25. Februar 2016

Mein Tod ist dein - Debbie Howells

Produktinfos:

Ausgabe: 2015 im Goldmann-Verlag
Seiten: 374
Amazon
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Die Autorin:

Debbie Howells arbeitete in diversen Berufen, ehe sie bei Amazon Selfpublishing drei Romane veröffentlichte. Für ihren ersten Thriller "Dein Tod ist mein" fand sie schließlich eine Agentur und einen Verlag, weitere Thriller sind in Planung.

Inhalt:

In einer idyllischen englischen Kleinstadt verschwindet die achtzehnjährige Rosie Anderson. Die Gärtnerin Kate ist in doppelter Hinsicht betroffen: Zum einen ging Rosie bis vor Kurzem mit ihrer Tochter Grace zur Schule, sodass Kate auch deren Mutter kennt, zum anderen hat Rosie Kate regelmäßig in ihrem Reitstall besucht und mit ihr Gespräche geführt.

Kurze Zeit später wird Rosies Leiche im Wald gefunden, das Mädchen wurde erstochen. Das Dorf ist entsetzt, und niemand kann sich vorstellen, wer ein Motiv gehabt haben könnte, die stille, liebenswerte Rosie zu töten. Bald gehen Gerüchte um, viele Einwohner vermuten, dass ein Fremder die Tat begangen hat.

Kate bemüht sich, Rosies verzweifelte Mutter Jo zu trösten. Dabei merkt sie, dass sie Jo trotz regelmäßiger Begegnungen bisher kaum kannte und erhält einige bestürzende Einblicke in das nach außen so perfekt scheinende Familienleben der Andersons. Kate will sich nicht voreilig der Meinung anschließen, dass ein Fremder das Mädchen ermordet hat. Bei ihren behutsamen Nachforschungen, was in Rosies Leben vor deren Tod geschah, kommt sie dem Täter immer näher ...

Bewertung:

Nach der Lektüre von "Mein Tod ist dein" liegt der Eindruck nah, dass die Autorin Debbie Howells schon ein alter Hase im Thrillermetier ist. Tatsächlich handelt es sich hierbei aber um ihren ersten Thriller, dem drei bei Amazon Selfpublishing veröffentlichte Liebesromane vorausgingen - und nicht nur für einen Debütthriller ist das Werk ausgesprochen überzeugend.

Der größte Teil der Handlung wird aus Kates Ich-Perspektive erzählt, zwischendurch gibt es aber immer mal wieder kurze Kapitel, in denen die bereits verstorbene Rosie ihre Gedanken preisgibt, sowie ein paar Stellen, an denen Rosies Schwester Delphine zu Wort kommt. Durch Rosies eigene Worte erhält der Leser einen umfassenden Einblick von ihr und ihr unglückliches Leben. Nach außen hin erscheinen die Andersons als perfekte Bilderbuchfamilie: Vater Neal ist ein erfolgreicher Journalist, der bewegende Reportagen aus Afghanistan liefert und sich sozial engagiert; Mutter Joanna ist eine attraktive Vorzeigeehefrau, und die beiden Töchter sind wohlgeratene, hübsche und intelligente Mädchen, auf die man augenscheinlich nur stolz sein kann. Niemand ahnt, dass sich hinter dieser schneeweißen Fassade grauenhafte Dinge abspielen und wie sehr Rosanna und ihre jüngere Schwester Delphine leiden. Rosies pointierte Worte treffen den Leser mitten ins Herz, ohne plakativ auf die Tränendrüse zu drücken. Subtil und eindringlich zugleich schildert sie Eindrücke aus ihrem Leben, das von klein auf durch Unterdrückung und emotionale Kälte geprägt war.

Spannung ergibt sich aus der Frage, wer sie getötet hat und was das Motiv dahinter war, da es sich offenbar nicht um einen Sexualmord handelt. Für die Ermittler steht zunächst ihr Freund Alex unter Verdacht, aber Kate wird diesbezüglich unsicher, als sie die familiären Verhältnisse durchschaut. Grundsätzlich handelt es sich um einen Who-dunit, bei dem am Ende der Täter entlarvt wird, aber auch die konkreten Hintergründe und der Tatablauf werden erst zum Schluss offenbart. Man kann bereits kurz vor der Enthüllung auf den Täter kommen, aber es ist dennoch nicht zu offensichtlich.

Neben der toten Rosie steht Kate im Mittelpunkt, eine pragmatische Frau, die ihr Leben am liebsten in Gärten oder bei Pferden verbringt. Der Mord an Rosie lässt sie um ihre achtzehnjährige Tochter Grace bangen, die ausgerechnet jetzt von zuhause auszieht, um ihr Studium zu beginnen. Auch dass Ehemann Angus beruflich für ein paar Monate nach London ziehen muss, ist eine Belastung für Kate. Dennoch werden diese Probleme angenehmerweise nicht zu ausufernd behandelt. Sie fließend nur ergänzend ein in Kates Lebensumstände, die sich zunehmend um Jo drehen. Anders als auf der Buchrückseite proklamiert, sind Kate und Jo keine Nachbarn, sondern wohnen an den entgegengesetzten Enden der Stadt und kennen sich nur durch gelegentliche Treffen zum Mittagessen. Dennoch glaubt Kate, Jo recht gut zu kennen, was sie aber nach und nach immer mehr revidieren muss. Es ist schwer für Kate, ihr bisheriges Bild von den Andersons mit ihren neuen Erkenntnissen in Einklang zu bringen, zumal sie nicht weiß, wie weit den Äußerungen der sehr labilen Jo zu trauen ist.

