7. Juni 2012

Die Burg von Otranto - Horace Walpole

Produktinfos:

Erscheinungsjahr: 1764
Seiten: 147
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Der Autor:

Horace Walpole, der 1717 in London geboren wurde und 1797 dort starb, war Schriftsteller, Politiker und Künstler. Er saß viele Jahre im "House of Commons" und begründete mit dem Umbau seines Anwesens "Strawberry Hill" den neogotischen Stil. Neben der "Burg von Otranto" war "Über die englische Gartenkunst" sein zweites Hauptwerk, und seine fast 3000 Briefe gelten als eines der wichtigsten Zeugnisse für das England des 18. Jahrhunderts.

Inhalt:

Italien im Mittelalter, zur Zeit der Kreuzzüge: Burg Otranto ist der Stammsitz einer Fürstenfamilie. Oberhaupt Manfred ist ein strenger Patriarch, dessen ganze Liebe seinem hässlichen Sohn Conrad gilt, während er seiner Frau Hippolita und seiner liebreizenden Tochter Matilda wenig Beachtung schenkt. Da Manfred es kaum erwarten kann, männliche Nachkommen zu erleben, setzt er eine schnelle Heirat zwischen Conrad und der hübschen Isabella an, die von ihrem zukünftigen Gatten wenig begeistert ist.

Am Tag der Hochzeit aber kommt es zu einem schrecklichen Unglück, da der riesige Helm einer Statue Conrad erschlägt. Sein Vater Manfred ist außer sich vor Kummer und drängt in seinem Wahn seine Beinah-Schwiegertochter Isabella zur Heirat mit ihm, während er seine Frau verstößt. Die entsetzte Isabella flüchtet sich erst ins Gewölbe der Burg und anschließend zum gutmütigen Pater Hieronymus in die Klosterkirche.

Bei ihrer Flucht hilft ihr außerdem der Bauernbursche Theodor, den Manfred zu Unrecht in der Burg eingesperrt hat. Der Fürst nimmt mit seinen Dienern Isabellas Verfolgung auf, aber Theodor verrät die Prinzessin nicht. Während Isabella ihre Entdeckung fürchtet, tauchen in der Burg sogar Gespenster auf ...

Bewertung:

Die Entstehungsgeschichte des Romans ist fast ebenso spektakulär wie die Handlung selbst. 1764 veröffentlichte Horace Walpole das Werk als angeblicher Übersetzer. Das italienische Original stamme demnach aus dem Jahr 1529 und sei vermutlich ursprünglich kurz nach Zeit der Handlung niedergeschrieben worden. Walpole lobte in seinem Vorwort das Werk ausdrücklich und wies ausführlich auf die gelungene Dramatik und die überzeugende Personenzeichnung hin, die dem unbekannte Verfasser so hervorragend gelungen seien. Nach der überwiegend wohlwollenden Aufnahme des Buches bekannte er sich schließlich in der zweiten Auflage im Jahr darauf zu seiner Autorschaft, woraufhin ihm jedoch heftige Kritik entgegenschlug, denn als zeitgenössisches Werk der Aufklärung war der Roman eine Enttäuschung.

Bei aller Kritik war "Die Burg von Otranto" ein Verkaufserfolg und zugleich Begründer der neuen Gattung der Gothic Novel mit vielen Merkmalen, die für das Genre später symptomatisch wurden, aber auch mit Einflüssen der Ritterromanze. Im Mittelpunkt steht das düstere Schloss mit seinem labyrinthischen Gewölbe, das eine bedrohliche Atmosphäre hervorruft. Eine schöne junge Frau muss um ihr Leben fürchten, ein Gespenst versetzt die Diener in Schrecken, eine unheilvolle Prophezeiung liegt in der Luft, und ein junger Mann beweist heldenhaften Mut.

Die Spukerscheinungen sind dezent, es dominiert stattdessen die Verfolgungsjagd von Burgherr Manfred, und Isabella scheint nicht einmal im Kloster sicher zu sein. Der gute Ausgang ist anders als in Märchen ungewiss, und der Leser kann bis zum Schluss nicht sicher sein, ob die Prinzessin tatsächlich gerettet wird oder das Böse siegen wird. Die Sympathien liegen ganz bei den beiden unschuldig Verfolgten bzw. Verurteilten. Während Isabella beinah von Manfred vergewaltigt worden wäre, muss Theodor dafür büßen, dass er als Erster durchschaute, wie es zum tödlichen Unfall Conrads kam, was ihn sofort verdächtig machte. Sogar ein bisschen Humor findet sich am Ende, als Manfred ein konfuses Gespräch mit einer Dienerin führt, die ständig abschweift und zu seinem Frust in ihrer Aufregung in einer seitenlangen Diskussion nie zum Punkt kommt.

Bei aller Spannung und Dramatik ist das Werk dennoch nach heutigen Gesichtspunkten teilweise unfreiwillig komisch. Die Zufälle, die die Handlung beeinflussen, häufen sich in auffälliger Weise, und die Charaktere sind ausgesprochen eindimensional: Theodor ist ein Held ohne Ecken und Kanten, Isabella die makellose Prinzessin ohne ein besonderes Profil, Manfreds Frau und Tochter werden verhältnismäßig wenig thematisiert. Die Handlung ist zwar abwechslungsreich, wird aber zunehmend wirr mit immer neuen Enthüllungen und Verstrickungen, die sich gegenseitig überbieten und die Dramatik überstrapazieren. Nach heutigen Maßstäben ist der Plot überladen und will zu viel in zu kurzer Zeit unterbringen, anstatt sich auf einen roten Faden zu besinnen. Der Grusel hält sich sehr in Grenzen, die übernatürlichen Erscheinungen haben einen eher komischen Charakter, und die etwas altertümliche Sprache mit leicht umständlichem Satzbau ist zwar nicht schwer zu lesen, aber gewöhnungsbedürftig. Daher ist der Roman vor allem in Hinblick auf seine Bedeutung in der Literaturgeschichte interessant, vor allem im direkten Vergleich mit den zahlreichen Werken, die durch ihn beeinflusst wurden wie "Der Mönch", "Udolphos Geheimnisse" oder in Deutschland "Die Elixiere des Teufels".

Fazit:

Ein für Gruselliebhaber interessanter Roman, der recht spannend und keine Zeitverschwendung ist. Allerdings wirken die Dramatik und die Schauereffekte teilweise unfreiwillig komisch, und die Charaktere sind größtenteils zu eindimensional. Aus literaturhistorischer Sicht reizvoll, ansonsten kein Muss.

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