Zuge der Ermittlungen um Marias Tod werden jedoch die Alibis aller Angehörigen überprüft, und Tessa gerät dadurch in Bedrängnis.

Spannend sind einerseits die Enthüllungen aus der Vergangenheit. Allmählich klärt sich für den Leser auf, was in jener Nacht genau geschah. Das hilft, sich in Zoe einzufühlen. Sie hat damals sehr dumm gehandelt, allerdings erfährt man in den Rückblicken auch, dass einige Dinge anders waren, als sie sich für die Ermittler darstellten. Zoe ist gewiss nicht nur ein Opfer, aber man kann mit ihr fühlen, und man spürt, wie sehr sie den Fehler in ihrer Vergangenheit bereut. Zugleich kann man aber auch sehr gut den Kummer der Hinterbliebenen der Opfer verstehen, die nicht akzeptieren wollen, dass die "Täterin" jetzt unbehelligt ein schönes Leben führt. Zoes Rehabilitation ist in emotionaler Hinsicht ein zweischneidiges Schwert, das zum Nachdenken anregt.

Andererseits ist auch nicht sofort zu durchschauen, wer für Marias Tod verantwortlich ist. Zoes Mutter hinterlässt eine zerrissene Familie, in der gegenseitiges Misstrauen herrscht. Gerade Zoe weiß nicht, wem sie trauen kann und wie ihr Leben nun weitergeht - wird sie zu ihrem leiblichen Vater zurückkehren, will der diese Verantwortung überhaupt? Oder bleibt sie bei Stiefvater Chris und Stiefbruder Lucas. Und was ist mit Baby Grace - muss sich Zoe von ihrer Schwester trennen? Eine undurchsichtige Rolle nimmt ihr Stiefbruder ein. Der stille Lucas steckt Zoe ein selbst verfasstes Drehbuch zu, das aus der Sicht seiner verstorbenen Mutter geschrieben ist, eine zunächst vor allem verwirrende und beklemmende Lektüre.

Das Ende ist zwar keine große Überraschung, aber zufriedenstellend. Mit den vielen Erzählperspektiven wurde vielleicht etwas übertrieben; ob es nötig ist, dass etwa Zoes Onkel Richard eigene Kapitel erhält, kann man diskutieren. Dazu nimmt die private Situation von Anwalt Sam ein bisschen zu viel Raum ein und lenkt von den Geschehnissen um Zoe ab.

Fazit:


Gilly Macmillans "Perfect Girl" ist ein unterhaltsamer Mix aus Familiendrama und Thriller. Sofern einen die vielen unterschiedlichen Erzählperspektiven nicht stören oder verwirren, ergibt sich daraus eine kurzweilige Lektüre.

26. April 2017

Good as gone - Amy Gentry

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei C. Bertelsmann
Seiten: 320
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Die Autorin:

Amy Gentry schloss ihr Studium in Chicago mit einem PhD ab und unterrichtet derzeit in Texas englische Literatur an einer High School. Parallel dazu arbeitet sie als freie Literaturkritikerin. "Good as gone" ist ihr erster Roman, der sofort zum Bestseller wurde.

Inhalt:

Die dreizehnjährige Julie wird mitten in der Nacht von einem Mann aus ihrem Zimmer entführt. Die einzige Zeugin ist ihre jüngere Schwester Jane, die alles heimlich und verängstigt beobachtet. Trotz der polizeilichen Ermittlungen und familiärer Suchaktionen bleibt Julie unauffindbar.

Acht Jahre später steht eine abgemagerte und verwahrloste junge Frau vor der Tür der Familie und gibt sich als Julie aus. Ihre Familie ist überwältigt vor Glück. Julie erzählt, dass sie all die Jahre gefangen gehalten und regelmäßig vergewaltigt wurde. Kurz bevor sie umgebracht werden sollte, gelang ihr die Flucht. Während die Polizei versucht, die Täter zu finden, bemühen sich Tom, Anna und Jane um ein halbwegs normales Familienleben.

Doch Julies Mutter Anna ertappt ihre Tochter nach einiger Zeit bei diversen Lügen. Sie ist unsicher, was sie davon zu halten hat. Schließlich kommt Anna der Verdacht, dass es sich vielleicht gar nicht um Julie handelt. Doch was sollte eine Fremde damit bezwecken wollen ...?

