20. Juli 2012

Wer die Ruhe stört - Poppy Adams

Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 360
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Die Autorin:

Poppy Adams, Jahrgang 1974, studierte Naturwissenschaften und arbeite als Dokumentarfilmerin für BBC, Channel 4 und The Discovery Channel. Das vorliegende Buch ist ihr erster Roman. Sie lebt mit ihrer Familie in London.

Inhalt:

Die siebzigjährige Virginia Stone lebt von Geburt an auf Bulborrow Court, dem ländlichen Herrenhaus ihrer Eltern. Wie ihr Vater hat sie ihr Leben der Schmetterlingsforschung verschrieben. Clive Stone war ein ehrgeiziger Wissenschaftler, Mutter Maud eine naturverbundene Umweltaktivistin. Virginias jüngere Schwester Vivien hat das Elternhaus bereits in jungen Jahren verlassen und ist nach London gegangen.

Schon früher waren die Schwestern, obwohl eng befreundet, sehr gegensätzlich - Ginny die ordnungsliebende Forscherin, Vivi die impulsive Chaotin. Jetzt kommt Vivien überraschend nach Jahrzehnten wieder zu Besuch. Nach der ersten Wiedersehensfreude ist Virginia vor allem misstrauisch. Sie fühlt sich durch die Anwesenheit ihrer Schwester irritiert, zu sehr hat sie sich an die Einsamkeit gewöhnt und hasst jede Störung ihrer Ruhe.

Während Virginia über den wahren Grund der Wiederkehr ihrer Schwester nachgrübelt, versinkt sie in Erinnerungen an ihr Leben mit Vivien vor über vierzig Jahren. Sie erinnert sich an glückliche Tage in ihrer Kinderzeit und Jugend - aber auch an dunkle Familiengeheimnisse, die sie längst verdrängt geglaubt hat und die nie wieder an die Oberfläche kommen sollten ...

Bewertung:

Ein abgelegenes Herrenhaus, eine verschrobene Besitzerin und dunkle Familiengeheimnisse - dies sind die bewährten Zutaten, die sich Poppy Adams für ihren Debütroman zurechtgelegt hat.

Spannung auf mehreren Ebenen

Gleich mehrere Fragen fesseln den Leser, sowohl in der Gegenwart als auch im Handlungsstrang, der in der Vergangenheit spielt. Schon früh ist erkennbar, dass Virginia sich zwar über das Wiedersehen mit Vivien freut, dass aber auch Spannungen und viel Unausgesprochenes in der Luft liegen und es womöglich zu einem Streit mit ungewissem Ausgang kommen mag. Nach und nach wird das anfänglich gezeichnete Bild von der Idylle einer wohlhabenden Forscherfamilie zerstört, indem immer mehr Enthüllungen aus der Vergangenheit ans Tageslicht geholt werden. In ihrer Liebe zu Vivi verwickelt sich die junge Ginny in eine verhängnisvolle Aufgabe und man ahnt, dass das Vorhaben der beiden Schwestern ein böses Ende nehmen muss. Auch über dem Tod der Mutter liegt ein Schatten und Ginny muss sich nach all den Jahren mit einer möglichen neuen Ursache auseinander setzen.

Interessante Charaktere

Lange Zeit sind es vor allem die Gegensätze zwischen den Schwestern, die für Faszination sorgen. Da ist die lebhafte Vivien, stets unbekümmert und spontan, die eindeutige Anführerin, obwohl drei Jahre jünger als Virginia. Keine zehn Jahre ist sie alt, als sie beim Spielen von einem Glockenturm stürzt und nur knapp überlebt. Doch anstatt sich zurückzunehmen, bleibt sie ihrer energischen Linie treu, immer die ergebene Schwester im Schlepptau, die gar nicht auf die Idee kommt, der geliebten Vivi einen Wunsch abzuschlagen. Erfreulicherweise ist Virginia trotz dieser Ergebenheit alles andere als langweilig geraten. Schon früh entdeckt sie ihren Forscherdrang und eifert ihrem berühmten Vater nach. Stundenlang beobachtet sie Raupen und Schmetterlinge, katalogisiert sie, tötet sie zu Untersuchungszwecken. Was Vivien mit der Zeit öde wurde, bleibt bis an Virginias Lebensende ihre Leidenschaft. Auch dem Leser wird die bunte Welt der Schmetterlinge nahegebracht, immer wieder lässt sich Ich-Erzählerin Virginia zu kleinen Abschweifungen hinreißen, die nie ins Belehrende gleiten, sondern eindrucksvoll ihre Liebe zu dieser Wissenschaft unterstreichen.

Die Darstellung der Familienverhältnisse ist angenehm vielschichtig geraten. Anfangs erscheint das Bild harmonisch, doch allmählich beginnt es zu bröckeln. Maud Stone greift vermehrt zum Alkohol, was die entsetzte Virginia krampfhaft vor dem Rest der Verwandtschaft verbergen möchte; Vivien verlässt ihr Elternhaus und bricht mit dem Vater. Trotz der teilweise dramatischen Verwicklungen gibt es auch amüsante Szenarien, vor allem im Zusammenspiel mit Arthur, Vivis Freund und späterem Ehemann. Völlig ahnungslos steht er der Schmetterlingsforschung gegenüber und registriert erstaunt, wie intensiv sich sein Schwiegervater in spe mit dem scheinbar staubtrockenen Thema auseinandersetzt - während dieser nur über die naiven Äußerungen des Schwiegersohns müde lächeln kann.

Kleine Schwächen

Ein paar Mankos sind Poppy Adams bei ihrem Debüt dennoch untergekommen. Zum einen vermisst man ein wenig mehr Zeitgeist im Handlungsstrang der Vergangenheit. Die Schwestern werden in den turbulenten Vierzigerjahren geboren, doch von Krieg oder Nachkriegszeit ist nicht viel zu spüren; stattdessen macht die Handlung einen durchweg modernen Eindruck. Zudem kann das Ende nicht ganz die geweckten Erwartungen bestätigen. Die finale Wendung ist zwar schlüssig, lässt aber in der Umsetzung Atmosphäre vermissen und vor allem Virginia erscheint in ihren Handlungen seltsam steril. Aufgrund der vorherigen Enthüllungen und der sich stetig steigernden Spannung erhofft man sich unwillkürlich einen Knalleffekt am Schluss - aber vergebens, denn eine wirkliche Überraschung tritt nicht ein. Dafür verantwortlich ist

Fazit:

Ein solider Debütroman, der eine dramatische Familiengeschichte mit Thrillerelementen verbindet. Die Charaktere sind gut gelungen, die Handlung ist spannend inszeniert. Kleine Abzüge gibt es für das verhältnismäßig unspektakuläre Ende.

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