Da der Fokus auf diesen emotionalen Hintergründen und Verwicklungen liegt und Kate als Ich-Erzählerin fungiert, gibt es kaum Einblicke in die Ermittlungsarbeit, man darf also nicht erwarten, dass die Ermittler hier eine besondere Rolle spielen oder man etwa Vernehmungssituationen geschildert bekommt. Etwas störend fällt auf, dass Kate sehr lange ihre naive Sicht bezüglich den Andersons beibehält. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, dass sie auch nach Jos ersten Enthüllungen immer noch bestimmte Sachen für undenkbar hält, etwa dass Jo unter einer Essstörung leidet (davon abgesehen, dass Kate bei der Anspielung auf Jos Erbrechen nach dem Essen seltsamerweise nicht an Bulimie, sondern an Magersucht denkt).

Fazit:


Ein fesselnder und bewegender psychologischer Thriller mit hohem Unterhaltungsfaktor und nur sehr geringen Schwächen.

24. Februar 2016

Aus tiefster Seele - Samantha Hayes

Produktinfos:

Ausgabe: 2014
Seiten: 448
Amazon
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Herzlichen Dank an Blanvalet für das Bereitstellen des Rezensionsexemplares!

Die Autorin:


Samantha Hayes, aufgewachsen in den englischen Midlands, arbeitete in vielen Berufen und bereiste die Welt, ehe sie 2003 einen Kurzgeschichtenwettbewerb gewann und anschließend ihren ersten Roman veröffentlichte. Ab 2007 veröffentlichte sie mehrere Werke unter dem Namen "Sam Hayes". Nach "Aus tiefster Seele" erschienen bislang noch zwei weitere Thriller mit dem gleichen Ermittler-Duo ("Das Dunkel in dir" und "You belong to me").

Inhalt:

Die hochschwangere Claudia steht kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes und ist sehr glücklich. Zwar ist sie bereits Stiefmutter für die vierjährigen Zwillinge Noah und Oscar, die ihr Mann James mit in die Ehe brachte, doch ein leibliches Kind war ihr noch nicht vergönnt. Nach mehreren Fehl- und Totgeburten scheint diesmal endlich alles gut zu verlaufen.

Da James als Navy-Offizier einige Monate pro Jahr auf See verbringt, braucht Claudia eine Nanny zur Unterstützung für diese Zeit. Sie entscheiden sich für die sympathisch wirkende Zoe, die glänzende Referenzen vorweisen kann. Zoe wohnt bei Claudia im Haus und kümmert sich um die Zwillinge; Claudia geht unterdessen noch arbeiten und freut sich auf ihr Baby.

Doch je näher die Geburt rückt, desto unsicherer wird Claudia wegen Zoe. Manchmal erscheint ihr diese gar nicht wie eine richtige Nanny, und schließlich findet sie heraus, dass Zoe heimlich in James' Arbeitszimmer herumgestöbert hat. Unterdessen wird eine schwangere Frau in der Stadt ermordet, eine weitere überlebt einen Angriff schwer verletzt. Es sieht aus, als gäbe es gezielte Angriffe auf schwangere Frauen ...

Bewertung:

Ein bisschen "Die Hand an der Wiege"-Flair kommt auf bei diesem Thriller, wenngleich der Verlauf dann doch eine andere Richtung nimmt. Im Film wie hier im Roman zieht ein junges Kindermädchen bei einer Familie ein, mit dem einiges nicht zu stimmen scheint, doch in "Aus tiefster Seele" ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Die Handlung wird abwechselnd aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt: aus Claudias Sicht, aus Zoes Sicht und von einem personalen Erzähler, der sich auf die Ermittlerin Lorraine konzentriert, die die Überfälle auf die schwangeren Frauen untersucht. Für den Leser liegt es nah, sich schnell mit Claudia zu solidarisieren, die mit all den Fehl- und Totgeburten ein hartes Schicksal mit sich trägt. Dazu kommt der Job ihres Ehemannes, der ihn rund sechs Monate pro Jahr außer Haus verbringen lässt. Noch ist James zuhause, aber schon bald wird er wieder seinen Dienst auf dem U-Boot antreten und Claudia allein mit Zoe lassen. Für den Leser ergibt sich daraus eine sehr spannende Konstellation - auf der einen Seite die verwundbare Claudia, auf der anderen die undurchsichtige Zoe. Es ist klar, dass Zoe nicht die ist, die sie zu sein vorgibt, doch was genau ihr Ziel ist, kann man lange Zeit nicht erschließen. Noch komplexer wird die Situation, als eine gewisse Cecilia ins Spiel kommt, mit der Zoe in irgendeiner engen Verbindung steht und die sich augenscheinlich sehr seltsam bezüglich Babys verhält. Die brutalen Angriffe auf schwangere Frauen sorgen für zusätzliche Brisanz, zumal eines der Opfer mit Claudia in Verbindung steht. Der sehr flüssige Stil macht das Buch zu einer leicht konsumierbaren Lektüre. Trotz der immerhin drei Perspektiven gerät man nicht durcheinander und findet nach einer Lesepause schnell wieder Anschluss.

