5. Juni 2012

Nacht - Richard Laymon

Produktinfos:

Ausgabe: 2007
Seiten: 502
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Der Autor:

Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und ist einer der meistverkauften Horrorautoren der USA. Er studierte englische Literatur und arbeitete unter anderem als Lehrer und Bibliothekar, ehe er sich dem Schreiben widmete. Im Jahr 2001 verstarb er überraschend früh und hinterließ eine Reihe von Romanen, die vor allem wegen ihrer schnörkellosen Brutalität von sich reden machten. Zu seinen weiteren Werken zählen u. a. "Rache", "Parasit", "Im Zeichen des Bösen", "Vampirjäger", "Die Insel" und "Die Show".

Inhalt:

Die junge Alice ist mit dem reichen Pärchen Serena und Charlie befreundet und bewohnt ein Zimmer über der Garage ihres großen Hauses. Als die beiden für eine Woche in Urlaub fahren, soll Alice in der Villa, die einsam am Waldrand liegt, regelmäßig nach dem Rechten sehen. Eines Nachts, als Alice gerade das Haus verlassen will, taucht vom Wald ein nackter Mann auf, der in den Pool springt und erst flieht, als Alice ihm droht, die Polizei zu rufen.

In Wirklichkeit telefoniert sie nur mit einem Mann, der sich versehentlich verwählt hat. Da Alice selbst nicht ganz unbescholten ist, kommt nicht in Frage, die Polizei einzuweihen. Stattdessen bewaffnet sie sich mit einem Wandsäbel, um sich notfalls gegen den Eindringling wehren zu können, von dessen Gefährlichkeit sie überzeugt ist.

Tatsächlich begegnet sie kurz darauf vor der Haustür einem Fremden und streckt ihn kurzerhand nieder. Doch zu ihrem Entsetzen merkt Alice, dass es sich hierbei keinesfalls um den mysteriösen Poolbesucher handelt. Jetzt muss sie nicht nur die Leiche des Unbekannten beseitigen und alle Spuren verwischen, sondern läuft immer noch Gefahr, irgendwo von dem Fremden überfallen zu werden. Alice ahnt nicht, dass die schrecklichste Nacht ihres Lebens gerade erst begonnen hat ...

Bewertung:

Das Heyne Hardcore-Programm - das Thriller verspricht, die an Gewalt nicht sparen - und Richard Laymon, den man auch den King of Horror Trash nennen könnte, passen zusammen wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, was er hier nach "Rache", "Die Insel" und "Das Spiel" aufs Neue beweist.

Durchtriebene Protagonistin

Von Ich-Erzählern ist man meist gewohnt, dass sie eine Identifikation beim Leser auslösen, bei Alice dürfte das aber nur schwerlich der Fall sein. Schon gleich im Prolog erklärt sie, dass alle Namen im Buch geändert wurden, damit sie ohne Scheu berichten kann. Obwohl noch eine junge Frau, hat Alice schon einiges an Erfahrungen hinter sich, sowohl was Sex als auch was Gewalt und kriminelle Aktionen angeht, wie sie immer wieder andeutet. Daher reagiert sie relativ kühl angesichts der Bedrohung, verliert nicht die Nerven und lässt sich auf ein gewagtes Katz-und-Maus-Spiel mit dem Mörder ein.

In einem Laymon-Roman darf man beim Mörder kein ausgefeiltes Psychogramm oder überhaupt psychologische Tiefe erwarten. Es ist nicht wirklich wichtig, warum der Fremde mordet, sondern nur, ob er seine Opfer überwältigen kann und ob es ihn am Ende selber erwischt. Interessanter sind da schon die Figuren Judy und Murphy die später ins Spiel kommen. Judy, die Exfreundin des zufälligen Anrufers, ist ohne ihr Wissen für Alice eine unliebsame Zeugin. Die beiden jungen Frauen schließen Freundschaft, ohne dass Judy ahnt, dass Alice plant, sie zu beseitigen - wobei Alice sich plötzlich nicht mehr sicher ist, ob sie die Tat wirklich durchziehen kann. Murphy ist der Hausmeister der Wohnung des Toten, den Alice mit dem Eindringling verwechselte. Der nette Mann, der in seiner Freizeit als Krimiautor arbeitet, ist ihr mindestens ebenso sympathisch wie Judy, stellt aber ebenfalls einen Gefahrenfaktor für sie dar, weil er mehr über Alice weiß, als ihr lieb sein kann.