Bewertung:


Amy Gentrys "Good as gone" ist ein Verwirrspiel um eine verlorene und möglicherweise zurückgekehrte Tochter. Die Handlung nimmt abwechselnd Anna und Julie in den Fokus. Anna ist zunächst überglücklich über Julies Rückkehr und möchte ihrer Tochter das neue Leben so angenehm wie möglich gestalten. Aber gewisse Unstimmigkeiten in Julies Aussagen machen sie unsicher, und sie engagiert schließlich einen Privatdetektiv, der Licht in Julies Vergangenheit bringen soll. Parallel dazu erhält der Leser immer wieder kurze Einblicke in Julies früheres Leben. Schnell ist klar, dass sie tatsächlich einiges vor Anna, Tom und Jane verbirgt und dass sie einige Lügen aufgetischt hat. Doch welche Gründe sie dafür hat, bleibt lange Zeit offen. Der Leser darf hier rätseln, ob Julie die echte Julie ist oder eine Betrügerin, und daran knüpfen automatisch die Fragen an, wer hinter der Entführung damals steckte und ob diese Tat aufgeklärt wird.

Die Ermittlungsarbeiten nehmen einen verschwindend kleinen Raum ein, stattdessen steht die familiäre Dynamik im Vordergrund. Für Julies Angehörige ist es schwer, mit der neuen Situation umzugehen. Jane fühlt sich immer mehr zurückgesetzt, sie rebelliert. Anna ist hin- und hergerissen zwischen Fürsorge, Neugierde und Misstrauen gegenüber Julie. Die meisten Entführungsthriller enden mit dem Auffinden des Opfers, tot oder lebend, und im lebenden Fall ist es gewöhnlich ein glückliches Ende. "Good as gone" beleuchtet die Probleme, die sich gerade aus dem Auftauchen des Opfers ergeben können. Die Sorgen, Ängste und Verzweiflungen der vergangenen Jahre werden durch neue Schwierigkeiten ersetzt, es ist mitnichten plötzlich alles heil für die Familie. Während Tom eher außen vor bleibt, kann man sowohl Annas als auch Janes Gefühle grundsätzlich gut nachvollziehen. Am Ende werden alle wichtigen Fragen beantwortet, und es stellt sich ein gewisser Überraschungseffekt ein.

Störend fällt aber beispielsweise auf, dass kein DNA-Test nach Julies Rückkehr durchgeführt wird. Man sollte doch annehmen, dass sich die Polizei nicht einfach mit der Aussage des angeblichen Entführungsopfers zufriedengibt, nachdem immerhin acht Jahre vergangen sind und Julie natürlich nicht mehr genauso aussieht wie als Dreizehnjährige. Natürlich hätte ein schneller DNA-Test die Handlung erheblich abgekürzt, was ein Problem für die Geschichte wäre. So wirkt es recht konstruiert, wie ein billiger Trick, um eben die Frage bezüglich Julies Identität lange offenzulassen. Überhaupt bleiben die Ermittlungen nach Julies Rückkehr sehr außen vor. Nicht so überzeugend ist auch die sehr geraffte Darstellung der ersten Wochen. Gerade die allererste Zeit nach Julies Rückkehr wäre interessant, aber davon wird kaum etwas gezeigt, was für den Leser unbefriedigend ist. Zu guter Letzt wäre schön gewesen, wenn man sich noch besser in Anna, Tom und Jane einfühlen könnte; sie sind für ein so hochemotionales Thema ein wenig zu blass geraten.

Fazit:

"Good as gone" von Amy Gentry ist ein anfangs sehr reizvoller, dann aber doch nur solider Roman mit Thrillerelementen. Die Idee ist interessant, und es kommt eine gewisse Spannung auf, sodass man neugierig auf die Auflösung wird; rundum kann das Buch aber nicht überzeugen.

24. April 2017

Kirsty McKay - play2live

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Chicken House (Carlsen)
Seiten: 384
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Die Autorin:

Kirsty McKay aus Großbritannien war Schauspielerin, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Sie schrieb zunächst Texte für Theater und gewann dann 2008 den Schreibwettbewerb der Society of Children's Book Writers and Illustrators. Bekannt sind vor allem ihre beiden "Untot"-Romane.

Inhalt:

Die sechzehnjährige Cate besucht das abgelegene Elite-Internat Umfraville vor der walisischen Küste. Da es in dieser Gegend nicht viel zu erleben gibt und die Lehrer ein strenges Auge auf ihre Schützlinge haben, zelebrieren die Schüler seit Generationen ein Rollenspiel namens "Killer". Cate ist aufgeregt, denn zum ersten Mal gehört sie zu den Ausgewählten, die mitmachen dürfen.

Unter zwölf Schülern wird ein "Mörder" ausgelost, seine Identität bleibt geheim. In der nächsten Zeit versucht der Mörder, seine Mitspieler nach und nach auf spielerische Art zu "töten", natürlich ohne echte Verletzungen. Die Mitspieler müssen ihrerseits versuchen, den Mörder zu erraten; liegen sie falsch, scheiden sie jedoch aus.

