3. April 2013

Schiffbruch in der Antarktis: Shackletons blinder Passagier - Victoria McKernan

Produktinfos:

Ausgabe: 2005
Seiten: 384
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Die Autorin:

Victoria McKernan ist seit ihrem neunzehnten Lebensjahr in der ganzen Welt umhergereist. 1982 machte sie ihren Bachelor und arbeitete sowohl als Unterwassermodel als auch als Tauchlehrerin und Segellehrerin. Sie verfasst überwiegend Thriller für Erwachsene.

Inhalt:

1914: Der achtzehnjährige Perce Blackborow und sein Freund, der 26-jährige Amerikaner Billy Bakewell, suchen in Buenos Aires ein neues Schiff zum Anheuern, nachdem ihr vorheriges überraschend auf Grund gelaufen ist. Zufällig erfahren sie, dass Ernest Shackleton hier auf Zwischenstation ist und noch Männer für seine Expedition zum Südpol sucht. Perce ist begeistert - er bewundert den berühmten Polarforscher. Ziel der Expedition ist die Durchquerung der Antarktis mit der "Endurance".

Perce und Billy bewerben sich, doch zu Perces Enttäuschung wird nur Billy genommen. Spontan beschließen die beiden, dass Perce als blinder Passagier mitkommt. Nach einer Woche wird Perce entdeckt und darf sich als Steward bewähren. Die Mannschaft ist zunächst optimistisch, was die Expedition betrifft und Perce findet gute Freunde.

Doch schon bald stößt die "Endurance" in einem der Randmeere der Antarktis auf ungeahnt dichtes Packeis. Das Schiff kommt nur langsam voran und steckt Anfang 1915 schließlich fest. Die ersten Monate hoffen die Männer, nach dem Abtauen weiterfahren zu können. Stattdessen wird das Schiff im Oktober 1915 durch das Packeis zerstört. Shackleton, seine 27 Männer und rund 20 Schlittenhunde müssen sich auf eine Eisscholle retten. Notdürftig ausgerüstet kämpfen sie ums Überleben. Der Traum von der Durchquerung der Antarktis ist vorüber - Shackleton sieht sich plötzlich vor der fast unmöglichen Aufgabe, die Mannschaft vor dem Tod zu bewahren ...

Einmal weiße Hölle und zurück

  • "Wenn es um wissenschaftliche Führungsqualitäten geht, gib mir Scott; für schnelles und effizientes Vorwärtskommen Amundsen; aber falls man in einem Höllenloch ist und heraus möchte, knie nieder und bete um Shackleton." (Apsley Cherry-Garrard/Raymond Priestly)


Unter den vielen spannende und dramatischen Reisen des Goldenen Zeitalters der Antarktisexpeditionen gehört die Shackleton-Expedition zu den berühmtesten - und das, obwohl oder gerade weil sie in ihrer ursprünglichen Mission scheiterte. Ernest Shackleton gilt seither nicht nur wie schon zuvor als außergewöhnlicher Forscher, sondern auch als ein Musterbeispiel an Souveränität und Führungskraft. Dass alle Männer der Besatzung der "Endurance" die jahrelangen Strapazen unter widrigsten Umständen in der Antarktis überlebten, ist beinah ein Wunder und sicherlich eine der schönsten Rettungsgeschichten überhaupt.

Victoria McKernan hat nicht nur ausgiebig recherchiert, sondern auch auch mit den Angehörigen der Familien von Perce Blackborow und Billy Bakewell gesprochen - die Familien der beiden sind noch heute miteinander befreundet. Die Autorin hält sich grundsätzlich eng an die Fakten, ergänzt durch persönliche Erinnerungen einiger Teilnehmer, reichert diese Basis aber auch mit viel Phantasie an. Perce steht im Mittelpunkt der Geschehnisse - verstärkt wird dies durch fiktive Tagebucheinträge von Perce, die immer wieder dazwischen geschoben werden. Das Resultat ist ein fesselndes Abenteuerbuch, das Jugendliche ab etwa zwölf Jahren genauso begeistert wie Erwachsene. Zusammen mit dem jüngsten Besatzungsmitglied Perce erlebt man die Schönheit wie auch den Schrecken der Antarktis in allen ihren Facetten. Anfangs ist es für Perce und Billy einfach eine aufregende Reise, an der Seite des großen Ernest Shackleton. Perce schleicht sich als blinder Passagier ein und bekommt bei seiner Entdeckung erst einmal eine Schimpftirade von Shackleton zu spüren - und kurz darauf auch einen Anflug trockenen Humors. Der blinde Passagier bewährt sich und muss daher nicht fürchten, im Falle einer Hungersnot als Erster verspeist zu werden, wie ihm Shackleton scherzhaft androhte.

