10. Juni 2012

Der Vampir - John William Polidori

Produktinfos:

Erscheinungsjahr: 2008
Laufzeit: 65 Minuten
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Der Autor:

John William Polidori, 1795-1821, ist hauptsächlich als Leibarzt des Dichters Lord Byron bekannt, ein Verhältnis, um das sich viele Spekulationen ranken. 1816 inspirierte Byron Polidori auf einer Reise zu seiner einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten Geschichte, der ersten Vampirerzählung überhaupt. Nach seinem Tod erschienen noch ein Gedicht und seine Tagebücher.

Inhalt:

London, 1823: Der junge Adelsspross Percy Aubrey wird in die Gesellschaft eingeführt. Auf seinem ersten Ball trifft er den geheimnisvollen und attraktiven Lord Ruthven, der seit kurzem für viel Aufsehen in London sorgt. Viele Frauen sehnen sich nach einem Abenteuer mit ihm, und sein weltmännisches, stilvolles Auftreten zieht auch Percy an. Die beiden kommen ins Gespräch, und Lord Ruthven überredet ihn, ihn zur Grande Tour zu begleiten - einer ausgedehnten Reise zu den antiken Stätten, die für junge adlige Männer üblich ist, um sich zu bilden und Welterfahrung zu erlangen.

Percy genießt die Reise durch Europa und vor allem Ruthvens Gesellschaft. Immer wieder drängt Ruthven ihn, sich in Frauenabenteuer zu stürzen, aber Percy lehnt ab. Unterwegs erreicht Percy ein Brief von seiner Familie. Sein Onkel berichtet ihm von schlimmen Gerüchten über Lord Ruthven, der offenbar viele Frauen verführt hat und wegen seines zweifelhaften Charakters einen schlechten Einfluss habe. Er solle die Reise abbrechen, aber Percy ignoriert den Rat.

Bald darauf will Ruthven seine neueste Bekanntschaft, die hübsche Maria, verführen. Percy reagiert mit Abscheu darauf, dass das Mädchen ausgenutzt werden soll, und trennt sich nach einem Streit von seinem Gefährten. Percy reist weiter nach Griechenland, wo er sich in die Wirtstochter verliebt. Er ahnt noch nicht, dass Lord Ruthven bald wieder auftauchen und für schreckliches Unheil sorgen wird - und alles andere als ein normaler Mensch ist ...

Bewertung:

Trotz ihres großen Einflusses auf die Literatur ist die erste Vampirgeschichte zumindest hierzulande nicht so populär, dabei ist bereits die Entstehungsgeschichte reizvoll. 1816 versammelten sich Percy B. Shelley, seine spätere Frau Mary, Lord Byron mit seiner Geliebten und Polidori in der Villa Diodati am Genfersee und traten in einen Dichterwettstreit. Mary Shelleys "Frankenstein" ist eines der Ergebnisse daraus, "Der Vampyr" das andere, und es ist kein Zufall, dass der aristokratische und anmutige Lord Ruthven deutliche Ähnlichkeit mit Lord Byron aufweist.

Die Geschichte vereint eine spannende, öfter auch dramatische Handlung mit interessanten Charakteren und einer teils bewegenden, teils melancholischen Stimmung. Der Unterschied zwischen den beiden Hauptfiguren könnte größer kaum sein: Der scheue, tugendhafte und zurückhaltende Percy, der noch keine nennenswerte Lebenserfahrung gesammelt hat und naiv in die Welt blickt, und auf der anderen Seite der elegante Dandy, der reihenweise Frauen bezirzt und dank ausgeprägter Menschenkenntnis jeden Gegenüber seinem Charme verfallen lässt.

Im Verhältnis der beiden Reisegefährten und Freunde schwingt auch stets eine homoerotische Note mit, ohne dass je etwas Derartiges zwischen ihnen geschieht - obwohl Lord Ruthven sichtlich der Frauenwelt zugetan ist, betont er Percys Schönheit und möchte den jungen Mann unbedingt an seiner Seite haben, vielleicht für immer. Es ist leicht verständlich, dass Percy zunächst seinem Charisma erliegt und lange Zeit nicht ahnt, wer oder was sich hinter seinem geheimnisvollen Begleiter verbirgt. Anders als Percy ist der Hörer ein bisschen besser informiert und ahnt bereits beim Angriff auf Ianthe, dass Lord Ruthven dahintersteckt. Daher ist es besonders reizvoll zu verfolgen, wie Percy bald darauf erneut dem Lord in die Hände gerät und sich von ihm beeinflussen lässt, nicht erkennend, dass er dabei geradewegs in sein Verderben läuft. Der Leser hofft gebannt, dass er rechtzeitig noch erkennt, welches Spiel gespielt wird, und wenigstens weitere Opfer verhindert werden können.

Die Sprecher sind im Großen und Ganzen sehr überzeugend. Patrick Bach kennt man vor allem als Schauspieler in diversen Weihnachtsserien des ZDF, etwa aus "Anna", "Silas" und "Laura und Luis". In den gegenwärtigen Sequenzen als Ich-Erzähler spricht er mit ruhiger, schwermütiger Stimme und klingt deutlich reifer als in der Binnenhandlung, in der er noch ein emotionaler Jüngling voller Hoffnung ist. Es gibt nur eine Szene, in der er noch etwas emotionaler hätte sprechen müssen, nämlich als er Lord Ruthvens wahre Identität durchschaut, aber davon abgesehen macht er seine Sache sehr gut. Christian Stark verleiht Lord Ruthven den nötigen spöttischen Unterton und die passende Nonchalance, mal verführerisch und mal diabolisch. Kristine Walther überzeugt als sanfte Jane, die voller Liebe und Hingabe zu ihrem älteren Bruder ist, die als Waisenkinder eine besonders enge Bindung haben. Sarah Riedel spricht Ianthe teilweise einen Hauch zu hölzern, gemessen an den hohen Maßstäben. Umso besser sind wiederum Bodo Wolf, populär als deutsche Stimme von Adrian "Monk", als Ianthes Vaters und Jochen Schröder als besorgter Onkel Henry.

Etwa dubios ist lediglich der Schwur und seine Bedeutung, den Percy gegenüber dem sterbenden Lord Ruthven ablegt und der ihn ein Jahr lang daran bindet, nicht über Ruthven zu sprechen. Obwohl es schon bald dringend notwendig wäre, in London vor Ruthven zu warnen, hält sich Percy an den Schwur, es ist aber nicht ganz klar, welche Konsequenzen es gehabt hätte, dagegen zu verstoßen. Dazu wäre es natürlich reizvoll und sicher nicht schwer gewesen, als äußerste Rahmenhandlung noch die Entstehungsgeschichte der Erzählung einzubauen, weil sie selbst genug Stoff für ein gruseliges Szenario bietet.

Fazit:

Ein gelungenes Grusel-Hörspiel, das durch dichte Atmosphäre und eine spannende Handlung fesselt. Die Sprecher sind gut besetzt und überzeugen fast ausnahmslos. Es gibt nur Kleinigkeiten zu bemängeln, deswegen auf alle Fälle eine Empfehlung für alle, die klassische Schauergeschichten mögen.

Sprechernamen:

Percy Aubrey: Patrick Bach
Lord Ruthven: Christian Stark
Jane: Kristine Walther
Onkel Henry: Jochen Schröder
Ianthe: Sarah Riedel
Ianthes Vater: Bodo Wolf

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