Doch dieses Mal läuft einiges anders. Der Killer scheint es diesmal ernst zu meinen, und Cate fühlt sich zunehmend verunsichert. Ist es noch ein Spiel, oder wird hier wirklich bald jemand zum Mörder? Und warum taucht plötzlich ihr alter Kindheitsfreund Vaughan im Internat auf und möchte unbedingt mitspielen ...?

Bewertung:

Kirsty McKays Jugendthriller "play2live" bringt gute Voraussetzungen mit, ergibt letztlich dann aber doch eher nur solide Unterhaltung. Dabei ist gerade das Setting zunächst vielversprechend. Das Internat steht nicht nur abgelegen auf einer Insel, sondern diente zudem in früheren Zeiten als Nervenheilanstalt, was beim Leser leicht gruselige Bilder hervorruft. Dazu gibt es in der Nähe nicht nur die raue Küste, sondern auch unheimliche Höhlen. Auch das Mörderspiel hat seinen Reiz und sorgt für Spannung. Ebenso wie Hauptfigur Cate darf man rätseln, wer der ausgeloste "Killer" ist und was es mit den bedrohlichen Vorfällen auf sich hat - nimmt der Killer seine Aufgabe diesmal zu ernst? Oder gibt es einen zweiten Killer, der das Ganze nicht als Spiel betrachtet? Und welches Motiv könnte dahinterstecken? Trauen kann Cate eigentlich niemandem. Und schließlich deutet sich an, dass der Killer es nicht wahllos auf seine Opfer abgesehen hat, sondern ganz gezielt Cate schaden will. Perfide ist dabei, dass die Jugendlichen nicht gleich beim ersten Zwischenfall die Lehrer verständigen sollen - denn das beliebte Spiel wird an der Schule nur solange geduldet, wie es eben keine Negativfolgen gibt. So ist nachvollziehbar, dass die Clique zunächst unter such versuchen möchte, den Killer alleine auszumachen und keinen Erwachsenen vorschnell einzubinden.

Der mit Abstand interessanteste Charakter ist Vaughan, Cates ehemaliger Kindheitsfreund. Die beiden verloren sich nach Cates Umzug aus den Augen, und plötzlich taucht er in Umfraville auf. Er ist ein Informatikgenie, das gerade die Universität von Cambridge hinter sich gelassen hat und unbedingt in den elitären Kreis der Gildenmiglieder aufgenommen werden möchte, die am Killerspiel teilnehmen. Seine Eintrittskarte in die Gilde ist sein selbst kreiertes Online-Netzwerk "Crypt", das dank geschickter Verschlüsselung den Lehrern verborgen bleibt. Auf der Crypt-Website können sich die Mitglieder über das Spiel austauschen und Theorien aufstellen - mit anonymen Nicknames, um den Rätselspaß zu erhöhen. Vaughan ist aber nicht nur sehr clever, sondern auch witzig, hat immer wieder eine trockene Replik parat und bringt Farbe in das Geschehen. Cate ist anfangs nur verblüfft, dass er so plötzlich wieder in ihrem Leben auftaucht, freut sich zunehmend immer mehr, weiß aber dennoch lange Zeit nicht recht einzuschätzen, wie sie und Vaughan nun zueinander stehen.

Allerdings ist Vaughan auch der einzige interessante Charakter. Ob nun der Cliquen- und Spielanführer Alex, sein bester Freund Rick, der Musiker Daniel oder Cates beste Freundin Marcia, niemand sticht sonderlich hervor, sie sind kaum mehr als Namen mit ein, zwei Eigenschaften. Auch Cate selbst ist für eine Ich-Erzählerin reichlich unspektakulär. Entsprechendes gilt zudem für die Lehrer. Sie bleiben ziemlich weit außen vor und sind keine markanten Gestalten. Das gilt auch für den Kunstlehrer Mr. Flynn, zu dem Cate eigentlich eine besondere Beziehung hat, die aber letztlich kaum eine Rolle spielt. Der Humor ist an manchen Stellen zwar gelungen, an anderen allerdings auch albern und zu slapstickartig. Schließlich ist auch das Motiv nur mäßig überzeugend.

Fazit:


"play2live" von Kirsty McKay ist ein teils humorvoller, teils spannender Jugendthriller für Leser ab etwa vierzehn Jahren. Er bietet recht unterhaltsame Lektüre, allerdings gibt es Schwächen, etwa bei der Charakterzeichnung.

22. April 2017

The Couple Next Door - Shari Lapena

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei Lübbe
Seiten: 350
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Die Autorin:

Shari Lapena arbeitete als Rechtsanwältin und Englischlehrerin, bevor sie mit "The Couple Next Door" ihren ersten Roman vorlegte. Das Thrillerdebüt wurde sogleich ein internationaler Erfolg mit Übersetzungen in 28 Sprachen.