Unvorhersehbare Handlung

Auf gleich mehreren Ebenen wird für Spannung gesorgt. Einmal fragt sich der Leser, welche Figuren alle ihr Leben lassen müssen. Richard Laymon ist bekannt dafür, keine Gnade mit seinen Charakteren zu kennen, sodass ein glückliches Ende absolut nicht gewährleistet ist. Dass Alice überlebt, weiß man, da sie die Ich-Erzählerin ist, ansonsten aber kann jede der Figuren ohne Weiteres sterben. Auch der eher unsympathische Charakter von Alice sorgt für Spannung, da man nur nach und nach Bruchstücke aus ihrer bewegten Vergangenheit erfährt. Ebenfalls unsicher ist man ständig, ob sie zur Mörderin wird und sich unliebsamer Zeugen entledigt oder ob doch ihr Gewissen die Oberhand gewinnt. Dazu kommt die Frage, ob sie für die versehentliche Tötung des Fremden, den sie für den Eindringling hielt, zur Verantwortung gezogen wird, oder ob es ihr gelingt, alle Spuren zu vertuschen.

Sex, Gewalt und Trash im Übermaß

Laymon ist kein Freund von dezenten Worten, und allzu zartbesaitete Seelen sollten sich den Roman gar nicht erst vornehmen. Es werden grausame Morde verübt, Leichen zerstückelt, Frauen vergewaltigt, und ein Kannibale mischt auch noch mit. Die Beschreibungen sind zwar nicht sehr ausführlich, kein detailreicher Splatter, reichen aber schon über das bei Thrillern übliche Maß hinaus. Das allein wäre noch nicht schlimm, nur leider übertreibt er es auch mit den unrealistischen Sequenzen, die an trashige B-Movies erinnern. Alice handelt, selbst in Anbetracht ihrer kriminellen Energie, zu abgebrüht. Zwar kommen ihr zwischendurch immer wieder ängstliche Gedanken, aber sie geht überwiegend gelassen und kaltblütig an die Aufgaben, etwa wenn es um das Beseitigen einer Leiche geht oder wenn sie versucht, den irren Mörder zu täuschen, und ihm Gefälligkeit vorspielt. Da fällt es dem Leser schon schwer, sich in sie hineinzuversetzen.

Der Gipfel ist erreicht, als sie Murphy für Geld Details aus ihrem brisanten Leben verraten will, die diesen für einen Roman inspirieren sollen - und als Sicherheit, damit er sie nicht an die Polizei verrät, ihn eine Vergewaltigung vortäuschen lässt. Unklar bleibt, wie sie diese "Vergewaltigung" nachweisen will, falls Murphy Wochen oder Monate später zur Polizei gehen sollte, und unrealistisch ist auch, dass er so bereitwillig ein paar tausend Dollar für diese Informationen ausgeben sollte, obwohl er Alice kaum kennt und nicht gerade reich ist.

Fazit:

Ein typischer Laymon-Roman mit viel Sex und Gewalt für hartgesottene Thriller- und Horrorfans. Die unvorhersehbare Handlung sorgt für Spannung, besitzt allerdings auch einige unglaubwürdige Aspekte, insbesondere was das Verhalten der Charaktere betrifft. Vor allem die recht unsympathisch und abgebrühte Ich-Erzählerin lädt nicht zur Identifikation ein. Laymon-Fans kommen sicher auf ihre Kosten, für Einsteiger dagegen empfehlen sich eher andere Romane des Autors.

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