Auf den letzten Metern steuert die Handlung auf eine beachtliche Wendung zu, die nicht leicht vorherzusehen ist. Die Autorin hat sich große Mühe gegeben, ihre Leser auf falsche Fährten zu führen und am Ende zu überraschen, und in der Tat ist ihr dieser Coup geglückt. Alle Fänden laufen hier zusammen, und alle wesentlichen Fragen werden geklärt. Allerdings kann man bemängeln, dass im Nachhinein manche Gedankengänge der Protagonisten etwas konstruiert erscheinen, eher darauf bedacht, dass der Leser nichts erahnt statt wirklich wie ein authentischer, sprich freier Gedanke der Figur zu erscheinen - das ist immer die Crux, wenn Ich-Erzähler auftreten, deren Gedanken man einerseits lesen kann, die aber andererseits dem Leser nicht zu viel verraten sollen. Es passt einfach nicht ganz zusammen, rückblickend betrachtet, wenn die Gedanken einer Person gezeigt werden, die dann ausgerechnet die verräterischen Punkte auslassen, schließlich weiß eine Romanfigur nicht, dass ihre Gedanken von Lesern verfolgt werden.

Etwas ablenkend und im Grunde überflüssig sind die privaten Probleme der Ermittler Lorraine und Adam. Das Paar hat nicht nur mit den Folgen von Adams Seitensprung zu kämpfen, sondern auch damit, dass Tochter Grace statt Studium nur die Hochzeit mit ihrem Freund im Kopf hat. Vor allem Lorraine leidet unter der Situation, da sie mit ihrem Mann zusammenarbeiten muss, den Seitensprung aber noch nicht verwunden hat. Das bringt einem zwar die Ermittlerin auf eine Art näher, aber es lenkt auch von der Haupthandlung um Claudia und Zoe ab. Des Weiteren wirkt Claudias Unsicherheit anfangs etwas konstruiert; sie reagiert misstrauisch auf Zoe, obwohl diese sich noch nicht merklich auffällig benommen hat. Das erscheint wie eine künstliche Spannungssteigerung, da Dramatik kreiert wird, ohne dass die Gründe wirklich nachvollziehbar sind.

Fazit:


Insgesamt liegt ein spannender und kurzweiliger Psychothriller vor, der am Ende mit einer recht großen Überraschung aufwartet. Es gibt zwar ein paar Mängel und man darf keine zu hohen Erwartungen haben, was etwa ausgefeilte Charakterisierungen angeht, aber Genrefans finden hier einen soliden Roman, der gut unterhält.

17. Februar 2016

Und morgen du - Stefan Ahnhem

Produktinfos:

Ausgabe: 2014
Seiten: 560
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Der Autor:

Stefan Ahnhem aus Schweden, Jahrgang 1966, war vor seinem Debüt als Romanautor bereits als Drehbuchautor bekannt, vor allem für die Drehbücher zu den Wallander-Filmen. 2014 erschien sein erster Roman, 2015 folgte mit "Herzsammler" der zweite.

Inhalt:


Kriminalkommissar Fabian Risk will einen beruflichen und privaten Neuanfang und zieht daher mit seiner Frau und den Kindern aus Stockholm zurück in seine beschauliche Heimatstadt Helsingborg. Eigentlich hat er noch Urlaub, doch er wird prompt in einen neuen Fall einbezogen - denn das Mordopfer Jörgen Palsson ist ein ehemaliger Klassenkamerad. Ihm wurden die Hände abgeschlagen, ehe nach langer Qual starb. Bei dem Opfer liegt ein Klassenfoto, auf dem sein Gesicht durchgestrichen ist.

Für Risk und seine neuen Kollegen liegt nah, dass sie es mit dem Beginn einer Mordserie zu tun haben. Und tatsächlich stirbt bald darauf ein zweiter ehemaliger Mitschüler, dem die Füße abgetrennt wurden. Risk erinnert sich, dass beide als Schläger bekannt waren; Jörgen nutzte stets nur seine Hände, Glenn seine Füße. Es sieht danach aus, als räche sich ein ehemaliger Mitschüler für erlittene Drangsalierungen.

Jörgen und Glenn bleiben nicht die einzigen Opfer. Fieberhaft arbeiten die Ermittler daran, alle ehemaligen Klassenkameraden ausfindig zu machen und zu überprüfen. Der Täter geht äußerst planvoll vor und begeht kaum Fehler. Für Risk und seine Kollegen beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit - und auch Risk gerät ins Visier des Mörders ...

Bewertung:

Mit "Und morgen du" startet Stefan Ahnhem seine Serie um den schwedischen Ermittler Fabian Risk. Der Auftakt ist gelungen, wenn man rasante Thriller mag, wenngleich nicht frei von Schwächen.