Inhalt:


Anne und ihr Ehemann Marco sind bei ihren Freunden Cynthia und Graham, die im Nachbarhaus wohnen, eingeladen. Die Paare wollen in gemütlicher Cocktailstimmung Grahams Geburtstag feiern. Kurz vorher sagt die Babysitterin ab, die auf Annes und Marcos sechsmonatige Tochter Cora aufpassen soll.

Anne will zunächst zuhause bleiben, da Cynthia das Baby nicht dabeihaben will. Doch Marco überredet sie, Cora allein zu lassen. Sie nehmen das Babyfon mit und schauen alle halbe Stunde nach ihrer Tochter. Den ganzen Abend über fließt reichlich Alkohol, Anne ärgert sich über Cynthias Flirtereien mit Marco. Als Anne und Marco nach ein Uhr schließlich nach Hause kommen, ist Cora verschwunden.

Panisch verständigen sie die Polizei, die sofort mit Hochdruck ermittelt. Detective Rasbach ist sich uneins, was er von dem Fall halten kann. Eine Entführung ist denkbar, zumal Annes Eltern Millionen besitzen. Doch warum wurde dann keine Nachricht hinterlassen? Vielleicht aber haben Anne und Marco etwas zu verbergen. Marcos Verhalten macht den Ermittler misstrauisch, ebenso wie Anne, die seit der Geburt unter Depressionen leidet ...

Bewertung:


Ein verschwundenes Baby sorgt in Shari Lapenas "The Couple Next Door" für spannende Unterhaltung. Die Ausgangslage erinnert ein wenig an den realen Fall der vermissten Madeleine McCann - die Eltern lassen ihr(e) Kind(der) allein, während sie unweit davon - aber außerhalb der Wohnung - mit Freunden feiern, sie schauen regelmäßig ins Kinderzimmer, und irgendwann ist das Kind verschwunden.

Für den Leser ergibt sich daraus ein vielschichtiges Verwirrspiel, in dem fast jeder etwas zu verbergen hat. Anne scheint eine liebende und fürsorgliche Mutter, ihre Verzweiflung nach Coras Verschwinden spricht Bände und berührt den Leser. Und doch gibt es bei ihr auch eine andere Seite: Sie hat sich nach Coras Geburt stark verändert, wird medikamentös wegen Depressionen behandelt, ist häufig überfordert und hat zugleich viel von ihrer früheren vitalen, fröhlichen Art verloren. Dazu kommt, dass sie früher schon mal in Ausnahmesituationen zu Gewalt neigte - für Detective Rasbach also nicht ausgeschlossen, dass sie in Umnachtung ihrer Tochter etwas angetan hat. Marco wiederum steckt in finanziellen Schwierigkeiten und entfernt sich zunehmend von seiner Frau, während er mit der Nachbarin flirtet. Auch er ist daher jemand, den die Ermittler sehr genau unter die Lupe nehmen. Und schließlich erfährt man, dass auch Cynthia und Graham pikante Geheimnisse haben. Der Reiz des Romans ergibt sich aus dieser Vielzahl an Enthüllungen, die nach und nach an die Oberfläche gelangen. Immer wieder gibt es eine neue Entwicklung, eine weitere brisante Info, die die Dinge in ein anderes Licht rückt. Der Leser weiß zwar mehr als die Ermittler, erfährt die kompletten Zusammenhänge aber auch erst ganz am Schluss.

"The Couple Next Door" ist ein kurzweiliger Thriller in einem einfachen, aber sehr flüssigen Schreibstil. Er ist eine sehr solide Lektüre für Leser, die ihren Spaß an Geschichten mit immer neuen Enthüllungen haben, die den Leser zudem ein wenig in die Irre führen. Man kann gut miträtseln und leidet mit Anne und Marco, auch wenn man im weiteren Verlauf auch unangenehme Dinge über sie erfährt. Definitiv möchte man wissen, die das Ganze endet und welche Intrigen und Heimlichkeiten sich noch offenbaren.

Allerdings wird mit den Wendungen zunehmend auch übertrieben. Es ist nicht realistisch, wie viele Menschen im Umfeld dieses Ereignisses in irgendeiner Form darin verstrickt sind. Sicher überrascht man den Leser damit, läuft aber auch Gefahr, ihn auf Dauer zu entnerven. Das Ende will dann spektakulär sein, schießt aber übers Ziel hinaus. Das Buch könnte auch ohne Weiteres ein paar Seiten eher schließen, ohne diesen letzten Clou, und hätte immer noch genug Überraschungen geboten. Als dritten Kritikpunkt kann man ins Feld führen, dass Detective Rasbach ein ziemlich unscheinbarer Ermittler ist, der eigentlich zu keiner Zeit ein wirkliches Profil erlangt.

