26. April 2016

Der Keller - Minette Walters

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Goldmann
Seiten: 220
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Die Autorin:

Minette Walters, geboren 1949 in Hertfortshire, machte zunächst einen Abschluss in Französisch, ehe 1992 ihren Debütroman "Im Eishaus" veröffentlichte, der gleich ein Erfolg wurde, ebenso wie ihre weiteren Krimis wie z. B. "Die Bildhauerin", "Die Schandmaske" und "Dunkle Kammern".

Inhalt:

Seit sechs Jahren geht die vierzehnjährige Muna durch die Hölle. Mit acht Jahren wurde sie von ihrer angeblichen Tante Yetunde Songoli aus einem afrikanischen Waisenhaus geholt und nach England gebracht; tatsächlich suchte Yetunde nur eine billige Sklavin für sich und ihre Familie.

Tagsüber verrichtet Muna unermüdlich alle Hausarbeiten für die Songolis, nachts schläft sie im Keller. Sie muss Yetunde mit "Prinzessin" ansprechen, Ebuka mit "Master". Yetunde schlägt Muna regelmäßig, ihr Ehemann Ebuka vergewaltigt sie, und selbst die zehn- und dreizehnjährigen Söhne Abiola und Olubayo verachten und schlagen das Mädchen.

Munas Leben ändert sich urplötzlich, als Abiola eines Tages spurlos verschwindet. Seine Eltern erstatten eine Vermisstenanzeige. Da die Polizei routinemäßig auch ihr Haus durchsuchen wird, muss Munas Sklavenlager im Keller verschwinden. Die Songolis geben sie als ihre geistig behinderte Tochter aus und schärfen Muna ein, kein Wort zu der Dolmetscherin zu verlieren. Sie ahnen nicht, dass die kluge Muna über die Jahre hinweg etwas Englisch gelernt hat. Und sie ahnen auch nicht, dass Muna einen Plan entwickelt, wie sie sich aus ihrem Sklavendasein befreien kann ...

Bewertung:

Nur 220 Seiten umfasst dieses Büchlein, und nicht allein die Kürze, sondern vor allem der äußerst mitreißende und fesselnde Inhalt sorgt dafür, dass man das Werk durchaus in einem Zug verschlingen kann.

Minette Walters ist ein ungewöhnlicher, kammerspielartiger Thriller geglückt, der eine bemerkenswerte Protagonistin in den Mittelpunkt stellt. Es geht nicht um eine Tätersuche, denn die Rollen sind von Beginn an klar verteilt: Muna wurde unter falschen Angaben adoptiert und führt bei den Songolis ein unwürdiges Sklavenleben. Von der ersten Seite an ist der Leser folglich mit Muna verbündet und hofft inständig, dass sie sich aus diesem Leben retten kann.

Da Minette Walters eine ausgewiesene Krimi- und Thrillerexpertin ist, geht es nicht "nur" darum, dass sich Muna von ihren Peinigern befreit, indem sie flüchtet. Stattdessen entwickelt Muna einen perfiden mehrteiligen Plan, der sie nach und nach immer mehr Macht über die Songolis gewinnen lässt. Es beginnt damit, dass Ebuka Songoli einen schweren Unfall erleidet und fortan gepflegt werden muss. Bereitwillig übernimmt Muna diese Aufgabe und wird dadurch für ihn unentbehrlich. Yetunde wiederum erträgt es zwar kaum, dass ihre "Sklavin" einen anderen Status genießt, will allerdings ihren Ehemann - mit dem sie nur eine Zweckehe verbindet - auch nicht selbst pflegen, und Geld für eine Krankenschwester ist nicht da. Wohl oder übel muss Yetunde also akzeptieren, dass sie auf Muna angewiesen ist, zumal sie ohnehin immer mit den unregelmäßigen Besuchen der Polizei wegen Abiolas Verschwinden rechnen muss und Muna daher nicht in den Keller zurückkehren kann. Muna beobachtet ihre Umwelt ausgesprochen geschickt und zieht kluge Schlüsse aus allem, was sie hört und sieht, sodass sie die Familienmitglieder raffiniert gegeneinander ausspielen kann.

Ein besonderer Reiz dieses Buches liegt darin, dass Muna bei ihrem Plan eben auch zu drastischen Mitteln greift. Der Leser wird unwillkürlich zu einem Voyeur, der kaum anders kann, als Munas Taten zu bejahen, auch wenn diese gewisse Grenzen überschreiten. Die Unschuld und Naivität, die von Muna ausgeht, lässt ihre Befreiungsschläge auf verstörende Weise gutheißen. Sie ist das, was die Songolis aus ihr gemacht haben, wie sie einmal treffend formuliert, und die Familie bekommt dies zu spüren. Ein wiederkehrendes Motiv ist das Lachen des Teufels, das Muna immer wieder zu hören glaubt, wenn den Songolis etwas Schlimmes bevorsteht. Der Teufel ist ihr Verbündeter, er hilft ihr, ihr Elend weiter zu ertragen, während sie nach und nach immer mehr Vorteile für sich herausschlägt.

Das Werk ist spannend, auch wenn man nach einer Weile durchschaut, wie Munas Plan aufgebaut ist und welche Schritte sie wohl als nächstes machen wird. Wie die Geschichte endet, ist dennoch nicht vorherzusehen - ob Muna beispielsweise die freundliche Nachbarin einweiht oder sich doch an die Polizei wendet oder ob sie eines Tages aus dem Haus flieht.

