10. Juni 2012

Der Illuminator - Brenda Vantrease

Produktinfos:

Ausgabe: 2006
Seiten: 576
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Die Autorin:

Brenda Vantrease, Jahrgang 1945, studierte und promovierte in Tennessee in englischer Literatur. Anschließend arbeitete sie als Englischlehrerin und Bibliothekarin. Auf ausgiebigen Reisen nach Großbritannien und Irland erkundete sie die Schauplätze der Geschichte und verfasste zahlreiche Essays und Kurzgeschichten. "Der Illuminator" ist ihr Romandebüt.

Inhalt:

England, um 1380: Das Land befindet sich in großer Unruhe. Nach dem Tod Edward III. folgt ihm sein erst zehnjähriger Enkel Richard II. auf den Thron, eine umstrittene Nachfolge, die für Trubel im Königshaus sorgt. Das Volk ist der Herrschaft von Adel und Klerus ausgeliefert. Aber nicht nur die armen Leute, auch die Höhergestellten leiden unter der Härte und der Willkür der Gesetze. Zu ihnen gehört Lady Kathryn, die Herrin von Blackingham Manor. Vor einem Jahr verstarb ihr ungeliebter Mann Sir Roderick. Seitdem bemüht sie sich, ihren beiden knapp sechzehnjährigen Söhnen Alfred und Colin ein angemessenes Leben zu bieten, obwohl ihre einst reichhaltigen Mittel immer bescheidener werden. Während der selbstbewusste und launische Alfred seinem Vater nachschlägt, handelt es sich bei Colin um einen stillen, verträumten Jungen, der am liebsten auf seiner Laute spielt.

In dieser Zeit des Umbruchs erhält Lady Kathryn einen Auftrag vom Vorsteher der Abtei Broomholm. Der Illuminator Finn wird eine Ausgabe des Johannes-Evangeliums kunstvoll illustrieren. In dieser Zeit soll er im Kloster wohnen, doch der verwitwete Mann will sich nicht von seiner jungen Tochter Rose trennen. Daher soll Lady Kathryn ihnen gegen Bezahlung seitens der Abtei für einige Monate Unterkunft gewähren. Angesichts ihrer schwierigen finanziellen Lage willigt Lady Kathryn ein, ohne zu ahnen, welche Komplikationen damit auf sie zukommen. Zwischen ihr und dem intelligenten Illuminator entwickelt sich nach zögerlichem Beginn eine geheime Liebesbeziehung. Seine Tochter Rose wiederum verliebt sich in den scheuen Colin, während der eifersüchtige Alfred für Zwietracht sorgt.

Doch das ist noch nicht alles: Finn arbeitet insgeheim für den scharf umstrittenen Kirchenkritiker John Wycliff, der die Bibel ins Englische übersetzt, damit auch das einfache lateinunkundige Volk endlich die Heilige Schrift lesen kann. Jedes Bekenntnis für Wycliff wird als Verrat betrachtet, und eine Entdeckung von Finns Diensten als Illuminator für ihn wäre eine Katastrophe. Als auch noch ein Priester der Abtei nach seinem Besuch auf Blackingham ermordet aufgefunden wird, überschlagen sich die Ereignisse. Lady Kathryn und ihre Söhne schweben genauso in Gefahr wie der Buchmaler Finn und seine Tochter ...

Bewertung:

In ihrem Debütroman befasst sich Brenda Vantrease mit einem bunten und gefährlichen Zeitalter. Vor dem Hintergrund der beginnenden englischen Reformation und der Bauernaufstände gelingt ihr die Schilderung einer fesselnden Geschichte voller interessanter Schicksale.

Überwiegend interessante Charaktere

Im Mittelpunkt stehen sowohl der titelgebende Illuminator Finn als auch die vornehme Lady Kathryn. Lady Kathryn präsentiert sich als starke Frau, die mit allen Kräften bemüht ist, ihren geliebten Söhnen das Erbe zu sichern. Ungern erinnert sie sich an die unglückliche Zwangsehe mit ihrem verstorbenen Mann zurück, sieht ihre Söhne aber als großes Geschenk. Die Einkünfte werden mit der Zeit immer geringer, der hinterhältige Ernteaufseher Simpson scheint sie zu betrügen, und es wird immer schwieriger, den einstigen Status aufrechtzuerhalten. Auch wenn es stets für gute Kleidung und genügend Essen reicht, sorgt sich Lady Kathryn mit Recht um die Zukunft des Anwesens. Als Herrin über Blackingham kann sie sich nur wenige Schwachheiten erlauben. Dem ruhigen und intelligenten Illustrator gelingt es zwar, ihr Herz zu gewinnen - doch er bemerkt bald, dass sie sich bei aller Liebe nicht überwinden kann, gewisse Prinzipien zu brechen.