Fazit:

"The Couple Next Door" von Shari Lapena ist ein kurzweiliger Thriller mit reizvoller Grundthematik, der viele Wendungen bietet. Jedoch wird mit diesen Wendungen auch übertrieben, was die Glaubwürdigkeit leiden lässt. Das gilt auch für das aufgesetzt wirkende Ende.

21. April 2017

Das Gesicht meines Mörders - Sophie Kendrick

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Rowohlt
Seiten: 320
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Die Autorin:

Sophie Kendrick studierte englische Literatur und arbeitete als Ghostwriterin und in einer Buchagentur. "Das Gesicht meines Mörders" ist ihr erster eigener Roman.

Inhalt:

Als Clara Winter im Krankenhaus aus dem Koma erwacht, bemerkt sie mit Entsetzen, dass sie ihr Gedächtnis verloren hat. Sie weiß nicht, wer sie ist oder was geschehen ist - und sie erkennt auch ihren besorgten Ehemann Roland nicht wieder. Sie erfährt, dass offenbar ein Einbrecher sie niederschlug und anschließend das Haus in Brand setzte. Die Ärzte können ihr nicht sagen, wann sie ihr Gedächtnis zurückerlangen wird.

Bald darauf wird Clara mitgeteilt, dass sie kurz vor dem Angriff Anzeige wegen Stalking gegen unbekannt gestellt hat. Immer wieder fühlte sich Clara in den vergangenen Wochen verfolgt und belästigt, sodass die Polizei in Betracht zieht, dass kein Einbrecher, sondern ihr anonymer Stalker sie niederschlug.

Schließlich erfährt Clara aber noch beunruhigende Dinge von ihrem Ehemann: Anscheinend litt sie schon seit Längerem unter Wahnvorstellungen und war daher auch nicht arbeitsfähig. Hat sie sich auch das Stalking möglicherweise nur eingebildet? Zudem ertappt sie Roland mehrmals beim Lügen. Clara weiß nicht, wem sie trauen kann. Und schließlich fühlt sie sich erneut verfolgt und bedroht ...

Bewertung:

Mit "Das Gesicht meines Mörders" ist Sophie Kendrick gleich mit ihrem ersten Roman ein sehr überzeugender Thriller geglückt, der den Leser von Anfang bis Ende in Atem hält.

Freilich begegnet man der Ausgangslage öfter in diesem Genre: Ein Protagonist mit Amnesie bietet sich natürlich von vornherein an, um Spannung zu erzeugen. So auch in diesem Fall, wo man nicht mehr weiß als Clara Winter. Im Laufe der Handlung ergeben sich viele Fragen, die man unbedingt beantwortet sehen möchte: Zentral ist vor allem natürlich die Frage, wer Clara niedergeschlagen hat - war sie ein Zufallsopfer oder hat es tatsächlich jemand gezielt auf ihr Leben abgesehen? Wie viel stimmt von dem, was ihr Mann Roland ihr erzählt: Sie leide unter Wahnvorstellungen, sie sei eine Einzelgängerin ohne Freunde, ihre Familie sei tot. Durch den Brand sind auch alle weiteren potenziellen Informationsquellen wie Fotos, Tagebücher oder Briefe vernichtet. Clara hat im Grunde nur Roland, um mehr über ihr Leben zu erfahren - doch kann sie ihm wirklich trauen? Ist er tatsächlich der liebende Ehemann, für den er sich ausgibt - obwohl ihm als attraktiven Bestsellerautor die Frauen nachlaufen und obwohl Clara doch anscheinend so viele psychische Probleme hat? Auch fühlt sich Clara bald schon eingeengt und überwacht von Roland; doch es ist unklar, ob er einfach sehr besorgt ist oder ob er andere Gründe dafür hat.

Clara weiß nicht einmal, ob sie sich selbst und ihren bisweilen aufblitzenden Erinnerungsfetzen trauen darf. Ab und zu meint sie, sich an etwas zu erinnern, und sie träumt von dem Angriff auf sie. Doch sie kann nicht einschätzen, ob Phantasie oder Wirklichkeit dahintersteckt. Claras Hilflosigkeit, ihre Unsicherheit, wem sie trauen kann und wer sie überhaupt ist, wird sehr überzeugend eingefangen. Man sympathisiert und leidet mit ihr, kann ihre Gedanken und Ängste nachvollziehen, und man hofft auf ein gutes Ende. Claras Nachforschungen ergeben einige interessante Anhaltspunkte, die für neue Spannung sorgen. So findet sie auf ihrem Handy eine Nachricht mit der Bitte um ein Treffen von einer "Isabel". Aber ist "Isabel" nun eine Freundin oder ist sie ihre Feindin? Des Weiteren stößt Clara auf brisante Familienereignisse in ihre Vergangenheit; auch hier darf man lange miträtseln, inwiefern sie eine Bedeutung für die aktuellen Geschehnisse haben.