Zu den geringen Schwächen gehört, dass der ältere Sohn eines Tages an Epilepsie erkrankt, was Muna langfristig in die Karten spielt - das kann man durchaus als etwas konstruiert empfinden. Zudem gibt es etwas im Haus, von dem nur Muna und nicht die Songolis wissen, was ihr gleichfalls einen großen Vorteil bringt - es ist aber etwas fraglich, wie diese gewisse Sache im eigenen Haus den Songolis über all die Jahre verborgen bleiben konnte. Des Weiteren muss man damit leben, dass der Schluss etwas abrupt kommt und nicht und man keine endgültige Klarheit über das Schicksal der Figuren bekommt.

Fazit:

Ein kurzer, aber intensiver Thriller mit nur geringen Schwächen. Sehr atmosphärisch und fesselnd, ideal geeignet für alle Leser, die düstere Kammerspiele schätzen.

21. April 2016

Herzgift - Paula Daly

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Manhattan
Seiten: 384
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Die Autorin:

Paula Daly (England) arbeitete zunächst als Physiotherapeutin, ehe ihr mit ihrem Debütroman "Der Mädchensucher" (zuerst als "Die Schuld einer Mutter" veröffentlicht) gleich der Durchbruch gelang.

Inhalt:

Natty Wainwright ist glücklich in ihrer Ehe mit Sean. Sie führen zusammen ein Hotel im englischen Lake District und haben die beiden Teenagertöchter Alice und Felicity. Ihr Sexleben ist zwar mittlerweile eingeschlafen, und Natty fühlt sich öfter gestresst im Alltag, doch grundsätzlich ist alles harmonisch.

Das Familienglück erlebt einen harten Schlag, als die vierzehnjährige Felicity auf einer Klassenreise in Frankreich schwer erkrankt und notoperiert werden muss. Natty fliegt sofort zu ihr und bleibt zehn Tage in Frankreich, bis Felicity wieder gesund ist und heimkehren kann. Durch einen glücklichen Zufall war gerade Nattys alte Freundin Eve aus Studienzeiten zu Besuch. Eve erklärt sich sofort bereit, während Nattys Abwesenheit zu bleiben und sich ein wenig um Sean und Alice zu kümmern.

Als Natty mit Felicity heimkehrt, erwartet sie ein Schock: Sean hat sich in Eve verliebt und eröffnet Natty, dass er sie verlässt. Natty ist verzweifelt und versteht die Welt nicht mehr. Schließlich erhält sie einen anonymen Brief: Demnach hat Eve so etwas nicht zum ersten Mal getan. Und allmählich ahnt Natty, dass Eve zu allem bereit ist, um ihre Familie für sich zu gewinnen ...

Bewertung:

Dass eine Frau von einem Mann für eine andere Frau verlassen wird, passiert tagtäglich. Dass die neue Frau die beste Freundin ist, schon seltener. Und dass diese beste Freundin dies offenbar aus reiner Besitzgier systematisch geplant hat und bereit ist, dafür zur Not bis zum Äußersten zu gehen, ist Stoff für einen Thriller.

Auch wenn der Roman einige Schwächen aufweist, ist er durchaus unterhaltsam. Nattys Verzweiflung ist sehr gut nachvollziehbar, und man kann sich gut in sie einfühlen. Der doppelte Verrat durch Ehemann und Freundin bringt sie an ihre Grenzen; schließlich muss sie sogar erleben, dass ihre ältere Tochter Alice sich nur allzu gerne von Eve umgarnen lässt. Natürlich scheut Eve auch nicht davor zurück zu intrigieren und Nattys Lage zu verschlimmern. Als Natty etwa aus Wut Eves Auto rammt, präsentiert Eve anschließend ihre Verletzungen der Polizei - und nur Natty weiß zunächst, dass sich Eve diese Verletzungen nicht durch den Aufprall zugezogen haben kann, sondern offenbar eigenhändig nachgeholfen hat, um Natty wegen Körperverletzung anzeigen zu können. Spannung bezieht das Werk aus den Fragen, wann Nattys Töchter, ihr Ehemann und nicht zuletzt auch die Polizei Eves falsches Spiel durchschauen und wie weit der Zweikampf zwischen den beiden Frauen noch gehen wird.

Es hat einen gewissen Reiz, dass Natty selbst alles andere als perfekt ist und in ihrer Wut und ihrem Frust manchmal etwas über das Ziel hinausschießt - ihr Leid wird umso greifbarer und plastischer dadurch, dass sie bisweilen Grenzen überschreitet und eben nicht besonnen und vernünftig handelt. Zwar möchte man Natty manchmal zurufen, sich doch zurückzuhalten und Eve durch unbedachtes Handeln nicht noch mehr Munition zu liefern, aber ihr emotional geprägtes Verhalten lässt sie glaubwürdig erscheinen. Es gibt ein Wiedersehen mit Detective Constable Joanne Aspinall, die bereits in Paula Dalys Debütroman "Die Schuld einer Mutter" (auch erschienen unter: "Der Mädchensucher") ermittelte; die Kenntnis des ersten Romans ist aber nicht vonnöten.

Die meisten Kapitel werden aus Nattys Ich-Perspektive erzählt, was passend ist, da sie die Hauptfigur ist. Eher kontraproduktiv sind die Kapitel, in denen ein personaler Erzähler Eves Gedanken wiedergibt. Der Leser erfährt somit sehr früh, was Eve plant, wie ihre Pläne umsetzen will und was sie diesbezüglich auch schon in der Vergangenheit getan hat. Viel reizvoller wäre es allerdings gewesen, den gleichen Wissensstand wie Natty zu haben und mit ihr, quasi als Verbündeter, die Wahrheit hinter Eve nach und nach zu durchschauen. Stattdessen erhält man Eves Pläne auf dem Silbertablett serviert, was sich etwas plump und plakativ liest.

