1. Juli 2012

Der Professor - John Katzenbach

Produktinfos:

Ausgabe: 2010
Seiten: 555
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Der Autor:

John Katzenbach arbeitete vor seiner Schriftsteller-Karriere als Gerichtsreporter für die "Miami News" und den "Miami Herald". Bereits sein Debütroman von 1982, "In the heat of the summer", wurde mit der Nominierung des Edgar Awards bedacht. Es folgten weitere Bestseller, u.a. "Die Rache", "Die Anstalt", "Der Patient" und "Das Opfer".

Inhalt:

Der verwitwete, pensionierte Psychologie-Professor Adrian Thomas erhält eine niederschmetternde Diagnose: Lewy-Körper-Demenz, eine unheilbare Krankheit, die nach und nach seinen Geist verwirren und schließlich zum Tode führen wird. Kurz nach der Diagnose denkt Adrian an Selbstmord, schließelich sind auch seine Frau Cassie, sein Sohn und sein Bruder bereits tot.

Auf dem abendlichem Heimweh macht er aber eine brisante Beobachtung: Ein Lieferwagen mit einem Pärchen als Insassen hält neben einem jungen Mädchen, kurz darauf sind Mädchen und Wagen verschwunden. Adrian findet aber die Baseballkappe mit dem Namen "Jennifer". Er ist nicht sicher, ob er seiner Beobachtung trauen kann, will aber nichts unversucht lassen, dem Mädchen zu helfen. Tatsächlich findet er Jennifers Mutter, die in großer Sorge um ihre sechzehnjährige Tochter ist.

Detective Terri Collins untersucht den Fall. Da Jennifer als Ausreißerin bekannt und der zerstreut wirkende Adrian kein sehr zuverlässiger Zeuge ist, gehen die Untersuchungen nur langsam voran. Terri ist unschlüssig, ob Jennifer wirklich entführt wurde. Adrian wiederum fühlt sich gezwungen, das Schicksal des Mädchens aufzuklären, im Wettkampf gegen das Vergessen. Wo wird Jennifer gefangen gehalten - und was wird mit ihr gemacht ...?

Bewertung:

Demenzerkrankter pensionierter Professor sucht entführte Teenagerin - eine ungewöhnliche Kombination für einen Psychothriller, die aber von einigen Kleinigkeiten abgesehen gut funktioniert. Mit Adrian Thomas ist Katzenbach eine sympathische und einfühlsame Hauptfigur geglückt, die den Leser rasch für sich einnimmt. Sein Schicksal wird nicht zu kitschig umgesetzt und Adrian badet nicht in Selbstmitleid, trotz seiner tödlich verlaufenden Krankheit. Sein Schwanken zwischen Selbstmordabsichten und dem Drängen, Jennifer zu retten, wird überzeugend dargestellt, bis es sich zu einer Art Besessenheit entwickelt, ein nachvollziehbares letztes Anliegen, das er erledigen muss. Ihm zur Seite steht zwar Detective Terri Collins, die aber ist nicht ganz sicher, was sie von dem etwas verschrobenen alten Mann zu halten hat. Adrian verheimlicht seine Demenzkrankheit und verärgert die Kriminalbeamtin durch einige eigenmächtige Aktionen. Terri, die Jennifer bereits von einem früheren Ausreißversuch her kennt, hält es einerseits für möglich, dass das Mädchen wirklich entführt wurde - aber mit den mageren Beweisen sind ihr die Hände gebunden. Es ist gut dargestellt, wie sie sich erst zögernd auf die Entführungsmöglichkeit einlässt; keine perfekte Superpolizistin, dafür umso realistischer handelnd.

Rund die Hälfte der Handlung konzentriert sich auf Jennifers Schicksal. Das Pärchen Michael und Linda hat sie gefangen, damit sie als "Nummer 4" als "Star" wider Willen auf deren Webseite Whatcomesnext.com agiert - ein spartanischer Kellerraum, in dem das Mädchen mit Augenbinde und angekettet ihren Peinigern ausgeliefert ist, ohne zu ahnen, dass eine Kamera ihr neues Leben in alle Welt auf die Computer zahlungswilliger Konsumenten ausstrahlt. Wer sich hier in das gut abgesicherte System einloggt, erlebt eine Realityshow, die selbst die voyeuristischsten und perversesten Gemüter befriedigt. An Flucht ist für Jennifer nicht zu denken und wenn das Publikum das Interesse an ihr verlieren sollte, wird sie ausgelöscht und durch Nummer 5 ersetzt werden. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit und der Leser erlebt hautnah mit, wie Jennifer immer neuen Demütigungen und Hoffnungen ausgesetzt wird, um sie in ein Wechselbad der Gefühle zu stürzen.

Etwas zwiespältig sind Adrians ausufernde Halluzinationen, in denen ihm die wichtigsten Personen seines Lebens, alle bereits verstorben, zur Seite stehen: Abwechselnd tauchen seine Frau Cassie, sein jüngerer Bruder Brian und sein Sohn Tommy auf; Brian, der Vietnamheld, der sich erschoss ohne Erklärungen zu hinterlassen und Tommy, der Kriegsfotograf, der bei seiner Arbeit ums Leben nahm. Sie alle geben Adrian Ratschläge, helfen ihm, seinen Geist beisammen zu halten und sich auf das Wichtigste zu konzentrieren, mit kleinen Abschweifungen, in denen sie mit ihm über die Vergangenheit reden. Es ist rührend zu lesen, wie Adrian so noch einmal mit seinen Liebsten in Kontakt kommt, mögen es auch Halluzinationen sein, teilweise aber auch ein bisschen zu dominant. In den Momenten, in denen Adrians Angehörige auftauchen, vergisst man teilweise fast, dass es sich um einen Thriller handelt, von einer wirklichen Schwäche kann man dabei aber nicht sprechen - es gibt hier weniger Längen als in seinen Werken wie "Die Anstalt" oder "Das Rätsel". Dafür ist das Finale ein bisschen zu aufgesetzt, nachdem eher ruhigen Verlauf wird es hier spektakulär und nicht besonders realistisch, zu sehr wird auf Action gesetzt. Zudem fällt das Ende ein bisschen zu knapp aus, zwischen dem recht abrupten Schluss und dem Epilog liegen ein paar Jahre, sodass ein paar kleine Fragen offen bleiben - nichts Zentrales, aber dennoch schade.

Fazit:

Ein spannender Psychothriller mit einer ungewöhnlichen Konstellation, der auch durch den sympathischen Protagonisten überzeugt. Die Handlung ist weitgehend ohne Längen und fesselnd, aber das Ende hätte noch besser gestaltet werden können. Insgesamt auf alle Fälle lesenswert für Thrillerfans, die auch zwischendrin mal ruhigere Töne mögen.

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