Längen kommen bei all diesen Anknüpfungspunkten nicht auf; vielmehr gelingt es der Autorin, den Leser durchgängig bei der Stange zu halten. "Das Gesicht meines Mörders" ist einer jener Thriller, die man möglichst ohne Unterbrechungen verschlingen möchte. Man fiebert dem Ende entgegen und wird nicht enttäuscht. Die Auflösung ist nicht zu vorhersehbar und wird überzeugend präsentiert. Schwächen gibt es im Grunde kaum. Sicher sind die Charaktere nicht außergewöhnlich einprägsam, was aber dank der unterhaltsamen Handlung nicht weiter ins Gewicht fällt. Nicht wirklich realistisch ist die Darstellung, wie Clara an eine bestimmte Waffe kommt - das wirkt doch recht konstruiert. Und generell haben die meisten Thriller mit Amnesiethematik den kleinen Haken, dass der Zeitpunkt, an dem das Gedächtnis zurückkommt, natürlich an einer besonders passenden Stelle eintrifft, um die Spannung nicht vorzeitig abzubrechen. Das ist auch hier der Fall, aber zumindest wird der Moment der Gedächtnisrückkehr nicht zu plakativ in Szene gesetzt.

Fazit:

"Das Gesicht meines Mörders" von Sophie Kendrick ist ein sehr überzeugender Debütroman und ein fesselnder und kurzweiliger Thriller. Wer Spannungsromame mag, die sich um einen Gedächtnisverlust der Protagonistin drehen, der darf beherzt zugreifen.

14. April 2017

Das Gift der Seele - Michelle Frances

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei Goldmann
Seiten: 448
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Die Autorin:

Michelle Frances arbeitet hauptberuflich als Fernsehproduzentin für BBC Wales. "Das Gift der Seele" ist ihr erster Roman.

Inhalt:

Laura Cavendish ist eine glückliche Frau: Sie produziert sehr erfolgreich Fernsehserien, ihr Sohn Daniel, Medizinstudent, ist ihr ganzer Stolz, und mit ihrem wohlhabenden Ehemann Howard führt sie eine solide Ehe. Doch dann verliebt sich Daniel in die junge Immobilienmaklerin Cherry. Cherry stammt im Gegensatz zu Daniel aus sehr armen Verhältnissen. Das allein stört Laura nicht, aber sie empfindet ihre Schwiegertochter in spe schnell als besitzergreifend und manipulativ.

Schon kurz nach dem Kennenlernen verbringt Daniel sehr viel Zeit mit Cherry. Laura hat zunehmend das Gefühl, dass Cherry gegen sie stichelt, und versucht, sie von Daniel fernzuhalten. Schließlich kommt Laura auch noch der Verdacht, dass Cherry in erster Linie hinter Daniels Geld her ist.

Dieser Verdacht erhärtet sich während eines gemeinsamen Urlaubs in Frankreich. Cherry ist Laura zunehmend ein Dorn im Auge, und Laura versucht, Daniel von ihr abzubringen. Doch sie hat nicht mit Cherrys Raffinesse und Durchhaltevermögen gerechnet. Die junge Frau setzt alles daran, dass Daniel sie heiratet - und greift zu drastischen Mitteln, um Laura zu ruinieren ...  

Bewertung:

Michelle Frances' Debütroman ist eine Mischung aus Psychothriller und Familiendrama, ein Duell zweier Frauen, die beide um den gleichen Mann kämpfen - allerdings die eine als Partnerin, die andere als Mutter. Die Handlung fokussiert sich abwechselnd auf Cherry und Laura, der Leser wird über beide Frauen und ihre Gedankengänge gleichermaßen informiert.