Des Weiteren scheint Eve nur anfangs besonders raffiniert zu sein, wenn sie ihre ersten Intrigen startet; später macht sie es Natty zu leicht, sie zu widerlegen. Es kostet Natty beispielsweise keine große Mühe, diverse Lügen aus Eves Leben aufzudecken; man fragt sich, wie Eve annehmen konnte, auf Dauer ihr Lügengerüst aufrecht zu halten. Das Ende setzt auf einen Überraschungseffekt und eine gewisse Härte, liest sich aber auch aufgesetzt und künstlich dramatisiert.

Fazit:

Ein grundsätzlich recht unterhaltsamer Psychothriller mit interessanter Ausgangslage, der letztlich aufgrund einiger Mängel aber nicht über Durchschnitt hinauskommt. Wenn man keine allzu hohen Ansprüche an die Lektüre hat, kann der Roman ganz gut unterhalten.

16. April 2016

The Walking Dead - Ein langer Weg (Band 2)


Produktinfos:

Ausgabe: 2009
Seiten: 156
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Der Autor:

Robert Kirkman, Jahrgang 1978, veröffentlichte zu Halloween 2003 das erste Heft der Reihe "The Walking Dead". Mittlerweile erschienen mehr als 150 Hefte, seit 2010 läuft die sehr erfolgreiche TV-Serie dazu. Weitere Comicreihen, an denen Kirkman als Autor beteiligt war, sind z. B. Battle Pope, Dieb der Diebe, Tech Jacket und Ultimate X-Men.

Inhalt:

Nachdem das Camp der Überlebenden von ein einigen Untoten angegriffen wurde, beschließt die Gruppe, weiterzuziehen und sich eine sichere Zuflucht zu suchen. Unterwegs treffen sie Tyreese sowie dessen Teenagertochter Julie und deren Freund Chris, die sie mitnehmen.

Tyreese erweist sich als gute Unterstützung im Kampf gegen die Zombies, zudem geht er eine Beziehung mit Carol ein und gibt ihr Halt. Doch die Suche nach einer neuen Zuflucht dagegen ist sehr schwierig, und die Gruppe erleidet Verluste. Durch einen dramatischen Zwischenfall gelangen sie zu einer Farm, die der ehemalige Tierarzt Hershel mit seinen Kindern und einem befreundeten Paar bewohnt.

Ricks Gruppe findet auf der Farm fürs Erste eine sichere Unterkunft. Da es hier Tiere gibt und die Felder bewirtschaftet werden, ist auch das Nahrungsproblem zunächst gelöst. Glenn geht zudem eine Beziehung mit Hershels Tochter Maggie ein. Doch dafür gibt es neue Probleme, denn Hershel hat eine andere Einstellung zu den Untoten als Rick ...

Bewertung:

Der zweite Sammelband der "Walking Dead"-Comics entspricht vom Handlungsverlauf im Wesentlichen der zweiten TV-Staffel, doch wie schon bereits im ersten Band gibt es auch hier wieder ein paar Unterschiede.

Sowohl in der Vorlage als auch in der Serie steht dieser Zeitraum hauptsächlich im Zeichen der Farm, auf der Ricks Gruppe Zuflucht gefunden hat. Auch in den Comics gehen Glenn und Hershels Tochter Maggie eine Beziehung ein. Hershel ist allerdings ein wenig anders als in der Serie; er erscheint in den Comics energischer und ist weniger der gutmütige väterliche Typ, als der er über weite Strecken in der TV-Version erscheint. Hershel ist vor allem aufgrund seiner Komplexität interessant. Er ist grundsätzlich hilfsbereit und anfangs sehr vernünftig, zeigt aber auch spontane Temperamentsausbrüche. Seine Familie geht ihm über alles, und so freundlich er Ricks Gruppe auch aufgenommen hat, macht er ihnen mehrmals klar, dass sie nur vorübergehende Gäste sind und nicht dauerhaft bei ihnen leben dürfen. Nachdem er einen sehr schmerzhaften Verlust erlitten hat, reagiert er aggressiv und ist in einem Streit kurz davor, Ricks Frau Lori zu schlagen und beschimpft sie als "stupid bitch". So ist es für den Leser zwar einerseits erleichternd, dass Ricks Gruppe zunächst auf der Farm in Sicherheit ist, aber es ist auch rasch offensichtlich, dass sie auf lange Sicht eine neue Bleibe finden müssen. Vor allem das Verhältnis zwischen Hershel und Rick wird zunehmend angespannter; die Konflikte sind für den Leser umso interessanter. In diesem Band geht es viel um die unterschiedlichen Einstellungen der Überlebenden, wie man der Zombie-Apokalypse begegnen soll, und um die Frage, wie selbstverständlich Hilfsbereitschaft in dieser Zeit und wie viel man in dieser Hinsicht von Fremden erwarten kann.

Eine weitere neue wichtige Figur ist Tyreese, wie in der Serie ein muskulöser Dunkelhäutiger, der als Waffe gegen die Untoten in erster Linie einen Hammer einsetzt. Ansonsten unterscheidet auch er sich in der Vorlage von seiner TV-Darstellung: Zum einen ist Tyreese hier in Begleitung seiner Tochter und deren Freund, die in der Serie nicht existieren, zum anderen geht er eine Beziehung mit Carol ein, die wiederum ja selbst in den Comics eine ganz andere Figur ist als in der Serie - für alle Serienkenner ist die Vorstellung, dass Tyreese und Carol dort ein Paar wären, sicher recht amüsant. Zudem ist der TV-Tyreese eher der Typ "gutmütiger Teddybär", während er im Comic sehr deutliche seine Standpunkte vertritt und gegenüber seinen Feinden erbarmungslos sein kann. Symptomatisch dafür ist, dass er vor seiner Zeit bei Ricks Gruppe den Beinah-Vergewaltiger seiner Tochter mit bloßen Händen tötete und keine Schuldgefühle empfand.

