23. Februar 2017

Die Sippe - Marc-Oliver Bischoff

Produktinfos:

Ausgabe: 2016
Seiten: 317
* * * * *
Der Autor:


Marc-Oliver Bischoff, geboren 1967 in Lemgo, studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitet als Technologieberater. Gleich für sein Krimidebüt "Tödliche Fortsetzung" erhielt er den Friedrich-Glauser-Preis. Weitere Werke sind "Die Voliere" und "Golanhöhen".

Inhalt:


Die junge Krankenschwester Katharina verpasst einen Anruf ihrer Schwester Sara. Als sie später ihre Mailbox abhört, erklingt ein verstörender Hilferuf. Saras Handy ist daraufhin nicht mehr zu erreichen. Katharina sorgt sich um ihre Schwester und fragt auf deren Arbeitsstelle in Rostock nach, wo Sara als Gerichtsvollzieherin arbeitet. Dort erfährt sie, dass sich Sara für eine Woche krankgemeldet hat.

Doch Sara ist weder in ihrer Wohnung noch in einem Krankenhaus, ihr Hausarzt hat sie auch nicht krankgeschrieben. Katharina meldet sie vermisst, doch die Polizei glaubt, dass sich alles harmlos aufklären wird. Katharina hingegen fürchtet, dass ihrer Schwester etwas zugestoßen ist, und forscht auf eigene Faust nach.

Saras Spur verliert sich in dem Dorf Grantzow, wo sie kurz vor ihrem Verschwinden einen beruflichen Termin hatte. Doch in dem idyllischen Dorf will sie niemand gesehen haben. Katharina quartiert sich in dem Örtchen ein. Die Zeit scheint hier einige Jahrzehnte zurückgedreht worden zu sein: Die Einwohner verzichten auf moderne Technik, bauen auf ökologische Landwirtschaft und leben in einfachen, aber scheinbar sehr harmonischen Verhältnissen. Doch Katharina spürt schon bald, dass hinter der Fassade dieser seltsamen Gemeinschaft nicht alles so friedlich ist ...

Bewertung:


Marc-Oliver Bischoffs "bislang politischste(r) Roman", wie es auf der Buchrückseite heißt, widmet sich den Gefahren faschistoider Gemeinschaften und fremdenfeindlichen Tendenzen, die gerade in den Jahren 2016 und 2017 in diversen westlichen Ländern vermehrt aufflammen.

Das Werk ist anfangs sehr spannend, da unklar ist, was mit Sara geschehen ist und wie die Bewohner des Dorfes auf Katharinas Nachforschungen reagieren werden. Einige Bewohner von Grantzow begegnen dem neugierigen Neuankömmling sichtlich misstrauisch bis feindselig, andere sind aber weniger durchschaubar. Eine interessante Figur ist vor allem Ursula "Ursel" Breker, auf deren Biobauernhof Katharina vorerst unterkommt. Katharina versteht sich gut mit Ursels Kindern Niklas und Ester-Marie, Ursel verhält sich freundlich und großzügig, und sie verbringen viel Zeit miteinander; Ursel ist mit Abstand Katharinas engste Vertraute im Dorf. Andererseits war ausgerechnet Ursels Hof Saras letzter Termin vor ihrem Verschwinden, und Katharina weiß nicht, wie weit sie Ursel wirklich vertrauen kann - hat sie Sara tatsächlich nie gesehen, weiß sie wirklich nichts über deren Verschwinden? Oder hat sie vielleicht Angst vor der "Sippe" und hält deswegen Informationen zurück? Oder ist sie sogar in Saras Verschwinden involviert? Diese Fragen stellen sich sowohl Katharina als auch der Leser.

Der kriminalistische Teil der Handlung dreht sich um Katharinas Suche nach ihrer Schwester. Der Roman enthält aber auch eine starke gesellschaftlich-politische Komponente. Gezeigt wird auf der einen Seite die Gefahr, die von nationalistischen Gruppierungen ausgeht, auf der anderen Seite wird verdeutlicht, wie leicht man in diese Fänge geraten kann. Katharina begegnet Menschen, die die fremdenfeindliche Gesinnung der Dorfbewohner unterschätzen und verharmlosen und nur die positiven Aspekte des altmodischen Dorflebens sehen, das durch die vier Familien der "Sippe" kontrolliert und organisiert wird: Gesunde Ernährung wird großgeschrieben, Kinder lernen Disziplin, Mütter werden bei der Erziehung entlastet, die Dorfgemeinschaft unterstützt einander und Nachbarschaft existiert nicht nur auf dem Papier.