Grundsätzlich ist Cherry die "Böse" und Laura die "Gute"; die Rollen sind jedoch nicht ganz so eindeutig verteilt, wie es anfangs den Anschein haben mag. Cherry wird nie zur Sympathiefigur, sie ist aber auch nicht von Beginn an ein Biest. Daniels monetärer Hintergrund ist definitiv wichtig für ihr Interesse, doch sie hat auch unabhängig davon Gefühle für ihn. Zudem möchte Cherry gern mit Laura befreundet sein und intrigiert erst, als dies aussichtslos ist. Laura wiederum neigt zur Überfürsorglichkeit bei Daniel, ihrem einzigen Kind. Sie reagiert teilweise übertrieben kritisch auf Cherry und leistet sich mindestens einen schwerwiegenden Fehltritt, bei dem sie kaum auf das Verständnis des Lesers zählen kann. Daniels Gedanken und Handlungen sind nachvollziehbar, und er ist eine sympathische Figur. Es ist kein Wunder, dass er von der schönen Cherry fasziniert ist, und es spricht für ihn, dass ihn ihre niedere Herkunft nicht stört. Dank seiner engen Beziehung zu seiner Mutter fühlt er sich bald hin- und hergerissen, und es ist nicht absehbar, wie es mit seiner Loyalität auf Dauer bestellt sein wird.

Spannend ist der Roman allemal. Es ist unterhaltsam zu verfolgen, was sich Cherry alles einfallen lässt, um Lauras Leben zu ruinieren. Es ist unklar, wie weit sie dabei letztendlich gehen wird. Aber auch Laura bleibt nicht untätig, sie stellt Recherchen zu Cherry an und bemüht sich nach allen Kräften, ihrem Umfeld zu beweisen, dass ihre Schwiegertochter in spe ein falsches Spiel treibt. Das ist alles andere als leicht, denn Cherry ist sehr intelligent und zugleich skrupellos. Man kann gut Lauras Hilflosigkeit angesichts dieser Intrigen nachempfinden. Zunehmend rücken Lauras Sohn, ihr Ehemann, ihre beste Freundin und ihre Arbeitskollegen von ihr ab, halten sie für hysterisch und zeigen immer weniger Verständnis für ihre Antipathie gegenüber Cherry. Die Situation spitzt sich immer weiter zu, und man möchte unbedingt erfahren, wie das Duell der Rivalinnen endet.

Die Handlung entwickelt sich allerdings sehr gemächlich. Zwar deuten sich die Spannungen zwischen Cherry und Laura schon bald an, aber man braucht einiges an Geduld, ehe es wirklich brisant wird. Anfangs verhält sich Cherry noch sehr zahm, und Lauras Gedanken wirken übertrieben. Sie bemuttert Daniel sehr, reagiert mehrmals übersensibel, und man kann nicht immer nachvollziehen, warum sie sich angegriffen fühlt. Folglich dauert es eine Weile, bis der Roman seinen Thrill entwickelt. Er ist zu Beginn zwar nicht uninteressant, aber gerade für Thrillerfreunde schleppt er sich doch ein wenig hin.

Des Weiteren ist Lauras Verhalten nicht immer nachvollziehbar. Sie fordert durch manche Handlungen Probleme geradezu heraus und macht es vor allem in der zweiten Buchhälfte Cherry leicht, gegen sie zu intrigieren. Es hat zwar seinen Reiz, dass Laura ihre Ecken und Kanten hat, doch ihr Vorgehen irritiert bisweilen. Letztlich hat es auch seine Nachteile, dass der Leser so detailliert Cherrys Pläne und Gedanken erfährt. Man rätselt nicht über ihre Motive, man braucht nicht zu spekulieren, wie viel sich Laura vielleicht einbildet und hinter welchen Vorkommnissen Cherry tatsächlich steckt, man wird direkt darüber informiert - was der Spannung mitunter etwas abträglich ist.

 Fazit: 

 "Das Gift der Seele" von Michelle Frances ist ein unterhaltsamer und solider Thriller. Höchstspannung gibt es zwar nicht unbedingt, zumal der Anfang etwas gemächlich ist. Aber wenn man keine allzu hohen Ansprüche stellt und einfach eine kurzweilige Lektüre sucht, ist der Roman grundsätzlich empfehlenswert.

2. April 2017

Es beginnt am siebten Tag - Alex Lake

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei HarperCollins
Seiten: 472
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Der Autor:

Alex Lake ist das Pseudonym eines Autors, der ursprünglich aus England stammt und jetzt in den USA lebt. "Es beginnt am siebten Tag" ist sein Debütroman, der gleich ein großer Erfolg wurde. Für Ende 2017 ist mit "Jeden Tag gehörst du mir" der zweite Thriller angekündigt.

Inhalt:


Rechtsanwältin Julia steckt mitten in der Trennung von ihrem Nochehemann Brian und hat ein stressiges Berufsleben. Ihr Lichtblick ist ihre fünfjährige Tochter Anna. Aufgrund ihres Jobs passiert es allerdings öfter, dass Julia Anna nicht pünktlich von der Schule abholen kann. So auch dieses Mal, als sie zwanzig Minuten später zum Schulgebäude kommt. Dort erlebt sie einen Schock: Anna ist nicht mehr in der Schule, sondern spurlos verschwunden.