Für die Zeichnungen ist ab diesem Band (abgesehen von den Covern) Charlie Adlard verantwortlich. Die Figuren haben natürlich alle Merkmale beibehalten, sprich: Wer vorher einen Bart, blonde Haare oder Sommersprossen hatte, hat die auch unter seiner Feder noch. Allerdings ist sein Stil noch düsterer als der von Tony Moore. Die Gesichter wirken teilweise etwas schärfer geschnitten, vor allem bei Rick fällt das auf, er wirkt ein paar Jahre älter und nicht mehr so jungenhaft wie noch im ersten Sammelband. Generell wirkt Adlards Stil noch ein wenig realistischer und härter, weniger comichaft, dafür sind die Hintergründe aber auch etwas weniger detailliert. Der größte optische Unterschied bei den Figuren ist wohl bei Lori auszumachen, sie hatte im ersten Sammelband eine leicht gebogene Nase, die jetzt eine zarte Stupsnase ist, und ihre Züge wirken deutlich kaukasischer.

Fazit:

Überzeugender zweiter Sammelband, der einige neue Charaktere einführt, von denen vor allem Hershel, Maggie und Tyreese sehr wichtig für die Handlung werden. Einerseits finden sich neue Liebespaare, andererseits steht der Band auch stark im Zeichen von Konflikten und unterschiedlichen Ansichten, wie die Zombie-Apokalypse zu handhaben ist.

13. April 2016

The Walking Dead - Gute alte Zeit (Band 1)

Produktinfos:

Ausgabe: 2013 (Erstausgabe 2003)
Seiten: 144
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Der Autor:

Robert Kirkman, Jahrgang 1978, veröffentlichte zu Halloween 2003 das erste Heft der Reihe "The Walking Dead". Mittlerweile erschienen mehr als 150 Hefte, seit 2010 läuft die sehr erfolgreiche TV-Serie dazu. Weitere Comicreihen, an denen Kirkman als Autor beteiligt war, sind z. B. Battle Pope, Dieb der Diebe, Tech Jacket und Ultimate X-Men.

Inhalt:

Der Kleinstadt-Polizist Rick Grimes wird im Dienst angeschossen und schwer verletzt. Wochen später erwacht er im Krankenhaus aus seinem Koma. Zu seiner Verwunderung scheint das Krankenhaus verlassen zu sein. Beim Umherstreifen stößt er auf verwesende Untote, die ihn angreifen und denen er gerade noch entkommen kann. Draußen begreift er, dass er sich in einer postapokalyptischen Welt befindet, in der Zombies Jagd auf die Lebenden machen.

Seine ganze Sorge gilt seiner Frau Lori und dem gemeinsamen siebenjährigen Sohn Carl, doch er findet sein Zuhause verlassen vor. Die einzigen anderen Lebenden, die er zunächst trifft, sind ein Mann namens Morgan und dessen Sohn, die Zuflucht in Ricks Nachbarhaus gesucht haben.

Rick hofft, dass Lori und Carl zu Verwandten nach Atlanta geflüchtet sind und macht sich auf den Weg dorthin. Doch auch Atlanta ist bevölkert von den Untoten. Wen immer sie töten, verwandelt sich in einen von ihnen. Kurz bevor auch Rick gebissen wird, rettet ihn der junge Glenn. Er nimmt ihn mit zu einem Camp außerhalb von Atlanta, in dem sich einige Überlebende zusammengefunden haben ...

Bewertung:

Die TV-Serie "The Walking Dead" begeistert mittlerweile seit sechs Staffeln, ein Ende ist bislang noch nicht abzusehen. Das ist auch gut so, denn die Comicvorlage von Robert Kirkman bietet noch genug Stoff für einige weitere Staffeln - auch wenn sich Comicreihe und TV-Serie inhaltlich teils erheblich unterscheiden.

Dieser Band umfasst die ersten sechs Einzelhefte. Die Handlung ähnelt hier noch stark den Ereignissen der ersten TV-Staffel. Auch hier in der Vorlage steht gleich zu Beginn der Polizist Rick Grimes im Vordergrund, der aus dem Koma erwacht und verzweifelt nach seiner Frau und seinem Sohn sucht. Rick hatte vor der Apokalypse ein solides, eher unauffälliges Leben. Seine Hingabe für seine Familie macht ihn gleich sympathisch. Gemeinsam mit Rick lernt der Leser die neue Welt kennen. Man besitzt keinen Wissensvorsprung, sondern ist genauso ahnungslos wie er, was die Geschehnisse der letzten Wochen und was den Verbleib seiner Familie angeht. Nach Rick begegnet man Morgan und dessen Sohn, der sich in Ricks Nachbarhaus geflüchtet hat, allerdings trennen sich die Wege bald schon wieder. So ist Glenn die nächste dauerhafte Figur, die man nach Rick kennenlernt. Der asiatischstämmige ehemalige Pizzafahrer ist bekannt dafür, dass er sich immer wieder in waghalsigen Manövern in die Stadt wagt, um die Vorräte für das Camp aufzustocken. Man erfährt zwar nicht viel über ihn, aber allein, dass er für Seife und Süßigkeiten für die Campbewohner täglich sein Leben aufs Spiel setzt, macht ihn liebenswert. Bei den restlichen Camp-Bewohnern gibt es vor allem einen eklatanten Unterschied zur TV-Serie: Carol, die Mutter der kleinen Sophia, ist hier eine gänzlich andere Figur, nämlich eine junge Frau Mitte zwanzig, die ihre Tochter bereits als Teenager bekommen hat und deren Ehemann in der Apokalypse verstarb. In der TV-Serie ist Carols Ehemann noch dabei, misshandelt sie, und Carol ist generell ein älterer und anderer Charakter. Weiterhin sei gesagt, dass der in der TV-Serie sehr populäre Charakter Daryl Dixon in der Comicreihe nicht existiert.