Harter Thrillerstoff

Zielgruppe des Werkes sind in erster Linie Fans von Serienmörder-Geschichten und weniger die Anhänger jener doch recht zahlreichen Skandinavien-Krimis, die mit viel Melancholie einhergehen und eher gemächlich ihre Geschichte erzählen. Trotz der über fünfhundert Seiten lädt der Roman zu einer raschen Lektüre ein und hält den Leser in Atem. Verantwortlich dafür sind einmal die vielen Morde und einmal die vielen Wendungen, die immer wieder in neue Richtungen führen. Anfangs sieht es noch so aus, als habe es der Täter womöglich nur auf die beiden schulbekannten Schläger abgesehen. Doch die Mordserie geht weiter, die Ermittler müssen damit rechnen, dass der Mörder die gesamte Schulklasse auslöschen will und wohl bei jedem ehemaligen Mitschüler einen Grund findet, warum er ihn nicht verschonen will. Der Täter geht sehr geplant vor, die Taten sind von langer Hand vorbereitet, und auch bei gewissen Hindernissen findet er ein um andere Mal einen Weg, um sein Opfer zu erreichen. Dabei beobachtet der Mörder nicht nur seine ehemaligen Schulkameraden, sondern auch die Ermittler, indem er beispielsweise versteckte Kameras installiert und so frühzeitig über ihre Schritte informiert ist.

Im Handlungsverlauf entwickeln Risk und seine Kollegen diverse Theorien, wer der Täter und was sein Motiv sein könnte. Allerdings darf verraten werden, dass hier vieles anders ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Immer wieder tappen die Ermittler in eine Falle oder müssen plötzlich ihre Annahmen verwerfen, und ebenso ergeht es dem Leser.

Die geschilderten Morde sind nichts für schwache Nerven. Der Täter hat seine Freude daran, die Opfer einem tagelangen Sterbeprozess auszusetzen, bis sie schließlich unter großen Qualen verbluten oder ersticken. Der "Klassenmörder", wie ihn die Medien bald nennen, ist sehr intelligent, wenngleich ihm auch mal Fehler unterlaufen. Von Anfang an spürt der Leser, dass man es hier mit einem extrem, entschlossenen und unbarmherzigen Menschen zu tun hat. Gleich nach der ersten Tat steht fest: Dies ist kein Täter, bei dem man irgendeine Schonung erhoffen darf. Er tötet auch nicht nur ehemalige Klassenkameraden, sondern auch unliebsame Zeugen, und schließlich schwebt auch Risks Familie in Gefahr.

Ermittler mit Kanten


Fabian Risk steht in der Tradition jener Ermittler, deren Privatleben in diverser Hinsicht angeschlagen ist. Seine Familie leidet unter seinem zeitraubenden Job, was auch der Grund für den Umzug aus der Großstadt in die scheinbare Idylle war. Allerdings konnte niemand ahnen, dass gleich sein erster Mordfall eng mit seiner Schulzeit verknüpft ist und sowohl Täter als auch Opfer ihm vertraut sind. Dementsprechend lässt er Urlaub Urlaub sein, vernachlässigt dabei aber vor allem seinen Sohn Theo, der sich ohnehin meist zum Computerspielen in sein Zimmer verkriecht. Fabian Risk ist zudem ein Ermittler, der gerne auf eigene Faust handelt. Das hat ihm in seinem letzten Job große Probleme bereitet, wie angedeutet wird, und auf seiner neuen Dienststelle setzt sich dies fort. Fabian neigt dazu, eignen Theorien nachzugehen, die er niemandem mitteilt, solange er noch noch nicht sicher ist, ob er recht hat. Das stößt bei seinen neuen Kollegen verständlicherweise auf Unverständnis und Verärgerung; brisanterweise hat eine Entscheidung Fabians sogar sehr fatale Folgen. Er ist ohne Frage ein guter Ermittler, der sich aber auch bisweilen irrt und Theorien revidieren muss, was gewiss realistischer ist als ein perfekter Kommissar.

Manches Mal zu viel gewollt

Allerdings gehören gerade diese Ecken und Kanten und Unstimmigkeiten zwischen den Ermittlern zu den Schwachpunkten des Buches. Es hat noch seinen Reiz, dass sich Fabian Risk im Helsingborger Team erst eingewöhnen muss und die Zusammenarbeit nicht reibungslos abläuft. Allerdings kommt vor allem in der zweiten Hälfte vermehrt die dänische Ermittlerin Dunja Hougaard ins Spiel, die große Konflikte mit dem Polizeichef austragen muss. Beides zusammen ist ein bisschen viel an Konfliktstoff unter den Ermittlern, zumal gerade Fabians eigenmächtige Entscheidungen teilweise nerven können. Diese Überladenheit trifft durchaus auch für die Mordserie zu - ganz am Ende gibt es nach den vielen Twist noch einmal einen entscheidenden, der dann doch schon des Guten zu viel ist und einfach übertrieben wirkt; was sich der Täter da einfallen lässt, mag clever sein, überspannt aber den Bogen schon ein wenig und wirkt beinah absurd.

Des Weiteren wird viel auf Fabians Vorgeschichte in Stockholm angespielt, allerdings bleiben die Details im Dunkeln. Bisweilen hat man fast den Eindruck, man wäre mitten in einer Reihe eingestiegen, weil manche Hintergründe mit zu spärlichen Andeutungen bedacht werden und leicht verwirren. Das gilt insbesondere für die Fragen, was genau auf Fabians alter Dienststelle vorgefallen ist und ihn den Job gekostet hat und was es mit seiner alten Kollegin, der Technikexpertin Niva auf sich hat, die er kurz rekrutiert und die seiner Ehefrau ein Dorn im Auge ist. Man erfährt zwar, dass Fabian Risk in einer äußerst bedrohlichen Situation hätte schießen müssen und es nicht konnte und dass seine Ehefrau irgendeine Sache mit Niva missinterpretiert hat, aber mehr auch nicht: Aufgelöst werden diese Fragen erst im zweiten Band "Herzsammler", der zeitlich vor dem ersten angesiedelt ist.

