10. Juni 2012

Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull

Produktinfos:

Ausgabe: 2011
Seiten: 503
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Der Autor:

Jürgen Petschull, Jahrgang 1952, arbeitet als Journalist für Geo und den Stern. Er verfasste bereits Sachbücher wie "Der Wahn vom Weltreich" und Thriller wie "Der fünfte Schatten" und "Der Märtyrer".

Inhalt:

Hamburg, 1899: Der Kontorbesitzer Johan Cesar Godeffroy betreibt regelmäßig Handel mit den deutschen Kolonien in Deutsch-Neuguinea. Zu den exotischen Kostbarkeiten, die eingetauscht werden, gehören auch oft Totenschädel von Eingeborenen, deren Stämme dort noch teilweise dem Kannibalismus anhängen. Diese Schädel gelten als wertvolle Untersuchungsgegenstände für Forschungen. In einer der Kisten findet sich diesmal jedoch ein Schädel eines jungen Mitarbeiters Godeffroys ...

Ein Jahr zuvor: Das Schiff "Emily Godeffroy" bricht unter der Leitung von Theodor Kolber, einem Abgesandten des Kontors und langjährigem Freund Godeffroys, in die Südsee auf. Ziel ist diesmal nicht nur der übliche Handel, sondern auch die Überprüfung einer Diamantenmine. Das Kontor steckt wegen einiger Fehlspekulationen in finanziellen Schwierigkeiten und der Kauf einer ertragreichen Mine könnte die Rettung bedeuten.

Unterstützt wird Kolber außerdem von Sebastian Kleine, einem aufstrebenden jungen Forscher und Abenteurer, der ihm bei der Einschätzung des Diamantenlandes beraten soll. An Bord treffen die beiden außerdem noch die junge evangelische Ordensschwester Anna Scharnhorst. Anna hat das gleiche Ziel und wird in der Südsee einen Missionar treffen, mit dem sie sich über einen Briefwechsel verlobt hat. Annas Begegnung mit dem Missionar verläuft allerdings anders als geplant - doch auch zwischen den Eingeborenen und den Missionaren gibt es zunehmend Konflikte, die auch die Reisenden der Emily Godeffroy betreffen ...

Bewertung:

Exotische Schauplätze, kriminelle Machenschaften, Liebe und Eifersucht, Konflikte zwischen Kolonisten und Eingeborenen und Kannibalen - der Roman bedient sich vieler reizvoller Zutaten, um den Leser zu fesseln und eine faszinierende wie dramatische Geschichte zu entfalten. Es gibt mehrere Hauptfiguren, die dem Leser nach und nach vorgestellt werden und deren Schicksale einen jeweils für sich gefangen nehmen.

Da ist Sebastian Kleine, ein ehrgeiziger und sympathischer junger Mann, für den der verantwortungsvolle Auftrag eine große Ehre bedeutet. Da ist die junge, naive Anna Scharnhorst, deren Leben eine für sie völlig unerwartete Wendung nimmt. Ihren Verlobten kannte sie bislang nur aus Briefen und einem älteren Foto, sie ist jedoch stets zuversichtlich gewesen, dass sie vor Ort schnell zueinander finden. Anna freut sich auf ihre zukünftige Aufgabe in der Südsee, wo sie die eingeborenen Kinder unterrichten und ihnen den christlichen Glauben nahe bringen soll. Ihr Verlobter allerdings entpuppt sich in jeder Hinsicht als anders als in ihren Vorstellungen und seinen brieflichen Darstellungen und ihre Traumvorstellung verwandelt sich in einen Alptraum. Und dann ist da der junge Tropenarzt Dr. Jungblut, der eine besondere Sympathie zu Anna Scharnhorst gefasst hat und der ihr in dieser misslichen Lage zur Seite steht. Vor allem diese drei Figuren sind es, die den Leser zur Identifizierung einladen und um die man bangt. Der Roman zeigt sehr schön die Konflikte zwischen den Kolonisten und den Ureinwohnern Deutsch-Neuguineas: Die Missionierung der Eingeborenen wird sehr kritisch dargestellt. Manche Missionare wie Anna Scharnhorst mögen tatsächlich vor allem Gutes im Sinn gehabt haben, andere setzten ihre Zwangsmissionierung mit Gewalt durch. Die "Wilden" werden mit Prügelstrafen gezwungen, sich mit dem christlichen Glauben auseinander zu setzen und ihre eigenen Religionen offiziell abzulegen. Die Überzeugung der Kolonialherren, den Schwarzen überlegen zu sein, wird ihnen zum Verhängnis, als sich die Eingeborenen zu wehren beginnen.

Als ein "historischer Thriller" nach einer "wahren Begebenheit" preist sich dieser Roman an und somit sind nicht alle Figuren fiktiv. Den Kontorbesitzer Johan Cesar Godeffroy hat es wirklich gegeben und der Autor hat sich hier um ein realistisches Porträt des "deutschen Königs der Südsee" bemüht. Auch der Gouverneur Dr. Albert Hahl von Deutsch-Neuguinea ist eine reale Figur und nicht zuletzt und vor allem "Queen Emma", eigentlich Emma Forsayth-Coe, eine legendäre Plantagenbesitzerin und Unternehmerin halb samoanischer und halb amerikanischer Herkunft, die als reichste Frau der Südsee galt. Queen Emma erscheint hier als ebenso schöne wie kluge Frau mit faszinierender Ausstrahlung, die einen kühlen Kopf mit Warmherzigkeit verbindet. Godeffroys Freund und Mitarbeiter Theobald Kolber, der ein Verhältnis mit Queen Emma führt, ist zwar fiktiv, basiert aber auf zwei realen Vorbildern, einem Handelsagenten des Kontors und einem der Ehemänner Emmas. Ohne Vorbild sind allerdings Sebastian Kleine, Dr. Werner Jungblut und Anna Scharnhorst. Damit ist gerade der Thrilleraspekt der Handlung frei erfunden und nimmt dem Roman damit etwas von seiner Brisanz - natürlich sind die historischen Hintergründe der Konflikte zwischen den Eingeborenen und den Kolonisten real, doch wenn auf dem Buchrücken mit "Eine wahre Begebenheit" geworben wird, erwartet man nicht gerade, dass ausgerechnet die Hauptfiguren und der Kriminalfall der Handlung fiktiv sind. Etwas irritierend ist zudem der gewählte Erzählstil im Präsens. Da sich die Handlung nicht in Echtzeit abspielt, sondern über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist dieser unmittelbare, automatisch etwas gehetzt wirkende Stil eher unpassend. Umso angenehmer sind da die immer wieder eingeflochtenen Tagebucheinträge Sebastian Kleines, die im Vergangenheitsstil abgefasst sind. Sicher hätte man auch den Titel passender wählen können, denn er klingt etwas zu sehr nach einem Romantikroman vor idyllischer Südseekulisse.

Fazit:

Ein spannender Roman, der teilweise auf historischen Begebenheiten beruht und einige reale Personen mitspielen lässt. Der historische Hintergrund wird anschaulich und fesselnd beschrieben, die Hauptfiguren sind sehr gelungen geschildert. Allerdings ist der zentrale Teil der Handlung, der den Thrilleranteil ausmacht, fiktiv und der Präsensstil ist gewöhnungsbedürftig.

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