Nur wenige Charaktere sind eindeutig bei Schwarz oder Weiß einzuordnen. Lady Kathryn ist eine sympathische Identifikationsfigur, aber wegen ihrer Liebe zu ihren Söhnen schlägt sie auch opportunistische Wege ein. Der Illuminator wiederum erscheint glatter, idealistischer, durch seine zurückhaltende und nachdenkliche Art dem Leser aber nicht weniger sympathisch. Automatisch bangt man um sein Leben und spürt seine Verzweiflung, als nach und nach die Schwierigkeiten über ihn hereinbrechen: die Sorge um seine Tochter, die Bedrohung durch die Kirche, Missverständnisse mit Kathryn. Der Mann, der bereits seine geliebte Frau nach der Geburt der Tochter verlor, muss viele Niederlagen einstecken, und es gelingt der Autorin gut, den Leser in seine Lage hineinzuversetzen.

Ein sehr zwiespältiger Charakter ist Kathryns Sohn Alfred. Zweifellos gleicht er seinem dominanten und herrschsüchtigen Vater, doch der Einfluss seiner gütigeren Mutter ist nicht ohne Folgen geblieben. Immer wieder schwankt der junge Mann zwischen seiner Bewunderung für den Vater und seiner Zuneigung für die tapfere Mutter. Einerseits ist er ein Hallodri, der auch die schöne Rose gern in seinem Besitz hätte und im Gegenzug den sanften Bruder Colin verachtet. Andererseits gelingt es Kathryn in wichtigen Situationen durchaus, ihn an seine kindliche Liebe zu ihr zu erinnern und das fast verschüttete liebevolle Wesen in ihm zum Vorschein zu bringen. Daher bleibt bis zum Schluss offen, welchen Weg der junge Alfred tatsächlich einschlagen wird.

In der alten Köchin Agnes, dem Dienstmädchen Magda und dem kleinwüchsigen "Halb-Tom" finden sich drei ausgesprochen vielschichtige Nebencharaktere, die beim Lesen viel Freude bereiten und fast zu kleinen Hauptfiguren avancieren. Halb-Tom ist ein kleinwüchsiger Mann, der in den Sümpfen lebt und trotz seiner widrigen Lage als Außenseiter den Ärmeren hilft. Seine Verbindung zu Blackingham besteht hauptsächlich in Botengängen, doch darüber hinaus fasst er auch große Zuneigung zu der heranwachsenden Magda. Das aus ärmsten Verhältnissen stammende Mädchen wird wegen seiner Schweigsamkeit lange Zeit für zurückgeblieben gehalten, aber es kristallisiert sich heraus, dass man sein liebes, naturverbundenes Wesen damit gründlich unterschätzt.

Die aufkeimende Zuneigung zwischen Halb-Tom und dem kindlichen Mädchen bildet einen kleinen, aber feinen Nebenstrang, den man gern verfolgt. Für humorvolle Szenen sorgt vor allem die alte Agnes, die nicht nur gegenüber Kathryn eine vertraute und fast mütterliche Stellung einnimmt, sondern auch gelegentlich deftige Bemerkungen von sich gibt. Ihre brummelige und oft derbe Art sorgt bei Kathryn zwar zeitweilig für Verstimmung, beim Leser jedoch für Erheiterung.

Rose Finn, die Tochter des Illuminators, ist genau wie Colin über weite Strecken zu glatt und zu harmlos geraten. Gottesfürchtig, demütig und scheu, wie sie sind, verhalten sie sich insgesamt zu vorhersehbar und langweilig. Ebenfalls ausnehmend gut, aber viel interessanter ist die Figur der Einsiedlerin Julian, die ebenfalls in die Fronten zwischen Kirche und Volk gerät. Die gütige Frau mit dem tiefen Glauben wird trotz oder gerade wegen ihrer Hingabe für das einfache Volk von der Kirche misstrauisch beäugt und schwebt kaum weniger in Gefahr als Lady Kathryn und Finn.

Spannung in mehrfacher Hinsicht

Spannung erfüllt die Geschichte gleich auf mehreren Ebenen: Zum einen verfolgt man natürlich mit großem Interesse die schwankende Entwicklung der Liebesbeziehung zwischen Lady Kathryn und Finn. Lady Kathryn befindet sich im ersten Witwenjahr, sollte also nach Ansicht der Außenwelt angemessen um ihren Ehemann trauern, sodass eine neue Beziehung gesellschaftlich undenkbar wäre. Dazu kommt die für damalige Verhältnisse erschreckende Enthüllung, dass Finns verstorbene Frau eine Jüdin war. In einer Zeit, in der die Juden für alles denkbare Übel inklusive der Pest verantwortlich gemacht wurden, tut der Illustrator gut daran, dieses Detail seiner Vergangenheit geheim zu halten. Selbst die gütige Lady Kathryn empfindet diese Tatsache als Schock, der ein dunkles Licht auf ihr Verhältnis wirft. Als wären dies nicht bereits Schwierigkeiten genug, bedeutet auch der Standesunterschied zwischen dem bürgerlichen Finn und der adligen Frau ein Gegenargument zu ihrer Verbindung.