Fazit:

Ein spannender und vor allem wendungsreicher Serienmörder-Thriller, der nicht an harten Beschreibungen spart. In mancher Hinsicht ist der Roman ein bisschen überladen, und es stört, dass man einige Hintergründe zum Protagonisten erst im zweiten Band erfährt. Trotzdem insgesamt empfehlenswerter Thriller, der sich leicht liest.

15. Februar 2016

Bibi und Tina - Der Pferde-Treck

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Inhalt:

Bibi, Tina und Alex haben von Alex' Vater einen Urlaub auf Gut Szendrö geschenkt bekommen, der Heimat ihres Freundes Mikosch, dem ungarischen Puszta-Reiter, und dem Gutsverwalter Janosch. Hier wartet eine große Aufgabe auf sie: Vier Nonius-Pferde müssen zu einem Käufer gebracht werden, darunter das wilde Fohlen Ranuka. Es bleiben nur eineinhalb Tage für die weite Reise, da die Pferde ein Geburtstagsgeschenk für einen Gutsbesitzer sein sollen - und Janosch findet so schnell niemanden, der die Aufgabe sonst übernehmen könnte.

Die vier Freunde sind stolz, dass sie allein den Pferde-Treck leiten dürfen - immerhin führt der Weg quer durch die Puszta. Gut ausgerüstet starten die Freunde, Alex übernimmt das Kartenlesen. Der Weg führt sie durch die Tiefebene weit nach Nordosten. Sie müssen einen Fluss überqueren und ihm aufwärts folgen, bis sie an die Ausläufer des Berglandes kommen, wo das Gut liegt.

Schon gleich zu Beginn büchst die übermütige Ranuka aus und muss eingefangen werden. Mittags macht die Hitze den Freunden sehr zu schaffen. Doch die Probleme werden noch größer: Ein Gewitter zieht auf, Alex hat die Karte falsch gelesen, und im Unwetter geht sie auch noch verloren. Auch eine Bärenfamilie treffen die Freunde auf ihrem Treck ...

Bewertung:

Ab und zu spielen die Bibi-und-Tina-Geschichten nicht auf dem Martinshof, sondern in der ungarischen Puszta. Seit der Doppelfolge "Die Wildpferde" sind der alte Janosch und der Pusztareiter Mikosch gute Freunde des Grafen und natürlich erst recht von Bibi, Tina und Alex, und es ist grundsätzlich immer schön, wenn die beiden mitmischen. Schlecht ist auch diese Folge nicht, aber zu den besten der Reihe gehört sie indessen nicht.

Eine gewisse Spannung ist gegeben, schließlich gibt es für die Freunde auf der weiten Reise einige Hindernisse. Es liegt natürlich auf solch eine weiten Reise nah, dass sie sich verirren, und genau das passiert auch. Das Gewitter bringt eine dramatische Note hinein - man darf nicht vergessen, dass Wetterhexereien verboten sind und Bibi somit hier die Gefahrensituation nicht einfach mit einem Hex-Hex beseitigen kann. Zudem gibt es sympathische Nebenfiguren, und zwar die Gulyás, die Rinderhirten um den freundlichen älteren Gabor, die im späteren Verlauf noch eine besondere Rolle einnehmen.

Es gibt zwar Folgen, die noch um einiges lustiger sind, aber ein paar witzige Szenen finden sich auch hier. Die vier Freunde necken sich untereinander, vor allem zwischen Tina und Alex gibt es ein paar amüsante Dialoge. Ein bisschen Ungarnflair kommt auch auf, es gibt ein paar geografische Informationen, es wird mehrmals Gulaschsuppe gegessen und am Ende gibt es eine kurze, aber sehr schöne Musikeinlage. Die Sprecherriege ist hier aufs Engste beschränkt. Hans Teuscher, der den liebenswerten Janosch spricht, ist traurigerweise im Oktober 2015 verstorben. Der vielbeschäftigte Schauspieler mit der markanten hohen Stimme sprach beispielsweise auch Al Lewis alias Grandpa in "Die Munster", den Hahn Fowler in "Chicken Run" und den Fliegenden Holländer in "Spongebob". Es bleibt abzuwarten, ob und wenn durch wen er als Janoschs Sprecher ersetzt wird. Eine gute Figur macht Johannes Berenz als Gabor, der hier seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt und überzeugend den freundlichen Ungarn spricht. Die gespielte Rolle ist rund zehn Jahre älter als sein Sprecher, wird aber sehr authentisch.

Ein bisschen unrealistisch ist es, dass vier Teenager allein diese Reise mitsamt den Pferden übernehmen, auch wenn man bedenkt, dass Bibi als Hexe in Notsituationen eingreifen kann. Darüber kann man aber noch hinwegsehen, schließlich haben die Freunde in den vergangenen Abenteuern oft besonderen Mut und Reife bewiesen. Es ist ein bisschen konstruiert, dass Alex das Kartenlesen übernimmt, woraufhin sie sich verlaufen. Es gibt keinen besonderen Grund, warum er dafür zuständig war; realistischer wäre es gewesen, wenn sich alle vier um den richtigen Weg gekümmert hätten, anstatt dass einer allein dies übernimmt. Das allerdings hätte es schwieriger gemacht, zu erklären, warum sie sich verirren, sodass man sich wohl für die leichtere Variante entschieden hat.