Spannung und Atmosphäre werden in diesem ersten Band großgeschrieben. Die "Walker" sind zwar nicht schnell und vor allem absolut nicht intelligent, tauchen aber gerne in großen Gruppen auf. Zudem kann man sie nur töten, indem man ihr Gehirn zerstört, und selbst ein abgeschlagener Kopf wird noch weiter schnappen nach allem, was in seine Reichweite gelangt. Neben dem Abwehren der Untoten geht es vor allem darum, sich Vorräte an Waffen bzw. Munition und Nahrung zu beschaffen. Die Männer gehen zwar regelmäßig im Wald auf die Jagd, doch die Munition ist kostbar und darf nicht vergeudet werden. Zudem hält gegen Ende auch der Winter Einzug, und es muss Feuerholz gesammelt werden.

Bereits in diesem ersten Band werden auch die Konflikte der Überlebenden thematisiert. Im Camp leben notgedrungen die unterschiedlichsten Charaktere zusammen, und es herrscht bei allem Zusammenhalt nicht immer Einigkeit. Besonders im Fokus steht das Verhältnis zwischen Rick und seinem Freund und Kollegen Shane, der er dort überraschend wiedertrifft. Während sich der ahnungslose Rick über das Wiedersehen freut, ist Shane aus bestimmten Gründen nicht ganz so glücklich. Des Weiteren gibt es auch viele emotionale Szenen. Jeder aus dem Camp hat Grausames erlebt, besonders ergreifend ist Jims Geschichte, dessen gesamte Familie vor seinen Augen getötet und gefressen wurde.

Der erste Band endet mit einer spektakulären Szene, die einen tollen Cliffhanger bildet. Man ist begierig darauf, so schnell wie möglich den zweiten Band zu lesen. Bemängeln lässt sich im Grunde nur, dass die Charaktere, abgesehen von Rick, noch nicht sehr ausgereift sind und man noch eine recht grobe Vorstellung von den meisten Figuren hat. Die düsteren Zeichnungen von Tony Moore fangen die Stimmung exzellent ein. Es gibt einige grausige Detailszenen, gerade die Zombies sind von Nahem wahrlich kein schöner Anblick. Freilich gibt es in den späteren Bänden noch explizitere Grausamkeiten, doch der erste Band liefert bereits einen guten Vorgeschmack auf den harten und kompromisslosen Ton, der hier angeschlagen wird. Ferner sei noch erwähnt, dass Miterfinder und Zeichner Tony Moore nur an diesem ersten Band, sprich: den ersten sechs Heften, beteiligt war und später nur noch die Cover zeichnete. Leider trennten sich die Wege der ehemaligen Kindheitsfreunde Robert Kirkman und Tony Moore recht unerfreulich, da Uneinigkeiten über Verträge und Finanzen vorherrschten.

Fazit:

Guter Auftakt der populären Comicreihe, der die ersten sechs Hefte in einem Band vereint. Die Geschichte um Rick Grimes ist von Beginn an spannend und macht neugierig auf den weiteren Verlauf. Die düsteren Schwarz-Weiß-Zeichnungen passen perfekt zum dramatischen Handlungsgeschehen.

Weil du lügst - Sophie McKenzie

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Heyne
Seiten: 464
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Die Autorin:

Sophie McKenzie, geboren und aufgewachsen in London, arbeitete zunächst als Journalistin und Herausgeberin, ehe sie sich ganz der Schriftstellerei widmete. Weitere auf Deutsch erschienene Werke von ihr sind: Lauren, vermisst; Du musst mir vertrauen und Seit du tot bist.

Inhalt:


Emily verbringt einen entspannten Urlaub mit ihrem Verlobten Jed auf Korsika. Mit dabei sind Jeds erwachsener Sohn Lish und seine dreizehnjährige Tochter Dee Dee aus erster Ehe sowie Jeds Bruder und dessen Freundin, Emilys Schwester Rose und ihr Bruder Martin mit seinem Partner Cameron. Emily ist glücklich mit Jed, der einzige Wermutstropfen ist seine Noch-Ehefrau Zoe, die ihren Hass gegenüber Emily deutlich zeigt.

Als Emily starke Kopfschmerzen bekommt, besorgt ihr Lish Schmerzmittel. Wenig später klagt auch Dee Dee über Kopfschmerzen, und Emily gibt ihr ein Tütchen von ihrem Mittel. Am nächsten Morgen ist Dee Dee tot - Zyankalivergiftung.

Zunächst deutet alles darauf hin, dass die Herstellerfirma aufgrund eines Produktionsfehlers das Zyankali versehentlich in das Schmerzmittel mischte, und Jed strebt einen Prozess gegen sie an. Doch kurz darauf erhält Emily eine SMS von einer unbekannten Nummer mit dem Inhalt: "Es hätte dich treffen sollen, du Hure." Ihr Verdacht fällt auf Zoe, und tatsächlich stößt sie auf Hinweise, dass Lish in Drogengeschäfte verwickelt ist und im Auftrag seiner Mutter gehandelt haben könnte. Aber der Polizei genügen die Beweise nicht, und Jed will nichts von ihrer Vermutung wissen ...

Bewertung:

Sophie McKenzie macht in "Weil du lügst" genau das, was sie am besten kann: Eine weibliche Protagonistin aus der Idylle reißen und von jetzt auf gleich in ein Netz von Lügen und Verrat werfen, in dem sie kaum noch weiß, wem sie trauen kann.

