4. Juni 2012

Hölle - Will Elliott


Produktinfos:

Ausgabe: 2008
Seiten: 387
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Der Autor:

Will Elliott wurde 1979 geboren und lebt im australischen Brisbane. "Hölle" ist sein Debütroman, mit dem er den wichtigen ABC Fiction Award und weitere Preise gewann. Seitdem lebt Elliott als freier Schriftsteller und arbeitet an seinen nächsten Romanen.

Inhalt:

Der junge Jamie aus Brisbane lebt bislang ein völlig unspektakuläres, wenig erfolgreiches Leben. Nach seinem Kunststudium arbeitet er gezwungenermaßen in einem Club als Portier, wohnt in einer chaotischen WG und wartet auf den Mut, seine Arbeitskollegin einzuladen. Eines Nachts überfährt er mit seinem Auto beinah einen Clown, der auf einmal auf der Straße auftaucht und ihm böse hinterherblickt.

Kurz darauf sieht er den Clown abends wieder in Begleitung zweier weiterer Clowns. Einer von ihnen verliert ein kleines Säckchen mit einem Pulver, das Jamie heimlich einsteckt. Von nun an verfolgen ihn die Clowns, hinterlassen Drohzettel in seiner Wohnung und verwüsten schließlich sogar das Haus. Ehe Jamie sich's versieht, entführen sie ihn, und er findet sich in einem großen Wanderzirkus wieder.

"Pilos Familienzirkus" ist eine erschreckende Welt unter der Erde mit Zwergen, Akrobaten, Zauberern und bizarren Mischwesen, manche einigermaßen vernünftig, manche verrückt und unberechenbar. Als Finder des geheimnisvollen Pulvers ist Jamie ein gefährlicher Mitwisser, der von nun an im Zirkus bleiben soll - und zwar als neues Mitglied der Clownstruppe. Das geheimnisvolle Pulver erfüllt seinem Benutzer Wünsche und wird als Bezahlung eingesetzt. Die weiße Schminke hingegen verwandelt Jamie nach dem Auftragen abrupt in einen gehässigen Clownscharakter. Verzweifelt versucht Jamie, die magische und mysteriöse Zirkuswelt mit seinen unheimlichen Bewohnern zu durchschauen und sein altes Ich zu bewahren - in der Hoffnung, irgendwann wieder nach Hause zu kommen ...

Bewertung:

Clowns sind lustig, so lautet das Gerücht. Stephen Kings Pennywise aus seinem Roman "Es" hat diese Ansicht schon etwas zurechtgerückt, Ronald McDonald ist sowieso nicht ganz geheuer, und auch in Will Elliotts "Hölle" sind sie alles andere als sympathische Gestalten, die dafür feinsten Horror auslösen.

Skurrile Charaktere

Nach seiner Entführung landet Jamie in einer bizarren Welt voller Freaks, die wie ein Alptraum auf ihn wirkt. Der Anführer der Clownstruppe ist der zynische Gonko, der mit eisiger Miene seine Truppe kommandiert und Jamie stets im Auge behält. Zu den seltsamsten Gestalten gehören die Brüder Goshy und Doopy: Goshy gibt selten andere Laute von sich als ein schrilles Teekessel-ähnliches Pfeifen, starrt oft stundenlang die Wand an, kann aber durchaus auch mit einer Axt um sich schwingen, wenn er gereizt wird. Was in ihm vorgeht, bleibt der Außenwelt verborgen, all seine Gefühle gehören seiner großen Liebe, bei der es sich zwar um eine Farnpflanze handelt, die er aber dessen ungeachtet im Laufe der Handlung heiratet (und mit der er zu Jamies Entsetzen auch die Ehe vollzieht). Doopy ist die Karikatur eines Clowns mit künstlich heller Stimme, kindischer Ausdrucksweise, ständiger Aufgeregtheit und ununterbrochenem Bemühen, seinen Bruder vor Scherereien zu bewahren.

Die Zirkusdirektoren sind der hünenhafte Kurt Pilo und sein zwergwüchsiger Bruder George, die regelmäßig Mordanschläge aufeinander verüben. Kurt scheint auf den ersten Blick äußerst jovial, sieht man davon ab, dass er leidenschaftlich gerne Zähne isst und bei Zuwiderhandlungen seine Untergebenen in die Schreckenskammer gibt, wo eifrig mit Menschenkörpern experimentiert wird.