Das Leben auf See, während die Endurance in immer kältere Gefilde gleitet, wird anschaulich geschildert und diese Schilderungen sind auch für Jugendliche zu bewältigen, die keine besonderen Seefahrtkenntnisse besitzen. Nach und nach wächst die Mannschaft zusammen, es bilden sich Freundschaften wie auch Abneigungen. Nicht alle Teilnehmer der Expedition können gleichermaßen beleuchtet werden, doch einige erscheinen dem Leser sehr deutlich vor Augen - etwa Frank Wild, der stellvertretende Expeditionsleiter, ein stiller, tapferer Mann, der Shackletons rechte Hand ist und wie ein Fels in der Brandung alle Entbehrungen erträgt. Oder der humorvolle Fotograf Frank Hurley, der in fast jeder Situation seine Kamera parat hat und dem die Nachwelt die großartigen Aufnahmen während der ganzen Expedition verdankt. Oder der Zweite Offizier Tom Crean, ein schweigsamer irischer Riese, auf den in jeder Situation Verlass ist. Oder der Schiffskoch Charlie Green, klein und mit quäkiger Stimme, der es immer wieder versteht, aus den Resten abwechslungsreiche Mahlzeiten zu zaubern. Oder der pedantische Thomas Orde Lees, der als Lagerverwalter fungiert und wegen seiner akribischen Zählerei und seiner humorlosen Art von den anderen spöttisch "die alte Jungfer" genannt wird. Und nicht zuletzt Ernest Shackleton selbst, der unerschütterliche Expeditionsleiter, der seiner Mannschaft in jeder Situation Zuversicht einflößt und die Antarktis mehr liebt als irgendeinen anderen Ort auf der Welt. Victoria McKernan gelingt es, eine Ahnung von diesem charismatischen Forscher zu vermitteln und zugleich die Faszination für den weißen Kontinent nahe zu bringen, der so schön und doch so gefährlich ist.

Humorvolle Anekdoten, liebenswerte Neckereien und herzerwärmende Freundschaftsbeweise wechseln sich ab mit dramatischen und bewegenden Momenten. Die Männer lassen sich anfangs durch das zähe Voranschreiten der Expedition nicht erschüttern, spielen Fußball, verkleiden sich, lesen sich durch die Weltliteratur, spielen Karten und nutzen jede Gelegenheit für eine ablenkende Festivität - und feiern so mal den Jahrestag der Erfindung der Konservendose und mal den Sultan von Mesopotamien. Aber auch wenn der Leser durch die Geschichte weiß, dass alle Männer der Expedition gerettet werden, gibt es auch schmerzhafte Szenen - etwa wenn sich die Mannschaft von den mitgeführten Hunden und der Schiffskatze "Mrs. Chippy" trennen muss, da der Proviant nicht reichen wird oder wenn Perce schwerste Erfrierungen an den Füßen erleidet und fünf Zehen amputiert bekommt. Sehr reizvoll ist auch der Epilog, in dem das weitere Schicksal einiger der wichtigsten Figuren bis zu ihrem Tod erzählt wird. Dazu gibt es eine Zeittafel, eine Karte und einige Fotografien von Frank Hurley, der für seine kostbaren Bilder in das eiskalte Meer tauchte.

Zu bemängeln gibt es an diesem Buch wahrlich wenig. Nicht ganz verständlich ist allerdings, weshalb die Autorin den zweiten Arzt Dr. James McIlroy nicht erwähnt und den Eindruck erweckt, der junge Dr. Alexander Mackling sei der einzige Arzt an Bord - das wird besonders deutlich bei der Amputationsszene, die in Wirklichkeit beide Ärzte gemeinsam vornahmen, während Macklin hier lediglich von Frank Hurley und Frank Wild assistiert wird. Die Zeit nach der Rettung wird ein bisschen zu knapp erzählt, gerade Perces erste Tage zurück bei seiner Familie hätte man noch kurz anreißen können, der Roman klingt ein bisschen plötzlich aus.

Fazit:

Ein bewegender, spannender und dramatischer Abenteueroman für Jugendliche und Erwachse, der auf Tatsachen beruht. Fesselnd von Anfang bis Ende, teils auch humorvoll, mit nur sehr kleinen Mängeln.

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