In der zweiten Hälfte gibt es allerdings ein paar Schwächen. Katharinas vorheriges Leben spielt plötzlich keine Rolle mehr, da sich alles um das Dorf dreht, obwohl zuvor ein paar nicht uninteressante Punkte berührt worden: Katharina hat ein geheimes Verhältnis mit dem Arzt Dr. Roland Keller, was in der Klinik auf keinen Fall publik werden darf. Eines Abends wird sie überfallen und beinah vergewaltigt. Sie erleidet kurz darauf in der Öffentlichkeit einen Zusammenbruch und wird zu ihrem Pech in das Krankenhaus eingeliefert, in dem sie arbeitet. Schließlich erhält ausgerechnet ihre Mitbewohnerin den Zuschlag für die begehrte Stelle der Stationsleitung, für die Katharina sich beworben hatte. Natürlich lässt sich durch diese Vorgeschichte gut erklären, weshalb Katharina sich eine Auszeit nimmt und in Ruhe nach ihrer Schwester suchen kann; dennoch ist es etwas schade, dass all diese Punkte, die ihr Leben in den Wochen zuvor so sehr bestimmten, seit ihrer Ankunft in Grantzow quasi keine Rolle mehr spielen.

Weiterhin fällt ein wenig störend auf, dass der Handlung nach und nach etwas an Glaubwürdigkeit einbüßt. Es erscheint nicht wirklich realistisch, dass Katharina binnen einer Woche von der Gemeinschaft akzeptiert wird und man davon ausgeht, dass sie tatsächlich deren Gesinnung übernommen hat und fortan hier leben möchte. Das fällt umso mehr auf, wenn man bedenkt, wie misstrauisch ihr anfangs begegnet wird. Katharina wird im Schnelldurchlauf mit den Grundsätzen und Regeln der Gemeinschaft gefüttert, ihre Indoktrinierung liest sich recht oberflächlich, hier wäre etwas mehr Subtilität schön gewesen. Überhaupt verläuft gegen Ende alles etwas schnell und überstürzt, verglichen mit dem anfänglichen langsamen Aufbau.

Fazit:

"Die Sippe" von Marc-Oliver Bischoff ist ein interessanter Spannungsroman mit aktueller und brisanter politischer Thematik. Vor allem die erste Hälfte unterhält gut und überzeugt, in der zweiten schleichen sich dann ein paar Schwächen ein.

20. Februar 2017

Angstmädchen - Jenny Milewski

Produktinfos:

Ausgabe: 2017 bei Heyne
Seiten: 336
* * * * *
Die Autorin:

Jenny Milewski, Jahrgang 1971, stammt aus Schweden und arbeitet in der Werbebranche. Bereits ihr Debütroman, der Thriller "Skalpelltanz", wurde sehr positiv aufgenommen.

Inhalt:

Die neunzehnjährige Malin zieht für ihr Wirtschaftsstudium in ein Studentenwohnheim im schwedischen Linköping. Für das schüchterne Mädchen ist es ein großer Schritt, und sie hofft, sich schnell einzugewöhnen. Ihre Mitbewohner sind der nette Pelle, der schweigsame Torbjörn, die schöne und etwas mysteriöse Rebecka und die selbstbewusste Camilla.

Malin freut sich, dass zu ihrem Badezimmer eine Badewanne gehört. Doch dann erfährt sie von ihren Mitbewohnern, dass sich ihre Vormieterin kurz zuvor darin umgebracht hat. Yuko war eine japanische Studentin, die nur wenige Monate dort lebte, ehe sie sich aus unbekannten Gründen die Pulsadern aufschnitt. Malin ist verstört über diese Neuigkeit und denkt viel über das unbekannte Mädchen nach.

Gleichzeitig bemerkt sie unheimliche Vorgänge im Wohnheim. Immer wieder findet sie dicke schwarze Haarbüschel in ihrer Badewanne, die nicht von ihr stammen; sie hört Türenknallen und Schritte, obwohl sie allein ist, immer wieder ist der Boden überflutet. Schließlich sieht sie eine weiße Gestalt mit schwarzen Haaren. Für Malin steht fest, dass Yukos Geist im Wohnheim umhergeht - und sie fühlt sich immer mehr verfolgt ...