Den größte Teil der Handlung erzählt Emily aus ihrer Perspektive, zudem in der Gegenwartsform, was sich bei den sich immer wieder überschlagenen Ereignissen und dem temporeichen Geschehen anbietet. Von dem Moment an, als Dee Dee tot aufgefunden wird, ist in Emilys Leben nichts mehr so, wie es war. Zunächst ist da die Trauer um ihre Stieftochter, die sie sehr gerne mochte, und die Sorge um ihren Verlobten, der den Tod der Tochter schwer verkraftet.

Die Handlung entwickelt sich aber schon bald zum Thriller, als Emily vermutet, dass jemand das Schmerzmittelpäckchen manipuliert hat und dass womöglich sie das eigentliche Ziel war - und daher immer noch in Gefahr schwebt. Es ist eine für das Genre sehr klassische und bewährte Situation, in der sich Emily befindet: Sie hat nicht genug Beweise, um die Polizei zu überzeugen, lediglich eine Ansammlung von Hinweisen, die auch harmlos interpretiert werden können. Nicht einmal ihr Umfeld kann Emily von ihrer Theorie überzeugen, dass ihr jemand nach dem Leben trachtet und dass vor allem Lish und Zoe die Drahtzieher zu sein scheinen. Jed wischt jeden Zweifel an seinem Sohn beiseite, auch Emilys Geschwister können sich nicht vorstellen, dass Zoe und Lish zu so etwas fähig sein sollen. Der Einzige, der Emily Glauben schenkt, ist ausgerechnet ihr Exfreund Dan, der sie vor vielen Jahren verließ und der nun als Journalist auf Indizien gestoßen ist, die Emilys Verdacht decken, ja ihn sogar erst richtig hervorrufen.

Ähnlich wie Emily fällt es auch dem Leser schwer, zu entscheiden, wem man trauen kann und wem nicht und wie alles zusammenhängt. Eine große Unbekannte ist Emilys Exfreund Dan, der sie in ihrer Suche nach der Wahrheit unterstützt. Jed allerdings versucht Emily einzureden, dass sich Dan alle Indizien gegen Lish ausgedacht hat, um Jed zu schaden und Emily für sich zu gewinnen. Immer wieder begeben sich Emily und Dan bei ihren Nachforschungen in große Gefahr, etwa wenn sie heimlich Lishs Apartment auf der Suche nach Drogen durchstöbern. Erst ganz zum Schluss klärt sich auf, wie Dee Dees Tod, die Drohungen gegen Emily und Dans Erkenntnisse zusammenhängen. Langeweile kommt nicht auf, denn immer wieder ergeben sich neue Hinweise und Fährten, die den Leser in Atem halten. Wer eine kurzweilige Lektüre sucht, kommt hier ganz auf seine Kosten.

Die Auflösung ist recht komplex, jedoch auch schon wieder ein wenig überladen: Auf den letzten Seiten überschlagen sich die Ereignisse, und es ist etwas zu melodramatisch, was sich alles enthüllt, denn es ist - so viel darf verraten werden - nicht nur eine Person, die hier in finstere Dinge verwickelt ist. Das erhöht natürlich die Unvorhersehbarkeit, macht das ganze Geschehen aber auch konstruierter. Luft nach oben ist auch bei den Charakteren gegeben. Niemand ist uninteressant oder komplett eindimensional, aber wirklich einprägsam ist nur Dee Dee. Zwar stirbt sie recht früh in der Handlung, doch zwischendrin gibt es immer wieder kurze Kapitel, die ihre Videotagebuch-Aufnahmen wiedergeben. Darin erfährt der Leser, wie unglücklich Dee Dee war, weil sie sich wegen ihres pummeligen Körpers schämte, weil sie ihre Freundinnen sich von ihr abwendeten und weil ihr der Konflikt zwischen ihren Eltern über Emily zusetzte. Jed ist dank seiner kontrollierenden und bestimmenden Art schnell unsympathisch; Emily handelt manchmal etwas naiv, und die wiederaufflammende Anziehung zwischen ihr und Dan liest sich etwas klischeehaft, wie um künstliche zusätzliche Dramatik zu erzeugen.

Fazit:


Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten ist "Weil du lügst" ein sehr spannender und wendungsreicher Thriller, der Genrefans sehr kurzweilige Unterhaltung bietet.

8. April 2016

The Perfectionists (Band 2): Gutes Mädchen, böses Mädchen - Sara Shepard

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei cbt
Seiten: 352
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Die Autorin:

Sara Shepard, Jahrgang 1977, studierte Kreatives Schreiben und arbeitete zunächst als Journalistin. 2006 erschien der erste Band der Reihe "Pretty Little Liars", der inzwischen mehr als 15 Bände umfasst. Eine weitere Buchreihe ist "The Lying Game", die gleichfalls erfolgreich verfilmt wurde.

Inhalt:

Eine Aufgabe im Filmkurs der Beacon Heights High School lässt fünf Mädchen überlegen, wem sie den Tod wünschen, und sie erstellen eine Liste ihrer Hassobjekte. Kurz drauf ist der gemeine Snob Nolan tatsächlich tot, und zwar genau so ermordet, wie von den Mädchen vorgeschlagen. Wenig passiert ein weiterer Mord in ihrem Umfeld - wieder eine Person von ihrer Liste.

Julie, Parker, Mackenzie, Ava und Caitlin geraten unter Tatverdacht. Sie sind jedoch überzeugt davon, dass niemand von ihnen der Mörder ist - stattdessen vermuten sie, dass irgendjemand aus dem Filmkurs ihr Gespräch belauscht hat und ihnen die Morde anhängen will.