Es ist schade, dass trotz des idealen Settings das Verhältnis zwischen Bibi und Mikosch nicht näher thematisiert wird. In früheren Folgen war mehr oder weniger offensichtlich, dass beide ein bisschen füreinander schwärmen, auch wenn aus ihnen bislang noch kein Paar wurde. Es ist auch gar nicht nötig, dass Bibi jemals in der Serie eine Beziehung eingeht - diese Thematik wird bereits durch das Pärchen Tina und Alex hinreichend abgedeckt -, aber die kleinen Flirtereien und Bibis gelegentliche Verlegenheit waren immer sehr niedlich. Diese Folge bietet von der Handlung her reichlich Gelegenheit für solche Momente, was aber nicht genutzt wird. Bibi und Mikosch verstehen sich zwar prima, aber man merkt nicht wirklich einen Unterschied zum Verhältnis zwischen Mikosch und Tina.

Fazit:


Eine solide bis gute Folge mit überzeugenden Sprechern, die eine unterhaltsame Geschichte erzählt, wenngleich es noch witzigere und spannendere Episoden in der Reihe gibt.

Sprechernamen:

Bibi Blocksberg: S. Bonasewicz
Tina Martin: D. Hugo
Alexander v. Falkenstein: S. Hasper
Mikosch: B. Schalla
Janosch: H. Teuscher
Gabor: J. Berenz
Erzähler: G. Schoß

11. Februar 2016

Winter People - Jennifer McMahon

Produktinfos:

Ausgabe: 2014
Seiten: 400
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Die Autorin:

Jennifer McMahon, geboren 1968 in Connecticut, schrieb schon als Kind Kurzgeschichten und machte ihre Leidenschaft schließlich zum Beruf. Weitere Werke sind u. a. "Das Mädchen im Wald", "Die Insel der verlorenenen Kinder" und "Das 5. Opfer".

Inhalt:


Westhall, Vermont 1908: Sara Harrison Shea lebt zusammen mit ihrem Mann Martin und der kleinen Tochter Gertie auf einer Farm in einer kargen Gegend. Aus ihrer Kindheit kennt Sara die Legenden, die sich um den Ort und besonders um den düsteren Wald ranken: Mit Hilfe eines Rituals soll es möglich sein, Tote für eine Woche in die Welt der Lebenden zurückzuholen. Als Saras über alles geliebte Tochter Gertie stirbt, führt die vor Kummer fast wahnsinnige Sara das Ritual aus - mit fatalen Folgen.

Westhall in der Gegenwart: Die neunzehnjährige Ruthie und ihre sechsjährige Schwester Fawn leben seit dem Tod des Vaters allein mit ihrer Mutter Alice auf der Farm. Am Morgen nach Neujahr ist Alice plötzlich spurlos verschwunden. Ruthie macht sich Sorgen und sucht im Haus nach irgendwelchen Hinweisen, wo ihre Mutter hingegangen sein könnte.

Dabei stößt sie in einem Versteck auf das Tagebuch der Sara Harrison Shea, auf einen Revolver und auf zwei Portemonnaies samt Ausweisen eines ihr unbekannten Ehepaares. Allmählich kristallisiert sich heraus, dass Alice' Verschwinden irgendwie mit Saras unheimlicher Geschichte zusammenhängen muss. Die beiden Schwestern begeben sich auf eine gefährliche Suche ...

Bewertung:

Es bleibt nicht aus, dass einem bei der Lektüre von "Winter People" alsbald Stephen Kings "Friedhof der Kuscheltiere" in den Sinn kommt, auch gewisse Assoziationen zum Horrorfilm/-buch "The Ring" tun sich auf. Verbindende Elemente sind die wiederkehrenden Toten, die mit Hilfe eines Rituals zum Leben erweckt werden, die Trauer und Verzweiflung Hinterbliebener, die sich auf diese wahnsinnige Tat einlassen, und das Schicksal eines Kindes, das auch nach seinem Tod weiterhin Unglück verbreitet. Davon abgesehen ist Jennifer McMahons Roman bei Weitem kein Aufguss dieser anderen Medien, sondern funktioniert wunderbar als eigenständiger Horrorthriller.

Die Handlung teil sich in drei Stränge auf, die nach und nach immer enger zusammengeführt werden. Der Strang im Jahr 1908 dreht sich um das Schicksal von Sara, deren Tagebuchaufzeichnungen das Geheimnis um die "Schlafenden", die zum Leben erweckt werden, in die Gegenwart transportiert. In der Gegenwart stehen vor allem die Schwestern Ruthie und Fawn im Mittelpunkt, die zusammen mit ihrer verschwundene Mutter die jetzigen Bewohner der Farm sind und das Tagebuch finden. Der dritte Strang handelt von der jungen Katherine, deren Mann Gary vor zwei Monaten tödlich verunglückte. Katherine drängt es, zu erfahren, was ihn kurz vor seinem Tod nach Westhall führte und stellt Nachforschungen an. Sie findet heraus, dass sich Gary mit einer ihr unbekannten Frau in einem Restaurant traf, bei der es sich um Alice handelt. Und sie findet in Garys Sachen die Taschenbuchausgabe von Saras Tagebuch, das deren Nichte seinerzeit veröffentlichte. Auf ihrer Suche nach Alice, von der sie sich Antworten zu Garys letzten Stunden erhofft, trifft Katherine schließlich auf Ruthie und Fawn, sodass sich der Kreis zwischen Sara (bzw ihrem Tagebuch), Ruthie/Fawn und Katherine schließt.