Bewertung:

Jenny Milewskis "Angstmädchen" weckt schnell gewisse Assoziationen zum japanischen Horrorfilm (bzw. dessen Romanvorlage) und dessen amerikanische Neuverfilmung "Ring". Zwar gibt es hier kein verhängnisvolles Video, dafür aber eine weibliche Geistergestalt mit langen schwarzen, ins Gesicht hängenden Haaren, die den Lebenden zur Bedrohung wird.

Die Spannung baut sich langsam auf, die Bedrohung ist zunächst sehr subtil und diffus. Man lernt die schüchterne Protagonistin und Ich-Erzählerin Malin kennen, die sich in ihrem neuen Heim erst eingewöhnen muss. Malin wurde in Südkorea geboren, wurde aber mit drei Monaten von einem schwedischen Ehepaar adoptiert und hat keine Erinnerung mehr an ihre Heimat, geschweige denn, dass sie Koreanisch sprechen würde. Dennoch wird sie aufgrund ihres exotischen Aussehens immer wieder für eine Ausländerin gehalten. Da ist es kein Wunder, dass sie sich der verstorbenen Yuko verbunden fühlt, auch wenn sie ihr nie begegnet ist. Im Gegensatz zu ihr war Yuko tatsächlich fremd in Schweden, verstand kaum die Sprache und nur gebrochenes Englisch; Malin denkt oft daran, wie einsam sich Yuko gefühlt haben muss, und hat den Verdacht, dass ihre WG-Genossen sich vielleicht nicht genug um sie gekümmert haben.

Die ersten seltsamen Vorkommnisse kann man noch zur Not rational erklären, doch allmählich wird Malin klar, dass im Wohnheim etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Spannung ergibt sich aus den Fragen, was Yuko noch alles für bedrohliche Szenarien in Gang setzen wird und wie Malins Mitbewohner auf die Vorfälle reagieren. Es gibt ein paar unheimliche und beklemmende Momente, harten Horror sucht man hier jedoch vergebens, ebenso wie bemerkenswerte Wendungen; der Verlauf ist sehr konventionell Es liegt mehr eine sanfte Gruselatmosphäre mit zunehmender Melancholie über der Handlung, und sowohl deshalb als auch aufgrund des jungen Alters der Figuren und des einfach gehaltenen Stils eignet sich die Lektüre durchaus für jugendliche Leser. Yukos Schicksal berührt; unweigerlich fragt man sich ebenso wie Malin, warum sie diesen Schritt ging, man möchte fortwährend mehr über das japanische Mädchen erfahren, an das niemand außer Malin noch zu denken scheint.

Ein kleiner Minuspunkt ist der Prolog, der zwar gleich eine intensive Stimmung kreiert, aber letztlich etwas zu viel vorwegnimmt. Des Weiteren ist schade, dass Yukos Tagebuch erst so spät in der Handlung und dann so kurz wieder aufgenommen wird, ebenso wie der Japandozent Peter Östlund. Malin findet Yukos Tagebuch und erhofft sich daraus Erkenntnisse über ihre Herkunft und vor allem ihre Zeit in Schweden und ihre Gründe für den Suizid. Sie bittet unter einem Vorwand den Japanologen Peter Östlund um einen kurzen Einblick. Der junge, unkomplizierte Peter Östlund ist eine sympathische Figur, die ruhig noch größeren Raum in der Handlung verdient gehabt hätte. Zudem gibt er interessante Einblicke in die japanische Mythologie, und dieser Punkt spielt eine nicht unwichtige Rolle - umso schöner wäre es gewesen, wenn dieser Punkt noch etwas weiter ausgebaut worden wäre.

Die Nebencharaktere sind grundsätzlich interessant, da so unterschiedlich und nicht von Anfang an klar einzuordnen. Allerdings sind sie nicht so ausgefeilt und dem Leser so nah, dass man wirklich um sie bangen würde. Als Wohnheimbewohner schweben sie alle in Gefahr, aber die Frage, ob jemand von ihnen sterben wird, fesselt nicht so sehr.

Fazit:


"Angstmädchen" von Jenny Milewski ist ein solider Gruselroman, der auch von Jugendlichen gelesen werden kann. Das Thema ist zwar altbekannt, und es gibt keine großen Überraschungen. Dennoch unterhält der Roman recht gut, wenn man mit einer konventionellen Handlung zufrieden ist.