Um sich vom Tatverdacht zu befreien, versuchen sie auf eigene Faust, den Mörder zu entlarven. Nach und nach wächst dabei jedoch das gegenseitige Misstrauen. Ist vielleicht doch eine von ihnen der Täter ...? Zudem ist die Liste, auf der sie im Filmkurs spaßeshalber ihre potenziellen Opfer schrieben, spurlos verschwunden. Mit Recht fürchten die Mädchen, dass auch die weiteren Opfer der Liste in Gefahr schweben ...

Bewertung:

Sara Shepards Zweiteiler "The Perfectionists" funktioniert nach einem ähnlichen Schema wie ihre Erfolgsreihe "Pretty little liars": Eine Mädchenclique an einer elitären High School, pikante Geheimnisse, die plötzlich an die Öffentlichkeit gelangen, gegenseitiges Misstrauen und die Suche nach einem Mörder. Dabei ist "The Perfectionists" trotz gewisser Parallelen mehr als nur ein Abklatsch der älteren Reihe.

"Gutes Mädchen, böses Mädchen" ist der zweite und abschließende Teil, der unmittelbar an den ersten Band anschließt. Natürlich ist es sinnvoll, zunächst den Band "Lügen haben lange Beine" zu lesen. Doch da auf den ersten Seiten die wichtigsten vorangegangenen Ereignisse zusammengefasst werden, versteht man den Band auch ohne Kenntnis des ersten. Die meisten Kapitel konzentrieren sich auf eine der fünf Protagonistinnen, indem sich ein personaler Erzähler auf deren Handlungen fokussiert. Jedes der Mädchen hat Probleme und Geheimnisse: Julie war ursprünglich das beliebteste Mädchen der Schule, bis ihre Mitschülerinnen dahinterkamen, dass ihre Mutter ein Messie ist und mit knapp dreißig Katzen in einem verwahrlosten Haus wohnt. Auch Parker war ein beliebtes, fröhliches Mädchen, ehe ihr gewalttätiger Vater ihr bleibende Entstellungen zufügte. Die bildhübsche Ava unterdessen leidet unter ihrer missgünstigen Stiefmutter, die vor allem unter Alkoholeinfluss gemein wird. Das Musikgenie Mackenzie muss sich damit auseinandersetzen, dass ihre ehemals beste Freundin ihr den Schwarm ausgespannt und gegen sie intrigiert hat. Und dann ist da noch die talentierte Fußballerin Caitlin, deren Bruder sich das Leben nahm.

Bis auf Julie und Parker handelt es sich hier zumindest anfangs nicht um wirkliche Freundinnen, die Mädchen kannten sich untereinander bislang nur flüchtig - erst der Filmkurs und der daraus resultierende Mord hat sie als Schicksalsgenossinnen zusammengebracht. Man verfolgt einerseits ihre Annäherung, andererseits entsteht aber in der zweiten Romanhälfte auch zunehmend Misstrauen. Allmählich erscheint es den Mädchen nicht mehr undenkbar, dass eine von ihnen hinter den Taten steckt, die kritischen Nachfragen und Kommentare häufen sich. Zumindest für den Mord an dem bösartigen Nolan hätte jede von ihnen ein Motiv gehabt. Die Handlung ist fesselnd und auch abwechslungsreich gestaltet. Nicht nur, dass mehrere Morde geschehen, auch die persönlichen Dramen der Mädchen halten den Leser in Atem. Egal, ob es sich um emotionale Verwicklungen mit Jungs, Julies Scham wegen ihrer Mutter oder Avas Konflikte mit ihrer Stiefmutter handelt, die Ereignisse lassen einen nicht kalt. Die Mädchen sind vielleicht keine unvergesslichen, einzigartigen Charaktere, aber doch mehr als bloße Stereotype, und man kann gut mit ihnen sympathisieren.

Die Auflösung ist als großer Knalleffekt konzipiert, der aufmerksame Leser erschließt sie aber schon etwas vor der Enthüllung. Grundsätzlich ist die Erklärung stimmig, und es werden alle bis dahin angesammelten Fragen beantwortet. Allerdings ist die Auflösung polarisierend, setzt auch auf Effekthascherei und ist nicht in jeder Hinsicht befriedigend, zumal es auf den letzten Seiten nochmals eine kleine Wendung gibt, die den Schluss recht offen gestaltet - ein dritter Band läge angesichts dessen nah, ist aber offenbar nicht vorgesehen.

Fazit:

Unterhaltsamer und spannender zweiter Teil einer Mini-Reihe, die sich zur Not auch ohne den ersten Teil lesen lässt. Insgesamt überdurchschnittlich gut, vor allem aufgrund der Kurzweiligkeit, doch der Schluss ist ein bisschen zu plakativ.

1. April 2016

Falsche Haut - Leon Sachs

Produktinfos:

Ausgabe: 2016 bei Emons
Seiten: 336
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Der Autor:

Leon Sachs, bürgerlich Marc Merten, studierte in der Schweiz Medienwissenschaften sowie Theologie und Religion in Durham. Derzeit lebt und arbeitet er als Journalist in seiner Heimat Köln.

Inhalt:

Alexander Kauffmann, Geschichtsdozent an der Universität Fribourg, wird von seiner besten Freundin Natalie Villeneuve, die mit ihm im Waisenhaus aufwuchs, um Hilfe gebeten. Kurz nachdem Natalies geliebter Adoptivvater Régis verstarb, fanden sie und ihre Mutter Suzanne einen an Régis gerichteten Brief in seinen Sachen. Daraus geht hervor, dass Régis wegen einer Sache jahrelang erpresst und ihm mit Natalies Tod gedroht wurde. Zudem wollte Régis eine Akte eines Strafverfahrens einsehen, was abgelehnt wurde.