Sowohl die Vergangenheits- als auch die Gegenwartshandlungen sind hochspannend und berührend. Letzteres gilt vor allem für den Strang um Sara. Bereits vor Gertie hat sie schwere Schicksalsschläge erfahren: Zunächst erlebte sie mehrere Fehlgeburten, ehe der kleine Charlie geboren wurde und nach zwei Monaten verstarb. Kein Wunder also, dass Gertie von Sara Liebe überschüttet wird und dass ihr Verlust Sara nahezu um den Verstand bringt. Auch Gerties Vater Martin leidet natürlich sehr unter Gerties Tod, doch ihm gelingt es schweren Herzens, seine Arbeit wieder aufzunehmen, statt wie Sara in Verzweiflung abzugleiten. Saras Gefühle bewegen den Leser und versetzen ihn gleichzeitig in Gruselstimmung angesichts der Vorstellung, dass die kleine Gertie zurückkehren soll.

In der Gegenwartshandlung fungiert Ruthie als Identifikationsfigur. Ihre Angst um die Mutter und die Suche werden fesselnd erzählt; mit Spannung verfolgt man, wie Ruthie und Fawn nach und nach immer mehr über Sara und die Ereignisse vor hundert Jahren erfahren. Daneben muss Ruthie die Verantwortung für ihre Schwester tragen, muss ihr Zuversicht vermitteln. Ihre Sorgen, Ängste und Bemühungen um Klarheit wirken authentisch, sodass man sich Ruthie eng verbunden fühlt.

Neben den gelungenen Darstellungen vor allem von Sara und Ruthie überzeugt das Werk in Sachen Spannung und Atmosphäre. Saras und Martins beschwerliches Leben in der kargen Gegend wird anschaulich präsentiert, man erhält ein detailreiches Bild von der Farm und ihrer Umgebung. Das Wissen um die "Schlafenden", die aus dem Wald in die Welt der Lebenden geholt werden können, verleiht der Handlung von Beginn an unheimliches Flair. Viele Szenen sorgen für Gänsehautstimmung, plakative Szenen bleiben jedoch aus - die Beschreibungen sind nicht mit Zombieromanen zu vergleichen, die den Fokus auf Horror legen, hier wird stattdessen in erster Linie mit Andeutungen gearbeitet, dies aber durchaus wirkungsvoll.

Zu kritisieren gibt es gibt es kaum etwas in diesem sehr überzeugenden Roman. Anfangs ist es noch ein wenig schwer verständlich, warum Ruthie nicht die Polizei informiert. Später allerdings wird dies verständlich: Ruthie fürchtet, dass die kleine Fawn angesichts der Umstände in eine Pflegefamilie kommen würde, bis ihre Mutter gefunden wird; zudem fürchtet Ruthie nach dem Fund des Revolvers und der Portemonnaies des fremden Ehepaares, das die Ermittler davon erfahren und Alice eines Verbrechens an ihnen verdächtigen könnten. Diese Begründungen hätte man ruhig noch früher klar herausstellen können, aber letztlich kann man Ruthies Nichteinschalten der Polizei nachvollziehen. Des Weiteren kann man kritisieren, dass ein Zusammentreffen von Figuren ein bisschen konstruiert wirkt, da es rein zufällig genau zum passenden Zeitpunkt eintrifft.

Fazit:

Ein sehr spannender, eindringlicher und bewegender Mysterythriller, bei dem die Horrorelemente allerdings trotz des Themas "wiederkehrende Tote" subtil ausfallen, sodass man also keinen klassischen Zombieroman erwarten darf.

6. Februar 2016

Schlafe, mein Prinzchen, schlaf - Karin Fossum

Produktinfos:

Ausgabe: 2014
Seiten: 288
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Die Autorin:


Karin Fossum wurde 1954 in Norwegen geboren. 1995 erschien ihr Debütroman "Evas Auge", der erste Kriminalroman mit Kommissar Sejer. Weitere Bände sind u.a. "Fremde Blicke", "Dunkler Schlaf" und "Wer anders liebt". Bis 2016 erschienen elf Bände der Reihe.

Inhalt:


Kommissar Sejer wird zum Todesfall des kleinen Tommy hinzugerufen. Der sechzehn Monate alte Junge verließ offenbar unbemerkt das Haus, als seine Eltern gerade beschäftigt waren und ertrank im nah gelegenen See. Alles sieht nach einem Unfall aus, einer unglücklichen Verkettung von Dingen.

Kommissar Sejer ist allerdings misstrauisch. Die Eltern Carmen und Nicolai sind noch sehr jung und gehen sehr unterschiedlich mit dem Vorfall um. Während Nicolai sich zurückzieht und intensiv trauert, scheint die lebenslustige Carmen Tommys Tod viel besser zu verkraften. Tommy hatte das Down-Syndrom, und Sejer erfährt aus Carmens Umfeld, dass sie damit viel schlechter umgehen konnte als ihr Mann - teilweise schämte sie sich sogar für ihr Kind.