Zu diesen äußeren Komplikationen gesellt sich auch die Angst vor den Reaktionen sowohl seitens des eifersüchtigen Alfred, der das Ansehen seines Vaters verteidigt, als auch des schmierigen Sheriffs Sir Guy, der Heiratsabsichten mit Kathryn hegt. Die möglichen politischen und persönlichen Konsequenzen schweben folglich wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen und halten die Spannung aufrecht. Das gilt, wenn auch in abgeschwächter Form, ebenfalls für das nicht minder intime und geheime Verhältnis zwischen Colin und Rose.

Ein wenig Krimiflair erhält die Handlung durch den Mord an dem Priester. Bei den ersten Ermittlungen verneint Lady Kathryn vorsichtshalber, den Priester am fraglichen Tag gesehenen zu haben, doch ihre Lüge wird entlarvt und lenkt den Verdacht auf Blackinghams Bewohner. Bis zum Schluss muss der Leser fürchten, dass ein Unschuldiger für die Tat büßt, während man Lady Kathryns grausamen Zwiespalt verfolgt, sich zwischen Finn und einem ihrer Söhne entscheiden zu müssen.

Viele historische Details


Eine Vielzahl von historischen Personen lässt die Historienfreunde voll auf ihre Kosten kommen. Die sanfte Einsiedlerin Julian von Norwich hat es ebenso gegeben wie den Kirchenkritiker John Wycliff und den despotischen Bischof Henry Despenser, ganz zu schweigen natürlich von den Mitgliedern des Königshauses. Der Illuminator ist zwar fiktiv, doch die Autorin verwebt seine Geschichte geschickt mit der realen Existenz einer Paneele mit der Passion Christi, deren Künstler bis heute unbekannt ist. Auch bei der Figur von Julian von Norwich, über die man nur sehr wenige Zeugnisse besitzt, musste mit viel Phantasie ausgeschmückt werden, und das geschieht so überzeugend, dass man gern gewillt ist, sich die Einsiedlerin so vorzustellen, wie Brenda Vantrease sie dargestellt hat.

Darüber hinaus besticht der Roman durch Sachkenntnis und realistische Details aus der damaligen Zeit, bei denen wenig beschönigt wird. Das Elend der armen Leute wird dem Leser deutlich vor Augen geführt, aber auch die Konflikte und Schwierigkeiten von scheinbar Begünstigteren wie Lady Kathryn, die ebenfalls unter den Bedingungen leiden. Allerdings bleiben vor allem die herrschaftlichen Hintergründe etwas im Dunkel. Der Leser erfährt nicht viele Angaben zum regierenden Richard II. und seinen Vorgänger. Daher empfiehlt es sich, parallel zum Roman auch ein paar Blicke in Geschichtsbücher zu werfen, um sich mit der politischen Situation vertraut zu machen. Für das Verständnis des Inhalts ist es nicht notwendig, aber zur besseren Gesamtbeurteilung der Epoche anzuraten, wenn keine Vorkenntnisse vorhanden sind.

Etwas schade ist außerdem die negative Darstellung von John of Gaunt, des Herzogs von Lancester, der nicht eigenständig in Erscheinung tritt, aber oft von Beteiligten erwähnt wird. Der Sohn von Edward III. fungierte als Berater seines Neffen, des kindlichen König Richard II., und unterstützte den aufrührerischen John Wycliff. Doch nicht nur Johns Gegner, auch Wycliff sieht im Roman vor allem den Eigennutz von John of Gaunt, der durchweg negativ beschrieben wird. Tatsächlich war der historische John of Gaunt beim Volk unbeliebt, doch im Ausland und in der heutigen Forschung bewundert man ihn eher für seine Reformen und seine politische Weitsicht, die zu seiner Zeit verkannt wurde.

Die edle Aufmachung der deutschen Ausgabe passt exzellent zur thematisierten Buchkunst und dürfte Bibliophilen das Herz höherschlagen lassen. Im Gegensatz zu manch anderen Historienromanen verwendet die Autorin hier zudem angenehmerweise keine allzu geschwollene Sprache, sondern benutzt einen sehr gut lesbaren Stil, der nicht anspruchslos, aber unschwer zu verfolgen ist.

Fazit:

Der von den Medien herangezogenen Vergleich mit Umberto Ecos Meisterwerk "Der Name der Rose" ist übertrieben, aber dennoch können Freunde von historischen Romanen hier bedenkenlos zugreifen. Das Werk besticht durch eine spannende Handlung, berührende Schicksale, interessante Charaktere und detaillierte Sachkenntnis. Die wenigen Schwächen haben keinen großen Einfluss auf den positiven Gesamteindruck dieses gelungenen Erstlings.

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