Régis' Hinterbliebene und Alex erhoffen sich Aufschluss über die Hintergründe aus dem Testament - doch bevor sie es einsehen können, wird es mitsamt einem beiliegenden Brief aus dem Notarbüro gestohlen. Bei ihren Recherchen erfahren Alex und Natalie, dass Régis' Geheimnis tief mit seiner Zeit bei der Résistance verstrickt ist und dass auch Natalies leibliche jüdische Vorfahren eine Rolle dabei spielen.

Bei ihrer Suche nach der Wahrheit stoßen die beiden auf den Geheimbund der "Wächter", ein mächtiger Zusammenschluss ehemaliger Nazi-Kollaborateure, die vor nichts zurückschrecken und deren Einfluss bis in höchste Kreise reicht. Nachdem Régis ihnen offenbar zu nahe kam, haben sie nun Alex und Nathalie im Visier und verfolgen sie auf deren Weg quer durch Frankreich. Als Alex' Wohnung durchwühlt und ein Zeuge in ihrem Beisein erschossen wird, ist ihnen klar, dass auch sie in Lebensgefahr schweben - und dass sie kaum noch jemandem trauen können ...

Bewertung:


Stell dir vor, du kommst einem mächtigen Geheimbund in die Quere und musst um dein Leben und um das deiner liebsten Menschen bangen - so ergeht es dem sechsunddreißigjährigen Geschichtsprofessor und Hobbyfechter Alexander Kauffmann, der sich urplötzlich mit den skrupellosen "Wächtern" auseinandersetzen und ein Geheimnis aus der Zeit der Résistance lösen muss.

Rasch wird der Leser in die Ereignisse hineingezogen; es gibt keinen großen Vorlauf, stattdessen macht sich Alex schon bald auf den Weg zu Familie Villeneuve, um dort in das Rätsel um Régis' Geheimnis eingeweiht zu werden. Gebannt verfolgt man Alex' und Nathalies Recherchen, begierig darauf, zu erfahren, was es mit Régis Erpressung auf sich hatte. Die Handlung spart nicht mit unerwarteten Wendungen, man kann sich nicht sicher sein, wer auf der Seite der Guten steht und wer zu den "Wächtern" gehört, und selbst auf den letzten Seiten ergeben sich noch Überraschungen. Positiv fällt auch auf, dass sowohl die "Wächter" als auch die Protagonisten nicht immer perfekt agieren und sich kleine, menschliche Fehler erlauben, was dem Geschehen zu einem höheren Realismus verhilft. Sicher sollte man dem Thema "Verschwörungsgeschichten" unterhaltungstechnisch nicht abgeneigt sein, aber zumindest wird der Bund der "Wächter" glaubwürdig in Szene gesetzt, was ihre Gründung, ihre Ziele und ihre Vorgehensweisen angeht. Das ist gerade in diesem Genre nicht unbedingt selbstverständlich; das Risiko ist groß, dass die Verschwörung hanebüchen und plakativ wirkt, aber die Verbindung mit Frankreichs Geschichte im Zweiten Weltkrieg ist überzeugend gemacht.

Die Handlung ist komplex, zumal die Schauplätze oft wechseln und sich jedes Mal neue Erkenntnisse ergeben. Trotzdem ist sie nicht so verworren, dass man den Überblick verlöre; hilfreich ist auch, dass zweimal einer jeweils neuen Figur von Alex Kürzest-Zusammenfassungen dargeboten werden, die dann auch dem Leser nutzen. Besonders brisant wird es, als die französische Polizei eingeschaltet wird. Nicht nur, dass Alex und Nathalie als verdächtig gelten, da sie vom Schauplatz eines Mordes geflohen sind, sie müssen auch damit rechnen, dass es in dieser Behörde Spitzel der "Wächter" gibt. So darf denn auch der Leser rätseln, wer von den neuen Kontakten möglicherweise zum Geheimbund gehört und wer wirklich ein ehrlicher Helfer ist. Alex Kauffmann ist ein sympathischer Protagonist, was auch für Nathalie gilt, die allerdings eine Weile braucht, um für den Leser mehr als "die Tochter von Régis" darzustellen. Eine interessante Nebenfigur ist Pascal Bernard, ein kurz vor der Pensionierung stehender Untersuchungsrichter, der gegen seinen Willen mit dem Fall beauftragt wird.

Humor wird sparsam dosiert eingeflochten, bleibt aber nicht außen vor. Hin und wieder gibt es amüsante Dialoge; witzig ist vor allem Alex' Konfrontation mit seiner distanzlosen Nachbarin, eine ihn allzu offensichtlich anhimmelnde Studentin. Die Konstellation Alex-Nathalie erscheint natürlich prädestiniert für eine Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten, doch dieses Thema wird angenehm zurückhaltend behandelt. Gewiss kristallisiert sich im weiteren Verlauf heraus, dass Alex und Nathalie nicht nur geschwisterliche Gefühle füreinander hegen, aber dies spielt in der Handlung nur eine marginale Rolle - das mag jenen missfallen, die auf prickelnde Erotik oder auch nur auf ausgeprägte Romantik hoffen, kommt aber denjenigen zugute, die den Fokus lieber auf dramatische Verwicklungen gerichtet sehen.

Geschickt wird ganz nebenbei ein bisschen Lokalkolorit untergebracht. Vor allem wenn die Spuren Alex und Nathalie nach Strasbourg und Marseille führen, gibt es unaufdringliche, atmosphärische Beschreibungen der Örtlichkeiten, sodass der Leser etwa eine gute Vorstellung von der Gegend um die Kirche Saint-Pierre-le-Jeune und dem Hafen von Marseille erhält.

Fazit:

Ein spannender Thriller, der sich vor allem für Fans von Verschwörungsgeschichten anbietet, aber auch Lesern, die sonst wenig mit diesem Genre in Berührung kommen, kurzweilige Unterhaltung beschert.