Allerdings kann sich kaum jemand vorstellen, dass Tommys Tod kein Unfall gewesen sein soll. Untersuchungen ergeben, dass der Junge gut genährt und gepflegt wurde, es gibt keine Hinweise auf Misshandlungen. Trotzdem lässt Sejer nicht locker und stellt immer wieder neue Befragungen an ...

Bewertung:


Normalerweise sind Karin Fossums psychologische Krimis eine sichere Bank. Mit ihrem elften Band der Kommissar-Sejer-Reihe "Schlafe, mein Prinzchen, schlaf" weicht die norwegische Autorin ein wenig von der gewohnten Qualität ab und legt ein recht durchschnittliches Werk vor, das nicht an die früheren Bände heranreicht.

Vorweg sei gesagt, dass der Buchrückseitentext gleich zwei inhaltliche Fehler enthält, die falsche Erwartungen wecken können. Dort heißt es: "Wie kam der gehbehinderte Junge aus dem Haus? Warum war das Kind nackt?" Gehbehindert war der kleine Tommy nicht, im Gegenteil hatte er gerade Laufen gelernt und war "schnell wie ein Eichhörnchen". Weiterhin wird betont, dass er abgesehen von seinem Down-Syndrom vollkommen gesund war, auch bezüglich der Motorik. Nackt war er indessen schon, allerdings spielt das bei den Ermittlungen, anders als hier suggeriert wird, keine bedeutende Rolle - er starb nämlich an einem sehr heißen Sommertag, und seine Mutter erklärt, dass er sich deswegen unbekleidet auf einer Decke tummelte. Die Betonung der Nacktheit auf der Buchrückseite könnte daran denken lassen, dass hier Kindesmissbrauch thematisiert wird, was nicht der Fall ist.

Die Ausgangslage des Falles ist an sich durchaus dazu geeignet, den Leser zu fesseln und klingt dementsprechend vielversprechend. Ein kleines Kind ist ertrunken, eine kleine Unaufmerksamkeit der Mutter löst eine Katastrophe aus. Tommys Vater macht seiner Frau Vorwürfe, wagt es aber nicht, an irgendeine Art von Vorsatz zu denken. Kommissar Sejer hat nichts Konkretes gegen die Eltern in der Hand, er folgt in erster Linie seinem Gespür. Während Nicolas Trauer ernst scheint, wirkt Carmens Reaktion teilweise aufgesetzt. Schnell denkt sie an ein neues Kind, als Überbrückung dient ihr ein Hundewelpe. Man kann Sejers Gedanken sehr gut nachvollziehen, Carmen erscheint auch dem Leser von Anfang an nicht koscher. Trotzdem gibt es nur Indizien und keine Beweise; es ist ein für die Ermittler frustrierender Fall. Sejer kann und will nicht lockerlassen, macht aber nur sehr langsam Fortschritte. Spannung ergibt sich aus den Fragen, ob Carmen am Ende womöglich doch ein Verbrechen nachgewiesen werden kann, wie dies geschehen mag und wie die Ehe der Eltern den Vorfall verkraftet.

Wie bei der Reihe üblich liegt der Fokus auf Gesprächen mit dem Umfeld des Opfers, aus Kommissar Sejers Gedanken und seiner bedächtigen, subtilen Vorgehensweise. Er ist ein guter Beobachter, seine souveräne Ausstrahlung bringt Verdächtige wider Willen dazu, ihm zu vertrauen. Der zurückgezogene Witwer, der nach wie vor um seine an Krebs verstorbenen Frau trauert, ist eine Figur, deren Lebensweg man als Leser gerne verfolgt und der einem schnell ans Herz wächst. Anders als sonst sind die Charaktere hier jedoch blass geraten. Nicolai ist der traumatisierte Vater, Carmen die unsympathische Mutter; die Schwarz-Weiß-Malerei ist ausgeprägter als in anderen Bänden. Zwar weiß man zunächst noch nicht, wie groß Carmens Schuld tatsächlich ist, aber unabhängig davon distanziert man sich schnell von ihr.

Es ist an sich ein reizvoller Gedanke, die Gefühls- und Gedankenwelt einer Mutter zu präsentieren, die mit der Behinderung ihres Kindes hadert. Diese schwierige Gratwanderung will hier aber nicht wirklich gelingen. Carmen ist kein Charakter zum Ein- und Mitfühlen, sie erscheint nahezu durchweg als verwöhnte, egoistische Prinzessin, die sich zu kurz gekommen fühlt. Andere Täter oder Verdächtige in der Sejer-Reihe erwecken Mitgefühl und stellen den Leser vor eine emotionale Zerreißprobe, dieser Effekt bleibt hier aus. Carmen macht keine Entwicklung durch, bleibt recht eindimensional und ist einfach keine besonders interessante Figur. Zu allem Überfluss gibt es ganz zum Schluss noch einen sehr konstruierten Zufall, der wenig glaubwürdig erscheint.

Fazit:


Ein psychologischer Krimi, der in der Qualität gegenüber den anderen Werken der Reihe abfällt. Kann man lesen, wenn man keine zu hohen Erwartungen hat, aber die anderen Bände sind deutlich vorzuziehen.