Panisch suchen Julia und Brian gemeinsam mit der Polizei die Straßen ab. Zunächst hat Julia die Hoffnung, dass Anna sich in der Umgebung aufhält, vielleicht in einem Geschäft oder auf einem Spielplatz. Doch sie ist nirgends zu finden, und niemand scheint sie gesehen zu haben. Sechs Tage lang leidet Julia unter Angst und Selbstvorwürfen und rechnet mit dem Schlimmsten.

Am siebten Tag taucht Anna plötzlich wieder auf. Sie scheint unverletzt und hat keine Erinnerung daran, was mit ihr passiert ist. Julia und Brian sind überglücklich und glauben, den Alptraum überstanden zu haben. Sie ahnen noch nicht, dass Annas Wiederauftauchen zu einem größeren Plan gehört. Und dass der Alptraum für Julia gerade erst beginnt ...

Bewertung:

Etwa die erste Buchhälfte lang verläuft "Es beginnt am siebten Tag" von Alex Lake so, wie es man es von vielen Thrillern kennt: Ein Kind verschwindet, man vermutet eine Entführung, die Polizei sucht und die Eltern schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Auch wenn man durch den Rückseitentext weiß, dass Anna vorerst zurückkehren wird, liest sich das Geschehen fesselnd, und man fühlt mit der Protagonistin. Julia leidet neben der Angst um Anna unter schweren Selbstvorwürfen: Wäre sie sie pünktlich bei der Schule gewesen, hätte sie Anna in Empfang genommen und ihre Tochter hätte nicht unbemerkt verschwinden können. Dazu kommt, dass Julia nicht zum ersten Mal unpünktlich war, was ihr Nochehemann Brian nur zu gut weiß. Julia wünscht sich, dass sie in dieser schweren Zeit sich gegenseitig Halt geben, doch Brian ist dazu nicht in der Lage, er macht ihr unverhohlen Vorwürfe. Dann ist da auch noch Brians resolute Mutter Edna, die ihren Sohn fest im Griff hat und mit der Julia nie warm geworden ist. Genau wie Brian gibt auch Edna Julia das Gefühl, als Mutter versagt zu haben. Und schließlich kommen noch die Medien ins Spiel. Irgendwie haben sie von Julias Versäumnis erfahren, und schon bald wird fleißig in Foren und sozialen Netzwerken über die "Rabenmutter" gelästert. Dabei wird ihr Versäumnis noch schlimmer dargestellt, als es war, und Julia sieht sich hilflos Anfeindungen ausgesetzt.

Genau die enden auch nicht nach Annas Rückkehr. Brian ist zwar unendlich erleichtert, dass seine Tochter wieder da ist, aber das macht ihn um keinen Deut nachsichtiger gegenüber Julia. Die Medien bringen neue ungeheuerliche Vorwürfe gegenüber Julia aus und verdrehen die Wahrheit. Julia ist trotz ihres Versäumnisses eine sympathische Figur, man kann ihre Gedanken und Ängste gut nachvollziehen. Das Buch ist einerseits ein spannender Thriller mit einem ungewöhnlichen Verlauf, andererseits auch - sogar eher noch als ein Thriller - ein bewegendes Familiendrama. Die polizeilichen Ermittlungen werden nur am Rand thematisiert; der Fokus liegt auf Julias Ängsten um Anna, ihren Schuldgefühlen, ihren Konflikten mit Brian und Edna und auf den Vorwürfen der Medien und Bürger. Wer also erhofft, viel über die Tätersuche und die Vorgehensweise der Polizei zu erfahren, könnte enttäuscht werden.

Die Auflösung, was hinter Annas Verschwinden steckt, ist jedoch nicht erst ganz zum Schluss offensichtlich, sondern deutet sich dem Leser schon zu einem Zeitpunkt an, an dem Julia noch ahnungslos ist. Des Weiteren ist der Hintergrund für die Tat zwar raffiniert und recht originell, aber nicht gerade sehr realistisch, der Täter selbst wirkt übertrieben und konstruiert, nicht wie eine reale Person. Zwischendurch gibt es immer wieder kurze Kapitel, die aus Tätersicht erzählt werden - diese verraten vielleicht schon ein bisschen zu viel und hätten auch ersatzlos gestrichen werden können.

Fazit:

"Es beginnt am siebten Tag" von Alex Lake ist eine kurzweilige Mischung aus Thriller und Familiendrama mit einer ungewöhnlichen Auflösung, die allerdings auch ein bisschen konstruiert ist. Insbesondere für Thrillerfans liegt der Fokus eventuell auch zu sehr auf dem Familiendrama; grundsätzlich aber bleibt eine empfehlenswerte Lektüre mit hohem Unterhaltungswert.