Eine dagegen tatsächlich sympathische Gestalt ist Fishboy, der zu einem karpfenähnlichen Wesen mutiert ist und allen Spötteleien gutmütig begegnet sowie der alte Clown Winston, der Jamie über die Gefahren im Zirkus aufklärt. Komik und Grauen liegen eng beieinander; teilweise geschehen wirklich amüsante Dinge im Zirkus, etwa wenn Goshy Streit mit seiner Verlobten hat, die seinen Ring an einem Farnwedel trägt, oder Kurt Pilo einem Mordanschlag seines Bruders mit heiterer Gelassenheit entgeht. Auf solche Szenen folgen allerdings auch erschreckende Brutalitäten: Jamie bekommt die Opfer der Experimente zu Gesicht, der bemitleidenswerte Yeti muss in der Vorstellung Glasscherben essen, der Kaninchentrick des Zauberer endet sehr blutig für das arme Tier, und schon vor dem dramatischen Finale müssen einige Zirkusbewohner ihr Leben lassen.

Düstere Spannung

Schon vor Jamies Entführung in die Zirkuswelt ist die Spannung hoch: Die Clowns haben es auf ihn abgesehen, hinterlassen selbst in seinem Schlafzimmer Nachrichtenzettel, und spätestens nach der Verwüstung seiner Wohnung inklusive exkrementischer Hinterlassenschaften ist klar, dass sie keine Scherze machen. Das Eintauchen in die Zirkuswelt besticht durch dichte Atmosphäre und ständige Ungewissheit, was als Nächstes geschieht, wer sterben muss und wem Jamie trauen kann. Der alte Winston gibt ihm wichtige Tipps zum Überleben, aber dennoch ist er unsicher, ob er in ihm wirklich einen Freund sehen kann. Zudem sorgt auch sein alter Ego JJ, der vorlaute Clown, in den er sich mit der Schminke verwandelt, für immer größeren Ärger. Die Schminke wird von Oberclown Gonko angeordnet und lässt zudem erreichen, dass die Clowns unempfindlicher auf Verletzungen reagieren, die bei den Proben und Auftritten unvermeidlich sind.

Als JJ vergisst Jamie alle Vorsicht und legt sich beliebig mit den Zirkusbewohnern an und wird damit selbst zu einem seiner größten Probleme. Nur ganz allmählich werden Details über den geheimnisvollen Zirkus preisgegeben, der schon seit Jahrhunderten durch die ganze Welt zieht und hinter dem noch viel größere Mächte stecken als die beiden Direktoren. Ein Hinweis darauf liefert das Pulver, das bis einem gewissen Grad Wünsche erfüllt, solange sie nicht zu groß sind und niemandem schaden - wer genau diese Wünsche erfüllt und nach welchem Muster sie bewilligt werden, weiß offenbar niemand genau. Das Ende ist eine sehr gelungene Mischung aus Aufklärung über die wichtigsten Punkte und der Möglichkeit zu einer Fortsetzung.

Nur kleine Schwächen

Obgleich er insgesamt sehr überzeugt, schwächelt der Roman ausgerechnet bei seinem Protagonisten. Jamie ist zwar nicht unsympathisch, aber zu blass, um wirklich ein Verbündeter des Lesers zu werden. Man erfährt nicht viel über sein offensichtlich erfolgloses Leben, weder über Freunde noch über Familie, sein trockener Humor ist manchmal nicht ganz realistisch angesichts der jeweiligen Situationen. Zudem fragt man sich unweigerlich, warum er nicht die Polizei eingeschaltet hat, nachdem die Clowns ihn bedrohten und nachweislich in seine Wohnung eindrangen. Dass er sich dann in der Zirkuswelt in den hinterlistigen JJ "verwandelt", macht es natürlich nicht leichter, ihn zu mögen, ein bisschen mehr Verbundenheit mit ihm hätte dem Roman gutgetan.

Fazit:

"Hölle" von Will Elliott ist ein düsterer Horrorroman, der sowohl durch schwarzen Humor besticht als auch durch Spannung und Atmosphäre überzeugt. Sieht man davon ab, dass der Hauptcharakter etwas zu blass bleibt, ist das Werk rundum gelungen und sehr empfehlenswert für alle Leser der dunklen Phantastik.

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